Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.05.2000, Az.: 7 Sa 921/99
Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Arbeitsunfähigkeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.05.2000
- Aktenzeichen
- 7 Sa 921/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 10962
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0509.7SA921.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Emden - 07.04.1999 - AZ: 1 Ca 425/98
Amtlicher Leitsatz
- 1.
§ 12 MTV gewerbl. Arbeitnehmer des privaten Verkehrsgewerbes Nds. stellt eine konstitutive Regelung zur Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dar.
- 2.
Die gewerblichen Arbeitnehmer haben auch dann einen Anspruch auf 100 %ige Entgeltfortzahlung, wenn die tarifliche Regelung für die Angestellten des privaten Verkehrsgewerbes als deklaratorische Regelung aufzufassen ist.
In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 09.05.2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 07.04.1999, 1 Ca 425/98, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger für 14 Tage wegen Arbeitsunfähigkeit im Februar 1998 ein Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe von 80 % oder 100 % zusteht.
Der am 24. Oktober 1965 geborene Kläger ist seit dem 06. Juni 1994 bei der Beklagten als Platzarbeiter beschäftigt. Nach einer Bescheinigung der ÖTV-Kreisverwaltung Ostfriesland vom 22.03.1999 (Bl. 42 d.A.) ist er seit Januar 1998 Mitglied der ÖTV. Die Beklagte ist Mitglied des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe in Niedersachsen e.V..
Der Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Verkehrsgewerbes in Niedersachsen vom 23. Mai 1996, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 47-57 d.A.), enthält bezüglich der Fortzahlung des Entgelts bei Arbeitsverhinderung folgende Regelungen:
§ 11 Arbeitsverhinderung
Ist der Arbeitnehmer durch Krankheit oder sonstige Ereignisse an der Arbeitsleistung verhindert, so hat er dem Arbeitgeber unverzüglich Mitteilung zu machen, so dass eine Störung des Betriebsablaufs vermieden wird. Dabei sind die Gründe seiner Verhinderung anzugeben. Eine Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit muss innerhalb von drei Tagen durch ärztliche Bescheinigung nachgewiesen werden, aus der sich auch die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit ergibt.
Dauert die Krankheit länger als nach der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erwarten war, so ist eine Mitteilung spätestens am letzten Tag der bisher bescheinigten Arbeitsunfähigkeit zu machen, die Bescheinigung muss unverzüglich innerhalb von drei Tagen nachgereicht werden.
§ 12 Fortzahlung des Entgelts bei Arbeitsverhinderung (betr. §§ 9, 10 und 11)
Das Urlaubsentgelt, Krankengeld und Entgelt bei Arbeitsverhinderung (§§ 9, 10 und 11) wird nach dem durchschnittlichen Jahresbruttoverdienst des vorangegangenen Kalenderjahres berechnet, erhöht um die zwischenzeitlich eingetretene Tariflohnveränderung. Bei der Berechnung bleiben unberücksichtigt
- a)
einmalige Sonderzahlungen (z. B. Weihnachtsgeld. Jubiläumszuwendungen, Prämien)
- b)
Urlaubsgeld
- c)
vermögenswirksame Leistungen.
Das täglich Entgelt wird errechnet, indem der Bruttojahresverdienst durch 260 (in Omnibusbetrieben 313) geteilt wird. Arbeitnehmer die noch kein volles Kalenderjahr dem Betrieb angehören, erhalten als Entgelt den Betrag, den sie verdienen würden, wenn sie keinen Urlaub hätten (Lohnausfallprinzip § 2 Lohnfortzahlungsgesetz).
Tage der Krankheit, an denen keine Lohnfortzahlung erfolgt, sind vom Divisor abzuziehen.
Für die Angestellten des Verkehrsgewerbes Niedersachsen enthält der entsprechende Manteltarifvertrag vom 23. Mai 1996 in § 10 Nr. 2 folgende Regelung:
In Fällen unverschuldeter, mit Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit ist das Gehalt für ein von einem Versicherungsträger bewilligtes Heilverfahren bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen, jedoch nicht über das Beschäftigungsverhältnis hinaus.
In den jeweils nachfolgenden Manteltarifverträgen für die kaufmännischen und technischen Angestellten des privaten Verkehrsgewerbes beziehungsweise die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Verkehrsgewerbes in Niedersachsen jeweils vom 27. November 1998 sind die zitierten Regelungen unverändert übernommen worden.
Mit Schreiben vom 10. März 1998 (Bl. 6 d.A.) machte der Kläger die Auszahlung des wegen Krankheit im Monat Februar 1998 einbehaltenen Betrages in Höhe von 373,41 DM geltend. Eine Reaktion der Beklagten hierauf erfolgte nicht. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Regelung des § 12 MTV gewerbliche Arbeitnehmer stelle eine eigenständige Regelung dar, aus der sich ein Anspruch auf Lohnfortzahlung in Höhe von 100 % ergebe.
Er hat deshalb beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 373,41 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Regelung im MTV verweise nur auf das jeweils gültige Gesetz. Außerdem würde eine hundertprozentige Lohnfortzahlung zu einer Ungleichbehandlung führen, weil für angestellte Arbeitnehmer des Verkehrsgewerbes aufgrund des für diese maßgeblichen Manteltarif Vertrages nur eine achtzigprozentige Lohnfortzahlung gewährt werde.
Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 16. April 1999 zugestelltes Urteil vom 07. April 1999, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 58-66 d.A.), die Beklagte zur Zahlung von 373,41 DM brutto nebst Zinsen verurteilt und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, eine Auslegung des im Streit stehenden Tarifvertrages ergebe, dass die Tarifvertragsparteien in § 12 MTV die Höhe der Entgeltfortzahlung eigenständig und unabhängig von der gesetzlichen Bestimmung geregelt hätten. Durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 20.09.1996 sei die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zwar zum 01. Oktober 1996 auf 80 % herabgesetzt worden. Bestehende tarifliche Regelungen seien jedoch durch die gesetzliche Neuregelung nicht aufgehoben worden.
Die Tarifvertragsparteien hätten in § 12 MTV eine lückenlose Regelung über die Berechnungsgrundlage, die Berechnungsmethode und die Vergütungshöhe getroffen. So werde in § 12 Satz 1 und 2 MTV die Berechnungsgrundlage geregelt, indem dort von dem durchschnittlichen Jahresbruttogehalt ausgegangen werde und einzelne Leistungen aufgeführt würden, die nicht in den Jahresbruttoverdienst mit eingerechnet würden. § 12 Satz 3 MTV lege dann die Berechnungsmethode dar, das Jahresbruttoeinkommen werde durch 260 bzw. 313 dividiert. Mit der Verknüpfung von Berechnungsmethode und Berechnungsgrundlage hätten die Tarifvertragsparteien auch notwendig die Höhe der täglichen Vergütung festgelegt. Denn wenn man die Berechnungsmethode anwende, komme als Ergebnis dieser Rechnung eine bestimmte Summe heraus, auf die ein Arbeitnehmer einen Anspruch habe. Das Ergebnis ergäbe eine hundertprozentige Lohnfortzahlung.
Die Tarifvertragsparteien hätten weder eine gesetzliche Vorschrift zur Höhe der Entgeltfortzahlung bei Krankheit wörtlich oder inhaltsgleich übernommen noch auf eine solche Vorschrift verwiesen. Daraus folge, dass eine eigenständige Regelung getroffen worden sei. Das gesetzliche Lohnausfallprinzip, bei dem die Entgeltfortzahlung nach Umständen bemessen werde, die die Vergütung bei einer Arbeitsleistung im Freistellungszeitraum bestimmt hätten, sei in das Referenzprinzip geändert worden, bei dem die Entgeltfortzahlung nach Faktoren aus der Vergangenheit bestimmt werde.
Auch ein Vergleich mit anderen Normen des MTV spreche gegen eine dynamische Verweisung bezüglich der Höhe der Entgeltfortzahlung auf die gesetzliche Regelung. Wenn die Tarifvertragsparteien dies gewollt hätten, hätten sie eine ebenso eindeutige Regelung wie in § 9 Nr. 1 MTV getroffen, in dem ausdrücklich auf die jeweils gültige Fassung des Jugendarbeitsschutzgesetzes verwiesen werde. Auch in anderen Vorschriften hätten die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck gebracht, wenn sie keine vom Gesetz abweichende Regelung treffen wollten, beispielsweise in § 3 Nr. 4, § 9 Nr. 2 oder § 13 Nr. 1 MTV.
In § 12 MTV sei die Fortzahlung des Entgeltes sowohl bei Urlaub als auch im Falle der Krankheit und für den Fall der vorübergehenden Verhinderung aufgrund in der Person des Arbeitnehmers liegender Umstände einheitlich geregelt. Aus dieser einheitlichen Regelung für die Fortzahlung des Entgeltes im Krankheitsfall und bei Urlaub folge, dass auch im Krankheitsfall eine hundertprozentige Lohnfortzahlung erfolge.
Auch die Entstehungsgeschichte des MTV spreche nicht gegen eine hundertprozentige Lohnfortzahlung. In dem Manteltarifvertrag aus dem Jahre 1987 hätten sich die Ansprüche für Arbeitnehmer noch nach den gesetzlichen Bestimmungen gerichtet. 1991 sei dann die derzeitige Regelung vereinbart worden. Wenn die Tarifvertragsparteien von einer gesetzlichen Bestimmung abwichen, spreche dies dafür, dass die gesetzliche Bestimmung nicht mehr gelten sollte.
Auch aus der Tatsache, dass in dem Tarifvertrag für Angestellte eine andere Regelung bezüglich der Höhe der Entgeltfortzahlung getroffen worden sei, folge nicht, dass der Anspruch des Klägers entfalle. Zwar müsse für gleiche oder gleichwertige Arbeit das selbe Entgelt ausgeworfen werden. Die gewerblichen Arbeitnehmer und Angestellten des privaten Verkehrsgewerbes verrichteten jedoch nicht die gleichen oder gleichwertigen Arbeiten. Sie seien deshalb auch nicht vergleichbar.
Hiergegen richtet sich die am 14. Mai 1999 eingelegte und am 14. Juni 1999 begründete Berufung dere Beklagten.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe nicht hinreichend substantiiert vorgetragen und bewiesen, dass er Mitglied der ÖTV zum fraglichen Zeitpunkt gewesen sei. Die Bescheinigung der ÖTV Ostfriesland ... vom 22.03.1990 sei nicht ausreichend, da sie weder von einer Behörde noch einer sonstigen amtlichen Stelle ausgestellt worden sei. Zudem habe die ÖTV als die Bestätigung ausstellende Stelle ein Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens, weshalb ein besonderes Erfordernis bestanden habe, die Angaben auf deren Richtigkeit zu prüfen.
Abgesehen davon sei § 12 MTV jedoch auch eindeutig. So werde in dessen Satz 1 und 2 lediglich der für die Berechnung zunächst zu ermittelnde Jahresbruttoverdienst definiert und festgelegt. In Satz 3 werde dann geregelt, auf wieviel Tage der ermittelte Jahresbruttoverdienst als Grundwert für die Berechnung der Entgeltfortzahlung umzulegen sei. In ... den folgenden beiden Sätzen werde dann eine klare verständliche Sonderregelung für das auszuzahlende Entgelt bei Urlaub und für den vorgeregelten Divisor getroffen. Es sei damit eindeutig, dass lediglich für den Fall des Urlaubs eine Regelung des im Ergebnis zu zahlenden Entgeltes getroffen werde. Für das Krankengeld und das Entgelt bei Arbeitsverhinderung treffe dies demgegenüber gerade nicht zu.
§ 12 MTV definiere klar, für welche Bereiche die Begriffsdefinition gelten soll. Dass damit nicht die gesamte gesetzliche Regelung bezüglich der Entgelt fort Zahlung im Krankheitsfalle habe ersetzt werden sollen, ergebe sich eindeutig aus der maßgeblichen gesetzlichen Regelung. § 4 Entgeltfortzahlungsgesetz unterscheide klar zwischen Grundwertprozentsatz und zu zahlendem Prozentwert. Eine Anspruchsgrundlage für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall enthalte § 12 MTV nicht. Insofern gelte § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz, der nicht disponibel sei.
§ 12 Satz 4 MTV regele, dass Arbeitnehmern der volle Verdienst gezahlt werden solle im Falle des Urlaubs auch dann, wenn sie noch kein volles Kalenderjahr dem Betrieb abgehörten. Hieraus ergibt sich, dass für den Fall des Urlaubs eine Sonderregelung getroffen worden ist. Da dies in den übrigen Fällen, nämlich der Krankheit und der Arbeitsverhinderung, nicht der Fall sei, spreche dies gerade dafür, dass insoweit die sonstigen gesetzlichen Regelungen gelten sollten.
Der Wegfall des ursprünglichen Verweises auf die gesetzliche Regelung in dem Tarifvertrag aus dem Jahre 1987 spreche im übrigen weder für noch gegen eine hundertprozentige Lohnfortzahlung. Bezüglich der Höhe der Lohnfortzahlung hätten die Parteien eben gerade keine Regelung getroffen, so dass insoweit das Gesetz gelte.
Im übrigen sei eine hundertprozentige Lohnfortzahlungsregelung verfassungswidrig. § 10 Nr. 2 für Angestellte enthalte für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall keine eigenständige Regelung, so dass das Gesetz gelte. Für eine unterschiedliche Behandlung zwischen Arbeitnehmern und Angestellten bestehe kein sachlicher Grund. Dass gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte des privaten Verkehrsgewerbe nicht gleichwertige Arbeiten verrichteten, wirke sich bei der unterschiedlichen Vergütung aus und sei damit abgegolten. Bei der Frage der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sei ein derartiger Unterschied nicht zulässig.
Welche Regelung die Tarifvertragsparteien bei Kenntnis der Gesetzesänderung getroffen hätten, ließe sich nicht ermitteln. Insbesondere ließe sich eine Vereinbarung einer hundertprozentigen Entgeltfortzahlung für Angestellte nicht unterstellen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Emden vom 07.04.1999, 1 Ca 425/98, die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes seiner Prozessbevollmächtigten vom 13. Juli 1999 (Bl. 105 - 114 d.A.).
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Sie ist jedoch nicht begründet.
Das Arbeitsgericht ist zu Recht und mit weitgehend zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger für den im Streit stehenden Zeitraum ein Zahlungsanspruch in Höhe von restlichen 373,41 DM brutto gemäß § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz in Verbindung mit § 12 MTV gewerbliche Arbeitnehmer im Lande Niedersachsen zusteht.
Zu Recht ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass dieser Tarifvertrag kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet. Die erkennende Kammer hat keine Bedenken, die Bescheinigung der ÖTV Ostfriesland vom 22.03.1999 als ausreichendes Beweismittel anzusehen. Zwar begründet diese Bestätigung als Privaturkunde gemäß § 416 ZPO lediglich den vollen Beweis dafür, dass die in der Urkunde enthaltenen Erklärung von dem Aussteller abgegeben worden ist. Die Kammer hat jedoch keine Anhaltpunkte dafür, dass der Gewerkschaftssekretär Meinen, der die Mitgliedschaftsbestätigung unterschrieben hat, bei einer schriftlichen Befragung durch das Gericht gemäß § 377 Abs. 3 ZPO eine anderslautende Erklärung abgegeben hätte. Eine eidesstattliche Versicherung der Richtigkeit der abgegebenen Erklärung hält die Kammer gemäß § 58 Abs. 2 ArbGG nicht für erforderlich. Dabei wurde berücksichtigt, dass die Beklagte selbst noch in der Klageerwiderung vom 13.08.1998 davon ausgegangen ist, dass die Tarifverträge für das private Verkehrsgewerbe Anwendung finden. Es sind zudem keine konkreten Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die ÖTV wegen eines eigenen Interesses am Ausgang des Rechtsstreites eine falsche Mitgliederbescheinigung ausgestellt haben könnte. Vielmehr spricht der Umstand, dass gerade das Verfahren des Klägers als Pilotverfahren ausgewählt worden ist (vor dem Arbeitsgericht Emden waren weitere Verfahren gegen die Beklagte mit dem gleichen Streitgegenstand anhängig, die vergleichsweise so geregelt wurden, dass sich deren Ausgang nach dem Ausgang des vorliegenden Verfahrens richtet) dafür, dass jedenfalls an der Verbandszugehörigkeit des Klägers keine ernsthaften Zweifel gerechtfertigt sind.
Zu Recht ist das Arbeitsgericht auch zu dem Ergebnis gelangt, dass § 12 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Verkehrsgewerbes im Lande Niedersachsen eine konstitutive Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall darstellt und einen Anspruch auf Fortzahlung des Lohnes in Höhe von 100 % begründet.
Allerdings enthält der streitige Manteltarifvertrag, worauf die Beklagte zutreffend hinweist, keine eigenständige Anspruchsgrundlage für die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Eine Bestimmung, die die Fortzahlung des Entgeltes bei einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit regelt, ist nicht vorhanden. Geregelt sind in § 11 MTV lediglich die Nebenpflichten des Arbeitnehmers hinsichtlich der Mitteilung und Anzeige der Arbeitsunfähigkeit. Maßgeblich ist deshalb § 3 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, der dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgelt fort Zahlung im Krankheitsfall für die Dauer von bis zu 6 Wochen bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit gibt.
