Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.01.2000, Az.: 9 Sa 341/99

- siehe dazu Urteil des BAG vom 13.12.2001 - 6 AZR 127/00

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.01.2000
Aktenzeichen
9 Sa 341/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 34231
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2000:0119.9SA341.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Braunschweig - 02.12.1998 - AZ: - 6 Ca 452/98

In dem Rechtsstreit

hat die 9. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 15.12.1999 durch den Vorsitzende Richter am Landesarbeitsgericht Dierking, die ehrenamtliche Richterin Beekmann und den ehrenamtlichen Richter Krägel

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 02.12.1998 6 Ca 452/98 abgeändert:

    1.

    Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Überstundenausgleich zuzüglich Zulage gem. § 17 BAT für die im Schuljahr 1997/98 geleistete Mehrarbeit in Höhe von wöchentlich 17,8 Überminuten zu gewähren;

    2.

    Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der von der Klägerin wöchentlich zu leistenden Unterrichtsstunden den Jahresurlaubsanspruch der Klägerin mit 30 Tagen zugrundezulegen.

    Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte angesichts durch Schulferien zustandegekommener arbeitsfreier Tage, welche durch Erhöhung der Wochenstundenzahl vor- bzw. nachgearbeitet werden, die Kürzungsvorschrift des § 48 Abs. 4 Unterabs. 3 BAT anwenden kann und deshalb im Umfang der Kürzung Vor- bzw. Macharbeit während der Unterrichtszeit verlangen kann.

2

Die Klägerin ist seit dem 16.10.1978 bei dem beklagten Landkreis als Musikschullehrerin in dessen der Kreisvolkshochschule zugeordneten Musikschule tätig. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 09.10.1978 (Bl. 6/7 d.A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden der BAT und die ihn ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge, insbesondere die SR 2 l Anwendung.

3

Die Klägerin ist Vollzeitbeschäftigt mit einer Wochenstundenzahl von 28 Unterrichtsstunden zu 45 Minuten. Nummer 2 der Sonderregelungen für Angestellte als Lehrkräfte an Musikschulen im Bereich der VKA legt fest: "Vollbeschäftigt ist ein Musikschullehrer, wenn die arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 30 Unterrichtsstunden zu je 45 Minuten (= 1.350 Unterrichtsminuten) beträgt....

4

Die niedrigere Wochenstundenzahl der Klägerin beruht auf einer tariflichen Besitzstandsregelung.

5

Die Klägerin hat ihren Urlaub (30 Tage) in der Schulferienzeit zu nehmen (Nr. 3 SR 2 I II ...); aus der gleichen Bestimmung ergibt sich, dass der Angestellte außerhalb des Urlaubs während der unterrichtsfreien Zeit zur Arbeit herangezogen werden kann. So ist es bis 1994 geschehen. Ab 1995 hat der Beklagte die Klägerin verpflichtet, den sogenannten Ferienüberhang dadurch vor- bzw. nachzuarbeiten, dass sich die Wochenstundenzahl in der Summe um die durch den Schulferienüberhang nicht geleisteten Stunden erhöhte. Bei der Berechnung der im Schulferienüberhang angefallenen Stunden kürzte der Beklagte im Schuljahr 1997/98 den Urlaub der Klägerin unter Berufung auf § 48 Abs. 4 Unterabs. 3 BAT mit der Folge, dass sich eine entsprechend höhere Unterrichtsverpflichtung der Klägerin in den Unterrichtszeiten ergab. Diese betrug im Schuljahr 1997/98 17,8 Minuten wöchentlich.

6

Der in der Folge umgesetzten Berechnung des Beklagten war ein Schriftwechsel zwischen den Parteien bzw. zwischen dem Beklagten und der ... gewerkschaft ... vorausgegangen. Wegen des Inhaltes dieses Schriftwechsels wird auf die Anlagen zur Klageschrift Bezug genommen.

7

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Kürzung ihres Urlaubes sei vom Tarifvertrag nicht gedeckt; sie hat daher einen Ausgleich für geleistete Mehrarbeit im Schuljahr 1997/98 verlangt.

8

Mit der am 18. August 1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat die Klägerin beantragt,

  1. 1

    festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihr Überstundenausgleich zuzüglich Zulage gem. § 17 BAT für die in dem Schuljahr 1997/98 geleistete Mehrarbeit in Höhe von wöchentlich 17,8 Überminuten zu gewähren,

  2. 2

    festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der von der Klägerin wöchentlich zu leistenden Unterrichtsstunden den Jahresurlaubsanspruch der Klägerin mit 30 Tagen zugrunde zu legen.

9

Der Beklagte hat beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

10

Er hat die Auffassung vertreten, seine Berechnung sei von § 48 Abs. 4 Unterabs. 3 BAT gedeckt.

11

Durch Urteil vom 02.12.1998 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreit der Klägerin auferlegt und den Streitwert auf 4.000,00 DM festgesetzt. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die in der Ferienzeit liegenden, nicht durch Urlaubsansprüche der Klägerin abgedeckten freien Tage seien zusätzliche freie Tage, so dass eine Urlaubskürzung zulässig sei. Im Durchschnitt des Urlaubsjahres arbeite die Klägerin im Hinblick auf die in der Ferienzeit liegenden zusätzlichen freien Tage nicht regelmäßig 5 Kalendertage in der Woche, sondern weniger.

12

Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seinem Ergebnis haben gelangen lassen, wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 43-45 d.A.).

13

Gegen dieses ihr am 26.01.1999 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit einem am 23.02.1999 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die sie zugleich begründet hat. Die Klägerin verfolgt ihre Klageansprüche nach Maßgabe ihrer Berufungsschrift vom 22.02.1999, auf dessen Inhalt die Kammer Bezug nimmt (Bl. 51-53 d.A.), weiter. Sie meint insbesondere, zwar sei es richtig, dass die Klägerin in den Zeiten des Ferienüberhangs keine Unterrichtsstunden zu erbringen habe. Diese Unterrichtsstunden seien aber voll auf ihre sonstige Arbeitszeit umgelegt worden. Wenn der Beklagte den Urlaubsanspruch kürze, erhöhe er die Unterrichtsverpflichtung aus dem selben rechtlichen Grund ein weiteres Mal.

14

Die Klägerin beantragt daher,

  1. 1

    festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Überstundenausgleich zuzüglich. Zulage gem. § 17 BAT für die im Schuljahr 1997/98 geleistete Mehrarbeit in Höhe von wöchentlich 17,8 Überminuten zu gewähren.

  2. 2

    Festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der von der Klägerin wöchentlich zu leistenden Unterrichtsstunden den Jahresurlaubsanspruch der Klägerin mit 30 Tagen zugrundezulegen.

15

Der Beklagte beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

16

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 22.03.1999 (Bl. 69-72 d.A.) und seines Schriftsatzes vom 16.08.1999 (Bl. 73 d.A.); die Kammer nimmt auf den Inhalt dieser Schriftsätze Bezug.

Gründe

17

Die Berufung ist begründet, weil die Klage begründet ist.

18

I.

Die Ansprüche der Klägerin für das Schuljahr 1997/98 sind nicht nach § 70 BAT verfallen. Die Klägerin hat mit Schreiben ihrer Berufsorganisation vom 18.04.1997 sich gegen die Berechnung des Beklagten gewandt; sie hat zugleich die nach ihrer Meinung daraus für das Schuljahr 1995/96 resultierenden Ansprüche als Mehrarbeit geltend gemacht und sodann gefordert:

19

Für das laufende Schuljahr ist im übrigen der Schulferienüberhang nach der vorstehend dargestellten Methode neu zu berechnen und die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung neu festzulegen.

20

Damit hat die Klägerin jedenfalls für das Schuljahr 1995/96 deutlich gemacht, was sie verlangt, nämlich, dass ihr die tariflich zustehenden Urlaubstage nicht in Form einer Heraufsetzung der Unterrichtsverpflichtung gekürzt werden. Da nach § 70 Abs. 2 BAT für den selben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruchs ausreicht, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen, greift § 70 Abs. 1 für die Ansprüche der Klägerin für das Schuljahr 1997/98 nicht ein.

21

II.

Dass der Feststellungsantrag zu Ziffer 1 von einer ständigen 5-Tage-Woche innerhalb der Unterrichtszeit ausgeht, macht ihn nicht rechtlich bedenklich. Der Satzteil ist möglicherweise überflüssig, er dient der Erläuterung des Anspruchs, 30 Arbeitstage Urlaub zugrundezulegen, so lange die regelmäßige Arbeitszeit der Klägerin außerhalb der Schulferien 5 Arbeitstage je Woche beträgt.

22

III.

§ 48 Abs. 4 Unterabs. 3 erlaubt im Falle der Klägerin nicht die Kürzung des Urlaubs um 1/260 für jeden Tag während der Schulferien, der über den Urlaubsanspruch hinaus unterrichtsfrei ist. Denn durch die Verteilung dieser freien Tage auf die erhöhte Unterrichtsverpflichtung je Woche wird erreicht, dass die Klägerin so gestellt wird, wie wenn sie keine freien Tage mehr hätte. Die Klägerin wendet sich zu Recht dagegen, dass der Beklagte trotz Aufstockung der Unterrichtspflichtstundenzahl in Höhe der in den Schulferien angefallenen freien Stunden über die Rechengröße eines für jeden freien Tag um 1/260 gekürzten Urlaubes den Ferienüberhang erhöht und im Umfang der Erhöhung wiederum Vor- bzw. Nacharbeit während der Unterrichtszeit verlangt.

23

Der Beklagte kann deshalb nicht in dieser Weise verfahren, weil durch die von ihm festgelegte Lage des Urlaubs in den Schulferien die rechnerische Verkürzung des Urlaubsanspruchs eine Erhöhung des sogenannten Ferienüberhangs bewirkt, was nicht der Fall wäre, wenn der Angestellte den Urlaub außerhalb der Ferien nehmen könnte. Die Kammer braucht deshalb letztlich nicht zu entscheiden, ob der Beklagte § 48 Abs. 4 Unterabs. 3 heranziehen könnte, wenn es allein um Fragen der Höhe des Urlaubsanspruchs ginge (etwa bei der Berechnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs oder bei der Frage, ob der Beklagte seine Musiklehrer im Umfang des seiner Meinung nach gekürzten Urlaubsanspruchs nach Nr. 3 der SR 2 l II während der unterrichtsfreien Zeit zur Arbeit heranziehen könnte). Vorsorglich merkt die Kammer allerdings an, dass wegen der festgelegten Lage des Urlaubs schon die Anwendung des § 48 Abs. 4 Unterabs. 3 BAT auf Bedenken stößt. Die Tarifvorschrift setzt voraus, dass der Angestellte mit der Wahl der Urlaubslage an denjenigen Kalendertagen Arbeitsbefreiung erlangen kann, auf die die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit verteilt ist. Genau dies ist im Streitfall nicht möglich.

24

IV.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 91 Abs. 1 ZPO.

25

Die Zulassung der Revision beruht auf §§ 72, 72 a Abs. 1 Ziff. 2 ArbGG