Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 13.03.2001, Az.: 9 Sa 1712/00
Gutschrift für Betriebratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit auf dem Arbeitszeitkonto
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 13.03.2001
- Aktenzeichen
- 9 Sa 1712/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 10408
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2001:0313.9SA1712.00.0A
Amtlicher Leitsatz
Der Arbeitgeber kann den Arbeitsbefreiungsanspruch nach § 37 Abs. 3 BetrVG durch die nach Abs. 2 gebotene und erfolgte Freistellung erfüllen.
§ 37 Abs. 3 S. 1 BetrVG verbietet nicht, den Ausgleich zeitlich vor die Betriebsratstätigkeit zu legen.
In dem Rechtsstreit
hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 30.01.2001
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ... und
die ehrenamtlichen Richter von und ...
beschlossen
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 15.08.2000 - 4 Ca 100/00 - teilweise abgeändert und- unter Zurückweisung der Berufung im übrigen - wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 3 Stunden gutzuschreiben. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird für den Kläger zugelassen; für die Beklagte wird die Revision nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Arbeitszeitkonto des Klägers für Betriebratstätigkeit außerhalb seiner Arbeitszeit die entsprechende Zeit gutzuschreiben ist, obwohl die Beklagte den Kläger wegen der nämlichen Betriebratstätigkeit in Nachtschichten davor oder danach bezahlt freigestellt hat.
Der am ... geborene Kläger ist bei der Beklagten als Wachmann auf Hundestreifen im Objektsicherungsdienst der kerntechnischen Anlage U. beschäftigt. Er war zuvor für andere Bewachungsunternehmen, die die Bewachung des Kernkraftwerks U. übernommen hatten, tätig, und zwar durchgehend seit dem 16.08.1975. Der Kläger ist in Wechselschicht eingesetzt. Es findet ein Wechsel zwischen Spät-, Nacht- und Frühschicht statt.
Dem Arbeitsverhältnis der Parteien liegt der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen (MTV) zu Grunde, welcher allgemeinverbindlich ist. Die Parteien haben entsprechend einer Betriebs Vereinbarung in Anwendung von § 6 Ziff. 3 b MTV eine monatliche Festvergütung auf der Basis von 173 Stunden vereinbart. Darüber hinaus erhalten die Arbeitnehmer monatlich pauschal Zuschläge für 60 Nacht- sowie für 20 Sonntagsstunden. Die Betriebs Vereinbarung sieht außerdem in § 6 die Einrichtung von Arbeitszeitkonten vor (Bl. 50/51 d.A.).
Der Kläger hat an den nachfolgenden Tagen Betriebsratstätigkeit verrichtet:
01.09.99 | 7 Stunden |
---|---|
02.09.99 | 8 Stunden |
05.10.99 | 8 Stunden |
06.10.99 | 8 Stunden |
13.10.99 | 8 Stunden |
17.11.99 | 8 Stunden |
24.11.99 | 8 Stunden |
25.11.99 | 12 Stunden |
29.12.99 | 8 Stunden |
Er verlangt diese 75 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben. Indessen ist er wegen dieser Betriebsratstätigkeit von den folgenden Nachtschichten bezahlt freigestellt worden:
- Nachtschicht vom 01.09. auf den 02.09.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 02.09. auf den 03.09.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 04.10. auf den 05.10.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 05.10. auf den 06.10.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 13.10. auf den 14.10.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 16.11. auf den 17.11.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 23.11. auf den 24.11.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 24.11. auf den 25.11.99 (8 Stunden)
- Nachtschicht vom 28.12. auf den 29.12.99 (8 Stunden)
Der Kläger hat mit seiner am 7. März 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage zunächst die Bezahlung der 75 Stunden zuzüglich 25 % Mehrarbeitszuschlag verlangt. Er hat die Klage mit am 31. Mai 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz geändert und nurmehr die Gutschrift auf seinem Arbeitszeitkonto begehrt. Er hat gemeint, da seine individuelle Arbeitszeit nun einmal die Tätigkeit in der Nachtschicht sei, habe er Freizeit am Tage geopfert und werde benachteiligt, wenn er für die geleistete Betriebsratstätigkeit außerhalb seiner individuellen Arbeitszeit keinen Freizeitausgleich erhalte. Der Kläger hat daher beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, dem Arbeitszeitkonto des Klägers 75 Stunden gutzuschreiben.
