Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.11.2001, Az.: 10 Sa 607/01
Störeinsätze während einer vom der Deutschen Bahn angeordneten Rufbereitschaft
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 23.11.2001
- Aktenzeichen
- 10 Sa 607/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 10917
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2001:1123.10SA607.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Osnabrück - 22.03.2001 - AZ: 2 Ca 815/00
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Störeinsätze während einer vom der DB Netz AG angeordneten Rufbereitschaft unterfallen der Regelung des § 15 Abs. 5 Ziffer 1 LTV.
- 2.
Eine Kürzung des danach für jeden Störeinsatz zu gewährenden Arbeitszeitzuschlags wegen weiterer Störeinsätze in derselben Rufbereitschaft oder einer sich nach einer Unterbrechung von kürzerer Dauer als dem zu gewährenden Zuschlag anschließenden normalen Arbeitsschicht erfolgt nicht.
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 23.11.2001
durch
die Vorsitzende am Landesarbeitsgericht Niedersachsen Spelge und
die ehrenamtlichen Richter Fastenau und Weisweber
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 22.03.2001 - 2 Ca 815/00 - teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger in seinem Arbeitszeitkonto 5 Stunden Arbeitszeit für Kurzeinsätze in der Rufbereitschaft vom 26. auf den 27.07.2000 sowie vom 27. auf den 28.07.2000 gutzuschreiben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die für die Ableistung von Arbeitseinsätzen während einer Rufbereitschaft gutzuschreibenden Arbeitszeitzuschläge.
Der Kläger ist im technischen Dienst der Beklagten tätig. Seine Dienststelle ist O.. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für die Deutsche Bahngruppe Anwendung. Mangels Abschlusses eines Arbeitszeittarifvertrages (AZTV) gelten gemäß Anlage 1 vom 1. Januar 1994 zum noch zu schließenden AZTV die geltenden Arbeitszeitbestimmungen der Deutschen Bundesbahn und der Deutschen Reichsbahn fort. Das schließt auch die Regelungen der Entgelte, die sich aus arbeitszeitbezogenen Tatbeständen wie zum Beispiel Rufbereitschaftsvergütungen ergeben, ein. Damit gelten, soweit für den Rechtsstreit von Interesse, folgende Bestimmungen des Lohntarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn vom 1. November 1960, Stand 1. Januar 1984 (künftig: LTV):
§ 3 Arbeitszeit
...
Abs. 3
1.
Die Arbeitszeit der Arbeiter, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, richtet sich nach den für die Arbeitszeit der Beamten des gleichen Dienstzweiges geltenden Vorschriften, wenn die Arbeiter beschäftigt sind oder ausgebildet werden...
m)
im Unfall-, Störungs- oder Schneebereitschaftsdienst bei der Dienststelle (§ 4 Abs. 1 Nr. 2) ...Abs. 5.:
Die Arbeitszeit beginnt und endet am vorgeschriebenen Arbeitsplatz. Die für das Heran- und Wegschaffen von Werkzeugen, Arbeitsgeräten oder Stoffen zum und vom Arbeitsplatz erforderliche Zeit wird in die Arbeitszeit eingerechnet.
§ 4 Unfallbereitschaft, Störungsbereitschaft, Schneebereitschaft
Abs. 1:
Bereitschaft zur Beseitigung oder Verhütung von Unfallfolgen, Störungen oder Betriebsbehinderungen durch Schneefall oder Kälte soll nur eingerichtet werden, wenn die dienstlichen Belange es erfordern. Ordnet die Dienststelle in diesen Fällen eine Bereitschaft an, ist der Arbeiter verpflichtet,
1.
sich in seiner Wohnung aufzuhalten oder dort oder bei der Dienststelle zu hinterlassen, von wo er im Bedarfsfall zur sofortigen Arbeitsaufnahme herbeigerufen werden kann (Rufbereitschaft) oder2.
sich bei der Dienststelle oder einer anderen von ihr bestimmten Stelle zur Verfügung zu halten (Unfall-, Störungs- oder Schneebereitschaftsdienst bei der Dienststelle).Abs. 2:
1.
a)
Die Rufbereitschaft beginnt an Werktagen mit der Beendigung der Arbeitsschicht und endet mit Beginn der Arbeitsschicht am folgenden Werktag und bei nachfolgendem arbeitsfreiem Werktag, Sonntag oder Feiertag um 6 Uhr. ...3.
Die Zeit der Rufbereitschaft wird zum Zwecke der Vergütungsberechnung mit 12,5% als Arbeitszeit gewertet ...4.
Wird der Arbeiter während der Rufbereitschaft zur Arbeitsleistung herangezogen, vermindert sich die abzugeltende Zeit der Rufbereitschaft um die Arbeitszeit (ggf. einschließlich des Arbeitszeitzuschlages nach § 15 Abs. 5), die ihm für die Arbeitsleistung zu vergüten ist.5.
Die Zeit der Rufbereitschaft gilt nicht als Arbeitszeit.Dabei ist § 4 Abs. 2 LTV bis auf Ziffer 3 1. Satz zum 30. Juni 1978 gekündigt worden, galt aber offenkundig kraft Nachwirkung bis zum Abschluss der Anlage 1 zum AZTV weiter.
