Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.11.2001, Az.: 15 TaBV 104/00
Beteiligungsrecht ; Betriebsrat; Arbeitskampfbedingte Maßnahmen ; Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 21.11.2001
- Aktenzeichen
- 15 TaBV 104/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 10915
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2001:1121.15TABV104.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 29.09.2000 - AZ: 7 BV 58/00
- nachfolgend
- BAG - 10.12.2002 - AZ: 1 ABR 7/02
Rechtsgrundlagen
- Art. 9 Abs. 3 GG
- § 74 Abs. 2 S. 1 BetrVG
- § 99 BetrVG
- § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG
- § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG
Fundstelle
- schnellbrief 2002, 7
Amtlicher Leitsatz
Zum Beteiligungsrecht des Betriebsrates bei arbeitskampfbedingten personellen und Arbeitszeitmaßnahmen des Arbeitgebers
Tenor:
Unter Zurückweisung im Übrigen wird auf die Beschwerde des Betriebsrats der Beschluss des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 29. 09. 2000 - 7 BV 58/00 - abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Betriebsrat für den Zeitraum von Arbeitskampfmaßnahmen in seinem Betrieb unter Namensnennung im Voraus mitzuteilen, welche Überstunden, Schichtverschiebungen, Einstellungen und Beschäftigung von Mitarbeitern von fremden Unternehmen beabsichtigt sind.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über das Beteiligungsrecht des Betriebsrats bei arbeitskampfbedingten personellen und Arbeitszeitmaßnahmen des Arbeitgebers.
Der Antragsteller ist der im Betrieb des Arbeitgebers gewählte Betriebsrat. Der Arbeitgeber betreibt einen Zeitungsverlag und eine Druckerei. Er beschäftigt regelmäßig mehr als 20 Arbeitnehmer. Wie häufig in der Vergangenheit (vgl. z. B. BAG, Beschluss vom 26. 01. 1988 - 1 ABR 34/86, AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972) kam es anlässlich von Tarifverhandlungen der Druckindustrie in der 19. Kalenderwoche des Jahres 2000 im Betrieb des Arbeitgebers zu Streikmaßnahmen, insbesondere in der Nachtschicht vom 08. auf den 09. 05. 2000. Um den Produktionsausfall so gering wie möglich zu gestalten, ordnete der Arbeitgeber Überstunden, Schichtverschiebungen und kurzfristige Versetzungen aus anderen Abteilungen in die Rotation und die Rotationsendverarbeitung an. Die genauen Maßnahmen und deren Umfang sind dem Betriebsrat nicht bekannt, da der Arbeitgeber ihm lediglich die Produktionsübersichten für die 19. Kalenderwoche aushändigte (Bl. 35 - 40 d. A. ), aus denen lediglich der Produktionsumfang ersichtlich ist.
Der Betriebsrat hat deshalb beantragt,
dem Arbeitgeber aufzugeben, ihm unter Namensnennung mitzuteilen, welche Überstunden in der 19. Kalenderwoche 2001 angefallen sind und welche Schichtverschiebungen und kurzfristigen Versetzungen aus anderen Abteilungen in die Rotation und die Rotationsendverarbeitung in diesem Zeitraum erfolgt sind, sofern es sich um Mitarbeiter gehandelt hat, die dem Betriebsverfassungsgesetz unterfallen.
Mit Beschluss vom 25. 09. 2000 hat das Arbeitsgericht den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, wegen des Grundsatzes der Waffengleichheit im Arbeitskampf habe der Betriebsrat auch nach Abschluss des Arbeitskampfes kein Unterrichtungsrecht, weil ansonsten der Arbeitgeber seine Arbeitskampftaktik offenbaren müsste. Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe II des Beschlusses Bezug genommen, der dem Betriebsrat am 20. 11. 2000 zugestellt worden ist und gegen den er am 20. 12. 2000 Beschwerde eingelegt hat, die er am Montag, den 22. 01. 2001 begründet hat. Der Betriebsrat greift den Beschluss aus den in seiner Beschwerdebegründungsschrift vom 22. 01. 2001 wiedergegebenen Gründen an. Auf den Beschwerdebegründungsschriftsatz wird Bezug genommen.
Der Betriebsrat beantragt,
in Abänderung des angefochtenen Beschlusses
- 1.
dem Arbeitgeber aufzugeben, ihm unter Namensnennung mitzuteilen, welche Überstunden in der 19. Kalenderwoche 2000 angefallen sind und welche Schichtverschiebungen und kurzfristigen Versetzungen aus anderen Abteilungen in die Rotation und die Rotationsendverarbeitung in diesem Zeitraum erfolgt sind, sofern es sich um Mitarbeiter gehandelt hat, die dem Betriebsverfassungsgesetz unterfallen,
- 2.
festzustellen, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Betriebsrat für den Zeitraum von Arbeitskampfmaßnahmen im Betrieb des Arbeitgebers unter Namensnennung im Voraus mitzuteilen, welche Überstunden, Schichtverschiebungen, kurzfristige Versetzungen, Einstellungen und Beschäftigung von Mitarbeitern von fremden Firmen beabsichtigt sind,
hilfsweise festzustellen, dass die Information nach Abschluss des Arbeitskampfes zu erfolgen hat.
Der Arbeitgeber beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Auf seine Beschwerdeerwiderung vom 09. 03. 2001 wird gleichfalls Bezug genommen.
II.
Die statthafte Beschwerde (§ 87 Abs. 1 ArbGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG i. V. m. SS 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, SS 222 Abs. 2, 518, 519 ZPO).
A.
Die Beschwerde ist in ihrem Antrag zu 1) unbegründet, weil dem Antrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (zuletzt: Beschluss vom 20. 04. 1999 - 1 ABR 13/98, AP Nr. 43 zu § 81 ArbGG 1979) besteht für eine gerichtliche Entscheidung über Verpflichtungen aus einem konkreten Vorgang kein Rechtsschutzbedürfnis mehr, wenn dieser Vorgang abgeschlossen ist und keine Rechtsfolgen mehr erzeugt. Das ist in Bezug auf die in der 19. Kalenderwoche des Jahres 2000 erfolgten vorübergehenden Überstundenanordnungen, Schichtverschiebungen und Versetzungen in die Rotation und Rotationsendverarbeitung der Fall. Unabhängig von der Frage, ob und inwieweit dem Betriebsrat insoweit ein Beteiligungsrecht nach den §§ 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 und 99 BetrVG zugestanden hat, sind diese Vorgänge hinsichtlich der Arbeitszeit abgeschlossen und hinsichtlich der Versetzungen wieder rückgängig gemacht, also erledigt. Soweit sich der Betriebsrat wegen seiner Überwachungsaufgabe nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auf sein Unterrichtungsrecht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG beruft, gilt nichts anderes. Es ist insoweit nicht ersichtlich, welche aktuellen Auswirkungen jene Maßnahmen nach 1 1/2 Jahren im Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung noch haben sollten. Der Betriebsrat hat solche nicht vortragen können.
B.
Der Beschwerde ist jedoch Erfolg beschieden, als der Betriebsrat antragserweiternd den konkreten Streitfall zum Anlass genommen hat, die ihm zugrundeliegende Rechtsfrage einer allgemeinen Feststellung zugänglich zu machen.
In Anbetracht der arbeitskampfbedingten personellen und Arbeitszeitmaßnahmen des Arbeitgebers in der Vergangenheit hat der Betriebsrat entsprechend § 250 ZPO ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, ob ihm bei zukünftigen arbeitskampfbedingten Einstellungen und Versetzungen von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 BetrVG, der arbeitskampfbedingten Änderung der betriebsüblichen Arbeitszeit und der arbeitskampfbedingten vorübergehenden Verlängerung der Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer ein Unterrichtungsrecht zusteht (zur Zulässigkeit eines solchen Feststellungsantrags BAG, Beschluss vom 20. 04. 1999, a. a. O. ).
Der Feststellungsantrag ist in seinem Hauptantrag begründet.
Der Betriebsrat ist auch bei arbeitskampfbedingten Einstellungen und Versetzungen gemäß § 99 Abs. 1 BetrVG zu unterrichten. Die Unterrichtung erstreckt sich auch auf die Beschäftigung von Personen, die nicht im Arbeitverhältnis zum Arbeitgeber stehen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 2. Satzteil BetrVG n. F. , um dem Betriebsrat die Prüfung zu ermöglichen, ob es sich um Einstellungen im Sinne der §§ 95, 99 Abs. 1 BetrVG handelt (vgl. BAG, Beschlüsse vom 31. 01. 1989 - 1 ABR 72/87 und vom 15. 12. 1998 - 1 ABR 9/98, AP Nr. 33, 56 zum § 80 BetrVG 1972). Gleichfalls hat er gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1, § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG Anspruch auf Unterrichtung über arbeitskampfbedingte Änderungen der betrieblichen Arbeitszeit und arbeitskampfbedingte Verlängerungen der Arbeitszeit.
Arbeitskämpfe zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber sind untersagt (§ 74 Abs. 2 Satz 1 BetrVG). Der Betriebsrat hat sich in Arbeitskämpfen deshalb strikt neutral zu verhalten. Er ist jedoch Repräsentant der gesamten Belegschaft nicht nur des gewerkschaftlich organisierten Teils Er ist deshalb im Arbeitskampf auch nicht funktionsunfähig. Jedoch bedürfen einzelne Beteiligungsrechte im Arbeitskampf der teleologischen Reduktion, um die für die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie erforderliche Kampfparität zu gewährleisten (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, AP Nr. 44, 57, 58, 63, 71 zu Art. 9 GG Arbeitskampf, AP Nr. 4 zu § 44 BetrVG 1972, AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG, AP Nr. 26 zu § 95 BetrVG, Richardi, BetrVG, 7. Auflage, § 74, Rdnr. 51 ff. ; Lowisch, BetrVG, 4. Auflage, § 74, Rdnr. 8, Hess, Schlochhauer, Glaubitz, BetrVG, 5. Auflage, § 74, Rdnr. 28; einschränkend: Fitting, Kaiser, Heither, Engels, BetrVG, 20. Auflage, § 74, Rdnr. 18 ff; GK-Kreutz, 6. Auflage, § 74, Rdnr. 62 ff. ; Berg in Däubler u. a. , BetrVG, 7. Auflage, § 74, Rdnr. 20). Um auf Streikmaßnahmen schnell und flexibel reagieren zu können, muss der Arbeitgeber befugt sein, arbeitskampfbedingte Einstellungen und Versetzungen, arbeitskampfbedingte Verlegungen der Arbeitszeit und arbeitskampfbedingte Verlängerungen der Arbeitszeit vorzunehmen, ohne an das langwierige Zustimmungsverfahren der §§ 87 und 99 BetrVG gebunden zu sein.
Das bedeutet nach Auffassung der erkennenden Kammer jedoch nicht, dass der Arbeitgeber auch von seiner Unterrichtungspflicht entbunden ist. Die Einschränkung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates darf nur soweit gehen, als für die Kampffähigkeit des Arbeitgebers geboten. Durch die bloße Unterrichtung des Betriebsrats wird die Fähigkeit des Arbeitgebers, auf Streikmaßnahmen schnell und flexibel zu reagieren, jedoch nicht beeinträchtigt. Eine Verzögerung tritt durch die Unterrichtung nicht ein (ebenso für die Unterrichtung nach § 99 BetrVG: LAG Köln, Beschluss vom 22. 06. 1992 - 14 TaBV 17/92, LAGE Art. 9 GG, Nr. 47).
Der Pflicht zur Unterrichtung des Betriebsrats steht auch nicht entgegen, dass der Arbeitgeber damit gezwungen ist, seine Kampftaktik den Mitgliedern des Betriebsrates offenzulegen, denn der Betriebsrat ist kein Arbeitskampfgegner. Der Betriebsrat hat sich vielmehr arbeitskampfneutral zu verhalten. Seine Mitglieder dürfen ihre Informationen nicht an Dritte weitergeben, insbesondere nicht an die arbeitskampfführende Gewerkschaft. Die Schweigepflicht ergibt sich aus § 79 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Sie ist strafrechtlich sanktioniert (§ 120 Abs. 1 BetrVG). Wie das LAG Köln (a. a. O. ) zutreffend ausgeführt hat, kann allein die Möglichkeit, dass ein Betriebsratsmitglied seine Schweigepflicht in strafbarer Weise brechen könnte, nicht zu einer Einschränkung des gesetzlichen Beteiligungsrechts führen.
Die Unterrichtung des Betriebsrats über arbeitskampfbedingte personelle und Arbeitszeitmaßnahmen bleibt auch sinnvoll. Denn nur dann wird dem Betriebsrat die Möglichkeit eröffnet, für die nichtstreikenden Belegschaftsmitglieder, die durch die Maßnahmen betroffen sind, in Erfüllung seiner Pflicht des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG tätig zu werden, indem er zum Beispiel in ihrem Interesse über die Einhaltung von Arbeitschutzvorschriften wacht.
C.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Unterrichtungspflicht des Betriebsrats bei arbeitskampfbedingten personellen und Arbeitszeitmaßnahmen des Arbeitgebers ist die Rechtsbeschwerde gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen.