Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.06.2000, Az.: 10 Ta 210/00
Wirksamkeit einer Kündigung und Anspruch auf Entgeltzahlung; Definition des Begriffs "Arbeitnehmer"; "Arbeitnehmer" in Abgrenzung zum selbstständigen Handelsvertreter; Vorausetzungen für die Begründung eines Arbeitsverhältnisse zwischen Ehegatten; Rechtsmissbräuchlichkeit der Beschreitung des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 27.06.2000
- Aktenzeichen
- 10 Ta 210/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 31673
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0627.10TA210.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 23.03.2000 - AZ: 10 Ca 723/99
Rechtsgrundlagen
- § 84 Abs. 1 S. 2 HGB
- § 611 BGB
- § 1356 Abs. 2 BGB
- Art. 1 Nr. 3 1. EheRG
- § 242 BGB
Tenor:
In dem Rechtsstreit wird auf die Beschwerde der Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 23.03.2000 - 10 Ca 723/99 - abgeändert.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten wird für zulässig erklärt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Entgeltzahlung, Erteilung von Abrechnungen und Wirksamkeit einer Kündigung. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nicht gegeben.
Die Beschwerdeführerin ist die Ehefrau des Geschäftsführers der Beschwerdegegnerin, der zugleich deren einziger Gesellschafter ist. Die Eheleute leben getrennt. Im Zusammenhang mit der Trennung schlossen sie am 28. Juli 1998 einen notariell beurkundeten scheidungsbezogenen Ehevertrag mit Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung. Darin vereinbarten sie unter anderem:
"... der Erschienene zu 2) verpflichtet sich, die Erschienene zu 1) weiterhin in der Fa. GmbH als selbständige Unternehmerin/Subunternehmerin zu beschäftigen, und zwar auf die Dauer von 2 Jahren, gerechnet ab heutiger Beurkundung und zwar zu den gegenwärtigen finanziellen Bedingungen".
Zwischen den Parteien ist streitig, ob diese Vereinbarung auf den Vorschlag der Beschwerdeführerin gegenüber dem Steuerberater R. zurückzuführen ist oder ob der Steuerberater den Parteien diese Regelung ohne Einfluss der Beschwerdeführerin unterbreitet hat.
Die Beschwerdegegnerin zahlte der Beschwerdeführerin in der Folgezeit bis einschließlich April 1999 monatlich 2.500,- DM zuzüglich Umsatzsteuer gemäß von der Beschwerdeführerin erstellter Rechnung (Muster Bl. 22 d.A.). Bis einschließlich Juli 1998 hatte sie außerdem monatlich 535,- DM Leasingraten für das von der Beschwerdeführerin genutzte Fahrzeug gezahlt.
Die Beschwerdeführerin war bei der Beschwerdegegnerin halbtägig weisungsabhängig tätig. Zwischen den Parteien ist streitig, ob sie gehobene kaufmännische und graphische Tätigkeiten oder lediglich einfache kaufmännische Tätigkeiten verrichtet hat. Anderen Beschäftigungen ging die Beschwerdeführerin nicht nach. Sie stellte ab Juni 1999 aufgrund von Vergleichsverhandlungen im Rahmen des Scheidungsverfahrens ihre Tätigkeit für die Beschwerdegegnerin ein. Die Beschwerdegegnerin kündigte vorsorglich das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise fristgerecht am 22. Dezember 1999.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 2000, auf den Bezug genommen wird (Bl. 44-46 d.A.), den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Hannover verwiesen. Gegen diese ihr am 3. April 2000 (Bl. 48 d.A.) zugestellte Entscheidung wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer am 12. April 2000 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenen und zugleich begründeten sofortigen Beschwerde. Sie hält die Anrufung der Arbeitsgerichte nach Maßgabe der Beschwerdeschrift, auf die verwiesen wird (Bl. 51-55 d.A.), nicht für rechtsmissbräuchlich, weil letztlich beide Parteien rechtsirrig davon ausgegangen seien, dass das Vertragsverhältnis als freies Mitarbeiterverhältnis habe geführt werden können.
Die Beschwerdegegnerin verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung.
II.
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist begründet. Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist zulässig. Die Beschwerdeführerin war als Arbeitnehmerin bei der Beschwerdegegnerin tätig.
1.
Arbeitnehmer ist derjenige, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthält § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Danach ist selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig ist dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Zwar gilt diese Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten. Über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthält diese Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzliche Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienst- vom Arbeitsvertrag zu beachten ist. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere daran, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt (BAG, stRspr, vgl. nur Urteil vom 30.11.1994, 5 AZR 704/93, AP Nr. 74 zu § 611 BGB - Abhängigkeit <B I 1 d.Gr.>). Das kennzeichnende Merkmal des Arbeitsverhältnisses ist damit das Weisungsrecht des Arbeitgebers. Das Arbeitsverhältnis wird dadurch charakterisiert, dass der Arbeitnehmer rechtlich verpflichtet ist, eine fremdbestimmte Arbeitsleistung zu erbringen (Griebeling, NZA 1998, S. 1137 <1139>).
Für die Frage, ob ein Arbeitsverhältnis nach diesen Grundsätzen vorliegt, ist neben den getroffenen Vereinbarungen vor allem die tatsächliche Durchführung des Vertrages, nicht dagegen die Bezeichnung des Vertragsverhältnisses durch die Parteien entscheidend. Die grundgesetzlich garantierte Vertragsfreiheit beinhaltet nicht die Freiheit, Rechtsbeziehungen beliebig einem bestimmten gesetzlich vorgegebenen Vertragstypus zuordnen zu können, die Zuordnung hat vielmehr nach objektivrechtlichen Kriterien und damit nach dem wirklichen Geschäftsinhalt zu erfolgen (vgl. BAG, 15.12.1999, 5 AZR 3/99, NZA 2000, S. 534 <II 1 d.Gr.>). Liegt nach dem tatsächlichen Geschäftsinhalt ein Arbeitsverhältnis vor, ist also eine Rechtsformverfehlung eingetreten, so ist das Arbeitsrecht auch dann anzuwenden, wenn die Parteien dies nicht wollten (ErfK-Preis, § 611 BGB, Rz. 51 m.w.N.).
2.
Nach diesen Maßstäben war die Beschwerdeführerin seit Juli 1998 als Arbeitnehmerin für die Beschwerdegegnerin tätig.
a)
Nach dem insoweit übereinstimmenden Vortrag beider Parteien war die Beschwerdeführerin weisungsgebunden und in den Betrieb der Beschwerdegegnerin organisatorisch eingebunden, ihre Leistung war fremdbestimmt. Damit lag trotz der anderslautenden Bezeichnung des Rechtsverhältnisses der Parteien in der Vereinbarung vom 28. Juli 1998 unabhängig von ihrem damaligen Willen aufgrund des wirklichen Geschäftsinhalts ein Arbeitsverhältnis vor.
b)
Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin die Ehefrau des Geschäftsführers und einzigen Gesellschafters der Beschwerdegegnerin ist.
aa)
Seit der Neuregelung des § 1356 Abs. 2 BGB durch Art. 1 Nr. 3 des Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14.6.1976 mit Wirkung zum 1.7.1977, sind Ehegatten nicht mehr verpflichtet, im Beruf oder Geschäft des anderen Ehegatten mitzuarbeiten, sondern beide Ehegatten sind berechtigt, erwerbstätig zu sein. Damit können auch Arbeitsverhältnisse zwischen Ehegatten begründet werden. Insoweit sind zur Abgrenzung von echten Arbeitsverhältnissen einerseits und Scheinrechtsbeziehungen, bloßer familienhafter Mithilfe oder Tätigkeit als Mitunternehmer andererseits die oben dargestellten, allgemeinen Grundsätze anzuwenden (vgl. ErfK-Preis, a.a.O., Rz. 158). Dabei dürfen jedoch nicht so hohe Anforderungen an das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses gestellt werden, dass ein solches zwischen Ehegatten kaum jemals anerkannt werden kann (vgl. BVerfG, 24.1.1962, 1 BvR 232/60, BVerfGE 13, 318 <328>).
Ein Ehegatten-Arbeitsverhältnis liegt daher vor, wenn der eine Ehegatte im Betrieb des anderen Ehegatten weisungsgebundene Tätigkeiten verrichtet, in den Betrieb eingegliedert ist, für seine Tätigkeit ein Entgelt erhält, das über ein bloßes Taschengeld oder die Gewährung von Unterhalt hinausgeht und nicht außer Verhältnis zu Umfang und Art der verrichteten Tätigkeit steht (vgl. BSG, 21.4.1993, 11 RAr 67/92, AP Nr. 67 zu § 611 BGB Abhängigkeit; 23.6.1994, 12 RK 50/93, AP Nr. 4 zu § 611 BGB - Ehegatten-Arbeitsverhältnis).
bb)
Danach lag hier ein anzuerkennendes Ehegatten-Arbeitsverhältnis vor. Die Beschwerdeführerin war als weisungsabhängige Arbeitskraft in den Betrieb der Beschwerdegegnerin eingegliedert. Das erzielte Entgelt stand nicht deutlich außer Verhältnis zur geleisteten Tätigkeit. Abweichende Anhaltspunkte hat jedenfalls keine Partei vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Dabei ist auf den von der Beschwerdegegnerin seit Juli 1998 monatlich gezahlten Betrag von 2.500,- DM (brutto) abzustellen. Eine Nettolohnvereinbarung haben die Parteien nicht getroffen. Der Barlohn ist also nicht, wie dies die Beschwerdeführerin vorgerichtlich vertreten hat, im Abtastverfahren um die Beitragsanteile des Arbeitnehmers und die bei rechtmäßigem Verhalten angefallenen Steuern zu erhöhen und zu einem Bruttolohn hochzurechnen. Beitragspflichtig sind nur der tatsächlich gezahlte Barlohn sowie eventuell vom Arbeitgeber nachträglich endgültig übernommene Lohnsteuern (vgl. BSG, 22.9.1988, 12 RK 36/86, BSGE 64, 110 = BB 1989, S. 1762). Eine halbtägige Bürotätigkeit auch mit einfachen kaufmännischen Tätigkeiten erscheint jedoch mit 2.500,- DM brutto monatlich nicht so unangemessen hoch vergütet, dass die Zahlung nicht mehr Entgelt-, sondern lediglich Unterhaltscharakter hätte oder lediglich zur Erzielung steuerlicher Vorteile gewährt würde.
Die Leasingraten waren dabei nicht zu berücksichtigen, weil nicht ersichtlich ist, dass diese Zahlung zu den "gegenwärtigen finanziellen Bedingungen" gemäß der Vereinbarung vom 28. Juli 1998 zählte. Immerhin hat die Beschwerdegegnerin diese Zahlungen seit August 1998 und damit mit Wirksamwerden der Vereinbarung vom 28. Juli 1998 nicht mehr erbracht, ohne dass dem die Beschwerdeführerin widersprochen hätte. Dies lässt den Rückschluss zu, dass die Leasingraten seit August 1998 nicht mehr geschuldet waren.
c)
Schließlich handelt die Beschwerdeführerin nicht rechtsmissbräuchlich, wenn sie den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten beschreitet.
Dabei kann dahinstehen, ob es der Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs verwehrt ist, sich gegenüber der Beschwerdegegnerin auf ein Arbeitsverhältnis zu berufen (vgl. dazu die vom Arbeitsgericht genannten Entscheidungen: BAG, 11.12.1996, 5 AZR 855/95, und 5 AZR 708/95, AP Nr. 35 und 36 zu § 242 BGB - unzulässige Rechtsausübung - Verwirkung <1 d.Gr.> bzw. <I 2 a>). Dies ist ein lediglich materiell-rechtlicher Einwand, der erst bei der Prüfung zu berücksichtigen ist, ob die erhobenen Ansprüche der Beschwerdeführerin tatsächlich zustehen. Selbst wenn es der Beschwerdeführerin aus Treu und Glauben heraus verwehrt sein sollte, sich gegenüber der Beschwerdegegnerin darauf zu berufen, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestanden habe, und die Ansprüche daher (fiktiv) auf der Basis der vereinbarten Vertragsgrundlage ermittelt werden müssten, so ändert dies nichts daran, dass die Beschwerdeführerin Arbeitnehmer in ist und allein die Arbeitsgerichte zu entscheiden haben, ob und welche Ansprüche aus welchem Rechtsgrund der Beschwerdeführerin gegenüber der Beschwerdegegnerin zustehen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 a, b ArbGG).
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe, die weitere Beschwerde zuzulassen (§ 78 Abs. 2 ArbGG, § 17 a Abs. 2 Satz 5 GVG), bestanden nicht.
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben.