Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.01.2000, Az.: 10 Sa 222/98
Anspruch eines Angestellten auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 100%; Verweis in einem Tarifvertrag auf die gesetzliche Regelung; Gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen; Nachwirkung tarifvertraglicher Regelungen
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 06.01.2000
- Aktenzeichen
- 10 Sa 222/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 10960
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0106.10SA222.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Verden - 18.12.1997 - AZ: 2 Ca 171/97
Rechtsgrundlagen
- § 4 EFZG
- § 10 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und die gewerblichen Auszubildenden sowie für die kaufmännischen und technischen Angestellten und kaufmännischen Auszubildenden in der Lampenschirm-, Wohnraumleuchten- und Zubehör-Industrie in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West vom 09.09.1987
- § 10 Nr. 3 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und die gewerblichen Auszubildenden sowie für die kaufmännischen und technischen Angestellten und kaufmännischen Auszubildenden in der Lampenschirm-, Wohnraumleuchten- und Zubehör-Industrie in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West vom 09.09.1987
- § 13 Abs. 3 Nr. 2 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer und die gewerblichen Auszubildenden sowie für die kaufmännischen und technischen Angestellten und kaufmännischen Auszubildenden in der Lampenschirm-, Wohnraumleuchten- und Zubehör-Industrie in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West vom 09.09.1987
Amtlicher Leitsatz
Aus § 10 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Nr. 3 und § 13 III Nr. 2 MTV ergab sich in der Zeit vom 01. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 kein Anspruch einer (eines) Angestellten auf eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von 100 %.
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 06.01.2000
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts ...
die ehrenamtliche Richterin ... und
den ehrenamtlichen Richter...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden (Aller) vom 18. Dezember 1997 - 2 Ca 171/97 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Auf das seit 1990 bestehende Arbeitsverhältnis des als nach den Weisungen seiner Vorgesetzten angestellten Konstrukteurs fand der zunächst per 31. Dezember 1992 und nach zwischenzeitlicher Wiederinkraftsetzung im Jahre 1995 endgültig am 31. Dezember 1995 außer Kraft getretene Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und die gewerblichen Auszubildenden sowie für die kaufmännischen und technischen Angestellten und kaufmännischen Auszubildenden in der Lampenschirm-, Wohnraumleuchten- und Zubehör-Industrie in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West vom 09. September 1987 (künftig MTV) wegen beiderseitigen Tarifbindung Anwendung.
Zu einer neuen tariflichen Regelung kam es in der folgenden Zeit nicht. Die Beklagte bezahlte für Krankentage im Monat Oktober 1996 nur 80 % des vollen Entgeltes. Den seiner rechnerischen Höhe nach unstreitigen Klaganspruch verfolgte der Kläger nach vergeblicher schriftlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 08. November 1996 mit der der Beklagten am 04. Februar 1997 zugestellten Klage weiter.
Die einschlägigen Bestimmungen im MTV (Hülle Bl. 96 d.A.) lauteten auszugsweise wie folgt:
§ 10 Krankheit, Unfall, Kuren und Heilverfahren
1.
...2.
Die Krankenvergütung im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, richtet sich nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) in seiner jeweiligen Fassung.Ist ein Angestellter infolge Erkrankung an der Arbeitsleistung verhindert, ist ihm das Gehalt für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen weiterzuzahlen. Während eines Kur- oder Heilverfahrens, das nach § 13 AnVG oder unter den gleichen Voraussetzungen von einem Sozialversicherungsträger oder dem Versorgungsamt gewährt wird, ist das Entgelt höchstens bis zur Dauer von sechs Wochen, jedoch nicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, weiter zu zahlen.
3.
Gemäß § 2 Abs. 3 Lohnfortzahlungsgesetz gelten abweichend von der gesetzlichen Regelung für die Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts einheitlich für den ganzen Betrieb die Bestimmungen des § 13 Abschnitt III Ziffern 1 und 2 dieses Manteltarifvertrages sinngemäß.§ 13 Urlaub, Urlaubsgeld
I.
...II.
...III.
Urlaubsvergütung1.
Für gewerbliche Arbeitnehmer wird das Urlaubsentgelt nach dem Durchschnittsverdienst der letzten drei abgerechneten Lohnperioden, mindestens der letzten dreizehn Wochen, berechnet. Darüber hinaus gilt für diese Durchschnittsberechnung folgendes:a.
Durch Betriebsvereinbarung kann einheitlich für den ganzen Betrieb ein längerer Bezugszeitraum bis zu einem Jahr festgelegt werden.b.
Im Falle von Kurzarbeit, einer durch kassenärtzliche Bescheinigung nachgewiesenen-Erkrankung, eines Heil- oder Kurverfahrens, einer ärztlichen verordneten Schonzeit oder eines vereinbarten unbezahlten Urlaubs wird anstelle des in Abs. 1 genannten Zeitraums auf vorhergehende volle Abrechnungszeiträume zurückgegriffen.c.
Einmalige Zuwendungen, auch wenn sie in Teilbeträgen ausgezahlt werden, bleiben bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht.d.
Soweit eine Lohn- bzw. Gehaltserhöhung in der Berechnung des Urlaubsentgelts noch keinen Niederschlag gefunden hat, ist eine entsprechende Aufzahlung zu leisten.e.
Die Zahl der für den einzelnen Urlaubstag zu vergütenden Stunden beträgt ein Fünftel der wöchentlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Lohnperioden, mindestens der letzten dreizehn Wochen.f.
Das Urlaubsentgelt je Urlaubstag wird für das Urlaubsjahr vor dem ersten Urlaubsantritt nur einmal berechnet.2.
Angestellten ist während des Urlaubs das vereinbarte Monatsgehalt weiter zu zahlen.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und seiner Wertung durch das Arbeitsgericht wird auf das unter Zulassung der Berufung ergangene und die Klage abweisende Urteil vom 18. Dezember 1997 Bezug genommen (Bl. 25-29 d.A.).
Gegen dieses ihm am 07. Januar 1998 zugestellte Urteil legte der Kläger am 29. Januar 1998 Berufung ein und begründete diese Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02. Mai 1998 am Montag, dem 04. Mai 1998.
Im Berufungsrechtszug wurde unstreitig, dass die Parteien in einem am 21. Januar 1991 geschlossenen Arbeitsvertrag (Bl. 52-56 d.A.) auf die tariflichen Regelungen nur hinsichtlich der Arbeitszeit Bezug genommen hatten und zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Paragraph 5 Nr. 2 folgendes vereinbart hatten (Bl. 54 d.A.):
Ist Herr ... infolge auf Krankheit beruhender Arbeitsunfähigkeit an der Arbeitsleistung verhindert, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, so erhält er Gehaltsfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen.
Der Kläger vertritt die Ansicht, ihm stünden 100 % schon kraft Einzelarbeitsvertrages zu.
Die Regelung in den §§ 10 und 13 MTV enthielten eine eigenständige und damit konstitutive Regelung der Entgeltfortzahlung.
Die per 01. Oktober 1996 in Kraft getretene Änderung des § 4 EFZG habe keinen Einfluss auf die Rechtslage gehabt, weil Änderungen der in Bezug genommenen gesetzlichen Regelungen im Nachwirkungszeitraum eines Tarifvertrages ohne Bedeutung seien.
Der Kläger und Berufungskläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgericht Verden vom 18.12.1997 - 2 Ca 171/97 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 57,55 brutto nebst 4 % Zinsen seit 04. Februar 1997 zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 03. Juni 1998 (Bl. 82-85 d.A.).
Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens des Kläger wird auf die Berufungsbegründung vom 04. Mai 1998 nebst Anlagen Bezug genommen (Bl. 46-78 d.A.). Außerdem wird auf den vollständigen Text des MTV verwiesen (Hülle Bl. 96 d.A.).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht begründet, weil dem Kläger weder nach dem Arbeitsvertrag, noch nach dem MTV der geltend gemachte Anspruch zusteht.
Es musste daher dahingestellt bleiben, ob die bereits während der Dauer der zwingenden Wirkung des MTV vereinbarte Regelung in Paragraph 5 Nr. 2 AV entgegen dem Wortlaut des § 4 Abs. 5 TVG die Nachwirkung des MTV insoweit verhindert hat, was entgegen einigen missverständlichen Formulierungen in der Berufungsbegründung wohl nicht der Fall gewesen seien dürfte (vgl. Friedrich in Festschrift für Schaub Seite 193 ff. -197/198).
I.
Die einzelvertragliche Regelung im Paragraphen 5 Nr. 2 AV konnte schon wegen der ausdrücklichen Formulierung "entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen" nicht als eigenständige und damit konstitutive Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Betracht kommen.
Entgegen der Ansicht des Klägers bedurfte es nicht zusätzlich einer Jeweiligkeitsklausel in der Bezugnahme auf die gesetzliche Regelung. Dies ergibt sich daraus, dass Paragraph 5 Nr. 2 keinen Entgeltanspruch begründete, sondern den Kläger lediglich auf die Gesetzeslage verwies. In Ermangelung eines weitergehenden Inhaltes konnte damit nur eine deklaratorische Feststellung gemeint sein. Es kommt daher nicht mehr darauf an, dass selbst beim Fehlen des hier gegebenen ausdrücklichen Hinweises auf die Gesetzeslage kein Anspruch gegeben wäre, weil die Bestimmung auch dann nur mit der seinerzeitigen Gesetzeslage absolut identisch gewesen wäre.
Die Parteien konnten im Jahre 1991 auch keinen Regelungswillen haben, weil niemand damit rechnen konnte, dass der Gesetzgeber die volle Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall der Höhe nach einschränken würde.
II.
Auch aus der tariflichen Regelung in den §§ 10 und 13 MTV folgt kein Anspruch, wie das Arbeitsgericht zutreffend herausgearbeitet hat.
Gem. § 543 ZPO nimmt das Berufungsgericht auf die Entscheidungsgründe Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden.
Die Berufung gibt Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen.
1.
Die Regelung in § 10 Nr. 2 Abs. 2 S. 1 MTV wiederholt lediglich ohne jeden weitergehenden Inhalt die seinerzeitige gesetzliche Regelung mit dem Entgeltfortzahlungsanspruch des Angestellten wie er seinerzeit sich für den Kläger aus § 133 c GewO ergeben hatte (vgl. §§ 63 HGB und 616 BGB).
Zu einer eigenständigen und daher konstitutiven Regelung hätte die in Nummer 3 des § 10 MTV gegebene Verweisung auf die Urlaubsvergütung des § 13 III Nr. 2 MTV werden können, wenn hierin die Höhe der Krankheitsvergütung in der Höhe der Urlaubs Vergütung abzulesen wäre. Dies ist nicht der Fall, weil § 10 Nr. 3 MTV auf die Urlaubs Vergütung nur für die "Berechnung" der Höhe der Krankenvergütung verweist (vgl. BAG vom 08. September 1999 - 5 AZR 451/98 - sub II. - wohl unveröffentlicht).
Der Fall läge wohl nur dann anders, wenn für die "Höhe" auf das Urlaubsentgelt verwiesen worden wäre. Dann ergäbe sich aus dem Tarifvertrag allein die konkrete Vergütung der Krankenvergütung, wie es beispielsweise auch dann der Fall ist, wenn die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 1/22 des - vollen - Urlaubsentgeltes vorgesehen ist (BAG vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 728/97 und 5 AZR 297/98 auf S. 4-5 -). Da hier der Tarifvertrag nur für die Berechnung der Krankenvergütung auf die Urlaubsvergütung verweist und nicht dessen Höhe vorschreibt, entfällt eine eigenständige Regelung, wie das BAG im Urteil vom 08. September 1999 a.a.O. für eine durchaus vergleichbare tarifliche Regelung mit der Verweisung im dort einschlägigen § 12 Nr. 2 TV zur Berechnung auf die Urlaubs Vergütung in § 15 III TV im einzelnen ausgeführt hat.
2.
Der Kläger kann entgegen seiner ausdrücklichen Berufungsbegründung zu seinen Gunsten nichts aus dem Umstand herleiten, dass sich der MTV im Jahre 1996 nur im Stadium der Nachwirkung befand, weil seine zwingende Wirkung zuletzt am 31. Dezember 1995 erloschen war.
Es mag zutreffend sein, dass auch Änderungen der formellen gesetzlichen Lage und nicht nur einer tarifliche Norm ohne Auswirkungen auf den Regelungsbereich eines lediglich verweisenden Tarifvertrages bleiben, wenn sich der verweisende Tarifvertrag im Stadium der Nachwirkung befindet (so ausdrücklich lediglich für tarifliche Normen: BAG vom 10. November 1982 - 4 AZR 1203/79 in AP.-Nr. 8 zu § 1 TVG Form und u. a. in BB 83, 1344 in LS 3 und als obiter dictum auf S. 1347 a.E.). Daraus folgt nicht, dass zu Gunsten des Klägers die ursprüngliche gesetzliche Regelung im § 133 c GewO aufrechterhalten blieb. Sie war schon 1994 durch die entsprechenden Bestimmungen des EFZG ersetzt worden und fiel per 01. Oktober 1996 unter die Neuregelung des § 4 EFZG mit der herabgesetzten Krankenvergütung. Dies ergibt sich daraus, dass wegen der lediglich deklaratorischen Bedeutung der Klauseln des MTV der Anspruch des Klägers sich auch damals nicht aus dem MTV, sondern aus dem Gesetz ergab (§ 133 c GewO und ab 1994 EFZG).
3.
Die Berufung des Klägers auf das eingereichte Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. Februar 1998 - 6 (10) Sa 1008/97 - überrascht, weil im vorliegenden Fall die Beklagte Angestellte und Arbeiter nicht ungleich behandelte, sondern an alle lediglich 80 % zahlte.
Im übrigen bestand auch für Arbeiter in diesem Bereich in der Zeit vom 01. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 kein tariflicher Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung, wie im Parallelverfahren 10 Sa 223/98 gleichfalls unter Revisionszulassung entschieden wurde.
III.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens gem. § 97 ZPO zu tragen, weil sein Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.
Die Zulassung der Revision erfolgte gem. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Es handelt sich um die Auslegung einer bundesweit anwendbaren tariflichen Regelung.