Die Beklagte hat
Klageabweisung
begehrt und die Auffassung vertreten, es reiche aus, dass sie die zuvor ausgefallenen Nachtschichten vergütet habe.
Mit Urteil vom 15.08.2000 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt und den Streitwert auf 1.713,00 DM festgesetzt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im wesentlichen ausgeführt: die Voraussetzungen für die Gewährungen von Freizeitausgleich nach § 37 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz lägen vor. Zwar habe sich die Beklagte nach § 37 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz gerichtet und an die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 07.06.1989 (7 AZR 500/88, AP-Nr. 72 zu § 37 Betriebsverfassungsgesetz 1972) gehalten, indem sie die der Betriebsratstätigkeit vorangegangenen Nachtschichten für den Kläger vergütet habe. Damit sei indes der Anspruch des Klägers auf einen Ausgleich für die von ihm während seiner Freizeit aufgewendete Betriebsratstätigkeit keineswegs ausgeschlossen. Vielmehr bestünden die Ansprüche aus § 37 Abs. 2 und § 37 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz selbständig und unabhängig voneinander, wenn die Voraussetzungen dafür erfüllt seien.
Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seinem Ergebnis haben gelangen lassen, wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 37 R/38 d.A.) Bezug genommen.
Gegen dieses ihr am 31.08.2000 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 18.09.2000 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie zugleich begründet hat.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren nach Maßgabe ihrer Berufungsschrift (Bl. 44-49 d.A.) und ihres Schriftsatzes vom 16.01.2001 (Bl. 69 - 71 d.A.) weiter; die Kammer nimmt auf den Inhalt dieser Schriftsätze Bezug. Die Beklagte meint insbesondere, die Entscheidung des Arbeitsgerichts bedeute eine durch § 78 Betriebsverfassungsgesetz nicht gedeckte Begünstigung in Form einer "Doppelzahlung". § 37 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz könne nur eingreifen, wenn die Betriebsratstätigkeitzusätzlich zur angefallenen Arbeit, nicht aberanstelle der an sich zu leistenden beruflichen Tätigkeit angefallen sei. Das werde durch die Vorschrift des § 37 Abs. 3 Satz 2 verdeutlicht.
Die Beklagte beantragt daher,
das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 15.08.2000 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 20.11.2000, auf deren Inhalt die Kammer ebenfalls Bezug nimmt (Bl. 59 - 63 d.A.). Er widerspricht der Rechtsauffassung der Beklagten und meint darüber hinaus, ihm stehe der Anspruch aus betrieblicher Übung zu, da spätestens seit 1989 bei den Rechtsvorgängerinnen der Beklagten die vom Kläger beanspruchte Praxis vorgeherrscht habe. Von dieser betrieblichen Übung habe die Beklagte sich nicht einseitig lösen können.
Die Parteien haben in der Berufungsverhandlung Übereinstimmung darüber erzielt, dass auf jeden Fall noch 3 Stunden Freizeitausgleich offen sind.
Gründe
Die Berufung ist überwiegend begründet, im übrigen unbegründet. Denn die Klage ist nur in Höhe von 3 Stunden Freizeitausgleich begründet, hinsichtlich der restlichen 72 Stunden nicht begründet.
I.
Die Berufung ist nicht begründet, soweit die im Anspruchszeitraum gewährten bezahlten Freistellungen von Nachtschichten in der Stundenzahl (72 Stunden) hinter der Stundenzahl der außerhalb der vom Kläger an sich zu leisteten Schichten verrichteten Betriebsratstätigkeit (75 Stunden) zurückbleiben. Insoweit besteht zwischen den Parteien auch kein Streit, dass noch 3 Stunden Freizeitausgleich offen sind. Der Anspruch gründet sich auf § 37 Abs. 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz. Der Anspruch ist nicht verfallen. Insoweit trägt zumindest die an zweiter Stelle gegebene Begründung des arbeitsgerichtlichen Urteils, wonach die Geltendmachung des Klägers mit Schreiben vom 03.01.2000 rechtzeitig war, weil der Kläger erst durch den Auszug vom 08.12.1999 davon Kenntnis hatte, dass die Beklagte diese 3 Stunden nicht in das fortlaufende Arbeitszeitkonto eingestellt hatte.
II.
In Bezug auf die vom Arbeitsgericht darüber hinaus zuerkannten weiteren 72 Stunden ist die Berufung dagegen begründet, weil die Klage nicht begründet ist. Der Anspruch des Klägers auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts zum Ausgleich für seine außerhalb des Schichtplans geleistete Betriebsratstätigkeit (§ 37 Abs. 3 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz) ist erfüllt. Die Beklagte hat den Arbeitsbefreiungsanspruch dadurch erfüllt, dass sie den Kläger von 9 Nachtschichten von je 8 Stunden bezahlt freigestellt hat.
1.
Soweit die Beklagte den Kläger von Nachtschichten freigestellt hat, die im Anschluss an seine tagsüber geleistete Betriebsratstätigkeit gelegen haben, ist nicht ersichtlich, was der Kläger dem Erfüllungseinwand entgegensetzen will. Es gibt keinen Grund, die nach § 37 Abs. 2 gebotene und erfolgte Befreiung von der beruflichen Tätigkeit nicht zugleich als die nach Abs. 3 der Vorschrift gebotene Arbeitsbefreiung anzusehen. Es handelt sich insoweit um die Nachtschichten vom 1.9. auf den 2.9., vom 2.9. auf den 3.9., vom 5.10. auf den 6.10., vom 13.10. auf den 14.10. und vom 24.11. auf den 25.11.1999.
2.
Aber auch die Befreiung von den übrigen Nachtschichten ist als Erfüllung des Freistellungsanspruchs zum Ausgleich für die Betriebsratstätigkeit des Klägers außerhalb seines Schichtplanes zu werten. § 37 Abs. 3 Satz 1 verbietet nicht, den Ausgleich zeitlich vor die Betriebsratstätigkeit zu legen, jedenfalls in den Fällen, in denen - wie hier - die Arbeitsbefreiung in Ansehung der aktuell bevorstehenden Betriebsratstätigkeit gewährt wird. Denn die Vorschrift gewährt den Anspruch auf entsprechende Arbeitsbefreiung zum Ausgleich für Betriebsratstätigkeit, die aus betriebsbedingten Gründen außerhalb der Arbeitszeitdurchzuführen ist; das Gesetz hat nicht formuliert, dass der Ausgleich erst dann beansprucht und erfüllt werden könne, wenn die Betriebsratstätigkeitdurchgeführt ist.
3.
Nur die vorstehende Würdigung des Verhältnisses der Vorschriften des § 37 Abs. 2 und 3 wird der Absicht des Gesetzgebers gerecht, wie sie auch in § 37 Abs. 1 zum Ausdruck kommt. Die Beklagte wendet zu Recht ein, dass die vom Kläger begehrte Freistellung für seine Betriebsratstätigkeit außerhalb seines Schichtplanszusätzlich zu der gewährten bezahlten Freistellung von Nachtschichten, welche vor oder nach der Betriebsratstätigkeit gelegen haben, eine Begünstigung darstellen würde, die § 78 Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz verbietet.
Aus diesem Grunde scheidet auch eine möglicherweise gepflogene vorherige Handhabung der früheren Arbeitgeber des Klägers als Anspruchsgrundlage unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung aus. Der Kläger kann nicht die Fortsetzung einer gesetzeswidrigen Begünstigung verlangen.
III.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision fußt auf § 72 Abs. 2 Ziff. ArbGG. Gesetzliche Gründe, die Revision auch für die Beklagte zuzulassen, liegen nicht vor.