Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.12.2001, Az.: 13 TaBV 33/01
Regelung der Gewährung von Zeitzuschlägen neben der Anordnung von Mehrarbeit und Sonderschichten durch eine Betriebsvereinbarung für Notfälle und Eilfälle
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 11.12.2001
- Aktenzeichen
- 13 TaBV 33/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 25253
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2001:1211.13TABV33.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 17.01.2001 - AZ: 3 BV 11/00
- nachfolgend
- BAG - 21.01.2003 - AZ: 1 ABR 9/02
Fundstelle
- EzA-SD 7/2002, 13
Amtlicher Leitsatz
Regelt eine Betriebsvereinbarung für Not- und Eilfälle neben der Anordnung von Mehrarbeit/Sonderschichten auch die Gewährung von Zeitzuschlägen, dann unterliegen die Bestimmungen über Zeitzuschläge der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG.
In dem Beschlussverfahren
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
aufgrund der Anhörung am 11.12.2001
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
die ehrenamtlichen Richter Korowski und Domschowski
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Arbeitgebers wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.01.2001, 3 BV 11/00, abgeändert.
Der Antrag des Betriebsrats wird zurückgewiesen.
Auf den Hilfsantrag des Betriebsrats wird festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung über eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit in Not- und Eilfällen (§ 87 I Nr. 3 BetrVG) vom 04.08.1995 insgesamt unwirksam ist.
Die Rechtsbeschwerde wird für beide Beteiligten zugelassen.
Gründe
I.
Der Betriebsrat begehrt die Verpflichtung des Arbeitgebers, die in § 4 der Betriebsvereinbarung über eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit in Not- und Eilfällen (§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) - im Folgenden: Betriebsvereinbarung - vorgesehene Zeitausgleichsregelung bei Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit anzuwenden. Der Arbeitgeber vertritt die Auffassung, dass die Ausgleichsregelung des § 4 der Betriebsvereinbarung wegen Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam ist.
Die Betriebsvereinbarung wurde am 04.08.1995 abgeschlossen zwischen der Geschäftsleitung der Deutschen Bahn AG, Geschäftsbereich Netz, Niederlassung O. und dem Betriebsrat der Niederlassung Netz O. Nach Umorganisation ist Arbeitgeber nunmehr die DB Netz AG, der Betriebsrat besteht für den Wahlbetrieb O.. Die Betriebsvereinbarung, die bisher nicht gekündigt ist, bestimmt u. a.:
§ 2 Not-, Eil- und außerordentliche Fälle
(1)
Unter Not-, Eil und außerordentlichen Fällen im Sinne des § 1 sind insbesondere nachstehende Ereignisse zu verstehen:
- Unfälle, Brände und Katastrophen mit Einfluss auf den Eisenbahnbetrieb;
- Beseitigung von Störungen und Behinderungen, die eine Beeinflussung des reibungslosen Betriebsablaufes darstellen und über den normalen Bereitschaftsdienst hinausgehen;
- unerwartet auftretende Abweichungen im geplanten Betriebs- und Bauablauf;
- kurzfristig anfallende Sondereinsätze und Zusatzverkehre, die eine Besetzung außerhalb der üblichen Arbeitszeit notwendig machen;
- plötzliche Personalausfälle infolge kurzfristiger Krankmeldungen, die eine kurzfristige Änderung in der Personaldisposition innerhalb von 24 Stunden erfordern;
- witterungsbedingte Sondereinsätze und
-darüber hinaus alle kurzfristigen Umstände, die sich aus § 16 Abs. 2 des "Tarifvertrages über einzelne Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer der DB AG (RPTV)" ergeben.(2)
Ein Not-, Eil und außerordentlicher Fall ist gegeben, wenn der Umstand oder Anlass, der zu einem solchen Ereignis führt, 3 Werktage und weniger vor dem Zeitpunkt der vorübergehenden Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit eintritt bzw. bekanntgeworden ist.§ 3 Wahrung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates
(1)
In Fällen des § 2 wird, wenn anders nicht möglich, ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, die Verkürzung oder Verlängerung angeordnet. Die Zustimmung des Betriebsrates gilt als im Voraus erteilt."(2)
Der Betriebsrat ist jedoch unverzüglich, spätestens innerhalb von 3 Werktagen nach dem Eintreten bzw. Bekanntwerden des Ereignisses unter Angabe der Umstände und Gründe zu informieren.(3)
Für die Information des Betriebsrates ist der/die Mitarbeiter/in verantwortlich, der die vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit angeordnet hat.§ 4 Ausgleichsregelung
(1)
Im Falle einer vorübergehenden Verkürzung der Arbeitszeit aus den in § 2 genannten Ereignissen ist die vorzeitig abgebrochene Schicht voll anzurechnen.(2)
Im Fall eines der in § 2 genannten Ereignisse sind bei Sonderleistungen oder -schichten zusätzlich 120 Minuten über die tariflichen Regelungen hinaus anzurechnen;
wird bei Verlängerung der planmäßigen Arbeitszeit von mehr als 30 Minuten die über die 30 Minuten hinausgehende zusätzlich angefallene Arbeitszeit um 100 % erhöht;(3)
Bei vorzeitigem Abbruch ist eine Sonderleistung oder -schicht voll anzurechnen.Bis einschließlich August 2000 hat der Arbeitgeber die Ausgleichsregelung des § 4 der Betriebsvereinbarung angewandt. Mit Schreiben vom 20.09.2000 hat er dem Betriebsrat mitgeteilt, dass die Ausgleichsregelung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoße und deshalb nicht mehr angewendet werde. Im Übrigen sei die Betriebsvereinbarung wirksam Lind weiterhin anzuwenden.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Betriebsvereinbarung regele die Verkürzung und Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG sei deshalb nicht anzuwenden, abschließende und zwingende tarifliche Regelungen im Sinne von § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG lägen nicht vor. Insbesondere enthalte der Tarifvertrag zur Regelung einer Jahresarbeitszeit für Arbeitnehmer der DB AG (JazTV) keine abschließende Regelung über Zeitzuschläge wie sie in § 4 der Betriebsvereinbarung vorgesehen seien. Tarifliche Regelungen zu Eil- und Notfällen unter Einbeziehung von materiellen Zulagen und Zuschlägen seien zwar verhandelt worden. Ein entsprechender Tarifvertrag sei aber nicht abgeschlossen worden.
Der Betriebsrat hat beantragt,
der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die zwischen den Beteiligten am 04. August 1995 abgeschlossene Betriebsvereinbarung über eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit in Not- und Eilfällen (§ 87 I Nr. 3 BetrVG) in Bezug auf den dortigen § 4 - Ausgleichsregelung - gegenüber den Arbeitnehmern der Niederlassung N., Betriebsstandort B., Wahlbetrieb O. weiterhin anzuwenden.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass für § 4 der Betriebsvereinbarung die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG Anwendung finde. Die Bestimmung sei unwirksam, weil tarifliche Regelungen bestünden. So regele § 3 JazTV die Überzeitarbeit, die Überzeitzulage ergebe sich aus § 17 des Zulagentarifvertrages für die Arbeitnehmerin/den Arbeitnehmer der DB AG (ZTV). Zu berücksichtigen seien weiterhin Bestimmungen des Tarifvertrages für Arbeiter der Deutschen Bundesbahn (LTV). Nach dem weiterhin gültigen § 15 Abs. 5 LTV seien Zeitzuschläge für die Heranziehung zu besonderen Arbeitsleistungen und Sonderdienstschichten geregelt. Die sich damit ergebende Unwirksamkeit der Ausgleichsregelung in § 4 der Betriebsvereinbarung habe nur Teilunwirksamkeit, nicht Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung zur Folge.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag des Betriebsrates stattgegeben. Auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Beschlusses wird Bezug genommen.
Mit Beschwerde wiederholt der Arbeitgeber seine Auffassung, dass für § 4 der Betriebsvereinbarung die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG Anwendung finde. Weil im JazTV Überzeitarbeit geregelt sei, § 15 Abs. 5 LTV Arbeitszeitzuschläge regele, sei § 4 der Betriebsvereinbarung unwirksam. Außerdem wiederholt der Arbeitgeber seine Rechtsauffassung zur Teilunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Beschwerdebegründung.
Der Arbeitgeber beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 17.01.2001 - 3 BV 11/00 - abzuändern und den Antrag zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
- die Beschwerde zurückzuweisen und
- beantragt hilfsweise: Es wird festgestellt, dass die Betriebsvereinbarung über eine vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit in Not- und Eilfällen (§ 87 I Nr. 3 BetrVG) vom 04.08.1995 insgesamt unwirksam ist.
Er wiederholt seine Rechtsauffassung, dass nicht die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG eingreife, sondern lediglich die Regelungssperre des § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG. Eine abschließende tarifliche Regelung, insbesondere für Not- und Eilfälle bestehe nicht. Eine entsprechende Regelung werde zwar verhandelt, sei aber nicht zustande gekommen. § 4 der Betriebsvereinbarung sei damit wirksam und anzuwenden. Wenn diese Vorschrift unwirksam sei, folge daraus aber in jedem Fall Gesamtunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Beschwerdeerwiderung und den Schriftsatz des Betriebsrates vom 10.12.2001.
II.
Die zulässiqe Beschwerde des Arbeitgebers ist begründet. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf Anwendung des § 4 der Betriebsvereinbarung. Die entsprechende Regelung ist wegen Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam. Die arbeitsgerichtliche Entscheidung war deshalb abzuändern und der Hauptantrag des Betriebsrates war zurückzuweisen. Die Unwirksamkeit des § 4 der Betriebsvereinbarung hat die Gesamtunwirksamkeit der Betriebsvereinbarung zur Folge, dies war auf den Hilfsantrag des Betriebsrates festzustellen.
a)
Unwirksamkeit des § 4 der Betriebsvereinbarung.
Nach § 77 Abs. 3 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Wird von den Betriebsparteien ein nach § 87 Abs. 1 BetrVG der Mitbestimmung unterliegender Sachverhalt geregelt, ist nach Einleitungssatz die Regelungsbefugnis durch Betriebsvereinbarung nur eingeschränkt durch eine bestehende tarifliche Regelung. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG (z. B. GS vom 03.12.1991, GS 2/90, EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, Nr. 30) greift die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG nicht ein bei Sachverhalten, die der zwingenden Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegen. Für sie gilt nur die Einschränkung aus § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG. Betriebsvereinbarungen zur Umsetzung des zwingenden Mitbestimmungsrechts sind damit nur eingeschränkt durch bestehende und anwendbare abschließende tarifliche Regelungen, sie sind insbesondere nicht unwirksam, wenn lediglich Tarifüblichkeit gegeben ist.
Die Regelungssperre des § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG findet aber nur Anwendung, wenn und soweit zwingendes Mitbestimmungsrecht besteht. Regelt eine Betriebsvereinbarung neben einem mitbestimmungspflichtigen Sachverhalt auch Sachverhalte, die nicht der zwingenden Mitbestimmung unterliegen, so ist insoweit § 77 Abs. 3 BetrVG zu beachten.
Enthält eine Betriebsvereinbarung neben Regelungen zur betrieblichen Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auch Bestimmungen zur Höhe der Vergütung, z. B. einer Prämie, dann besteht für die Vergütungshöhe kein Mitbestimmungsrecht. Insoweit besteht eine freiwillige Betriebsvereinbarungsregelung, die der Sperre des § 77 Abs. 3 BetrVG unterliegt (BAG vom 24.01.1996, 1 AZR 597/95, EzA § 77 BetrVG 1972, Nr. 55; BAG vom 05.03.1997, 4 AZR 532/95, EzA § 77 BetrVG 1972, Nr. 58; BAG vom 09.12.1997, 1 AZR 319/97, EzA § 77 BetrVG 1972, Nr. 61; BAG vom 15.05.2001, 1 ABR 39/00). Entsprechendes gilt im Bereich der Arbeitszeit. Die Dauer der Arbeitszeit unterliegt nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates, mitbestimmungspflichtig nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG sind nur Verteilung der Arbeitszeit und vorübergehende Verlängerung oder Verkürzung der Arbeitszeit. Soweit eine Betriebsvereinbarung neben Regelungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG auch Regelungen über die Dauer der wöchentlichen bzw. jährlichen Arbeitszeit enthält, gilt für diesen Teil die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG(BAG vom 22.06.1993, 1 ABR 62/92, AP Nr. 22 zu § 23 BetrVG 1972).
§ 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG regelt ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei vorübergehender Verkürzung oder Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Dieses Mitbestimmungsrecht erstreckt sich nur auf die Anordnung von Kurzarbeit oder Überstunden. Es erstreckt sich nicht auf die Frage, wie z. B. Überstunden zu bewerten sind, welche Zeitzuschläge oder Vergütungszuschläge zu gewähren sind. Insoweit besteht auch keine Annexkompetenz (dazu: BAG vom 11.07.2000, 1 AZR 551/99, DB 2001, S. 545). Regelt eine Betriebsvereinbarung im ersten Teil die Anordnung von Überstunden und bestimmt sie in einem zweiten Teil Sonderleistungen des Arbeitgebers in Form von Zeit- oder Vergütungszuschlägen oder Prämien für geleistete Stunden, so handelt es sich bei dem zweiten Teil um eine freiwillige Betriebsvereinbarungsregelung. Das Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG erstreckt sich nicht auf diesen Teil.
§ 3 der Betriebsvereinbarung enthält Regelungen über die Anordnung von Überstunden oder Sonderschichten, § 4 der Betriebsvereinbarung regelt dagegen die Bewertung der Arbeitszeit. Nach Nr. 1 sind vorzeitig abgebrochene Schichten voll anzurechnen. Nr. 2 erster Spiegelstrich sieht für Sonderleistungen oder Sonderschichten zusätzlich zu den tariflichen Regelungen eine Zeitgutschrift von 120 Minuten vor. Nr. 2 zweiter Spiegelstrich bewertet bei Verlängerung der planmäßigen Arbeitszeit über 30 Minuten hinaus die dann geleistete Arbeitszeit mit einer Erhöhung um 100 %. Nr. 3 schließlich schreibt vor, dass bei vorzeitigem Abbruch einer Sonderleistung oder Sonderschicht diese voll anzurechnen ist. § 4 der BV regelt damit Zusatzleistungen für geleistete Sonderschichten oder Überstunden. Insoweit besteht kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. § 4 der Betriebsvereinbarung beinhaltet eine freiwillige Regelung, die der Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG unterliegt.
Sinn und Zweck des § 77 Abs. 3 BetrVG ist es, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie zu gewährleisten und den Vorrang der Tarifvertragsparteien zur Regelung der Arbeitsbedingungen zu sichern (BAG vom 24.01.1996, 1 AZR 597/95, a.a.O.). Soweit tarifliche Regelungen bestehen und anwendbar sind, schließen sie abweichende Betriebsvereinbarungen auch zugunsten der Arbeitnehmer aus. Die Erstreckung der Sperre auf tarifübliche Regelungen soll bewirken, dass etwa bei Kündigung von Tarifverträgen eine Neuregelung durch die Tarifvertragsparteien erfolgt ohne Vorgaben oder Einflussnahme durch Vereinbarungen auf Betriebsebene.
Im Bereich des Arbeitgebers bestehen tarifliche Arbeitszeitregelungen für Überstunden, zumindest muss von einer Tarifüblichkeit umfassender Arbeitszeitregelungen ausgegangen werden, so dass § 4 der Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam ist.
Der Arbeitgeber gehört zum DB-Konzern, in dem bisher ein umfassender Arbeitszeittarifvertrag, der abgeschlossen werden soll, noch nicht zustande gekommen ist. Es bestehen aber umfassende Arbeitszeitregelungen, die die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG auslösen. Grundlage der Arbeitszeitregelung ist der JazTV ergänzt durch den ZTV. Ergänzend sind anzuwenden weitergeltende Bestimmungen des LTV und des Tarifvertrages für die Angestellten der Deutschen Bundesbahn (AnTV). § 2 JazTV regelt die Jahresarbeitszeit. Eingeführt ist gemäß § 4 ein Arbeitszeitkonto. Überzeitarbeit liegt nach § 3 JazTV vor, wenn über die tarifvertragliche Jahresarbeitszeit hinaus Stunden geleistet werden. Es besteht damit eine flexible Arbeitszeitregelung, nach JazTV ist Bezugspunkt für die Feststellung von Überzeitarbeit oder anders ausgedrückt Überstunden der Vergleich zur geleisteten Jahresarbeitszeit. Der Tarifvertrag stellt nicht ab auf Schichtzeit oder Wochenarbeitszeit. Ergänzend zum JazTV regelt der ZTV in § 11 die Höhe von arbeitszeitbezogenen Zulagen, insbesondere in § 17 die Überzeitzulage und in § 18 die Rufbereitschaftszulage. Die Bewertung von Überzeitarbeit gleich Überstunden ist ebenso wie Rufbereitschaftsvergütung damit tariflich geregelt, und zwar für Angestellte und Arbeiter. § 4 Abs. 2 zweiter Spiegelstrich sieht bei Verlängerung der planmäßigen Arbeitszeit von mehr als 30 Minuten für die darüber hinausgehende zusätzlich angefallene Arbeitszeit einen Zuschlag von 100 % vor. Er enthält damit eine Überstundenzuschlagsregelung, für die nach JazTV und ZTV eine tarifliche Regelung besteht. Die Bestimmung ist damit nach § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.
§ 15 Abs. 5 LTV regelt die Heranziehung von Arbeitnehmern zu Sonderdienstschichten, die nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der vorausgehenden oder nachfolgenden Schicht stehen. Unter Nr. 1 a) ist insoweit bestimmt, dass bei einer Arbeitsleistung von weniger als 6 Stunden zu der tatsächlichen Arbeitszeit ein Zeitzuschlag von 4 Stunden gewährt wird, zusammen aber höchstens 6 Stunden. Diese Regelung ist abschließend. Soweit § 4 Abs. 2 erster Spiegelstrich der Betriebsvereinbarung einen Zeitzuschlag von 120 Minuten vorsieht, soweit nach. Abs. 3 bei vorzeitigem Abbruch einer Sonderleistung oder Sonderschicht diese voll anzurechnen ist, handelt es sich um Sachverhalte, die für den Arbeiterbereich abschließend in § 15 Abs. 5 LTV tariflich geregelt sind. Auch insoweit greift die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG.
In wesentlichen Punkten, nämlich Überstundenzuschlag für Arbeiter und Angestellte, Bewertung von Sonderschichten und Sonderleistungen für Arbeiter, enthält § 4 der Betriebsvereinbarung Bestimmungen, für die abschließende tarifliche Regelungen bestehen. § 4 der Betriebsvereinbarung ist bereits deshalb wegen Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG insgesamt als unwirksam anzusehen.
Selbst wenn man entgegen den vorstehenden Ausführungen davon ausgeht, dass für Not- und Eilfälle eine abschließende tarifliche Regelung fehlt, so ist zumindest von Tarifüblichkeit einer abschließenden Arbeitszeitregelung auszugehen. Bis Ende 1993 bestand im LTV eine umfassende und geschlossene Regelung zur Arbeitszeit und Bewertung von Überstunden und Sonderschichten. Neben § 15 LTV waren zusätzlich in § 22 LTV außergewöhnliche Arbeiten mit Pauschalzuschlägen geregelt. § 22 LTV ist zum 31.12.1994 gekündigt worden. Im September 1996 wurde der JazTV abgeschlossen und mit Wirkung zum 01.01.1998 die entsprechende Regelung über Jahresarbeitszeit eingeführt. § 7 Abs. 1 JazTV regelte ausdrücklich, dass die Bewertung und/oder Anrechnung von Tätigkeiten oder von Sachverhalten auf die tarifvertragliche Arbeitszeit sowie die Regelung der Gewährung arbeitszeitbezogener Zulagen oder Zuschläge tarifvertraglicher Regelung vorbehalten bleibt. § 7 Abs. 1 JazTV ist zwar zum 31.03.1998 gekündigt worden. Andererseits haben die Deutsche Bahn AG, Konzernbetriebsrat und Gewerkschaften in der Vereinbarung vom 14.10.1998 "Fortsetzung des Beschäftigungsbündnisses Bahn" Regelungsbedarf für die Tarifpartner im Arbeitszeitbereich festgelegt. Zwar sind bisher weder ein Arbeitszeittarifvertrag noch ein Tarifvertrag für Eilfälle abschließend verhandelt. Deutlich ist aber, dass im Anschluss an das bis Ende 1993 abschließend geregelte tarifliche Arbeitszeitsystem die Tarifvertragsparteien ein neues tarifliches Arbeitszeitsystem schaffen wollen, zumindest teilweise auch geschaffen haben. Arbeitszeitregelung, insbesondere Bewertung der in Not- und Sonderfällen geleisteten Arbeit, ist damit im Bereich des Arbeitgebers als tarifüblich einzustufen. Zumindest unter dem Gesichtspunkt der Tarifüblichkeit folgt damit aus § 77 Abs. 3 BetrVG die Unwirksamkeit des § 4 der Betriebsvereinbarung.
Auf die Beschwerde des Arbeitgebers war deshalb der Hauptantrag des Betriebsrates zurückzuweisen.
b)
Unwirksamkeit der gesamten Betriebsvereinbarung.
Der Hilfsantrag des Betriebsrates ist begründet. Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung führt nicht ohne weiteres zur Gesamtunwirksamkeit, vielmehr ist darauf abzustellen, ob der verbleibende Teil auch ohne die unwirksame Bestimmung eine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält (BAG vom 15.05.2001, 1 ABR 39/00; BAG vom 20.07.1999, 1 ABR 66/98, EzA § 87 BetrVG 1972 Betriebliche Lohngestaltung, Nr. 67). Nach diesen Grundsätzen ist von Gesamtunwirksamkeit auszugehen.
Grundsätzlich sind Betriebsvereinbarungen, in denen für Not- und Eilfälle vorab die Zustimmung des Betriebsrates zu Überstundenanordnung oder Anordnung von Sonderschichten erteilt wird, als sinnvoll anzusehen. In der vorliegenden Betriebsvereinbarung sind aber die Regelungen über die vorab erteilte Zustimmung des Betriebsrates und die Ausgleichsregelung in § 4 derart eng miteinander verknüpft, dass von Gesamtunwirksamkeit ausgegangen werden muss.
Der Katalog der Not- und Eilfälle in § 2 der Betriebsvereinbarung ist umfangreich. Hier sind auch Fälle erfasst, die nicht zwingend als Not- oder Eilfälle einzustufen sind. Kurzfristige Krankmeldungen können z. B. über Personalreserve abgedeckt werden. Für witterungsbedingte Sondereinsätze kann Rufbereitschaft eingerichtet werden. Nach § 2 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung ist ein Not- oder Eilfall bereits gegeben, wenn der Umstand oder Anlass, der zu einem solchen Ereignis führt, 3 Werktage vorher eintritt bzw. bekannt geworden ist. Da der Betriebsrat an Werktagen arbeitsfähig sein dürfte, ist diese Regelung sehr weitgehend. Nach § 3 Abs. 1 der Betriebsvereinbarung gilt die Zustimmung des Betriebsrates nicht nur bei Verlängerung der Arbeitszeit als erteilt, sondern auch bei Verkürzung, Eine Notwendigkeit, auch die Verkürzung der Arbeitszeit in diesem Zusammenhang zu regeln, ist nicht ersichtlich. Die Ausgleichsregelungen in § 4 der Betriebsvereinbarung mindern nicht nur die Belastung der betroffenen Arbeitnehmer. Durch den Umfang der Zeitzuschläge war auch gewährleistet, dass Verlängerung der Arbeitszeit oder Sonderschichten nur in notwendigem Umfang angeordnet werden. § 4 der Betriebsvereinbarung beinhaltet damit auch Regelungen zur Beschränkung der einseitigen Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers nach § 3 der Betriebsvereinbarung. Die Regelungen der §§ 2 und 3 der Betriebsvereinbarung einerseits und die Ausgleichsregelungen in § 4 der Betriebsvereinbarung sind inhaltlich derart verknüpft, dass aus der Unwirksamkeit von § 4 der Betriebsvereinbarung die Gesamtunwirksamkeit folgt. Der Hilfsantrag des Betriebsrats war damit begründet.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Korowski,
Domschowski