Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.07.2000, Az.: 5 Ta 799/99
Voraussetzungen für die nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage gemäß § 5 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG); Ehrenamtlicher Beauftragter einer Fachgewerkschaft als Prozessbevollmächtigter eines gekündigten Arbeitnehmers; Rechtsschutzstelle der Gewerkschaften als geeignete Stelle im Rahmen des Verschuldensmaßstab des § 5 Abs. 1 KSchG; Anwendbarkeit der § 85 Abs. 2 ZPO bei außerprozessuale Handlungen; Anwendbarkeit der 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG auf ein Arbeitsverhältnis; Maßstäbe für ein Organisationsverschulden und Überwachungsverschulden im Rahmen des § 85 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 27.07.2000
- Aktenzeichen
- 5 Ta 799/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 31969
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0727.5TA799.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Stade - 30.11.1999 - AZ: 1 Ca 588/99
Rechtsgrundlagen
- § 4 KSchG
- § 5 KSchG
- § 278 BGB
- § 85 Abs. 2 ZPO
Fundstellen
- BB 2001, 1205 (amtl. Leitsatz)
- MDR 2001, 40-42 (Volltext mit red. LS)
- NWB 2001, 365
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein Arbeitnehmer muss sich das Verschulden seines mit der Klageerhebung beauftragten Vertreters bei Versäumung der Klagefrist nach § 4 KSchG weder über § 85 Absatz 2 ZPO noch über § 278 BGB zurechnen lassen (im Anschluss an die ständige Rechtsprechung des LAG Hamm seit 28.10.71, DB 1972, 1974; grundlegend nochmals LAG Hamm 27.01.94, 21.12.95 und 27.02.96 - LAGE § 5 KSchG Nr. 65, 73, 86). Die - in der vorliegenden Fallkonstellation zu demselben Ergebnis führende - einschränkende Auffassung, wonach lediglich das Fehlverhalten der Mitarbeiter der Einzelgewerkschaften nicht über § 85 Abs. 2 zugerechnet wird, greift zu kurz (in Abgrenzung zu LAG Bremen 23.07.99 - LAGE § 5 KSchG Rnr. 86).
- 2.
Da sich in der seit geraumer Zeit kontrovers geführten Rechtsdiskussion zur Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO bei verspäteter Klageerhebung durch Vertreterverschulden zwischen sowie teilweise auch innerhalb der Landesarbeitsgerichte keine einheitliche Rechtsauffassung abzeichnet, ergeht der dringende Appell an den Gesetzgeber, in diesem "unendlichen Streit" für Rechtsklarheit zu sorgen.
Tenor:
Auf die Beschwerde des Klägers vom 22.12.99 - wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Stade vom 30.11.99 1 Ca 588/99 - abgeändert. Auf den Antrag des Klägers vom 15.06.99 wird die Kündigungsschutzklage vom selben Tage zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf 11.193,- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten mit der Beschwerde um nachträgliche Zulassung einer Kündigungsschutzklage.
Der am ... geborene Kläger ist schwerbehindert. Er ist seit dem 01.11.1971 in dem Werftbetrieb der Beklagten als Kalfaktor gegen ein monatliches Bruttoentgelt von zuletzt 3.731,- DM beschäftigt. In dem Betrieb arbeiten ohne die Auszubildenden ständig mehr als fünf Arbeitnehmer.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 17.05.99, das am 19.05.99 zuging, zum 31.07.99. Der Kläger wandte sich am 03.06.99 während der Sprechstunde an die IG Metall ... Dort wurde er von Herrn ... beraten, der als ehrenamtlicher Beauftragter der IG Metall in der Verwaltungsstelle ... tätig ist. Der Kläger legte Herrn ... die Kündigung der Beklagten vor und teilte ihm den Zugangszeitpunkt mit. Da der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung nicht in der Lage war, den Aufnahmebogen für den Arbeitsrechtsstreit auszufüllen, händigte Herr ... dem Kläger den Fragebogen zum Rechtsschutzauftrag (grüner Bogen), den Rechtsschutzauftrag (roter Bogen) sowie zwei Vollmachten aus. Es wurde besprochen, dass der Bruder des Klägers, ... die Unterlagen für den Kläger ausfüllen sollte. Der ehrenamtliche Beauftragte ... holte die Unterlagen von dem Bruder des Klägers am Sonntag, dem 04.06.99 ab und reiste anschließend nach ... ohne die Unterlagen zuvor weiterzuleiten. Dies hatte er vergessen. Erst anlässlich einer Ortsverwaltungssitzung der IG Metall ... am 14.06.99 übergab er die Unterlagen dem Gewerkschaftssekretär der IG Metall, ... zur Erteilung einer Rechtsschutzgenehmigung. Dabei wurde festgestellt, dass dem Kläger die Kündigung bereits am 19.05.99 zugegangen war.
Mit der Kündigungsschutzklage vom 15.06.99 hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und unter anderem die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Zugleich hat er einen Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage gestellt. Zur Begründung bezieht er sich auf die eidesstattliche Versicherung des ehrenamtlichen Mitarbeiters ... vom 14.06.99, auf die Bezug genommen wird.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihn treffe keine Schuld daran, dass die Unterlagen nicht an die beauftragten Rechtsschutzsekretäre weitergeleitet worden seien. Vielmehr habe er sich innerhalb der Frist an die rechtsschützgewährende Mitgliedsgewerkschaft IG Metall gewandt, um Rechtsrat einzuholen. Bei der Fachgewerkschaft handele es sich um eine geeignete Stelle. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass die Unterlagen von dort aus weitergeleitet würden. Die dort auftretenden Fehler müsse er sich nicht nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Prozessbevollmächtigt seien die beauftragten Rechtsschutzsekretäre, die die Fristversäumung nicht verschuldet hätten. Die Klage sei deshalb nachträglich zuzulassen.
Der Kläger hat beantragt,
- 1.
die Kündigungsschutzklage nachträglich zuzulassen,
- 2.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 17.05.99 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
- 1.
den Antrag auf nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage zurückzuweisen,
- 2.
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass sich der Kläger das Verschulden des ehrenamtlichen Beauftragten der IG Metall zurechnen lassen müsse.
Das Arbeitsgericht ist dieser Auffassung gefolgt und hat den Antrag auf nachträgliche Zulassung mit Beschluss vom 30.11.99 mit folgender Begründung zurückgewiesen: Zwar könne dem Kläger eigenes Verschulden bei der Versäumung der 3-Wochen-Frist nicht zur Last gelegt werden. Allerdings müsse er sich das Verschulden seiner Bevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen. Prozessbevollmächtigt sei nicht nur die DGB Rechtsschutz GmbH, sondern auch die vorgeschalteten Vertreter der rechtsschutzgewährenden Einzelgewerkschaft. Dazu gehöre auch der ehrenamtliche Beauftragte der IG Metall, den der Kläger während der Sprechstunde in dessen Büro in ... aufgesucht und ihm den Fortgang zur weiteren Veranlassung übergeben habe. Dieser habe die rechtzeitige Weiterleitung schlicht vergessen. Dies rechtfertige keine nachträgliche Zulassung.
Der Beschluss ist dem Kläger am 14.12.99 zugestellt worden. Mit seiner am 23.12.99 zugegangenen sofortigen Beschwerde vertieft er seinen erstinstanzlichen Vortrag. Weder ihn noch seinen Bruder treffe ein Verschulden, weil die zur Klageerhebung erforderlichen Unterlagen dem ehrenamtlichen Beauftragten ... übergeben worden seien. Er - der Kläger - habe darauf vertrauen dürfen, dass vom zuständigen DGB Rechtsschutzbüro fristwahrend Kündigungsschutzklage eingelegt werde.
Das Verschulden des ehrenamtlichen Beauftragten sei ihm aber nicht zuzurechnen, weil Herr ... nicht mit der Prozessführung beauftragt worden sei und deshalb nicht als Prozessbevollmächtigter im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO angesehen werden könne. Er habe lediglich die Aufgabe gehabt, Sprechstunden im Büro der IG Metall in ... abzuhalten, die Rechtsschutzunterlagen zusammenzustellen und an das Büro der IG Metall in ... zu senden, von wo aus der Vorgang an die DGB Rechtsschutz GmbH zur Klageerhebung weitergeleitet werde. Dem Argument eines Organisationsverschuldens der DGB Rechtsschutz GmbH setzt der Kläger entgegen, dass das Mitglied der Einzelgewerkschaft nicht dem DGB angehöre und Rechtsschutzzusagen nur von der Einzelgewerkschaft geprüft werden könnten.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Beschlusses des Arbeitsgerichts Stade vom 30.11.99 - 1 Ca 588/99 - der Beschwerde abzuhelfen und dem Antrag des Klägers vom 15.06.99 auf nachträgliche Zulassung der Klage selbigen Datums stattzugeben.
Die Beklagte beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts. Herr ... der nach dem Zugang des Kündigungsschreibens gefragt und sich der 3-Wochen-Frist bewusst gewesen sei, habe den Rechtsschutzauftrag angenommen. Aufgrund der Organisation würden bei den Gewerkschaften des DGB in der Regel mit der rechtsschutzgewährenden Einzelgewerkschaft und der Prozessvertretung durch die Rechtssekretäre der DGB Rechtsschutz GmbH zwei Stellen beteiligt. Der gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer habe ohne die Einschaltung der Einzelgewerkschaft keine Möglichkeit, an die eigentlichen Prozessbevollmächtigten heranzukommen. Folglich seien auch die für die Einzelgewerkschaft tätigen Bevollmächtigte im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO.
Die Zwischenschaltung der Einzelgewerkschaften stelle zudem ein Organisationsverschulden der DGB Rechtsschutz GmbH dar, das ebenfalls über § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen sei, vergleichbar einem Rechtsanwalt, der sich ungelernter Kräfte oder einer mangelnden Büroorganisation bediene. Jede Zwischenstufe beinhalte ein Fehlerrisiko im Hinblick auf die Einhaltung der 3-Wochen-Frist. Eine fristwahrende Klageerhebung erscheine nicht möglich, wenn der Rechtsrat begehrende Arbeitnehmer erst am letzten Tag der Frist die Sprechstunde der Gewerkschaft aufsuche, weil erst Formulare ausgefüllt, der Rechtsschutz sowie die Kündigung selbst überprüft und ein Schriftsatz gefertigt werden müsse, der an diesem Tag bei Gericht vorliege. Bei der Übernahme von Rechtsschutz müsse aber gewährleistet sein, dass die Klage noch rechtzeitig bei Gericht eingehe. Die bei dieser Organisation in Kauf genommene Gefahr verspäteter Klageeinreichung sei mit dem Gedanken des § 5 KSchG nicht zu vereinbaren, der lediglich dazu diene, unbillige Härten für den gekündigten Arbeitnehmer auszugleichen.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und damit insgesamt zulässig (§ 5 Abs. 4 KSchG, §§ 567, 577 ZPO). Sie ist auch begründet. Die Kündigungsschutzklage ist nach § 5 KSchG nachträglich zuzulassen.
1.
Die 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG ist einzuhalten, weil das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Das seit dem 01.11.97 bestehende Arbeitsverhältnis hat im Zeitpunkt der Kündigung am 17.05.99 ohne Unterbrechnung länger als 6 Monate bestanden (§ 1 Abs. 1 KSchG). In dem Betrieb der Beklagten werden regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigt, so dass die nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG erforderliche Betriebsgröße gegeben ist.
Die Kündigungsschutzklage des Klägers ist erst am 15.06.99 und damit nicht innerhalb der 3-Wochen-Frist beim Arbeitsgericht eingegangen. Ausgehend von der am 19.05.99 zugegangenen Kündigung lief die Frist am 09.06.99 ab.
2.
Die nachträgliche Zulassung der Klage ist gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses, das den Arbeitnehmer von der rechtzeitigen Klageerhebung abgehalten hat, zulässig. Diese Frist ist mit Zugang des Antrags am 15.06.99 gewahrt. Innerhalb der Frist hat der Kläger zur Glaubhaftmachung eine eidesstattliche Versicherung des ehrenamtlichen Beauftragten Schensar vorgelegt (§ 5 Abs. 2 Satz 2 ArbGG).
3.
Den Kläger trifft an der Versäumung der 3-Wochen-Frist kein Verschulden.
a)
Die nachträgliche Zulassung der Kündigungsschutzklage findet nach § 5 Abs. 1 KSchG in denjenigen Fällen statt, in denen ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Aufwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert war, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung zu erheben. Im Interesse der Rechtssicherheit muss vom Arbeitnehmer erwartet werden, dass er alle Vorkehrungen trifft, die in seiner Lage unter Berücksichtigung seiner persönlichen Verhältnisse nach dem Empfang der Kündigung getroffen werden können. Grundsätzlich ist es dem Arbeitnehmer gestattet, Rechtsrat einzuholen, bevor er sich zu einer Klage gegen die Kündigung entschließt. Wird im Zusammenhang mit der Einholung des Rechtsrats die 3-Wochen-Frist versäumt, so ist im Hinblick auf den Verschuldensmaßstab des § 5 Abs. 1 KSchG danach zu differenzieren, ob der Rechtsrat bei einer geeigneten Stelle eingeholt wurde oder nicht. Nur wenn der Arbeitnehmer eine geeignete Stelle aufgesucht hat, trifft ihn kein Verschulden, wenn die 3-Wochen-Frist aus Gründen versäumt wird, die allein im Verhalten dieser geeigneten Stelle liegen. Als geeignet ist die Stelle anzusehen, die über die notwendige Fachkunde verfügt und zur Auskunft in arbeitsrechtlichen Fragen berufen ist. Dazu zählen neben Rechtsanwälten die Rechtsschutzstellen der Gewerkschaften (vgl. LAG Bremen 23.07.99 - 4 Ta 48/99 - LAGE § 5 KSchG Nr. 96).
b)
Der Kläger hat sich am 03.06.99, also knapp zwei Wochen nach Zugang der Kündigung am 19.05.99, an die IG Metall als zuständige Einzelgewerkschaft gewandt und um Rechtsschutz nachgesucht. Nachdem der ehrenamtliche Beauftragte die für einen Kündigungsschutzprozess erforderlichen Unterlagen, bestehend aus einem Fragebogen zum Rechtsschutzauftrag (grüner Bogen), den Rechtsschutzauftrag (roter Bogen) sowie zwei Vollmachten von dem Bruder des Klägers am 04.06.99 (Sonntag) abgeholt hatte, stand spätestens am darauffolgenden Montag einer Weiterleitung der Unterlagen an den zuständigen Gewerkschaftssekretär; zur Erteilung der Rechtsschutzgenehmigung und einer rechtzeitigen Klageerhebung nichts mehr im Wege.
Der Kläger hatte sich damit innerhalb der 3-Wochen-Frist an eine geeignete Stelle gewandt. Nur zur IG Metall als zuständiger Einzelgewerkschaft besteht die Mitgliedschaft des Klägers und nur diese Gewerkschaft kann ihm den mit der Mitgliedschaft verbundenen Rechtsschutz gewähren. Der Kläger hat somit die richtige Maßnahme ergriffen, um das Klage verfahren durch einen gewerkschaftlichen Prozessbevollmächtigten einzuleiten. Dass die IG Metall den Prozess nicht selbst führen, sondern die DGB Rechtsschutz GmbH mit der Durchführung der Klage beauftragen wollte, liegt innerhalb der gewerkschaftlichen Organisationssphäre und entzieht sich den Einflussmöglichkeiten des Klägers. Er konnte kraft Satzung nicht direkt an die DGB Rechtsschutz GmbH herantreten. Den Kläger trifft kein Verschulden daran, dass die Unterlagen innerhalb der IG Metall weder an den zuständigen Gewerkschaftssekretär noch an die DGB Rechtsschutz GmbH weitergeleitet wurden. Die Fehlerquelle liegt bei der IG Metall, deren Beauftragter ... es vergessen hat, die Unterlagen vor seiner ... Reise weiterzuleiten. Der Kläger durfte persönlich darauf vertrauen, dass Herr ... die von ihm am Sonntag selbst abgeholten und zur Klageerhebung erforderlichen Unterlagen an die mit der Prozessführung beauftragten DGB-Rechtsschutzsekretäre fristgerecht übermitteln würde.
c)
Der Kläger muss sich das zur Fristversäumung führende fahrlässige Verhalten des Prozessbevollmächtigten der IG Metall auch nicht zurechnen lassen, weil es an einer gesetzlichen Zurechnungsform fehlt.
aa)
Nach der wohl überwiegend vertretenen Auffassung wird zwar die Zurechnung eines Verschuldens des Prozessbevollmächtigten vor Klageerhebung über § 85 Abs. 2 ZPO mit der Begründung bejaht, die 3-Wochen-Frist sei jedenfalls auch als prozessuale Frist zu verstehen (vgl. BAG 26.06.1986 AP Nr. 17 zu § 4 KSchG 1969). Das Verschulden eines ehrenamtlichen Beauftragten einer Fachgewerkschaft wird aber abgelehnt, weil dieser nicht Prozessbevollmächtigter des gekündigten Arbeitnehmers sei. Auch die Zurechnung eines Organisationsverschuldens komme nicht in Betracht, weil keine rechtliche oder tatsächliche Einflussmöglichkeit des DGB oder der DGB Rechtsschutz GmbH auf den Ablauf bei der Gewährung von Rechtsschutz sowie der Weiterleitung von Klageaufträgen bestehe. Die Einzelgewerkschaft nehme die Rechtsschutzgewährung für ein arbeitsrechtliches Verfahren ihres Mitglieds als eigenes satzungsmäßiges Geschäft vor, bei der kein Weisungsrecht des DGB bzw. der DGB Rechtsschutz GmbH bestehe (LAG Niedersachsen 18.08.1993 - 16 (6) Ta 32/93 n.v. sowie 19.11.1992 - 15 Ta 383/92 n.v.; LAG Mecklenburg-Vorpommern 11.11.1998 - 3 Ta 80/98 n.v.; LAG Rheinland-Pfalz 26.01.1998 - 4 Ta 246/97 n.v.; LAG Bremen 23.07.1999 - 4 Ta 43/99 - LAGE § 5 KSchG Nr. 96; LAG Baden-Württemberg 08.07.1992 - 6 Ta 11/92 n.v.).
Das Beschwerdegericht hält diese Begründung für inkonsequent. Die satzungsmäßig abgesicherte Arbeitsteilung zwischen Einzelgewerkschaft und DGB Rechtsschutz GmbH kann bei der Einlegung von Klagen nicht zu einem organisationsbedingten Haftungsprivileg führen. Wie bei Rechtsanwälten liegt auch bei der DGB Rechtsschutz GmbH ein Organisationsmangel vor, wenn nicht gewährleistet werden kann, dass Vorgänge, die ein Arbeitnehmer aus der Hand gegeben hat, fehlerfrei bearbeitet werden. Ein Prozessbevollmächtigter haftet über § 85 Abs. 2 ZPO nach den allgemein anerkannten strengen Maßstäben für ein Organsations- und Überwachungsverschulden. Es spricht deshalb viel dafür, dass die DGB Rechtsschutz GmbH einer Einzeigewerkschaft die Vorbereitung der Kündigungsschutzklage nur dann überlassen darf, wenn sie auch die Fristenkontrolle organisieren und überwachen kann. Dies ist aber nicht der Fall (insoweit zutreffend Arbeitsgericht Kiel 07.11.1997 NZA - RR 1998, 211 f.).
bb)
Gleichwohl kommt das Beschwerdegericht zu demselben Ergebnis wie die noch als herrschend bezeichnete Auffassung. Denn im Anschluss an die Rechtsprechung des LAG Hamm ist eine Zurechnung schuldhafter Fristversäumung von zur Klageerhebung beauftragten Rechtsanwälten bzw. Rechtssekretären nach § 85 Abs. 2 ZPO generell (und nicht nur für die Einschaltung eines ehrenamtlichen Gewerkschaftsbeauftragten) abzulehnen (vgl. LAG Hamm 04.11.1996 NZA - RR 1997, 209; 21.12.1995 - 5 Ta 602/94 - LAGE § 5 KSchG Nr. 73 = NZA - RR 1996, 388; LAG Hamm 27.01.1994 - 8 Ta 274/93 mit ablehnender Anmerkung von Rieble; LAG Hamburg 03.06.1985 - 1 Ta 5/85 - LAGE § 5 KSchG Nr. 19; Erfurter Kommentar/Ascheid § 5 Rn. 5; Berkowsky, NZA 1997 352, 355; KR-Friedrich § 5 KSchG Nr. 70 m.w.N.; Kiel/Koch, die betriebsbedingte Kündigung, S. 30 Rn. 77; Vollkommer, Festschrift Stahlhacke, 1995, 599, 616; Zöller/Vollkommer § 85 ZPO Rn. 11; offengelassen LAG Niedersachsen 18.08.1993 - 16 (6) Ta 32/93). § 85 Abs. 2 ZPO kann auf die Frist des § 4 KSchG nicht angewendet werden, da der Rechtsanwalt vor Klageerreichung, also vor Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses noch nicht Bevollmächtigter im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO ist. Diese Vorschrift gilt nämlich für die gesamte Prozessführung, ist aber nicht auf außerprozessuales Verhalten anzuwenden, wozu auch die Wahrung von Klage- und Anfechtungsfristen gehört (insoweit zustimmend Rieble Anm. zu LAGE § 5 KSchG Nr. 65, S. 8; ferner Zöller/Vollkommer a.a.O.). Dies gilt unabhängig davon, ob man die Frist des § 4 KSchG als prozessuale oder als materiell-rechtliche Ausschlussfrist versteht, wobei für letztere Auffassung angesichts des § 7 KSchG die besseren Argumente sprechen. Nach dieser Vorschrift ist die verspätete Klage nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abzuweisen. Ausgehend von einer materiell-rechtlichen Frist ergibt sich ein weiteres Argument: § 85 Abs. 2 ZPO setzt nicht nur tatbestandlich ein Prozessrechtsverhältnis voraus, sondern erfordert auch auf der Rechtsfolgenseite einen prozessualen Bezug, der im Fall des § 7 KSchG nicht besteht (vgl. Rieble Anmerkung zu LAGE § 5 KSchG Nr. 65, S. 9 f.).
Die Zurechnung eines Verschuldens von Prozessbevollmächtigten vor Klageerhebung ist auch nicht in analoger Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO geboten. Zwar sind Gesetzeslücken im Verfahrensrecht unter Berücksichtigung des Normzwecks und der Prozessökonomie zu schließen (vgl. Zöller/Vollkommer Einleitung Rn. 97). Das LAG Berlin (28.08.78 - 9 Ta 7/78 - BB 1979, 167 f.) hat eine analoge Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO damit begründet, der Norm liege der Gedanke zugrunde, dass eine Partei, die ihren Rechtsstreit durch einen Vertreter führen lasse, in jeder Weise so zu behandeln sei, als wenn sie den Prozess selbst geführt habe. Auch wenn die Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG zur Klageabweisung als unbegründet führe, sei § 85 Abs. 2 anzuwenden, weil die materiell-rechtliche Frist in einem untrennbaren Zusammenhang mit der verfahrensrechtlichen Geltendmachung des Anspruchs stehe. Deshalb erscheine es gerechtfertigt, die Zurechnungsgrundsätze für Prozesshandlungen entsprechend anzuwenden. Auch die Klageerhebung sei eine zurechenbare Prozesshandlung.
Diese Analogie überzeugt schon deshalb nicht, weil sich eine planwidrige Lücke in § 85 Abs. 2 ZPO für vorprozessuale Versäumnisse des Bevollmächtigten nicht nachweisen lässt. Das Argument, es gehe nicht an, zwischen der Zurechnung des Verschuldens des gesetzlichen Vertreters, des Erfüllungsgehilfen im Rahmen des materiellen Rechts nach § 278 BGB und der Zurechnung nach §§ 51 Abs. 2, 85 Abs. 2 ZPO einen Freiraum zu schaffen, in dem ein Vertreterverschulden nicht zugerechnet werde (Löwisch § 1 KSchG Rn. 5), entspricht zwar der zutreffenden allgemeinen Erwägung, dass jeder, der sich am Rechtsverkehr beteiligt, für Personen einzustehen hat, die erkennbar sein Vertrauen genießen (vgl. z.B. Bundesverwaltungsgericht 05.05.1999 - 4 B 35/99 - NVwZ 2000, 65). Damit lässt sich allerdings nur eine Lücke im System der gesetzlichen Zurechnung von Vertreterverschulden aufzeigen, nicht aber deren Planwidrigkeit in § 85 Abs. 2 ZPO begründen, weil diese Vorschrift nach dem unzweifelhaften Willen des Gesetzgebers nur im Rahmen eines Prozessrechtsverhältnisses anzuwenden ist.
Würde man eine analoge Anwendung hingegen aufgrund der Lücke im System gesetzlicher Zurechnungsvorschriften als ausreichend erachten und diese mit einer entsprechenden Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO ab Vollmachtserteilung schließen, müsste weiterhin begründet werden, weshalb die Vorschrift auf den Sorgfaltsbegriff nach § 5 KSchG anzuwenden wäre. § 5 KSchG stellt im Wortlaut nur darauf ab, dass der Arbeitnehmer trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt an der Klageerhebung gehindert sein muss. Sie verweist als spezielle kündigungsschutzrechtliche Vorschrift nicht auf § 85 Abs. 2 ZPO. Diese Vorschrift wiederum bedarf der Ergänzung durch Einzeltatbestände mit Verschuldensrelevanz (z.B. der verschuldeten Versäumung von Notfristen) und stellt insoweit einen unvollständigen Rechtssatz dar (Vollkommer, Festschrift Stahlhacke, a.a.O., S. 606 f.).
Angesichts der unterschiedlichen Zweckrichtungen beider Normen ist davon auszugehen, dass § 5 KSchG eine abschließende Regelung enthält. § 85 Abs. 2 ZPO bezweckt die Sicherung der Rechtskraft ergangener Entscheidungen, während durch die strengen Anforderungen des § 5 KSchG sichergestellt werden soll, dass demjenigen Arbeitnehmer nachträgliche Zulassung gewährt wird, der alles getan hat, um sich innerhalb der Frist gegen die Kündigung zu wehren. Deshalb wird von ihm unter anderem verlangt, dass er sich nach der Möglichkeit einer Gegenwehr gegen die ihm unberechtigt erscheinende Kündigung auch dann erkundigt, wenn ihm die Klagefrist unbekannt ist (BAG 26.08.93 - 2 AZR 376/93 -NZA 94, 281). Er muss sich um seine Angelegenheiten kümmern, Versäumnisse sind ihm von Nachteil. Hat sich der Arbeitnehmer aber an eine geeignete Stelle gewandt, so hat er nach dem Gesetz das seinerseits Erforderliche unternommen. Dann besteht kein Grund, ihm das Verschulden eines Prozessbevollmächtigten zurechnen zu lassen, zumal anderenfalls Wertungswidersprüche entstünden, auf die Friedrich (KR § 5 KSchG Nr. 70 m.w.N.) zutreffend hingewiesen hat. Wird ein Arbeitnehmer vom Anwalt innerhalb der 3-Wochen-Frist falsch beraten, so ist nachträgliche Zulassung zu gewähren, wenn der Arbeitnehmer keinen Klageauftrag erteilt und selbst verspätet Klage erhoben hat. Erteilt der Arbeitnehmer das Mandat, soll hingegen keine nachträgliche Zulassung gewährt werden. Somit würde ein Arbeitnehmer, der sich sofort um die Abwehr der Kündigung kümmert, schlechtergestellt als derjenige, der sich zunächst nur mit einem (falschen) Rat begnügt. In der Anrechnung eines Fremdverschuldens bei einem selbst nicht säumigen Arbeitnehmer liegt deshalb nach zutreffender Auffassung eine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten (Erfurter Kommentar/Ascheid § 5 KSchG Rn. 5; Vollkommer, Festschrift Stahlhacke a.a.O., S. 613 ff. unter Hinweis auf BVerfGE 81, 123, 129) [BVerfG 29.11.1989 - 1 BvR 1011/88].
Schließlich führt auch der Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes zu keinem anderen Ergebnis, weil für den Arbeitgeber kein Vertrauenstatbestand begründet wird. Wegen der Möglichkeit nachträglicher Zulassung nach § 5 KSchG durfte er für einen Zeitraum von 6 Monaten ohnehin nicht darauf vertrauen, dass eine Klage nicht nachträglich zugelassen wird (vgl. Erfurter Kommentar/Ascheid a.a.O.).
cc)
Entgegen der Auffassung von Rieble (Anm. zu LAG Hamm LAGE § 5 KSchG Nr. 65) scheidet auch § 278 BGB als Zurechnungsnorm aus. Riebles Konstruktion, wonach der Arbeitnehmer mit der Wahrung der Klagefrist eine Obliegenheit gegenüber sich selbst erfülle, ist vom LAG Hamm im Beschluss vom 21.12.95 (- 5 Ta 602/94 - § 5 KSchG Rn. 73) überzeugend widerlegt worden. § 278 BGB gilt nur für vertragliche Verpflichtungen, allenfalls für Obliegenheiten. Eine Pflicht oder Obliegenheit kann aber über § 278 BGB nur dann zugerechnet werden, wenn diese schuldrechtliche Konsequenzen hat. Die rechtzeitige Klageerhebung ist keine schuldrechtliche Konsequenz, mit der die gegenseitige schuldrechtliche Rechts- oder Pflichtenstellung beeinflusst würde. Auch aus § 278 BGB lässt sich nicht der Grundsatz ableiten, jeder Vertreter habe für ein Verschulden seines Bevollmächtigten oder sonstigen Vertreters in jedwedem Rechtszusammenhang einzutreten, wovon das LAG Hamm (a.a.O.) unter Bezugnahme auf das Reichsgericht (RGZ 158, 357, 360) ausgegangen ist.
Abzulehnen ist schließlich die Meinung, der Arbeitnehmer stehe im Kündigungsschutzprozess in einem nachvertraglichen Schuldverhältnis zum Arbeitgeber (so MünchKomm/v. Mettenheim § 85 ZPO Rn. 14). Eine nachvertragliche Pflicht oder Obliegenheit zu rechtzeitiger Klageerhebung wäre ein widersprüchliches juristisches Konstrukt: Ein Arbeitnehmer müsste für das Verschulden seines Vertreters aus Gründen der Rücksichtnahme auf die Arbeitgeberinteressen auch dann einstehen, wenn die Kündigung unwirksam wäre, der Arbeitgeber sich also vertragswidrig verhalten hätte.
dd)
Zuzustimmen ist dagegen Rieble (Anm. zu LAG Hamm vom 27.01.94 § 5 KSchG Nr. 65 S. 6), es sei wichtig, dass die Landesarbeitsgerichte zu einer rechtlich einwandfreien und gleichmäßigen Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO sowie sonstiger Zurechnungsnormen gelangten, weil die Rechtsfrage im Rechtszug dem BAG nicht vorgelegt werden könne. Da sich eine einheitliche Rechtsauffassung der Landesarbeitsgerichte derzeit aber nicht abzeichnet, bleibt insoweit der dringende Appell an den Gesetzgeber, in diesem "unendlichen Streit" (Vollkommer, Festschrift Stahlhacke, a.a.O., S. 599) für Rechtsklarheit zu sorgen.
III.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.
[...].
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert wird auf 11.193,- DM festgesetzt.
Der Gegenstandswert ist in Anlehnung an § 12 Abs. 7 ArbGG festgesetzt worden.