Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.02.2000, Az.: 16 Sa 922/99 E
Tarifgerechte Eingruppierung einer Kindertagesstättenleiterin; Anspruch auf Höhergruppierung in eine andere Vergütungsgruppe; Unterschiedliche Beanspruchung der Mitarbeiter in Abhängigkeit vom Maß der Behinderung der zu betreuenden Kinder
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 18.02.2000
- Aktenzeichen
- 16 Sa 922/99 E
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 22850
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0218.16SA922.99E.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Osnabrück - 26.02.1999 - AZ: 3 Ca 687/98 E
Rechtsgrundlage
- § 22 Abs. 2 BAT
Fundstelle
- ZTR 2000, 316-317
Amtlicher Leitsatz
Bei der Vergütung der Leiterin einer Kindertagesstätte, die als integrative Einrichtung geführt wird, kommt es für die Eingruppierung auf die Durchschnittsbelegung der Kindertagesstätte pro Kind an, wobei die tatsächlich vergebenen Plätze maßgeblich sind, nicht eine fiktive Berechnung. Damit wird nicht von einer Belastungsquote pro Kind ausgegangen, so dass behinderte Kinder nicht mit einem Mehrfachen zu berechnen sind.
Die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 26.02.1999, Az. 3 Ca 687/98 E, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt mit der Klage ihre Höhergruppierung von Vergütungsgruppe IV b des Bundes-Angestellten-Tarifvertrages (BAT) nach Vergütungsgruppe IV a BAT seit dem 01.10.1998.
Die Klägerin wurde seit vielen Jahren in Einrichtungen der ... im Erziehungsbereich beschäftigt, insbesondere als Kindertagesstättenleiterin.
Seit dem 01.08.1994 wurde die Klägerin, zunächst mit vorbereitenden Arbeiten, sodann als Kindertagesstättenleiterin, in der neu eingerichteten Kindertagesstätte der Beklagten in ... beschäftigt. Diese wurde zum 01.10.1994 eröffnet.
Grundlage der arbeitsvertraglichen Beziehungen ist ein schriftlicher Arbeitsvertrag, mit dem die Dienstvertragsordnung der ... in Niedersachsen vereinbart wurde.
Diese Kindertagesstätte wurde von Beginn an als integrative Einrichtung geführt mit insgesamt 4 Gruppen. Zunächst wurden insoweit in 2 der 4 Gruppen, zuletzt in 3 der 4 Gruppen auch Kinder betreut, die behindert sind. Im Jahre 1998 befanden sich in 2 der integrativen Gruppen 17 Kinder, in der 3. integrativen Gruppe 18 Kinder, darunter 3 bzw. 4 behinderte Kinder. Die 4. Gruppe wurde mit 25 Kindern geführt.
Die Betriebserlaubnis für die Kindertagesstätte, ausgestellt vom Niedersächsischen ... galt für den streitbefangenen Zeitraum insoweit für den Betrieb der Einrichtung als integrativer Kindergarten in den genutzten Räumlichkeiten und für die gleichzeitige Aufnahme von höchstens 79 Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren in 4 Gruppen, davon eine Regelgruppe à 25 Kindern und 3 Integrativgruppen mit maximal 14 nichtbehinderten und 4 behinderten Kindern pro Gruppe. Insoweit wird auf die Erlaubnis vom 29.06.1995 (Bl. 39 bis 41 d. A.) verwiesen.
Für die Kindertagesstätte bestand eine Warteliste auch nichtbehinderter Kinder, so dass im Falle der Führung der Kindertagesstätte als nicht integrative Einrichtung 4 Gruppen à 25 Kindern hätten betreut werden können.
Nach Abschluss der Tarif Verhandlungen zwischen der ... Hauptverwaltung ... sowie der Vereinigung der ... für die Eingruppierung der Angestellten im Sozial- und Erziehungsdienst in der 1. Jahreshälfte 1991 wurde ein Schriftverkehr zwischen diesen Tarifvertragsparteien geführt. Insoweit wird auf das Schreiben der ... vom 17.06.1992 (Bl. 37/38 d. A.) sowie auf das Antwortschreiben der Vereinigung der ... (VKA) vom 09.07.1992 (Bl. 36 d. A.) verwiesen.
Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr stehe seit dem 01.10.1998 Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV a BAT zu. Sie hat mit Schreiben vom 19.11.1996 gegenüber dem ... ihren Anspruch geltend gemacht, erneut mit Schreiben gegenüber der Beklagten vom 03.03.1997. Das ... ... antwortete mit Schreiben vom 11.12.1996, die Beklagte mit Schreiben vom 29.04.1997. Insoweit wird auf den Schriftverkehr (Bl. 15 bis 26 d. A.) Bezug genommen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei zu behandeln als Angestellte als Leiterin von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen. Ihr stehe deshalb nach vierjähriger Bewährung in Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 BAT nunmehr die Vergütungsgruppe IV a BAT zu. Es komme insoweit nicht auf die tatsächliche Belegungszahl an, diese sei vielmehr hochzurechnen, da tatsächlich 100 Kinder in der Kindertagesstätte betreut werden könnten. Die Möglichkeit der integrativen Modelle in der Kindertagesstätte sei bei der Vereinbarung der tarifvertraglichen Regelungen übersehen worden. Dort seien vielmehr nur Kindertagesstätten erwähnt mit behinderten Kindern oder Kindertagesstätten mit nichtbehinderten Kindern.
Es bestehe aber eine unterschiedliche Beanspruchung der Mitarbeiter in Abhängigkeit vom Maß der Behinderung, was sich aus dem Tarif Zusammenhang ergebe. Nach dem Sinn und Zweck der tarifvertraglichen Regelungen sei erkennbar, dass besondere Belastungen und besondere Anforderungen des Personals finanziell ausgeglichen werden sollten. Da die integrativen Gruppen übersehen worden seien, diese aber solche zusätzlichen Belastungen und Anforderungen hätten, sei die Klägerin so zu behandeln wie die Leiterin einer Kindertagesstätte mit 4 Gruppen nichtbehinderter Kinder.
Die Senkung der Kinderzahl in einer Gruppe wie auch die Tätigkeit einer zusätzlichen Heilpädagogin in der Kindertagesstätte sei kein Ausgleich für die tatsächliche Mehrbelastung, solle diese vielmehr nur zu kompensieren helfen.
Da die Kindertagesstätte auch 100 Kinder aufnehmen dürfe und die Gruppenstärke nur wegen der Aufnahme der behinderten Kinder reduziert sei, die Gruppenstärke von je 25 Kindern pro Gruppe aufgrund der Warteliste auch erreicht würde, sei die Klägerin nunmehr nach Vergütungsgruppe IV a BAT zu vergüten.
Zwischen den Parteien ist bereits ein Vorprozess vor dem Arbeitsgericht Osnabrück unter dem Aktenzeichen 4 Ca 5/98 E geführt worden. In diesem Prozess begehrte die Klägerin die von ihr in Anspruch genommene zutreffende Eingruppierung mit dem Antrag festzustellen, dass die Klägerin von der Beklagten seit dem 01.10.1994 im Hinblick auf das Beschäftigungsverhältnis, insbesondere im Hinblick auf die Eingruppierung zu behandeln sei als Leiterin einer Kindertagesstätte mit mindestens 100 Kindern. Die Klage der Klägerin wurde rechtskräftig als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 01.10.1998 Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV a BAT zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Klage aufgrund des Vorprozesses bereits für unzulässig gehalten.
Des Weiteren hat die Beklagte die Auffassung vertreten, die Klägerin sei korrekt nach Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 3 BAT eingruppiert.
Die Klägerin sei nicht zu behandeln wie eine Leiterin einer Kindertagesstätte mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen.
Es komme auf die tatsächliche Belegung an, wie der Tarifvertrag ausdrücklich regele. Danach seien in der Kindertagesstätte im maßgeblichen Zeitraum nur 77 Kinder betreut worden. Es sei auch nicht gesichert, dass 100 Plätze vergeben worden wären, wenn die Kindertagesstätte nicht mit integrativen Gruppen geführt worden wäre. Dieses ergebe sich bereits aus der Betriebserlaubnis vom 29.06.1995.
Durch Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 26.02.1999 wurde die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits der Klägerin auferlegt und der Streitwert auf 12.064,32 DM festgesetzt. Wegen der Begründung des erstinstanzlichen Urteiles wird auf dieses (Bl. 52 bis 69 d. A.) verwiesen.
Dieses Urteil wurde der Klägerin am 14.04.1999 zugestellt. Hiergegen legte diese am 14.05.1999 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 14.07.1999 am 13.07.1999.
Zur Begründung der Berufung trägt die Klägerin vor, bezüglich der Auslegung des Tarifvertrages sei der historische Werdegang sowohl bezüglich der Tarifvertragsverhandlungen wie auch der zugrunde liegenden rechtlichen Regelungen zu beachten. Die Tarifvertragsänderung sei im April 1991 vorgenommen worden. Zuvor sei das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) zum 01.01.1991 als Bundesgesetz in Kraft getreten, wobei konkrete Regelungen bezüglich der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder nicht erfolgt seien. Erst das Niedersächsische Kindertagesstättengesetz vom 16.12.1992 in Verbindung mit den Durchführungsverordnungen aus dem Jahre 1993 habe erstmals eine rechtliche Grundlage dafür geschaffen. Von den Tarifvertragsparteien seien aus diesen Gründen Verhandlungen nicht erfolgt über die Integrationsgruppen, weil weder gesetzliche Grundlagen noch Finanzierungsmöglichkeiten hierfür vorhanden gewesen seien. Entsprechende Gespräche hätten die Tarifvertragsparteien erst nach der Tarifvertragsänderung geführt. Demzufolge seien ergänzende Tarifvertragsregelungen erforderlich, da eine Regelungslücke entstanden sei. Es sei Aufgabe der Rechtsprechung, die Definitionsmerkmale eines tarifvertraglich nicht verhandelten Sachverhaltes selbst zu erstellen, wie es auch z. B. bei neu entstandenen Berufen, die sich nicht im BAT wiederfänden, der Fall sei.
Bei dem Inhalt solcher Regelungen müsse von der Belastungsquote pro Kind ausgegangen werden. Die Reduzierung der Platzzahlen in Integrationsgruppen erfolge, um eine Entlastung der Mitarbeiter aufgrund besonderer Anforderungen der Mitarbeiter zu schaffen, wie auch aus dem Grunde, die Förderung der Kleingruppen weitgehend zu ermöglichen. Pro behindertem Kind sei eine mindestens dreimal zu hohe Belastung vorhanden wie für ein nichtbehindertes Kind, so dass fiktiv von zumindest 25 Kindern ausgegangen werden müsse. Demzufolge sei die Klägerin so zu behandeln, als ob die Gruppen vollständig mit 25 Kindern besetzt seien.
Tatsächlich hätten die Tarifvertragsparteien hierüber auch bei den Tarifverhandlungen für die Eingruppierung für Angestellte im Sozial- und Erziehungsdienst nicht verhandelt.
Die Betriebserlaubnis sei insoweit ohne Bedeutung, da die Höchstgrenze für die Aufnahme von Kindern nur im Zusammenhang damit zu sehen sei, dass die Kindertagesstätte mit integrativen Gruppen geführt werde.
Die geringere Zahl der Kinder sei letztlich auch keine Kompensation, da die Integrationsgruppen zusätzliche qualitative Arbeit erforderten. Kindertagesstätten mit integrativen Gruppen stellten weitaus höhere Anforderungen an die Leitung der Kindertagesstätte als eine sonstige Kindertagesstätte im Hinblick auf Kontakte mit Behörden und Einrichtungen außerhalb der Kindertagesstätte. Auch seien mehr Mitarbeiterinnen insgesamt zu betreuen.
Die Tatsache, dass die Kinder tatsächlich auch mit einem höheren Faktor zu bewerten seien, ergebe sich auch aus einer Bewertung des ... ... und insbesondere aus der Auflistung "Bestand an Kindergartenplätzen" in ... Danach sei für die in Rede stehende Einrichtung pro behindertem Kind der Faktor von 5,5 angemessen. Wegen des weiteren Vortrags der Klägerin wird auf die Schriftsätze vom 13.07.1999 (Bl. 104 bis 108 d. A.), vom 11.02.2000 nebst Anlage (Bl. 125 bis 128 d. A.) sowie auf den Schriftsatz vom 16.02.2000 (Bl. 138/139 d. A.) verwiesen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 26.02.1999, Az. 3 Ca 687/98 E, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 01.10.1998 Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV a BAT zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 24.08.1999. Hierauf wird verwiesen (Bl. 115/116 d. A.).
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beschwerdewert in dieser vermögensrechtlichen Streitigkeit übersteigt 800,00 DM. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).
Die Berufung der Klägerin ist jedoch nicht begründet. Der Klägerin steht ab dem 01.10.1998 kein Anspruch auf Bezahlung nach der Vergütungsgruppe IV a BAT zu.
Gemäß § 2 Abs. 1 der Dienstvertragsordnung, die kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, sind auf die Dienstverhältnisse der Angestellten die Bestimmungen des BAT vom 23.02.1961 und der zusätzlichen Regelungen der für das ... jeweils geltenden Fassung entsprechend anzuwenden, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist. In § 12 der Dienstvereinbarung ist zusätzlich geregelt, dass § 22 BAT mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass die Eingruppierung der Angestellten sich nach der Anlage 1, soweit diese kircheneigene Tätigkeitsmerkmale vorsieht, richtet. Für den Erziehungsbereich sind derartige kircheneigene Tätigkeitsmerkmale nicht vorhanden, so dass sich die Eingruppierung nach den Vorschriften des BAT insgesamt richtet.
Gemäß § 22 BAT richtet sich die Eingruppierung der Angestellten nach den Tätigkeitsmerkmalen der Vergütungsgruppen der Anlagen 1 a und 1 b. Die Angestellte erhält Vergütung nach der Vergütungsgruppe, in die sie eingruppiert ist. Gemäß § 22 Abs. 2 BAT ist die Angestellte in der Vergütungsgruppe eingruppiert, deren Tätigkeitsmerkmale die gesamte von ihr nicht nur vorübergehend auszuübende Tätigkeit entspricht. Die gesamte auszuübende Tätigkeit entspricht den Tätigkeitsmerkmalen einer Vergütungsgruppe, wenn zeitlich mindestens zur Hälfte Arbeitsvorgänge anfallen, die für sich genommen die Anforderungen eines Tätigkeitsmerkmales oder mehrerer Tätigkeitsmerkmale dieser Vergütungsgruppe erfüllen.
In der begehrten Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 4 des Teils II der Anlage 1 a zum BAT Buchst. G (Sozial-/Erziehungsdienst) sind eingruppiert Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen nach vierjähriger Bewährung in Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 BAT.
In Vergütungsgruppe IV b Fallgruppe 4 sind insoweit eingruppiert Angestellte als Leiter von Kindertagesstätten mit einer Durchschnittsbelegung von mindestens 100 Plätzen.
Es wird insoweit auf die Protokollnotizen Nrn. 2 und 4 verwiesen. Diese lauten wie folgt:
2.
Die Ermittlung der Durchschnittsbelegung ist für das jeweilige Kalenderjahr grundsätzlich die Zahl der vom 1. Oktober bis 31. Dezember des vorangegangenen Kalenderjahres vergebenen, je Tag gleichzeitig belegbaren Plätze zugrunde zu legen.4.
Kindertagesstätten im Sinne dieses Tätigkeitsmerkmals sind Krippen, Kindergärten, Horte, Kinderbetreuungsstuben, Kinderhäuser und Tageseinrichtungen der örtlichen Kindererholungsfürsorge.
Bei der Tätigkeit der Klägerin ist von einem einheitlichen Arbeitsvorgang bezüglich der eigenverantwortlichen Leitung der Kindertagesstätte auszugehen. Unter einem Arbeitsvorgang im Sinne des § 22 Abs. 2 BAT ist eine unter Hinzurechnung der Zusammenshangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer vernünftigen, sinnvollen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit der Angestellten zu verstehen.
Arbeitsergebnis der Tätigkeit der Klägerin ist die Leitung der Kindertagesstätte. Die jeweils einzelne Tätigkeit der Klägerin während der Leitungsaufgaben dient dem einheitlichen Ziel dieser Leitung. Das Arbeitsergebnis der Klägerin ist, diese Kindertagesstätte so zu führen, dass diese organisatorisch und inhaltlich nach den vorgegebenen Gesetzen, Durchführungsverordnungen, Richtlinien und Einzelanweisungen geführt wird. Diesem Gesamtziel der Tätigkeit sind alle Maßnahmen untergeordnet. Ihre Tätigkeit hat insoweit Funktionscharakter.
Die Klägerin kann jedoch nicht nach dieser Vergütungsgruppe eingruppiert werden, da die Durchschnittsbelegung nicht mindestens 100 Plätze beinhaltet. Hierbei kommt es entsprechend der Protokollnotiz darauf an, dass die Durchschnittsbelegung pro Kind gerechnet wird. Es kommt insoweit auf die tatsächlich vergebenen Plätze an, nicht auf eine fiktive Berechnung. Dieses ergibt sich eindeutig sowohl aus der Vergütungsgruppe IV a Fallgruppe 4 BAT, da von der Belegung gesprochen wird, in Protokollnotiz Nr. 2 von den vergebenen Plätzen. Die Tarifvertragsparteien knüpfen deshalb die höhere Vergütung tatsächlich an die Zahl der vergebenen Plätze an und nicht an anderen Kriterien.
Da in der Kindertagesstätte der Klägerin jedoch nur 77 Kinder betreut werden, sind nicht durchschnittlich mindestens 100 Kinder vorhanden. Der Wortlaut des Tarifvertrages rechtfertigt deshalb keine höhere Eingruppierung.
Der Tarifvertrag kann aber auch nicht so ergänzend ausgelegt werden, dass bei integrativen Gruppen es nicht auf die vergebenen Plätze ankommt, sondern auf eine fiktive Berechnung, indem behinderte Kinder anders gezählt werden.
Die normativen Bestimmungen eines Tarifvertrages sind wie Gesetze auszulegen. Dabei ist zunächst vom Wortlaut des Tarifvertrages auszugehen. Der subjektive Wille der Tarifvertragsparteien kann nur insoweit Berücksichtigung finden, wie er im Wortlaut auch seinen Niederschlag gefunden hat. Zusätzlich ist der systematische Gesamtzusammenhang der Tarifnormen vorrangig zu berücksichtigen. Schließlich kann auch die Entstehungsgeschichte und der mit der Tarifvertragsregelung verfolgte Zweck herangezogen werden.
Der Gesamtzusammenhang der tarifvertraglichen Regelung ergibt gerade aber nicht, dass von einer Belastungsquote pro Kind ausgegangen werden kann und damit behinderte Kinder mit einem Mehrfachen zu berechnen sind, so dass die Zahl von 100 fiktiv erreicht wird. Die Tarifvertragsparteien unterscheiden in den Regelungen für den Sozial-/Erziehungsdienst bei der Eingruppierung danach, ob eine bestimmte Durchschnittsbelegung vorliegt, so auch in Erziehungsheimen oder anderen Einrichtungen, und danach, ob sich Tätigkeiten durch besondere Schwierigkeit und Bedeutung herausheben, oder ob besonders schwierige fachliche Tätigkeiten oder schwierige fachliche Tätigkeiten verrichtet werden (vgl. z. B. Protokollnotiz Nrn. 5, 8 und 11).
Aus diesem Gesamtzusammenhang ist deshalb ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien nicht nur danach differenzieren, welche zusätzlichen Belastungen durch eine erhöhte Kinderzahl bestehen, sondern auch danach, ob die Tätigkeit aufgrund der betreuten Personen besondere Anforderungen stellt.
Aus diesem Grunde kommt allenfalls eine ergänzende Auslegung in Betracht. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Gerichte zwar grundsätzlich nicht in den verfassungsrechtlich abgesicherten Rechtssetzungsbereich der Tarif-Vertragsparteien eingreifen dürfen. Eine ergänzende Tarifvertragsauslegung scheidet deshalb für die Gerichte für Arbeitssachen dort aus, wo die Tarifvertragsparteien bewusst eine Regelung unterlassen haben (vgl. Urteil des BAG vom 03.11.1998, Az. 3 AZR 432/97, in DB 98, 2425 bis 2426).
Eine bewusste Regelungslücke liegt vor, wenn die Tarifvertragsparteien bewusst keine Regelung für die Eingruppierung für Leiterinnen einer Kindertagesstätte mit integrativen Gruppen getroffen hätten. Es ist dann Freiheit der Tarifvertragsparteien zu bestimmen, ob und für welche Berufsgruppen sie tarifliche Regelungen schaffen wollen, was letztlich nicht zu beanstanden ist (vgl. Urteil des BAG vom 06.03.1996 in AP Nr. 210 zu §§ 22, 23 BAT 1975 sowie BAG vom 24.09.1997 in AP Nr. 1 zu § 23 b BAT).
Vorliegend streiten die Parteien darum, ob tatsächlich eine bewusste Regelungslücke vorgelegen hat. Für eine bewusste Regelungslücke spricht vorliegend, dass die Tarifvertragsparteien sehr wohl bei der Regelung der Eingruppierung für den Sozial-/Erziehungsdienst Regelungen über integrative Gruppen getroffen haben, so in Protokollnotiz Nr. 8, wo als besonders schwierige fachliche Tätigkeit z. B. die Tätigkeiten in Integrationsgruppen (Erziehungsgruppen, denen besondere Aufgaben in der gemeinsamen Förderung behinderter und nichtbehinderter Kinder zugewiesen sind) genannt sind, wobei die Tarifvertragsparteien davon ausgehen, dass für diesen Fall mindestens ein Drittel von Behinderten in der Einrichtung der Kindertagesstätte betreut werden müssten.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist deshalb davon auszugehen, dass das Problem von Integrationsgruppen bereits bei Abschluss des Tarifvertrages bewusst war und die Tarifvertragsparteien dieses auch für besondere Fälle geregelt haben. Wenn dieses für den Bereich der Leitung von Kindertagesstätten mit integrativen Gruppen nicht erfolgt ist, sondern insoweit allein auf die Kinderbelegungszahl abgestellt wird, so ist daraus der Schluss gerechtfertigt, dass die Tarifvertragsparteien für diesen Bereich eine solche Regelung nicht treffen wollten.
Für diesen Fall ist das Gericht gehindert, sich an die Stelle der Tarifvertragsparteien zu setzen. Es ist vielmehr deren Aufgabe, ihren verfassungsrechtlich abgesicherten Rechtssetzungsbereich auszufüllen und für den Fall, dass eine Notwendigkeit gesehen wird, besondere Regelungen für diesen Bereich zu treffen.
Die Kammer kann aber letztlich dahingestellt sein lassen, ob es sich um eine bewusste Regelungslücke handelte, denn auch im Falle einer unbewussten Regelungslücke steht der Klägerin ein Anspruch auf Eingruppierung in die Vergütungsgruppe IV a BAT nicht zu. Im Falle einer unbewussten Regelungslücke haben die Tarifvertragsparteien eine Problematik nicht gesehen und aus diesem Grunde eine Lücke hinterlassen bzw. ist eine Lücke durch Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse entstanden, die es auszufüllen gilt. Hierbei ist zu beachten, dass es dem Gebot der Gerechtigkeit widerspräche, einer Partei, die keine Verantwortung für die Mängel eines Tarifvertrages zu tragen hat, eine Entscheidung entsprechend dem Sinn und Zweck der tariflichen Regelung vorzuenthalten. Eine unbewusste tarifliche Regelungslücke muss deshalb von den Gerichten durch eine ergänzende Auslegung geschlossen werden, wenn sich unter Berücksichtigung von Treu und Glauben ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien ergeben. Fehlt es hieran, kommt eine Lückenschließung nur dann in Betracht, wenn eine bestimmte Regelung nach objektiver Betrachtung zwingend geboten ist. Gibt es bei tatsächlicher und rechtlicher Betrachtung mehrere Möglichkeiten, eine festgestellte Tariflücke zu schließen, bedarf es einer Entscheidung der Tarifvertragsparteien. Die Gerichte für Arbeitssachen sind hiervon ausgeschlossen (so Urteil des BAG vom 03.11.1998, Az. 3 AZR 432/97, a.a.O., vgl. BAG Urteil vom 13.06.1993 in AP Nr. 123 zu § 1 TVG Auslegung, BAG vom 21.03.1991 in AP Nr. 31 zu § 622 BAG).
Die Regelungslücke in der Eingruppierungsregelung ist nach diesen Maßstäben nicht durch das Gericht zu schließen. Es ergibt sich für das Gericht kein ausreichender Anhaltspunkt für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien. Wie bereits ausgeführt, finden sich in der Eingruppierungsregelung verschiedene Kriterien für die Eingruppierung, so die Feststellung einer bestimmten Durchschnittsbelegung wie auch die Anbindung an schwierige Tätigkeiten. Die Tarifvertragsparteien haben in der Protokollnotiz Nr. 8, wie ebenfalls bereits ausgeführt, die Tätigkeiten in Integrationsgruppen dann einer Höhergruppierung zugeführt, wenn besonders schwierige fachliche Tätigkeiten ausgeübt werden, so in Vergütungsgruppe V b Fallgruppe 5 und in Vergütungsgruppe V c Fallgruppe 5 BAT, also für die Fälle, in denen Erzieherinnen entsprechende Tätigkeiten (nicht Leitungstätigkeiten) ausüben und hierbei besonders schwierige fachliche Tätigkeiten verrichten. Die Tarifvertragsparteien haben damit erkennbar abgestellt auf die konkrete Betreuungsarbeit einer Erzieherin, nicht auf die Leitungstätigkeit. Es gibt deshalb keine ausreichenden Aushaltspunkte für einen mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien dafür, dass auch im Sonderfall der Leitungstätigkeit einer Kindertagesstätte mit integrativen Gruppen eine unbewusste Regelungslücke hinterlassen worden ist.
Es ist darüber hinaus nicht erkennbar, dass eine bestimmte tarifvertragliche Regelung nach objektiver Betrachtung zwingend geboten ist. Dieses ergibt sich ebenfalls aus dem oben Gesagten, da die Tarifvertragsparteien verschiedene Möglichkeiten der Regelung haben, Leitungstätigkeiten in Kindertagesstätten mit integrativen Gruppen zu regeln. Dabei kann auf besondere Belastungen bei der Leitungstätigkeit bzw. besondere fachliche Schwierigkeiten Bezug genommen werden, andererseits kann auch insoweit auf die Belegungszahl abgestellt werden wie auch z. B. auf die Zahl der zu betreuenden behinderten Kinder entsprechend der Protokollnotiz Nr. 8.
Dem Landesarbeitsgericht ist es deshalb verwehrt, eine möglicherweise bestehende Tariflücke zu schließen.
Eine Anspruchsgrundlage für das Eingruppierungsbegehren der Klägerin ist deshalb nicht vorhanden. Es ist Sache der Tarifvertragsparteien, eine solche Regelung zu schaffen, wenn sie von ihnen für notwendig erachtet wird.
Die Berufung der Klägerin war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO in Verbindung mit § 64 Abs. 6 ArbGG.
Die Zulassung der Revision folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG.