Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.04.2000, Az.: 8 Sa 1649/99
Streitigkeit über die Zahlung einer tariflichen Zulage nach den Regelungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages (sogenannte Intensivzulage); Beschäftigung als Krankenpfleger in einem Hochsicherheitstrakt einer Station des Maßregelvollzuges; Behandlung psychisch kranker Straftäter; Voraussetzungen einer "Einheit für Intensivmedizin"; Vorliegen der Tätigkeitsmerkmale "Intensivbehandlung" und "Intensivüberwachung"
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 06.04.2000
- Aktenzeichen
- 8 Sa 1649/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 22380
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0406.8SA1649.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Göttingen - 06.08.1999 - AZ: 1 Ca 789/98
Rechtsgrundlage
- Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 1a zu Abschn. A der Anl. 1 b BAT
Verfahrensgegenstand
Pflegezulage nach Abs. 1a der Protokollerklärung Nr. 1 zu Abschnitt A der Anlage 1b zum BAT
Amtlicher Leitsatz
Der Begriff "Einheiten für Intensivmedizin" i. S. d. Protokollerkl. Nr. 3 zum Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT (Angestellte im Pflegedienst) v. 30.06.1989 umfasst einheitlich alle medizinischen Bereiche. Intensivüberwachung allem ist nicht ausreichend, vielmehr muss Intensivbehandlung hinzukommen, jedenfalls möglich sein. Bei Einfügung der Zulagen nach Absatz 1 a) der Protokollerklärung Nr. Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT im Jahre 1990 ist die bestehende Definition der Protokollerklärung Nr. 3 nicht neu umschrieben worden.
Redaktioneller Leitsatz
Auch in einer psychiatrischen Klinik kann eine im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT"Einheit für Intensivmedizin" bestehen, jedoch nur wenn die entsprechende Station für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung ausgestattet ist.
In dem Rechtsstreit
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 06.04.2000
durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ...,
den ehrenamtlichen Richter ... und
die ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 6. August 1999 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der unter der Geltung des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT) beim beklagten Land seit 1. Februar 1993 als Krankenpfleger auf der Station 1 des Landeskrankenhauses (LKH) G., einer Station des Maßregelvollzuges (§ 63 StGB), und seit 11. November 1998 in der Sicherheitszentrale für die Stationen 1 und 2 beschäftigte Kläger hat mit der Klage Zahlung der Zulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. (1 a) zu Abschnitt A der Anlage 1 b BAT (sogenannte Intensivzulage) für die Monate ab Juni 1996 in Höhe von je 90,00 DM verlangt. Er erhält Vergütung nach Vergütungsgruppe Kr. III und eine Zulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. (1) b zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT (sogenannte Psychiatriezulage) in Höhe von 90,00 DM monatlich. Die Stationen 1 und 2 befinden sich in einem Hochsicherheitstrakt mit höchstem Sicherheitsstandard.
Ziel der Behandlung der psychisch kranken Straftäter ist deren Heilung oder zumindest die Beseitigung deren Gefährlichkeit. Mit den Mitteln der Psychiatrie soll eine Verhaltensänderung durch Behandlung der psychosozialen Verhaltensgrundlagen herbeigeführt werden. Das Pflegepersonal muss bei Konfrontationen vermittelnd eingreifen. Es muss zuizidgefährdete Patienten und solche, die unberechenbar sind und bei denen mit plötzlichen Gewaltausbrüchen zu rechnen ist, überwachen. Die Arbeit auf den Stationen erfordert einen hohen ärztlichen Aufwand, allerdings steht nach 16:30 Uhr auf den Stationen kein Arzt mehr zur Verfügung, kann aber im Bedarfsfalle aus dem Hauptgebäude der Anstalt herbeigerufen werden, ggfls. müssen auch Polizei und Feuerwehr eingeschaltet werden.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, infolge der Doppelbelastung, nämlich neben der Grund- und Behandlungspflege die Patienten intensiv zu überwachen, zu beobachten, zu betreuen und Eskalationen im Vorfeld zu erkennen und zu verhindern, wozu auch Sitzwachen durchgeführt werden, handelte es sich um Intensivbehandlung i. S. der §§ 1, 3, 4, 6 Psych-PV (Verordnung über Maßstäbe und Grundsätze für den Personalbedarf in der stationären Psychiatrie vom 18. Dezember 1990, BGBl. 1990 I S. 2930 ff.) und der Anlage 1 Ziff. A2, S2 und G2.
Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 Psych-PV werden Patienten, die einer Krankenhausbehandlung bedürfen, bestimmten Behandlungsbereichen zugeordnet (§§ 4 und 8). Für Erwachsene sind in § 4 Abs. 1 Psych-PV folgende Behandlungsbereiche festgelegt:
A | = | Allgemeine Psychiatrie |
---|---|---|
S | = | Abhängigkeitskranke |
G | = | Gerontopsychiatrie |
A2, S2 und G2 betreffen jeweils Intensivbehandlung. Die Intensivbehandlung A2 und S2 ist in der Anlage 1 zu § 4 Abs. 1 Psych-PV "Erläuterungen zu den Behandlungsbereichen in der Erwachsenenpsychiatrie" (BGBl. a.a.O., S. 2935 ff.) wie folgt umschrieben:
1.2 A2 (Intensivbehandlung)
Beim Behandlungsbereich A2 (ebenso S2 und G2) ist in der Spalte "Kranke" das Wort "manifest" zu beachten. Z.B. ist bei Suizidgefahr gemeint, dass der Patient krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, auch nur kurze Zeitstrecken für sich die Verantwortung zu übernehmen, er also eine sehr dichte Betreuung benötigt. Die unter psychisch Kranken weit verbreitete latente Suizidgefahr ist für Behandlungsbereich A2 nicht ausreichend. Manifeste Selbst- oder Fremdgefährlichkeit ist zu bejahen, wenn der Patient nicht bündnisfähig und sein Verhalten nicht vorhersehbar ist.
Die Patienten im Behandlungsbereich A2 sind so schwer krank, dass sie in der Regel einzelfallbezogen behandelt werden müssen. Für den "Intensiv"-Charakter von Behandlungsbereich A2 ist der quantitative pflegerische Betreuungsaufwand für sich nicht ein ausreichendes Kriterium, entscheidend ist der hohe und häufige ärztliche Abstimmungsaufwand in Bezug auf Behandlungsziele und -mittel wegen der unmittelbaren Gefährdung. Der diagnostische und therapeutische Aufwand muss dann auch aus der Dokumentation erkennbar sein, z. B. bei somatischer Vitalgefährdung: Vitalzeichenkontrolle. Ein Hinweis für Behandlungsbereich A2 ist unfreiwillige Behandlung. Der Patient müsste untergebracht werden, wenn er nicht in die Behandlung einwilligen würde (weil eine Entlassung gegen ärztlichen Rat nicht zu verantworten wäre).
Dies ist in der Regel eine relativ kurze Durchgangsphase, meist in Richtung Behandlungsbereich A1. Sie kann aber auch als Kriseninterventionsphase von jeder anderen Ebene aus notwendig werden.
2.2 S2 (Intensivbehandlung)
Diese Phase ist für die meisten Patienten besonders kurz. Hier geht es neben Delirbehandlung z. B. um die Überwachung von intoxikierten Patienten (Vitalzeichenkontrolle, Überwachung wegen möglicher Krampfanfälle). Die unkomplizierte Entgiftung fällt nicht unter Behandlungsbereich S2.
Drogenkranke sind in den Behandlungsbereich S2 einzuordnen.
Auf die besonderen Personalerfordernisse für den niederschwelligen Entzug bei diesen Kranken wird in der Amtlichen Begründung zu § 4 Abs. 1 eingegangen. Ergänzend dazu sei darauf hingewiesen, dass die gemeinsame Behandlung von Alkohol- und Drogenabhängigen wegen der Unterschiede im Lebensalter, der subkulturellen Besonderheiten sowie der häufigen wechselseitigen Abwertungen problematisch ist (ungeachtet des Anteils polytoxikomaner Patienten).
Daher ist die Einrichtung spezieller "Entgiftungsstationen" für Drogenabhängige medizinisch sinnvoll.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten: Der Grad der Intensität einer Betreuung könne nicht nur anhand des körperlichen Zustandes der Patienten, sondern müsse auch anhand der Gefährlichkeit für sich selbst und das Personal gemessen werden. Wenn schon die Kontrolle von Anzeigen bei lebenserhaltenden Geräten und die eingehende Überwachung und Pflege von Frischoperierten Intensivpflege darstelle, müsse dies erst recht gelten, wenn ein Pfleger gewalttätige Handlungen von Patienten unter körperlichem Einsatz unterbinde oder durch intensive Gespräche versuche, die Persönlichkeit von Patienten positiv zu beeinflussen. Bei Suizidversuchen seien es oft die Pfleger, die zuerst die Handlung des Patienten bemerkten und vor Ort die ersten lebenserhaltenden Maßnahmen treffen. Angemessene Vergütung erhalte er nur, wenn ihm auch die "Intensivzulage" gezahlt werde.
Mit Schreiben vom 22. November 1996 hat der Kläger unter Berufung auf das Urteil des Bundesarbeitgerichts vom 26. Januar 1994 - 10 AZR 480/92 (EzBAT § 33 BAT Nr. 6) rückwirkend ab Juni 1996 die Zahlung der Intensivzulage in Höhe von 90,00 DM monatlich geltend gemacht (Bl. 7 d.A.). Das beklagte Land hat mit Schreiben vom 3. August 1998 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bestätigt, "dass wir in den Verfahren ... Weiß ... auf die Einrede der Verjährung bzw. die Ausschlussfristen verzichten." (Bl. 14 d.A.).
Der Kläger hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 2.790,00 DM brutto und ab 1. Januar 1999 jeweils monatlich 90,00 DM brutto zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es ist der Auffassung des Klägers entgegengetreten. Es hat darauf hingewiesen, dass Gegenstand der Psych-PV lediglich die Ermittlung der Personalkapazität der jeweiligen Station sei, hingegen nichts darüber besage, ob Intensivbehandlung im Sinne des Tarif rechts stattfinde, und insoweit die Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusern - Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 9. September 1974 (Das Krankenhaus 11/1974, S. 457 ff.) für maßgeblich gehalten.
Diese haben, soweit hier von Interesse, folgenden Wortlaut:
I.
Vital bedrohte Schwerkranke benötigen eine intensive Überwachung, Behandlung und Pflege durch spezielle Maßnahmen, die unter den Begriff "Intensivmedizin" zusammengefasst werden. Diese Maßnahmen können optimal nur auf Spezialeinheiten im Krankenhaus getroffen werden; nur hier wird ein konzentrierter Einsatz des für diese Aufgabe verfügbaren Personals, der vorhandenen technischen Einrichtungen und damit der Finanzmittel möglich.II.
1. Definition
1.1 Intensivmedizin
ist Intensivüberwachung und Intensivbehandlung.1.2 Intensivüberwachung
ist die Überwachung und Pflege von Frischoperierten nach schwierigen Eingriffen, Schwerverletzten und Schwerkranken bis zur Überwindung der kritischen Phase der Erkrankung.1.3 Intensivbehandlung
ist die Behandlung und Pflege von Schwerkranken, Schwerverletzten und Vergifteten, deren vitale Funktionen (Atmung, Herz- und Kreislauffunktionen, Temperatur- und Stoffwechselregulation, Bewusstseinslage) gefährdet oder gestört sind und durch besondere Maßnahmen aufrechterhalten und/oder wiederhergestellt werden müssen.2. Einheiten für Intensivmedizin
2.1 Intensivmedizin wird grundsätzlich in Intensiv-Einheiten gewährt, und zwar
- Intensivüberwachung in Intensivüberwachungsstationen (Wachstationen) und
- Intensivbehandlung in Intensivbehandlungsstationen.2.2
Intensiv-Einheiten können je nach Struktur und Größe des Krankenhauses fachgebunden oder interdisziplinär organisiert sein.2.21 Fachgebundene Einheiten
sind Intensivüberwachungsstationen (Wachstationen) und Intensivbehandlungsstationen der einzelnen medizinischen Fachgebiete.2.22 Interdisziplinäre Einheiten
sind
- entweder fachbereichsgebundene Einheiten, d. h. interdisziplinäre Intensivüberwachungsstationen (Wachstationen) und Intensivbehandlungsstationen der operativen Fächer und der konservativen Fächer
- oder Zentraleinheiten, d. h. interdisziplinäre Intensivüberwachungsstationen (Wachstationen) und Intensivbehandlungsstationen für alle operativen und konservativen Fächer.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Voraussetzungen für die Gewährung der Zulage nach den Protokollerklärungen Nr. 1 Abs. (1 a) und Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT im vorliegenden Fall nicht gegeben seien. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es habe nicht feststellen können, dass der Kläger in einer Einheit der Intensivmedizin im Sinne der Protokollnotiz Nr. 3 tätig sei. Wie das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 10. Juli 1996 - AP Nr. 214 zu §§ 22, 23 BAT 1975 ausgeführt habe, könne für die Begriffsbestimmung "Einheiten für Intensivmedizin" von den Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusen, die der Vorstand der Deutschen Krankenhausgesellschaft am 9. September 1974 als Empfehlung verabschiedet habe, ausgegangen werden, weil sie einerseits auf besonderer Sachkunde beruhen und andererseits, weil die Tarifvertragsparteien sich bei diesem Tatbestandsmerkmal an den Richtlinien orientiert zu haben schienen. Danach sei die Intensivbehandlung die Behandlung und Pflege von Patienten, deren vitale Funktionen (Atmung, Herz- und Kreislauffunktionen, Temperatur- und Stoffwechselregulation, Bewusstseinslage) gefährdet oder gestört seien und durch besondere Maßnahmen aufrechterhalten und/oder wiederhergestellt werden müssten.
Für den Tätigkeitsbereich des Klägers werde dabei regelmäßig lediglich das Merkmal der Störung der Bewusstseinslage in Betracht kommen, wobei das aber auch nur dann von Bedeutung sei, wenn sich daraus für den Patienten unmittelbar schwere gesundheitliche Folgen ergäben. Das könne bei suizidgefährdeten Patienten und Patienten mit erheblicher Tendenz zur Eigenverletzung der Fall sein, sofern besondere Maßnahmen ergriffen werden müssten. Bei anderen Patienten, beispielsweise solchen, die zu Gewalttätigkeiten untereinander neigten, liege kein Fall der Intensivmedizin vor.
Dem Vortrag des Klägers lasse sich nicht entnehmen, bei welcher Anzahl der Patienten der Station die einzelnen Merkmale zuträfen. In der Regel werde eine Station für Intensivmedizin nur dann gegeben sein, wenn mehr als die Hälfte der Patienten der Station eine durch besondere Maßnahmen zu behandelnde Bewusstseinsstörung (Suizidgefahr oder Gefahr der Selbstgefährdung) habe. Dass dies auf der Station 1 der Fall gewesen sei, lasse sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Für die Tätigkeit des Klägers in der Sicherheitszentrale ergebe sein Vortrag nicht, dass dort die geforderten Voraussetzungen erfüllt seien.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hält seine Ansicht aufrecht, die Tätigkeit mit den Straftätern verschiedenster Art, verurteilt wegen Mordes, Brandstiftung, Totschlages, Drogendelikten oder erheblicher Sexualvergehen, liege an Intensität und Umfang weit über der Intensivbehandlung und der Intensivüberwachung gemäß den Definitionen der Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin. Er trägt vor: Intensivbehandlung beurteile sich nicht allein nach den Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusern gemäß der Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 9. September 1974. Aufgrund organisatorischer Änderungen und anderer Aufgabenverteilung innerhalb der Kliniken würden an die Pfleger in den Stationen der psychiatrischen Kliniken Anforderungen gestellt, die die Zahlung der Intensivzulage rechtfertigten. Sowohl die körperliche als auch die nervliche Belastung im Bereich der klassischen Intensivbehandlung an in der Regel bettlägerigen Patienten liege weit unter den Anforderungen, die an die Pfleger der Station 1 gestellt würden, weil die Patienten nicht bettlägerig, sondern mobil seien, ihre Verhaltensweisen nicht immer vorhergesagt werden könnten, weshalb eine viel engere Betreuung erforderlich sei als bei immobilen Patienten erforderlich sei, und weil die Pfleger zum Teil auch unter Gefährdung der eigenen körperlichen Unversehrtheit bei Eskalationen eingreifen müssten, sie mithin selbst gefährdet seien, was für die Tätigkeit in der klassischen Intensivmedizin nicht zuträfe. Intensivbehandlung könne auch nicht erst dann bejahrt werden, wenn mehr als 50 % der Patienten einer Station eine durch besondere Maßnahmen zu behandelnde Bewusstseinsstörung habe. Die Intensität des Arbeitseinsatzes sei auch bei einer geringeren Anzahl als der Hälfte gleich hoch, was sich bereits aus der Tätigkeit im Hochsicherheitstrakt ergebe. Die Ausstattung mit erheblichem sicherheitstechnischen Aufwand lasse sich nur mit der Unterbringung unberechenbarer Patienten, bei denen permanent mit plötzlichen Gewaltausbrüchen und damit erheblicher gesundheitlicher Gefährdung für sich und andere zu rechnen sei, rechtfertigen.
Parallel zu der intensiven Überwachung würden intensivmedizinische Behandlungen angeordnet, die vom Pflegepersonal ausgeführt würden. An die Pfleger werde die Anforderung gestellt, nach intensiven Gesprächen mit Sozialpädagogen und Ärzten zu beobachten, ob eine Behandlung überhaupt möglich sei. Dazu seien wiederum pädagogische, medizinische und soziologische Kenntnisse erforderlich, um den medizinischen und soziologischen Hintergrund der Patienten besser einschätzen zu können. Interdisziplinär würden Berichte über die Rund-um-die-Uhr Betreuung angefertigt, um gemeinsam Absprachen erarbeiten und dann spezielle Maßnahmen durchführen zu können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 6. August 1999 - 1 Ca 789/98 - abzuändern und nach den Schlussanträgen erster Instanz zu erkennen.
Das beklagte Land beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Es verteidigt das angefochtene Urteil und hält seine Auffassung aufrecht, die Stationen 1 und 2 des Landeskrankenhauses G seien keine Intensivstationen im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3. Unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens trägt es vor: Das Ziel der freiheitsentziehenden Unterbringung psychisch kranker Rechtsbrecher (§ 63 StGB) bestehe grundsätzlich nicht in der Behandlung von Krankheiten, die die vitalen Funktionen gefährden und stören, sondern zum einen in dem Schutz der Öffentlichkeit vor Gefährdungen, zum anderen in der Herbeiführung von Verhaltensveränderungen durch psychiatrische Behandlung. Soweit der Kläger die Bewohner der Stationen überwachen müsse, möge dies konzentriert geschehen; auf eine Intensivüberwachung im medizinischen Sinne lasse dies jedoch nicht schließen.
Die Psych-PV diene der Festlegung eines Qualitätsstandards für die Krankenhausfinanzierung, enthalte dagegen keine Aussage über tarifliche Bewertungen. Der Kläger benötige keine pädagogischen, medizinischen und soziologisch/sozialpädagogischen Kenntnisse. Therapeutische Maßnahmen oblägen ärztlichen und psychologischen Mitarbeitern. Die pflegerische Tätigkeit des Klägers bestehe in der typischen Grundpflege, d. h. in der Versorgung der physischen Grundbedürfnisse. Da die Patienten in der Regel nicht bettlägerig, sondern mobil seien, sei dieser pflegerische Aufwand geringer als bei typischerweise immobilen Patienten einer Intensivstation.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf das angefochtenen Urteil nebst den darin enthaltenen Verweisungen und die zwischen den Parteien im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze. Die Ausgangsakte zu 10 AZR 480/92, nämlich 4 Ca 2945/91 Arbeitsgericht Essen = 17 Sa 394/92 Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat vorgelegen und ist in die mündlichen Erörterungen in der Verhandlung am 6. April 2000 einbezogen worden.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Dem Kläger, der nach Vergütungsgruppe Kr. III vergütet wird, steht die begehrte Pflegezulage nach Abs. (1 a) der Protokollerklärung Nr. 1 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT nicht zu. Diese durch § 1 des Tarifvertrages zur Änderung der Anlage 1 zum BAT vom 22. März 1991 mit Wirkung vom 1. Januar 1991 (Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr, BAT, Teil II Anlage 1 b Entstehungsgeschichte zu den Abschnitten A und B, Rz 10) eingefügte Protokollerklärung lautet:
Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr. I bis Kr. VII, die zeitlich überwiegend in Einheiten für Intensivmedizin Patienten pflegen, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,00 DM.
Die Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT hat im Tarifvertrag zur Neufassung der Anlage 1 b zum BAT (Angestellte im Pflegedienst) vom 30. Juni 1989 (Nds. MBl. S. 794 ff., 799) folgende Fassung erhalten:
Einheiten für Intensivmedizin sind Stationen für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung. Dazu gehören auch Wachstationen, die für Intensivbehandlung und Intensivüberwachung eingerichtet sind.
Bis zum Inkrafttreten des vorgenannten Tarifvertrages am 1. August 1989 (a. a. O. S. 802) lautete sie:
Einheiten für Intensivmedizin sind Wachstationen; Wachräume für frisch Operierte und Stationen für Intensivbehandlung. Für die Anwendung des Tätigkeitsmerkmales ist es ohne Bedeutung, wie die Einheiten für Intensivmedizin gebietlich oder örtlich bezeichnet werden.
Hierzu gehören nicht Wachstationen in psychiatrischen Kliniken.
Die Tarifvertragsparteien haben also jeweils den Begriff "Einheiten für Intensivmedizin", der auch vor wie nach der Neufassung vom 30. Juni 1989 als Eingruppierungsmerkmal bedeutsam war/ist, definiert.
Die Berufungskammer schließt sich der im Urteil vom 10. Juli 1996 (4 ABR 134/95 - AP Nr. 214 zu §§ 22, 23 BAT 1975) geäußerten Ansicht des Bundesarbeitsgerichts an, es sei sachgerecht, von den Definitionen der Begriffe "Einheiten für Intensivmedizin", "Intensivbehandlung", "Intensivüberwachung" und "Wachstation" in den Richtlinien der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 9. September 1974 auszugehen, einerseits wegen deren besonderer Sachkunde, andererseits auch deshalb, weil die Tarifvertragsparteien sich bei den hier interessierenden Tatbestandsmerkmalen an diesen Richtlinien orientiert zu haben scheinen, wie die Identität sowohl der verwandten Begriffe als auch der Bestimmung ihres Verhältnisses zueinander vermuten lassen. In vor der Berufungskammer gleichzeitig verhandelten Parallelverfahren (8 Sa 2651/98 bis 8 Sa 2657/98) hat das beklagte Land zutreffend und von den Klägern unwidersprochen darauf hingewiesen, dass die Deutsche Krankenhausgesellschaft die Richtlinien als Fachempfehlungen verabschiedet hat, nicht zur Tarifauslegung, und auch nicht Tarifpartei - des BAT - ist. An diesen Fachempfehlungen von 1974 haben sich die Tarifparteien des BAT 1989 bei Änderung der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT orientiert und sie 1990 bei Einfügung der Zulagen nach Absatz (1 a) der Protokollerklärung Nr. 1 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT den Begriff "Einheiten für Intensivmedizin" nicht neu umschrieben, sondern die bestehende Definition in der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT unverändert gelassen. Der Begriff "Einheiten für Intensivmedizin" umfasst daher einheitlich alle medizinischen Bereiche. Das Bundesarbeitsgericht hat auch entgegen der Ansicht der Kläger der o.a. Parallel verfahren in seiner Entscheidung vom 10. Juli 1996 (a. a. O.) nicht einen eigenen Begriff "Einheiten der Intensivmedizin" für eine Frühgeborenenstation festgelegt, sondern die Ausstattung dieser Station gemessen an den in den Richtlinien der Deutschen Krankenhausgesellschaft festgelegten Definition geprüft und sodann für den der Entscheidung zugrundeliegenden Einzelfall festgestellt, dass Intensivmedizin im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT gewährt werde (vgl. auch den Leitsatz 2). Dementsprechend kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass auf der Station 1 bzw. den Stationen 1 und 2 des Hochsicherheitstraktes des Landeskrankenhauses G Intensivmedizin gewährt wird. Der Vortrag des Klägers zur intensiven Überwachung der Patienten im Maßregelvollzug und ggfls. erste lebenserhaltende Maßnahmen zu treffen, ist dafür nicht ausreichend. Wie in der mündlichen Berufungsverhandlung erörtert, werden unstreitig vitalgefährdete Patienten auf den Stationen 1 und 2 nicht intensiv behandelt. Ergibt die Intensivüberwachung einen Anhalt für eine derart erforderliche Behandlung, werden die Patienten zwecks Durchführung dieser Behandlung verlegt. Nach der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT ist Intensivüberwachung allein nicht ausreichend, vielmehr muss Intensivbehandlung hinzukommen oder jedenfalls möglich sein. Die Begriffe "Intensivbehandlung" und "Intensivüberwachung" sind durch "und" und nicht durch "oder" miteinander verbunden, stehen also nebeneinander, so dass die Voraussetzungen für beide gegeben sein müssen. Es genügt auch nicht ein höherer Personaleinsatz, selbst wenn dieser vom Umfang her demjenigen auf einer Intensivstation des allgemeinen Krankenhauses entsprechen oder ihn übersteigen sollte. Auf den Umfang des Personaleinsatzes stellt die Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT nicht ab.
Die Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusern, Empfehlung der Deutschen Krankenhausgesellschaft vom 9. September 1974 (a. a. O.) gelten fort. Sie können zur Auslegung der zeitlich jüngeren Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT herangezogen werden.
Anhaltspunkte dafür, dass Intensivbehandlung im Sinne der Psych-PV gleichzusetzen sei mit einer Intensivbehandlung im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT sind nicht ersichtlich. Die Psych-PV vom 18. Dezember 1990 ist zeitlich jünger als der Tarifvertrag vom 30. Juni 1989. Dass die Psych-PV einen Behandlungsbereich, jeweils den zweiten in "Intensivbehandlung" zusammengefasst hat, zwingt nicht zu dem Schluss einer inhaltlichen Identität mit dem in der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b verwendeten Begriff.
Der Ansicht des Klägers, Intensivbehandlung sei nicht allein nach den Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusern zu beurteilen, auf Grund organisatorischen Änderungen und anderer Aufgabenverteilung innerhalb der Kliniken würden an Pfleger in den Stationen der psychiatrischen Kliniken Anforderungen gestellt, die hinsichtlich der körperlichen wie der nervlichen Belastung über denjenigen des Pflegepersonals in der klassischen Intensivbehandlung lägen, kann die Kammer nicht folgen. Unter Nr. 3 der genannten Richtlinien heisst es:
3. | Organisation der Intensivmedizin | |
---|---|---|
3.1 | ... | |
3.2 | In Universitätskliniken und Großkrankenhäusern (ab 800 Betten) sind in der Regel | |
3.21 | ... | |
3.22 | ... | |
vorzusehen. Daneben können | ||
3.23 | für spezielle Aufgaben der Intensivbehandlung (z. B. Kardiologie, Hämodialyse, Entgiftung, Pädiatrie, Neurologie) | |
fachgebundene Intensivbehandlungsstationen | ||
erforderlich sein. |
Unter 3.3 befindet sich eine ähnliche Bestimmung für Krankenhäuser mit 300 bis 800 Betten.
3.4 In Krankenhäusern bis zu 300 Betten
sind Intensivüberwachung und Intensivbehandlung in einer interdisziplinären Zentraleinheit für alle Fachbereiche und -gebiete organisatorisch und räumlich zusammenzufassen. Kleinere Krankenhäuser, in denen eine solche Zentraleinheit nicht zu realisieren ist, müssen darauf vorbereitet sein, neben einer Intensivüberwachung im Bedarfsfalle auch Maßnahmen der Intensivbehandlung durchführen zu können.
Psychiatrische Kliniken sind zwar hiernach in den Richtlinien für die Organisation der Intensivmedizin in den Krankenhäusern nicht wörtlich erwähnt, aber auch nicht ausgeschlossen, wie die beispielsweise Aufzählung in 3.23 und inhaltsgleich in 3.33 zeigt.
Nach allem kann auch in einer psychiatrischen Klinik eine im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT"Einheit für Intensivmedizin" bestehen, jedoch nur wenn die entsprechende Station für Intensivbehandlungen und Intensivüberwachung ausgestattet ist. Daran fehlt es vorliegend. Die Vornahme erster Lebenserhaltender Maßnahmen ist nicht ausreichend. Der Kläger übergeht in seiner Argumentation, dass er für die speziellen Erschwernisse seiner Tätigkeit zwei Zulagen erhält, auf deren Gewährung das beklagte Land unwidersprochen erst- und zweitinstanzlich hingewiesen hat.
Der Sachverhalt im Ausgangsfall zum Urteil des BAG vom 26. Januar 1994 (a. a. O.), auf das der Kläger sich in seinem Anspruchs schreiben vom 22. November 1996 (Bl. 7 d.A.) berufen hat, enthält keinen Hinweis darauf, dass der dortige Kläger nicht in einer Station für Intensivmedizin der Landes- und Hochschulklinik des dortigen Beklagten tätig war. Da der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit nicht in einer Einheit für Intensivmedizin im Sinne der Protokollerklärung Nr. 3 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT im streitbefangenen Zeitraum tätig war, erübrigt sich ein Eingehen auf die kontroversen Meinungen, ob eine Pflegezulage nach Absatz (1 a) neben einer Pflegezulage nach Absatz (1), hier Buchstabe b, der Protokollerklärung Nr. 1 zu Abschnitt A der Anlage 1 b zum BAT anfallen kann.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.