§ 15 Lohnanspruch
Abs. 5 Sonderdienstschicht:
1.
a)
Wird der Arbeiter für weniger als 6 Stunden zu einer Arbeitsleistung herangezogen, die außerhalb des regelmäßigen Arbeitsverlaufs liegt und nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der vorausgehenden oder nachfolgenden Schicht steht (besondere Arbeitsleistung oder Sonderdienstschicht, auch Sonderbereitschaft), werden ihm hierfür die tatsächliche Arbeitszeit zuzüglich eines Arbeitszeitzuschlags von 4 Stunden, zusammen aber höchstens 6 Stunden vergütet.b)
Wird der Arbeiter in Ausnahmefällen bis zum Beginn der nachfolgenden Schicht mehrmals zu einer solchen Arbeitsleistung herangezogen, werden ihm für jede weitere Inanspruchnahme, die weniger als 5 Stunden beträgt, die tatsächliche Arbeitszeit zuzüglich eines Arbeitszeitzuschlags von 3 Stunden, zusammen aber höchstens 5 Stunden, vergütet.2.
Die Regelungen unter Nr. 1 gelten insoweit nicht, als bereits Lohn nach § 19 Abs. 2 zu zahlen ist. Sie gelten ferner nicht für den § 22 Abs. 4 Nr. 2 und für Probealarm der Hilfszüge ohne anschließende Übung.§ 19 Abs. 2 LTV regelt die Lohnfortzahlung infolge gesetzlicher Feiertage. § 22 Abs. 4 Nr. 2 LTV regelt die Vergütung für Fälle, in denen Arbeiter außerhalb der Arbeitszeit zur Leistung außergewöhnlicher Arbeiten alarmiert, aber nicht mehr an die Unfall- oder Arbeitsstelle herangebracht werden.
§ 8 des Tarifvertrages zur Regelung einer Jahresarbeitszeit für die Arbeitnehmer der DB AG(JazTV), der ab 1. Januar 1998 galt, bestimmt:
Die Arbeitszeit beginnt und endet am vorgeschriebenen Arbeitsplatz. ...
Rufbereitschaft zur Entstörung von Anlagen der Leit- und Sicherungstechnik wurde bei der Deutschen Bundesbahn regelmäßig von Beamten und nur ausnahmsweise von Arbeitern erledigt. Den Beamten wurde gemäß Verfügung vom 22. Februar 1972 (Bl. 33 f. d.A.) bei kurzen Dienstleistungen außerhalb des regelmäßigen Dienstablaufs, die nicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der vorausgegangenen oder nachfolgenden Dienstschicht standen, ein Arbeitszeitzuschlag von höchstens vier Stunden gewährt, Arbeitszeit und -zuschlag durften zusammen maximal sechs Stunden betragen. Die Verfügung bestimmt weiter:
Auf einen Zeitabschnitt, der ohnehin als Arbeitszeit gilt, darf ein Arbeitszeitzuschlag nicht noch zusätzlich verrechnet werden. Bei mehreren Sonderleistungen während einer dienstfreien Zeit zwischen 2 planmäßigen Dienstschichten (z. B. Störungsbeseitigungen während der Heim-(Ruf-)Bereitschaft) ist daher der Arbeitszeitzuschlag für eine vorausgegangene (kurze) Leistung in dem Umfang zu kürzen, wie die nachfolgende Leistung in den durch Arbeitszeit und Arbeitszeitzuschlag umfaßten Zeitraum fällt.
Beispiel:
Dienstfreie Zeit (Heimbereitschaft) | |
---|---|
von 17 - 7 Uhr | = 14 Std. |
Arb. Zeit
1. | Einsatz 18 - 19 Uhr | = 1 Std. |
---|---|---|
Zuschlag 19 - 23 Uhr | = 4 Std. | |
Kürzung wegen | ||
2. | Einsatz = - 2 Std. | = 2 Std. |
2. | Einsatz 21 - 24 Uhr | = 3 Std. |
Zuschlag 0 - 3 Uhr | =3 Std. | |
9 Std. |
Mit Verfügung vom 16. Mai 1976 (Bl. 35 d.A.) wurde die Gewährung eines Arbeitszeitzuschlags von vier Stunden "aus arbeitszeitrechtlichen Gründen" aufgehoben. Es wurde vorläufig zugelassen, dass ein Arbeitszeitzuschlag von höchstens einer Stunde gewährt wurde.
Nach diesen Vorgaben wurde von der Deutschen Bundesbahn auch bei Arbeitern verfahren, die ausnahmsweise anstelle von Beamten im regelmäßigen Rufbereitschaftsdienst eingesetzt wurden.
Der Kläger hatte am 26. und 27. Juli 2000 von 22.00 bis 7.00 Uhr Rufbereitschaft, ebenso am 27. und 28. Juli 2000. Ihm stand dabei ein bereits mit dem erforderlichen Werkzeug ausgerüsteter Firmenwagen zur Verfügung.
Während der Rufbereitschaft am 26./27. Juli 2000 wurde der Kläger am Abend des 26. Juli 2000 um 23.11 Uhr zu einem Entstörungseinsatz im Bahnhof V. gerufen. Dieser liegt etwa 16 km westlich von O., während der Wohnort des Klägers etwa 37 km östlich von O. liegt. Der Kläger fuhr um 23.15 Uhr los. Noch auf dem Weg nach V. wurde er um 23.54 Uhr über eine weitere von ihm zu behebende Störung im O. Hauptbahnhof informiert. Um 0.40 Uhr hatte der Kläger die Störung in V. beseitigt und fuhr sofort zum O. Hauptbahnhof weiter. Die Störung war um 2.05 Uhr behoben. Der Kläger war gegen 2.35 Uhr wieder zu Hause. Um 2.48 Uhr wurde er zum nächsten Störeinsatz im Bahnhof V. gerufen, zu dem er um 3.00 Uhr aufbrach. Die Störung war um 5.00 Uhr beseitigt, der Kläger am Morgen des 27. Juli 2000 um etwa 6.00 Uhr zu Hause. Er hatte am 27. Juli 2000 keinen regulären Dienst.
Während der Rufbereitschaft am 27./28. Juli 2000 wurde der Kläger am Morgen des 28. Juli 2000 um 4.22 Uhr zu einem Einsatz im O. Hauptbahnhof gerufen. Der Einsatz dauerte von 5.00 Uhr bis 6.22 Uhr. Von 7.00 bis 13.00 Uhr verrichtete der Kläger außerhalb der Rufbereitschaft Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten.
Bei sämtlichen Störeinsätzen während der Rufbereitschaften vom 26./27. beziehungsweise 27./28. Juli 2000 machte der Kläger keine Pausen.
Mit Schreiben vom 30. August 2000, auf das Bezug genommen wird (Bl. 26 d.A.), bat der Kläger um Gutschrift von 8,30 Stunden Arbeitszeitzuschlägen auf sein Arbeitszeitkonto. Die Beklagte teilte darauf hin mit Schreiben vom 27. September 2000, auf das verwiesen wird (Bl. 13 - 15 d.A.), mit, dass sie - unter tarifwidriger Hinzurechnung von Wegezeiten und ohne Abzug für Pausen - die Zeit von 23.15 bis 8.00 Uhr am 26./27. Juli 2000, d. h. 8 Stunden und 45 Minuten, und die Zeit von 5.00 bis 13.00 Uhr am 27./28. Juli 2000, d. h. 8 Stunden, insgesamt somit für die Rufbereitschaften am 26/27. und 28. Juli 2000 sowie die Regelarbeitszeit am 28. Juli 2000 16 Stunden und 45 Minuten in sein Arbeitszeitkonto eingestellt habe. Sie legte dabei die in der Verfügung vom 22.02.1972 (Bl. 33 f. d.A.) angewandte Berechnungsweise zugrunde.
Der Kläger hat Klage hinsichtlich der Gutschrift weiterer 75 Minuten Arbeitszeit für die Einsätze am 26./27. Juli 2000 am 30. November erhoben und diese am 18. Januar 2001 (Bl. 39 d.A.) auf die Gutschrift weiterer 3,5 Stunden Arbeitszeit hinsichtlich des Einsatzes am 27./28. Juli 2000, insgesamt von 5 Stunden und 5 Minuten, erweitert. Die Klage ist am 5. Dezember 2000, die Klagerweiterung am 23. Januar 2001 zugestellt worden.
Der Kläger begehrt 2,5 Stunden Arbeitszeitzuschlag für den 1. Einsatz und 2 Stunden Arbeitszeitzuschlag für den 2. Einsatz am 26./27. Juli 2000, ferner 4 Stunden Arbeitszeitzuschlag für den Einsatz am 27./28. Juli 2000. Hinsichtlich der Einzelheiten seiner Berechnung für den 26./27. Juli 2000, der er eine von der Beklagten geleistete Zeitgutschrift von 9 Stunden und 45 Minuten zugrunde legt, wird auf S. 2 der Klagschrift (Bl. 2 d.A.), hinsichtlich der Berechnung für den 27./28. Juli 2000 auf S. 1 des Schriftsatzes vom 17. Januar 2001 (Bl. 39 d.A.) verwiesen.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob § 15 Abs. 5 LTV die Rufbereitschaft überhaupt erfasst und ob bejahendenfalls der Arbeitszeitzuschlag bei weiteren Einsätzen während der Rufbereitschaft oder kurz darauf folgender regulärer Arbeitszeit für die Dauer der Überschneidung zu kürzen ist. Ferner ist streitig, ob Wegezeiten als Arbeitszeit zu berücksichtigen sind. Insoweit wurde in einem Anschreiben vom 15. November 1977, mit dem die "Dienstvereinbarung für Beamte bei Einsätzen während der dienstfreien Zeit (Rufbereitschaft u. a.)" übersandt wurde, darauf hingewiesen, dass als Arbeitszeit - ausgenommen etwaige Arbeitszeitzuschläge - die Zeit für den Weg zwischen Dienststelle und Arbeitsplatz (Ort der Störung) gelte, jedoch höchstens die Zeit, die für den Weg zum Arbeitsplatz, auf gewendet worden ist. Für Arbeiter bestimmte die "LTV-Verfügung" vom 23. Juni 1986 (Bl. 36 d.A.), dass auch bei Heranziehung zu einer Sonderdienstschicht die Arbeitszeit am vorgeschriebenen Arbeitsplatz, d. h. dem Ort, an dem die Störung aufgetreten war, begann und endete. Dabei war unerheblich, ob der Arbeiter für den Weg dorthin sein Privatfahrzeug oder ein DB-KFZ benutzte. Auch durch das Mitführen von Werkzeugen im DB-Kraftfahrzeug wurde die Wegezeit keine Arbeitszeit, weil das Heran- oder Wegschaffen des Werkzeugs vom Arbeiter keine zusätzliche Anstrengung erforderte. LTV-Verfügungen ergingen bei tariflichen Auslegungsproblemen durch die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn und waren für die Dienststellen bindend.
Durch das der Beklagten am 29. März 2001 zugestellte Urteil vom 22. März 2001 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die am 26. April 2001 eingelegt und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. Juni 2001 am 28. Juni 2001 begründet worden ist.
Die Beklagte behauptet, die Regelung des § 15 LTV sei seit 1960 im LTV enthalten, die der Rufbereitschaft dagegen erst 1973 eingefügt worden. Sie ist der Auffassung, Störungseinsätze während einer Rufbereitschaft seien keine Sonderdienstschichten im Sinne des § 15 Abs. 5 Ziffer 1 LTV. Sonderdienstschichten seien im Voraus festgelegt.
Die Ausnahme von der Regel bestehe lediglich darin, dass von einem vorgegebenen Schichtzyklus oder der betriebsüblichen Arbeitszeit abgewichen werde. Demgegenüber sei zwar die Rufbereitschaft als solche durch entsprechende Pläne festgelegt, der einzelne Einsatz während einer Rufbereitschaft sei jedoch nicht vorhersehbar. Jedenfalls liege zumindest eine unbewusste Regelungslücke vor.
Zudem sei jeder Störeinsatz während einer Rufbereitschaft zwingend Teil der vorausgehenden oder nachfolgenden Schicht und bereits deshalb nicht zuschlagspflichtig. Der individuelle Arbeitstag des Arbeitnehmers umfasse alle Schichten und Schichtteile, die gesetzlich möglich und tarifvertraglich zulässig seien, zwischen zwei Ruhezeiten. Der unmittelbare zeitliche Zusammenhang fehle daher nur dann, wenn auch durch den zu gewährenden Zuschlag kein unmittelbarer zeitlicher Anschluss zwischen den Schichtbestandteilen hergestellt werde, wenn also der Zeitzuschlag kleiner sei als die zwischen den Schichtbestandteilen verbleibende Zeitsumme. Zudem dürften alle Einsätze während einer Rufbereitschaft zusammen inklusive der zu gewährenden Zeitzuschlägen sechs Stunden nicht erreichen. Dem Kläger stehe deshalb für die Störeinsätze vom 26. bis 28. Juli 2000 nur eine zu vergütende Arbeitszeit inklusive der Arbeitszeitzuschläge von 8 Stunden und 45 Minuten zu. Hinsichtlich der Einzelheiten der Berechnung wird auf S. 3 des Schriftsatzes der Beklagten vom 20. November 2001 (Bl. 211 d.A.) Bezug genommen.
Die Auffassung des Klägers führe dagegen dazu, dass ein Arbeitnehmer, der durchgehend von 23.15 bis 6.00 Uhr gearbeitet habe, bei höherer tatsächlicher Arbeitsleistung erheblich weniger Arbeitszeit als der Kläger gutgeschrieben erhalte. Die Auslegung des Klägers führe zu einer "Doppelvergütung" von Arbeitszeit, die die Tarifvertragsparteien nicht gewollt hätten. Diese wollten für einen Zeitabschnitt, der wegen des gewährten Zeitzuschlags fiktiv als Arbeitszeit gelte, nicht noch zusätzlich Arbeitszeitzuschläge gewähren. Sie wollten vielmehr nur die tätigkeitsfreie Zeit auffüllen, soweit der unmittelbare zeitliche Zusammenhang mit der vorausgehenden oder nachfolgenden Arbeitsleistung nicht bestehe oder durch den Zeitzuschlag hergestellt werde. Wegezeiten seien nicht als Arbeitszeit anzurechnen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 22. März 2001 - 2 Ca 815/00 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger trägt vor, der LTV setze selbst durch die Regelung in § 4 Abs. 2 Ziffer 4 LTV die Möglichkeit voraus, durch Störeinsätze während der Rufbereitschaft Arbeitszeitzuschläge zu erwirtschaften.
Er behauptet, nach der bisherigen Praxis der Beklagten würden Wegezeiten bei Störeinsätzen während der Rufbereitschaft bei Anreise vom Wohnort vergütet, es sei denn, dass die Anreise von der Dienststelle zum Ort der Störung zeitlich kürzer wäre.
Gründe
A.
Die zugelassene Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und somit zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 518, 519 ZPO). Sie ist jedoch zum größten Teil unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf die Gutschrift weiterer fünf Stunden Arbeitszeit für die von ihm vom 26. bis 28. Juli 2000 geleisteten Störeinsätze während der Rufbereitschaft (§ 15 Abs. 5 Ziffer 1 a und b LTV).
I.
Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von Arbeitszeitzuschlägen für die von ihm während der Rufbereitschaft am 26./27. beziehungsweise 27./28. Juli 2000 geleisteten Störeinsätze von insgesamt 10 Stunden und 55 Minuten.
1.
Die Auslegung normativer Regelungen in Tarifverträgen folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist zunächst vom Tarifwortlaut. Zu erforschen ist der maßgebliche Sinn der Erklärung, ohne am Buchstaben zu haften. Der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien ist über den reinen Wortlaut hinaus mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lassen sich auch so zuverlässige Auslegungsergebnisse nicht gewinnen, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge auf weitere Anhaltspunkte wie die Tarifgeschichte, die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages und die praktische Tarifübung zurückgreifen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG, stRspr, s. nur Urteil vom 16.06.1998, 5 AZR 67/97, AP Nr. 6 zu § 1 TVG Tarifverträge - Schuhindustrie <B III 1 b d.Gr.>).
2.
Bei Anlegung dieser Auslegungsgrundsätze unterfallen die vom Kläger erbrachten Störeinsätze während der Rufbereitschaft der tariflichen Regelung des § 15 Abs. 5 Ziffer 1 LTV.
a)
Vom Wortlaut der tariflichen Regelung werden Störeinsätze während der Rufbereitschaft erfasst.
aa)
Rufbereitschaft ist arbeitszeitrechtlich gesehen keine Arbeitszeit (ErfK-Wank, 2. Aufl., 2001, § 2 ArbZG, Rz. 50 m.w.N.). Dies haben die Tarifvertragsparteien in § 4 Abs. 2 Ziffer 5 LTV noch einmal ausdrücklich festgehalten. Jeder konkrete Störeinsatz ist daher eine Heranziehung zu einer Arbeitsleistung außerhalb des regelmäßigen Arbeitsverlaufs und damit eine "besondere Arbeitsleistung" im Sinne des in § 15 Abs. 5 Ziffer 1 a) LTV genannten Regelbeispiels. Auch die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat in ständiger Handhabung den Störeinsatz während einer Rufbereitschaft unter den für § 15 Abs. 5 LTV gewählten Oberbegriff "Sonderdienstschicht" subsumiert. Dies ergibt sich aus der LTV-Verfügung vom 23.06.1986 (Bl. 36 d.A.), die gerade die Frage der Berücksichtigung von Wegezeiten als Arbeitszeiten bei der "Heranziehung zu einer Sonderdienstschicht" regelt und damit Störeinsätze während einer Rufbereitschaft meint.
bb)
Störeinsätze während der Rufbereitschaft stehen auch nicht zwingend mit der vorausgehenden oder nachfolgenden Schicht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang, wie die Beklagte meint. Die Beklagte argumentiert insoweit aus arbeitszeitrechtlicher Sicht. § 15 Abs. 5 LTV enthält jedoch eine vergütungsrechtliche Regelung. Unter "Schicht" ist daher in diesem Zusammenhang die Zeit zu verstehen, in der der Arbeiter seine Normalarbeitsleistung aufgrund vorheriger Einteilung erbringt.
Dies wird durch die Regelung in § 4 Abs. 2 Ziffer 1 a) LTV bestätigt. Danach ist Rufbereitschaft die Zeit zwischen zwei "Arbeitsschichten". Nur wenn der Störeinsatz im unmittelbaren Zusammenhang mit einer solchen Arbeitsschicht, also der normalen Arbeitszeit erfolgt, soll er nach dem eindeutigen Wortlaut des § 15 Abs. 5 Ziffer 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 2 Ziffer 1 a) LTV nicht zuschlagspflichtig sein.
b)
Dieses Auslegungsergebnis wird durch die Tarif Systematik bestätigt. Dabei kann entsprechend dem Vortrag der Beklagten unterstellt werden, dass § 15 Abs. 5 LTV bereits seit 1960 und damit zu einem Zeitpunkt im LTV enthalten war, als es aufgrund mangelnder technischer Möglichkeiten, insbesondere mangels ausreichender Anzahl von Telefonen in den Privathaushalten der Bahnbediensteten, noch keine Rufbereitschaft gab, und die diese regelnde Bestimmung des § 4 Abs. 2 LTV erst 1973 eingefügt worden ist. Dadurch, dass die Tarifvertragsparteien in § 4 Abs. 2 Ziffer 4 LTV bestimmt haben, dass die als Rufbereitschaft abzugeltende Zeit um die für Störeinsätze tatsächlich erbrachte Arbeitszeit einschließlich des Zuschlags nach § 15 Abs. 5 LTV zu mindern ist, haben sie gerade gezeigt, dass sie bei Einfügung der Rufbereitschaft in den LTV die Regelung des § 15 Abs. 5 LTV für Störeinsätze während einer Rufbereitschaft für einschlägig gehalten haben und diese Regelung auch tatsächlich für solche Fälle heranziehen wollten.
c)
Auch die tarifliche Übung spricht für dieses Auslegungsergebnis. Die Beklagte hat selbst ausweislich ihres Schreibens vom 27. September 2000 (Bl. 13 - 15 d.A.) für die dem Kläger für die Störeinsätze vom 26. bis zum 28. Juli 2000 zu gewährenden Zeitzuschläge § 15 Ziffer 5 LTV herangezogen und erstinstanzlich vorgetragen, dass infolge der Privatisierung der Deutschen Bundesbahn die Anwendung des § 15 Abs. 5 LTV ausgeweitet worden sei (S. 2 ihres Schriftsatzes vom 13.02.2001 <Bl. 48 d.A.>). Sie wendet also seit ihrer Gründung für Fälle der hier vorliegenden Art in ständiger Tarif Übung § 15 Abs. 5 LTV an.
d)
Schließlich spricht auch der Sinn der Regelung des § 15 Abs. 5 LTV für das von der Kammer gewonnene Auslegungsergebnis. Damit sollen, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, offenkundig die mit einem nur kurzen Einsatz während der Rufbereitschaft verbundenen Erschwernisse ausgeglichen werden. Solche Erschwernisse liegen insbesondere im Einsatz zu besonders belastenden Zeiten mit Unterbrechung der Nachtruhe, aber auch in der Unverhältnismäßigkeit zwischen tatsächlichem Zeitaufwand einschließlich Wegezeit, die oft nicht als Arbeitszeit zu vergüten ist (dazu s.u. A II), und zu vergütender Arbeitszeit für den eigentlichen Störeinsatz. Diese Belastung ist nur bei Störeinsätzen, die sich unmittelbar an die normale Schicht des Arbeiters anschließen, bei der also weder zusätzliche Wegezeiten vom Heimatwohnsitz noch besonders belastende Arbeitszeiten anfallen, so viel geringer, dass die Tarifvertragsparteien bei solchen Einsätzen von einem zusätzlichen Zuschlag absehen wollten. Bei allen anderen Einsätzen, also auch solchen, bei denen durch die Umrechnung des Zeitzuschlages in fiktive Arbeitszeit ein zeitlicher Anschluss an einen weiteren Störeinsatz oder die normale Arbeitsschicht hergestellt werden könnte, entspricht die zusätzliche Belastung des zu einem Störeinsatz herangezogenen Arbeiters der von den Tarifvertragsparteien als Voraussetzung für die Gewährung eines besonderen Zeitzuschlags angenommenen.
e)
Es liegt auch keine Tariflücke vor, die durch ergänzende Auslegung seitens der Kammer zu schließen wäre.
aa)
Die Gerichte für Arbeitssachen sind nicht befugt, in die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien korrigierend und ergänzend einzugreifen und eine Aufgabe zu übernehmen, die das Grundgesetz mit Art. 9 Abs. 3 GG allein den Tarifvertragsparteien zugewiesen hat. Eine richterliche Ausfüllung von Tariflücken durch ergänzende Tarifvertragsauslegung kommt daher nur bei unbewussten Regelungslücken in Betracht. Weitere Voraussetzung ist, dass aus den tariflichen Bestimmungen der Wille der Tarifvertragsparteien erkennbar wird, eine abschließende Regelung zu schaffen. Schließlich müssen sichere Anhaltspunkte dafür bestehen, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten, wenn sie die Unvollständigkeit der von ihnen vereinbarten Norm erkannt hätten (BAG, stRspr, s. nur 04.09.1991, 5 AZR 647/90, AP Nr. 113 zu § 4 TVG - Ausschlussfristen <II 2 b d.Gr.>).
bb)
Hinsichtlich der Frage, ob Störeinsätze während der Rufbereitschaft von § 15 Abs. 5 Ziffer 1 LTV erfasst sind, besteht schon keine unbewusste Tariflücke. Vielmehr wollten die Tarifvertragsparteien, wie bereits ausgeführt (A I 2 b), diese Regelung gerade für Störeinsätze heranziehen.
f)
Damit ist der Zuschlag nach § 15 Abs. 5 LTV für alle Störeinsätze während der Rufbereitschaft zu gewähren, die nicht unmittelbar vor oder nach der normalen Arbeitsschicht, zu der der Arbeiter eingeteilt worden ist, erbracht werden.
3.
Der Kläger hat für jeden der drei Einsätze zwischen dem 26. und 28. Juli 2000 Anspruch auf den Arbeitszeitzuschlag gemäß § 15 Abs. 5 Ziffer 1 a) beziehungsweise b) LTV. Eine Kürzung dieser Zuschläge wegen weiterer Einsätze in derselben Rufbereitschaft oder der sich nach einer Unterbrechung von kürzerer Dauer als dem zu gewährenden Zuschlag anschließenden normalen Arbeitsschicht lässt sich der tariflichen Regelung nicht entnehmen.
a)
Nach dem Wortlaut der Regelung des § 15 Abs. 5 Ziffer 1 a) und b) LTV erhält der Arbeiter bei Erfüllung der darin genannten Voraussetzungen für jeden Einsatz den vorgesehenen tariflichen Arbeitszeitzuschlag. Eine Kürzung wegen weiterer Einsätze in derselben Rufbereitschaft oder einer sich nach (kurzer) Unterbrechung anschließenden normalen Arbeitsschicht erfolgt nach dem Wortlaut der tariflichen Regelung nicht.
Allerdings ist der Beklagten zuzugeben, dass vor Privatisierung der Deutschen Bundesbahn § 15 Abs. 5 Ziffer 1 LTV für Arbeiter kaum jemals zur Anwendung kam, weil in der Regel die Rufbereitschaft von Beamten durchgeführt wurde. Auch basiert die tarifliche Regelung auf der in § 15 Abs. 5 Ziffer 1 b) LTV ausdrücklich aufgeführten Annahme, dass der Arbeiter nur in Ausnahmefällen in einer Rufbereitschaft mehrfach zur Arbeitsleistung herangezogen wird. Nach dem Wortlaut der Regelung ist jedoch in jedem Fall, in dem eine Heranziehung zur Arbeitsleistung erfolgt, der tarifliche Zuschlag zu gewähren.
b)
Eine Kürzung des zu gewährenden Arbeitszeitzuschlags lässt sich auch nicht der Tarif Systematik entnehmen. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien abschließend geregelt, in welchen Fällen kein Zuschlag zu gewähren ist, nämlich in den hier nicht einschlägigen Fällen des § 15 Abs. 5 Ziffer 2 in Verbindung mit § 19 Abs. 2 oder § 22 Abs. 4 Nr. 2 LTV. Sie haben ferner in § 4 Abs. 2 Ziffer 4 LTV bestimmt, dass die als Arbeitszeit einschließlich Arbeitszeitzuschlag vergüteten Einsatzzeiten für die Rufbereitschaftsvergütung nicht noch zusätzlich zu berücksichtigen sind. Weitere Ausnahmen oder Anrechnungen lassen sich dem LTV nicht entnehmen. Daraus ergibt sich, dass die Tarifvertragsparteien - abgesehen von Störeinsätzen an gesetzlichen Feiertagen - den Arbeitszeitzuschlag nur dann nicht gewähren wollten, wenn keine tatsächliche Arbeitsleistung erfolgt, sondern lediglich eine Alarmierung. In allen anderen Fällen soll lediglich die Rufbereitschaftsvergütung gemindert werden.
c)
Aus dem Sinn der tariflichen Regelung, die mit einem nur kurzen Einsatz während der Rufbereitschaft verbundenen Erschwernisse auszugleichen (s.o., A I 2 d d.Gr.), folgt, dass auch für einen zweiten (kurzen) Einsatz innerhalb einer Rufbereitschaft oder für einen Einsatz kurz nach oder kurz vor einer Normalschicht ein (weiterer) Zuschlag zu gewähren ist und keine Verrechnung mit der für den zweiten Einsatz oder der in der normalen Schicht aufgewendeten Arbeitszeit erfolgen soll. Die auszugleichenden Belastungen verstärken sich bei einem mehrmaligen Einsatz sogar, weil eine ungestörte Nachtruhe nicht (mehr) möglich ist und durch lange Wegezeiten auch bei kurzen Einsätzen eine Inanspruchnahme des Arbeiters von erheblicher zeitlicher Dauer erfolgt. Dies wird durch die Einsätze des Klägers in der Rufbereitschaft vom 26./27. Juli 2000 belegt. Der Kläger war praktisch ohne Unterbrechung von 23.15 bis um 6.00 Uhr mit der Beseitigung von Störfällen beschäftigt oder auf dem Weg dorthin beziehungsweise wieder zurück in seinen Wohnort. Diese erhebliche Belastung wollten die Tarifvertragsparteien durch die Gewährung von Arbeitszeitzuschlägen abmildern. Der tariflichen Regelung lässt sich zugleich das weitere Ziel entnehmen, Einsätze während der Rufbereitschaft möglichst zu beschränken und einen verkappten Bereitschaftsdienst durch die Verteuerung der Einsätze während der Rufbereitschaft zu verhindern. Dieses Ziel würde durch die von der Beklagten vertretene Auslegung unterlaufen.
d)
Die von der Kammer vorgenommene Auslegung führt auch nicht zu einer von den Tarifvertragsparteien nicht gewollten Begünstigung des Klägers gegenüber einem Kollegen, der durchgehend gearbeitet hat. Diesen treffen die durch den Zuschlag nach § 15 Abs. 5 LTV abgegoltenen besonderen Erschwernisse wie mehrfache Unterbrechung der Nachtruhe, Einsatz an wechselnden Orten und wiederholte, nicht vergütete Wegezeiten gerade nicht.
e)
Die Beklagte kann auch nicht auf die vom 1. März 1972 bis Mai 1976 gemäß der Verfügung von 22. Februar 1972 (Bl. 33 f. d.A.) für Beamte geltende Regelung verweisen. In dieser Verfügung findet sich nur eine § 15 Abs. 5 Ziffer 1 a) LTV vergleichbare, nicht aber eine § 15 Abs. 5 Ziffer 1 b) LTV entsprechende Zuschlagsregelung. Die Ausführungen in der Verfügung vom 22. Februar 1972 zur Verfahrensweise bei mehrfachen Einsätzen innerhalb einer Rufbereitschaft lassen sich daher auf die tarifliche Bestimmung, die eine davon abweichende, eigenständige Regelung enthält, nicht übertragen. Die Tarifvertragsparteien haben die Norm des § 15 Abs. 5 LTV unverändert gelassen, als sie nach Vortrag der Beklagten erstmals 1973 die Rufbereitschaft regelten. Es ist davon auszugehen, dass ihnen in diesem Zeitpunkt die für die Beamten seit 1972 geltende Regelung hinsichtlich der Gewährung von Arbeitszeitzuschlägen für die Ableistung von Störeinsätzen während der Rufbereitschaft bekannt war. Wenn sie trotzdem die seit 1960 geltende Tarifregelung unverändert gelassen und nur für die im Störungsbereitschaftsdienst bei der Dienststelle eingesetzten Arbeiter durch § 3 Abs. 3 Ziffer 1 m) i.V.m. § 4 Abs. 1 Ziffer 2 LTV auf die Regelung der Arbeitszeit der Beamten verwiesen haben, so kann daraus nur gefolgert werden, dass sie an der - für Arbeiter günstigeren - Regelung des § 15 Abs. 5 Ziffer 1 LTV festhalten wollten und die Arbeitgeberseite ihre Interessen, die sie gegenüber den Beamten durch einseitige Verfügung geltend gemacht hatte, in den Tarif Verhandlungen nicht hat durchsetzen können. Nicht anderes ergibt sich daraus, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten tarifwidrig die Arbeitszeit der Arbeiter, die Rufbereitschaft leisteten, nach den für Beamte geltenden Regeln und nicht nach den einschlägigen Bestimmungen des LTV festsetzte.
f)
Ein von den Tarifvertragsparteien gewollter Ausschluss einer "Doppelvergütung von Arbeitszeit" lässt sich der tariflichen Regelung entgegen der Auffassung der Beklagten damit nicht entnehmen. Soweit durch die Privatisierung der Deutschen Bundesbahn und die in der Folgezeit geänderte Betriebsstruktur die Rufbereitschaft überwiegend von Arbeitern übernommen wird und die Heranziehung zu (mehrfachen) Einsätzen innerhalb einer Rufbereitschaft und damit die Anwendungsfälle des § 15 Abs. 5 Ziffer 1 LTV zunehmen, mag sich durch diese Entwicklung im Hinblick auf die dadurch entstehenden Kosten ein Anpassungsbedarf der tariflichen Regelung ergeben. Diese Anpassung kann jedoch nicht durch ein staatliches Gericht, sondern allein durch die Tarifvertragsparteien im Rahmen von Tarifvertragsverhandlungen erfolgen.
II.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Vergütung der Wegezeit.
1.
Nach der tariflichen Regelung beginnt und endet die Arbeitszeit am vorgeschriebenen Arbeitsplatz, also an dem Ort, an dem eine Störung zu beheben ist. Dabei kann dahinstehen, ob § 3 Abs. 5 LTV oder § 8 JazTV einschlägig ist. Da dem Kläger durch die Beklagte ein PKW überlassen worden war, in dem sich die von ihm benötigten Werkzeuge befanden, fielen auch keine gemäß § 3 Abs. 5 Satz 2 LTV als Arbeitszeit zu vergütende Rüstzeiten an.
2.
Eine abweichende einzelvertragliche Regelung haben die Parteien nicht getroffen. Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass ein Anspruch auf Anrechnung der Wegezeiten durch betriebliche Übung zum Inhalt des Arbeitsvertrages geworden ist. Im Gegenteil wurden die Wegezeiten bei Einsätzen während der Rufbereitschaft bei Arbeitern gemäß der LTV-Verfügung vom 23.06.1986 (Bl. 36 d.A.) gerade nicht berücksichtigt. Der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass die Beklagte eine für ihn günstigere Regelung praktiziert. Zwar hat er auf die für Beamte ausweislich des Schreibens vom 15. November 1977 (Bl. 44 d.A.) geltende Regelung verwiesen, wonach als Arbeitszeit entweder die Zeit für die Fahrt von der Dienststelle zum Arbeitsplatz oder die kürzere Zeit für den Weg zwischen Wohnort und Arbeitsplatz anzusehen ist. Es handelt sich jedoch nur um ein Anschreiben zur Übersendung einer Dienstvereinbarung für Beamte, aus dem der Kläger unmittelbar keine Rechte herleiten kann. Im Hinblick auf die LTV-Verfügung vom 23.06.1986 hat der Kläger auch nicht ausreichend dargelegt, dass die Beklagte Wegezeiten entgegen dieser Regelung tatsächlich vergütet. Darüber hinaus trägt er selbst vor, dass der Grundsatz der Vergütung von Wegezeiten bei Störeinsätzen während der Rufbereitschaft durchbrochen werde, wenn die Anreise von der Dienststelle zum Ort der Störung zeitlich kürzer wäre. Der Wohnort des Klägers liegt etwa 37 km Östlich von der Dienststelle des Klägers, dem Hauptbahnhof O., der Störeinsatz war der Bahnhof V., der 16 km westlich von O. liegt, beziehungsweise der Hauptbahnhof O. selbst. In beiden Fällen war die Anreise von der Dienststelle zum Arbeitsplatz kürzer als vom Heimatort und nach der vom Kläger behaupteten betrieblichen Praxis der Beklagten daher nicht als Wegezeit zu vergüten.
3.
Auch aus § 612 Abs. 1 BGB erwächst kein Anspruch des Klägers. Im Interesse des Arbeitgebers auf gewandte Wegezeit, auch soweit sie außerhalb der regulären Arbeitszeit anfällt, ist nicht stets vergütungspflichtig. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Wegezeit vergütungspflichtig ist (vgl. BAG, 03.09.1997, 5 AZR 428/96, AP Nr. 1 zu § 611 BGB - Dienstreise <III 2 b d.Gr.>). Dies ist hier im Hinblick auf die zu gewährenden tariflichen Arbeitszeitzuschläge zu verneinen.
III.
Dem Kläger ist damit folgende Arbeitszeit auf sein Arbeitszeitkonto gutzuschreiben:
1.
Für die Einsätze während der Rufbereitschaft am 26./27. Juli 2000 sind dem Kläger weitere 1 Stunde und 30 Minuten auf sein Arbeitszeitkonto gutzuschreiben:
a) | 1. Einsatz: | |
---|---|---|
- Arbeitszeit: 0.00 - 2.05 Uhr | 2 Std. 5 Min. | |
- Zuschlag gem. § 15 V Zf. 1 a) LTV | 3 Std. 55 Min. | |
6 Std. | ||
b) | 2. Einsatz: | |
- Arbeitszeit: 3.45 - 5.00 Uhr | 1 Std. 15 Min. | |
- Zuschlag gem. § 15 V Zf. 1 b) LTV | 3 Std. | |
4 Std. 15 Min. |
Insgesamt sind dem Kläger somit 10 Stunden und 15 Minuten Arbeitszeit gutzuschreiben. Da die Beklagte ihm bereits 8 Stunden und 45 Minuten gutgeschrieben hat, sind weitere 1 Stunde und 30 Minuten in sein Arbeitszeitkonto einzustellen.
2. Für den Einsatz während der Rufbereitschaft am 27./28. Juli 2000 sind dem Kläger weitere 3 Stunden und 30 Minuten auf sein Arbeitszeitkonto gutzuschreiben:
- Arbeitszeit 5.00 - 6.30 Uhr | 1 Std. 30 Min. |
---|---|
- Zuschlag gem. § 15 V Zf. 1 a) LTV | 4 Std. |
5 Std. 30 Min. |
Die Beklagte hat ihm für diesen Einsatz bereits die Arbeitszeit sowie eine halbe Stunde Arbeitszeitzuschlag gutgeschrieben, so dass weitere 3 Stunden und 30 Minuten in das Arbeitszeitkonto des Klägers einzustellen sind.
3.
Für die Einsätze während der Rufbereitschaften vom 26. bis zum 28. Juli 2000 sind damit dem Kläger insgesamt weitere 5 Stunden gutzuschreiben.
IV.
Dieser Anspruch ist auch nicht verfallen.
Gemäß § 34 Abs. 2 LTV sind alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Der Kläger hat diese Frist hinsichtlich eines Arbeitszeitzuschlags von 8 Stunden 30 Minuten mit seinem Schreiben vom 30. August, hinsichtlich des restlichen Zuschlags mit seiner am 5. Dezember zugestellten Klage beziehungsweise seiner der Beklagten am 23. Januar 2001 zugegangenen Klagerweiterung gewahrt.
V.
Soweit im Termin vom 23. November 2001 ein vom Tenor dieses Urteils abweichender Tenor verkündet worden ist, wird dieser aus den Gründen des Schreibens vom 28. November 2001 hiermit berichtigt.
B.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO.
C.
Die Revision war zuzulassen (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG).
Fastenau,
Weisweber