Gleichwohl folgt vorliegend der Anspruch des Klägers auf eine hundertprozentige Entgeltfortzahlung aus § 12 MTV. Hier wird festgelegt, dass im Falle der Krankheit die Vergütung berechnet wird nach dem durchschnittlichen Jahresbruttoverdienst des vorangegangenen Kalenderjahres. Dabei wird das täglich Entgelt nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Tarifvertrages errechnet, indem der Bruttojahresverdienst durch 260 (in Omnisbusbetrieben 313) geteilt wird. Dies bezieht sich entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung nicht nur auf die Urlaubsvergütung, sondern insgesamt auf die Fortzahlung des Entgeltes bei Arbeitsverhinderung, mithin auch bei einer Verhinderung wegen Arbeitsunfähigkeit. Denn die Festlegung des Divisors ergänzt die in § 12 Satz 1 MTV getroffene Regelung der Berechnung der Krankenvergütung nach dem durchschnittlichen Jahresbruttoverdienst. Wenn die Tarifvertragsparteien tatsächlich in Satz 3 der im Streit stehenden Vorschrift lediglich das Urlaubsentgelt hätten regeln wollen, hätte dies angesichts der Überschrift der Vorschrift und der vorstehenden Regelungen ausdrücklich kenntlich gemacht werden müssen.
§ 12 MTV enthält somit wie auch der von dem Bundesarbeitsgericht in dem Urteil vom 26. August 1998 (5 AZR 740/97) beurteilte Tarifvertrag die Abkehr vom gesetzlichen Lohnausfallprinzip und die Ersetzung durch das Referenzprinzip. Die vorliegend im Streit stehende Vorschrift ist deshalb normativ eigenständig in diesem Sinne. Der konstitutive Charakter eines Teils eines einheitlichen Regelungsbereiches lässt allerdings nach der zutreffenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (a.a.O.) keinen Schluss auf den entsprechenden Charakter des übrigen Teils der Regelung zu. Den Tarifvertragsparteien steht es frei, von ihrer Befugnis zur eigenständigen Normsetzung nur für einen Teilbereich Gebrauch zu machen und im übrigen ohne Absicht zu normativ selbständigen Regelungen auf die gesetzlichen Bestimmungen zu verweisen.
Die Tarifvertragsparteien haben vorliegend wie in dem von dem BAG am 26. August 1998 entschiedenen Fall über die Höhe der Entgeltfortzahlung dadurch eine eigenständige Regelung getroffen, dass sie bestimmt haben, wie sich das im Krankheitsfall täglich fortzuzahlende Entgelt errechnet. Durch die Festlegung des täglichen Entgeltes im Krankheitsfall auf den Betrag, der sich ergibt bei einer Division des Bruttojahresverdienstes durch 260, haben die Tarifvertragsparteien eine umfassende, rechnerisch lückenlose Regelung über die Bemessung der Entgeltfortzahlung getroffen. Mit der Verknüpfung von Berechnungsmethode und Berechnungsgrundlage mit einem bestimmten Divisor, hier 260, haben sie zwangsläufig auch die Höhe der täglichen Entgeltfortzahlung mit 100 % der entsprechenden Vergütung festgelegt. Dem Kläger steht deshalb grundsätzlich der im Streit stehende Anspruch zu.
Dem steht nicht entgegen, dass die Angestellten des privaten Verkehrsgewerbes im Lande Niedersachsen möglicherweise lediglich einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz in Höhe von 80 % zusteht, wie dies die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen in einem Urteil vom 09. Februar 1999 (13 Sa 755/98) rechtskräftig festgestellt hat. Nach diesem Urteil beinhaltet § 10 Nr. 2 MTV-Angestellte lediglich eine inhaltsgleiche Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften, die einen eigenständigen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien nicht erkennen lässt. Die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat deshalb entschieden, dass für Angestellte kein Anspruch auf 100 % Entgeltfortzahlung besteht.
Die unterschiedliche Entgeltfortzahlungsregelung für Angestellte und gewerbliche Arbeitnehmer in den Tarifverträgen verstößt auch nach Auffassung der erkennenden Kammer gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz, an den auch die Tarifvertragsparteien gebunden sind. Die Ungleichbehandlung ist dabei allerdings nicht auf die Regelung der Tarifvertragsparteien zurückzuführen, sondern auf die Gesetzesänderung durch das arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur deklaratorischen und konstitutiven Regelung in Tarifverträgen. Entgegen der von dem Arbeitsgericht vertretenen Auffassung sind sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung von Angestellten und Arbeitern nicht ersichtlich. Denn die Entgeltfortzahlung knüpft an die unverschuldete Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit an. Sie deckt das Entgeltrisiko bei Krankheit ab, weshalb eine Differenzierung zwischen Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmern sachfremd und nicht zu rechtfertigen ist.
Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz führt vorliegend jedoch nicht zu einer Nichtigkeit des § 12 MTV gewerbliche Arbeitnehmer, wie dies allerdings die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts in dem Urteil vom 09. Februar 1999 angenommen hat. Denn eine gleichheitswidrige Tarifregelung ist dann nicht nichtig, wenn aufgrund des Regelungsgegenstandes unter Berücksichtigung der Belastung aus einer "Anpassung nach oben" davon auszugehen ist, dass die Tarif Vertragsparteien die Regelung selbst dann, wenn auch mit erweitertem Anwendungsbereich, getroffen hätten, wenn sie die Gleichheitswidrigkeit der von ihnen vorgenommenen Gruppenbildung gekannt hätten (BAG vom 28. Mai 1996, 3 AZR 752/95, AP Nr. 143 zu § 1 TVG Tarifverträge Metallindustrie). Hiervon ist vorliegend auszugehen.
Die Ungleichbehandlung von gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten nach den Tarifverträgen für das Verkehrsgewerbe Niedersachsen ist, wie dargelegt, nicht durch bewusste tarifliche Regelung der Tarifvertragsparteien entstanden. Vorliegend lässt sich jedoch ermitteln, welche Regelung die Tarifvertragsparteien getroffen hätten bei Kenntnis der Gesetzesänderung. Die Tarifvertragsparteien haben nämlich die im Streit stehenden Tarifverträge im November 1998 neu vereinbart, ohne bezüglich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall eine anderweitige Regelung zu treffen. Bei Abschluss der Tarifverträge war allgemein bekannt, dass die neue Bundesregierung eine Änderung des § 4 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz dahingehend beabsichtigt, den Arbeitnehmern künftig wieder einen gesetzlichen Anspruch auf 100 % Entgeltfortzahlung zu gewähren. Dies bedeutet, dass mit Wirkung vom 01. Januar 1999, zu dem die neue gesetzliche Regelung in Kraft getreten ist, die Verfassungswidrigkeit, die in der Zeit vom 01. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 bestanden hat, wieder entfallen ist. Die Tarifvertragsparteien haben, wie dargelegt, sowohl im Mai 1996 als auch im November 1998 für die gewerblichen Arbeitnehmer eine Regelung getroffen, die eine hundertprozentige Lohnfortzahlung beinhaltet. Bei Abschluss des Manteltarifvertrages für die Angestellten im Mai 1996 sind die Tarifvertragsparteien, unabhängig davon, ob sie eine deklaratorische oder konstitutive Regelung getroffen haben, ebenfalls davon ausgegangen, dass den Angestellten eine Entgeltfortzahlung in Höhe von 100 % zu gewähren ist. Dies wird auch deutlich in dem entsprechenden Tarifvertrag, nach dem "das Gehalt" für die Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen ist. Irgendeine Einschränkung der Gehaltszahlung kann dem Tarif nicht entnommen werden. Auch im November 1998 wurde die tarifliche Regelung unverändert übernommen. Die Kammer sieht dies als ausreichende Anhaltspunkte für den hypothetischen Willen der Tarifvertragsparteien an, dass bei Kenntnis der Verfassungswidrigkeit auch für Angestellte eine hundertprozentige Entgeltfortzahlung vereinbart worden wäre. Dies gilt vor auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Bereich des Verkehrsgewerbes deutlich mehr gewerbliche Arbeitnehmer beschäftigt werden als Angestellte. Bei Abschluss der Tarifverträge im Mai 1996 entsprach es der Rechtslage, dass sowohl gewerbliche Arbeitnehmer als auch Angestellte 100 % Entgeltfortzahlung erhalten.
Hinzu kommt, dass durch die Gesetzesänderung ein verfassungswidriger Zustand nur für eine verhältnismäßig geringfügige Zeitdauer von etwas mehr als 2 Jahren entstanden ist. Unter diesen Umständen ist es gerechtfertigt davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien auch in Kenntnis der Gleichheitswidrigkeit der erfolgten Gruppenbildung eine Regelung getroffen hätten, die dem Kläger einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von 100 % gewährt.
Die Berufung der Beklagten war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Revisionszulassung beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG.