Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.09.2000, Az.: 7 TaBV 84/99
Mitbestimmungspflichtigkeit der Aufstockung der Arbeitszeit von halbtags auf ganztags
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 12.09.2000
- Aktenzeichen
- 7 TaBV 84/99
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 22447
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0912.7TABV84.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Emden - 28.10.1999 - AZ: 2 BV 9/99
Fundstellen
- NZA-RR 2001, 141-142 (Volltext mit amtl. LS)
- ZTR 2001, 91
Amtlicher Leitsatz
Die Aufstockung der Arbeitszeit von halbtags auf ganztags ist als Einstellung anzusehen und damit mitbestimmungspflichtig i. S. v. § 99 BetrVG.
In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
aufgrund der Anhörung am 12.09.2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des , teilweise abgeändert:
Den Arbeitgebern wird aufgegeben, die Mitarbeiterin ... ab sofort im zeitlich gleichen Umfang wie bis zum 30.09.1999 halbtags zu beschäftigen.
Im übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird für die Arbeitgeber zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Heraufsetzung der Arbeitszeit einer Teilzeitkraft der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt.
Der Beteiligte zu 1) ist der bei dem von den Beteiligten zu 2) und 3) betriebenen Zentrallaboratorium gebildete Betriebsrat. In dem Betrieb werden ca. 45 Mitarbeiter beschäftigt.
Am 24. September 1999 unterrichteten die Beteiligten zu 2) und 3) den Betriebsrat, dass die Mitarbeiterin ... die bis dahin als Halbtagskraft beschäftigt war, mit Wirkung vom 01. Oktober 1999 eine Ganztagsbeschäftigung aufnehme. Die entsprechende Vereinbarung mit der Mitarbeiterin ... war bereits im Mai 1999 getroffen worden.
Mit Schreiben vom 30. September 1999 (Bl. 5 d.A.) teilte der Betriebsrat mit, dass der personellen Einzelmaßnahme nicht zugestimmt werde.
Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits Gespräche zwischen den Beteiligten stattgefunden über eine geplante Personalreduzierung. Gesprächsgegenstand war auch die Frage, inwieweit Teilzeitstellen abgebaut oder in Vollzeitstellen umgewandelt werden können. Nach dem 01. November 1999 wurden Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan geführt, die ergebnislos abgebrochen wurden.
Mit seinem am 11. Oktober 1999 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Antrag begehrt der Betriebsrat die Aufhebung der personellen Einzelmaßnahme mit dem Ziel, dass die Mitarbeiterin ... auch weiterhin lediglich halbtags zu beschäftigen sei.
Das Arbeitsgericht hat durch einen dem Betriebsrat am 08. November 1999 zugestellten Beschluss vom 28. Oktober 1999, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 11-15 d. A.), den Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, bei der Änderung des Arbeitsvertrages mit der Mitarbeiterin ... handele es sich nicht um eine personelle Einzelmaßnahme im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG. In Betracht komme allein eine Versetzung. Eine Versetzung liege jedoch nicht vor, da es bei der Änderung des Arbeitsvertrages lediglich um eine Verlängerung der Arbeitszeit der Mitarbeiterin ... gehe, die auf die übrigen Tätigkeiten der Mitarbeiter keinen Einfluss habe. Da dem räumlich und funktional bestimmten Begriff Arbeitsbereich kein zeitlicher Aspekt innewohne, seien bloße Änderungen der Arbeitszeit in der Regel unbeachtlich. Es sei nicht ersichtlich, dass sich die übrige Tätigkeit der Mitarbeiterin ... durch die Verlängerung der Arbeitszeit wesentlich verändert habe.
Hiergegen richtet sich die am 07. Dezember 1999 eingelegte und am 06. Januar 2000 begründete Beschwerde des Betriebsrats.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, ihm stehe ein Mitbestimmungsrecht zu. Offensichtlich seien im Betrieb der Arbeitgeberin freie Kapazitäten vorhanden gewesen, die ebenso gut mit der Einstellung einer weiteren Halbtagskraft hätten gefüllt werden können. Denkbar wäre auch gewesen, einer anderen im Betrieb beschäftigten Mitarbeiterin eine entsprechende Vertragsänderung anzubieten. Die Arbeitszeit hätte mithin unter den vorhandenen Mitarbeitern neu aufgeteilt oder aber die freie Arbeitszeit durch neu einzustellende Mitarbeiter besetzt werden müssen.
Nach Sinn und Zweck des § 99 BetrVG bestehe immer ein Mitbestimmungsrecht, wenn durch eine personelle Maßnahme der Gesamtbetrieb und auch die anderen Mitarbeiter zumindest indirekt betroffen seien. Der Schutzgedanke wäre verletzt, wenn der Betriebsrat im konkreten Fall kein Mitbestimmungsrecht habe. Die von der Arbeitgeberin beabsichtigte und schließlich auch durchgeführte Freisetzung aller Halbtagskräfte werde durch die im Streit stehende Maßnahme zum Nachteil einer bereits beschäftigten Halbtagskraft umgangen. Die Änderung des Arbeitsvertrages mit der Mitarbeiterin müsse sich deshalb unter den Begriff der "Einstellung" subsumieren lassen.
Der Betriebsrat beantragt,
- den Beschluss des Arbeitsgerichts Emden vom 28. Oktober 1999 aufzuheben und den Antragsgegnern aufzugeben, die Mitarbeiterin Frau ... ab sofort, wie bis zum 30.09.1999, halbtags zu beschäftigen;
- sowie für den Fall der antragsgemäßen rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung für den Fall, dass der Arbeitgeber der Aufforderung nicht nachkommt, ein Zwangsgeld gegen den Arbeitgeber, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, festzusetzen.
Die Arbeitgeberin hat den Antrag angekündigt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss nach Maßgabe des Schriftsatzes ihrer Prozessbevollmächtigten vom 19. Januar 2000 (Bl. 29-31 d.A.).
In dem Termin zur Anhörung der Beteiligten vor dem Landesarbeitsgericht ist für die Arbeitgeberin, wie zuvor telefonisch angekündigt, niemand auf getreten.
II.
Die Beschwerde des Betriebsrats ist gemäß den §§ 87 Abs. 2, 89, 66 ArbGG zulässig. Sie ist auch überwiegend begründet.
Der Arbeitgeberin war gemäß § 101 BetrVG aufzugeben, die in der Beschäftigung der Mitarbeiterin ... als Vollzeitkraft liegende personelle Maßnahme aufzuheben und diese Mitarbeiterin künftig wie in der Vergangenheit als Halbtagskraft zu beschäftigen. Die Arbeitgeberin hat nämlich diese personelle Maßnahme ohne Zustimmung des Betriebsrates durchgeführt. Die Zustimmung war erforderlich, da es sich bei der im Streit stehenden personellen Einzelmaßnahme um eine Einstellung im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG handelt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG vor, wenn Personen in den Betrieb eingegliedert werden, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Eine Einstellung in diesem Sinne kommt dabei nicht nur bei der erstmaligen Eingliederung in Betracht. Sinn und Zweck des Mitbestimmungszweck verlangen vielmehr eine erneute Beteiligung des Betriebsrats dann, wenn sich die Umstände der Beschäftigung, ohne dass eine Versetzung vorliegt, aufgrund einer neuen Vereinbarung grundlegend ändern (BAG vom 28.04.1998, 1 ABR 63/97, AP Nr. 22 zu § 99 BetrVG 1972 Einstellung).
Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb entschieden, dass bei einer unbefristeten Fortsetzung eines bisher befristeten Arbeitsverhältnisses oder bei der Fortführung des Arbeitsverhältnisses über eine vorgesehene Altersgrenze hinaus der Betriebsrat erneut zu beteiligen ist (BAG vom 16.07.1985, 1 ABR 25/83, AP Nr. 21 zu § 99 BetrVG 1972; BAG vom 07. August 1990, 1 ABR 68/89, AP Nr. 82 zu § 99 BetrVG 1972). Eine mitbestimmungspflichtige grundlegende Vertragsänderung wurde zudem für den Fall angenommen, dass eine Arbeitnehmerin nach Antritt ihres Erziehungsurlaubs mit dem Arbeitgeber vereinbart, dass sie auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz aushilfsweise eine befristete Teilzeitbeschäftigung aufnehmen solle (BAG vom 28.04.1998, 1 ABR 63/97, aaO).
Die bloße Aufstockung der Arbeitszeit ist von dem Bundesarbeitsgericht in der Vergangenheit demgegenüber nicht als eine Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG angesehen worden (vgl. BAG vom 25. Oktober 1994, 3 AZR 987/93, n. v.). Die Verlängerung der Wochenarbeitszeit eines Arbeitnehmers wurde dabei unter dem Gesichtspunkt der "Versetzung" geprüft, ohne dass näher untersucht wurde, ob eine Einstellung im Sinne des § 99 BetrVG vorliegt (vgl. beispielsweise BAG vom 16.07.1991, 1 ABR 71/90, AP Nr. 28 zu § 95 BetrVG 1972).
Die erkennende Kammer ist vorliegend der Auffassung, dass sich die Umstände der Beschäftigung der Arbeitnehmerin ... aufgrund einer neuen Vereinbarung grundlegend im Sinne der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.04.1998 (1 ABR 63/97 aaO) geändert haben. Diese personelle Einzelmaßnahme kann nämlich Auswirkungen für die übrige Belegschaft haben, weshalb nach dem Zweck des Mitbestimmungsrechts bei Einstellungen eine erneute Beteiligung des Betriebsrats erforderlich ist.
Die Verlängerung der Arbeitszeit der Mitarbeiterin ... von halbtags auf volltags kann zu Nachteilen bei den anderen im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern führen, so dass ein Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Ziffer 3 BetrVG in Betracht kommt. So ist denkbar, dass durch die Aufstockung der Arbeitszeit eine Halbtagsstelle an anderer Steile in Wegfall gerät. Auch ist zu prüfen, ob einem anderen Arbeitnehmer Arbeiten entzogen und nunmehr der Mitarbeiterin ... zugeteilt werden.
In Betracht kommt ferner ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 2 Ziffer 2 und 5 BetrVG. Da eine halbe Stelle frei vergeben wurde, kann sich innerbetrieblich die Frage stellen, welcher Mitarbeiter für diese Stelle auszuwählen ist. Es kann mithin eine völlig neue Auswahlsituation vorliegen, die bei der ursprünglichen Einstellung der Mitarbeiterin ... noch nicht berücksichtigt werden konnte.
Unerheblich ist, ob tatsächlich andere Mitarbeiter von der im Streit stehenden personellen Einzelmaßnahme betroffen waren. Für die Frage, ob ein Mitbestimmungsrecht besteht oder nicht, reicht es aus, dass ein Zustimmungsverweigerungsgrund im Sinne des § 99 Abs. 2 BetrVG in Betracht kommen kann. Ob ein Zustimmungsverweigerungsgrund tatsächlich besteht, ist keine Frage des Bestehens des Mitbestimmungsrechts.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich bei einer Aufstockung eines Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisses in ein Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis die Frage nach möglichen Zustimmungsverweigerungsgründen neu und möglicherweise unter anderen Gesichtspunkten stellt. Es können nunmehr Versagungsgründe vorliegen, die bei der ersten Zustimmung wegen der Einstellung als Teilzeitkraft nicht vorhanden waren. Sie können sich auch daraus ergeben, dass sich gegenüber der Ersteinstellung eine völlig neue Auswahlsituation im Verhältnis zu anderen Interessenten ergibt. Ein Mitbestimmungsrecht im Sinne des § 99 Abs. 1 BetrVG muss deshalb bejaht werden.
Es wird darauf hingewiesen, dass auch das Bundesverwaltungsgericht eine nicht nur vorübergehende und geringfügige Aufstockung eines Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisses als Einstellung und damit mitbestimmungspflichtig im Sinne des Bundespersonalvertretungsgesetzes ansieht (Beschluss vom 23. März 1999, 6 P 10/97, BVerwGE 108, 347-355). Es ist kein Grund ersichtlich, die betriebsverfassungsrechtliche Einstellung anders zu beurteilen als die Einstellung nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz)
Der Beschluss des Arbeitsgerichts war mithin teilweise abzuändern. Den Arbeitgebern war aufzugeben, die Mitarbeiterin ... ab sofort im zeitlichen Umfange wie bis zum 30. September 1999 halbtags zu beschäftigen.
Soweit der Betriebsrat darüber hinaus die Festsetzung eines Zwangsgeldes beantragt, war der Antrag jedoch zurückzuweisen. Wie sich schon aus dem Wortlaut "entgegen einer rechtskräftigen Entscheidung" ergibt, kann der Antrag auf Festsetzung des Zwangsgeldes erst gestellt werden, wenn die Aufhebungsentscheidung nach § 101 Satz 1 BetrVG rechtskräftig ist (BAG vom 18.06.1991, 1 ABR 60/90, AP Nr. 15 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung unter III). Diese Voraussetzungen sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gegeben.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf den §§ 72 Abs. 1, 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.