Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2000, Az.: 7 Sa 781/99

Wirksamkeit einer einzelvertraglichen Vereinbarung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
08.02.2000
Aktenzeichen
7 Sa 781/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21230
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2000:0208.7SA781.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 18.01.1999 - AZ: 2 Ca 347/98

Fundstellen

  • NZA-RR 2000, 428-430 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZTR 2000, 274
  • ZTR 2000, 314

Amtlicher Leitsatz

Die einzelvertragliche Vereinbarung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende ist wegen Verstoßes gegen das Günstigkeitsprinzips des § 4 Abs. 3 TVG unwirksam, wenn der kraft beiderseitiger Tarifbindung geltende Tarifvertrag lediglich eine Kündigungsfrist von 1 Monat zum 15. des Monats oder zum Monatsende vorsieht.

In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 08.02.2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht I... und
die ehrenamtlichen Richter K...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 18. Januar 1999, 2 Ca 347/98, teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 2.269,51 DM brutto sowie 1.659,90 DM netto nebst 4 % Zinsen auf den sich insgesamt ergebenden Nettobetrag seit dem 01.07.1998 zu zahlen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger berechtigt war, das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist zu beenden, obwohl einzelvertraglich eine längere Kündigungsfrist vereinbart worden war.

2

Der am 15. April 1964 geborene ledige Kläger ist Diplom-Wirtschaftsingenieur. Er war bei der Beklagten seit dem 01. Juli 1995 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Als Disponent im Bereich der Arbeitsvorbereitung bezog er zuletzt eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 5.854,00 DM.

3

Dem Arbeitsverhältnis zugrunde lag der Arbeitsvertrag vom 19. Mai 1995, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 6-9 d.A.). In Ziffer 5 des Arbeitsvertrages wurde folgendes vereinbart:

4

Während der ersten 6 Monate kann das Arbeitsverhältnis mit monatlicher Frist zum Monatsende gekündigt werden. Danach gilt eine beiderseitige Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende. Jede durch Gesetz, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung eingetretene Verlängerung der vereinbarten Kündigungsfristen und Termine zugunsten einer Vertragspartei gilt in gleicher Weise auch für den Vertragspartner.

5

In Ziffer 9 des Arbeitsvertrages verpflichtete sich der Kläger, an die Beklagte eine Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehaltes zu zahlen, wenn er das Arbeitsverhältnis vertragswidrig löst.

6

Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung der Manteltarifvertrag für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland (MTN), der unter anderem folgende Regelungen enthält:

13.
Soweit in diesem Tarifvertrag nichts Abweichendes bestimmt ist, können alle Arbeitsverhältnisse nur mit einer Mindestkündigungsfrist von einem Monat zum 15. des Monats oder zum Monatsende beiderseits gekündigt werden.

90.
Neben dem Urlaubsgeld wird für den Urlaub nach Ziffer 86 ein zusätzliches Urlaubsgeld gewährt. Es beträgt 56 % des Urlaubsentgelts.

93.
Kündigt der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf des ersten Jahres seiner Betriebszugehörigkeit, so hat er keinen Anspruch auf Zahlung eines Urlaubsgeldes. Das gleiche gilt, unabhängig von der Dauer der Betriebs Zugehörigkeit, bei begründeter fristloser Entlassung oder vertragswidriger Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer.

7

Mit Schreiben vom 26. Mai 1998 (Bl. 30 d.A.) kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis unter Bezugnahme auf die tarifliche Kündigungsfrist "fristgerecht zum 01.07.1998". Mit Schreiben vom 27. Mai 1998 (Bl. 31 d.A.) wies die Beklagte darauf hin, dass die Kündigung nicht fristgerecht erfolgt sei. Mit Schreiben vom 03. Juni 1998 (Bl. 32 d.A.) teilte die Beklagte mit, dass sie auf der im Arbeitsvertrag vereinbarten beiderseitigen Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende bestehe, und dass der Kläger bei einer vertragswidrigen Lösung des Arbeitsverhältnisses zur Zahlung einer Vertragsstrafe verpflichtet sei.

8

Von dem Gehalt des Klägers für den Monat Juni 1998 behielt die Beklagte dann einen Betrag von 1.659,70 DM ein (Bl. 15 d.A.).

9

Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Nachzahlung des einbehaltenen Gehaltsteilbetrages für den Monat Juni 1998, zusätzliches Urlaubsgeld gemäß Ziffer 90 MTN in Höhe von 2.269,51 DM brutto sowie Urlaubsabgeltung für nicht genommene 5 Urlaubstage in Höhe von 1.350,90 DM brutto. Die Beklagte macht mit ihrer Widerklage Zahlung der restlichen Vertragsstrafe in Höhe von 1.931,77 DM geltend.

10

Das Arbeitsgericht hat durch ein dem Kläger am 22. März 1999 zugestelltes Urteil vom 18. Januar 1999, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 44-49 d.A.), die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.350,90 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage verurteilt, an die Beklagte 1.931,77 DM nebst Zinsen zu zahlen.

11

Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Urlaubsabgeltungsanspruch bestehe nach Ziffer 84 MTN. Einen darüber hinausgehenden Zahlungsanspruch habe der Kläger demgegenüber nicht. Denn der Beklagten habe ein aufrechenbarer Gegenanspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe aus Ziffer 9 des von den Parteien am 19. Mai 1995 abgeschlossenen Arbeitsvertrages zugestanden. Die Vertragsstrafenabrede sei zulässig und wirksam, insbesondere sei sie inhaltlich hinreichend bestimmt und auch der Höhe nach wirksam vereinbart. Der Kläger habe die Vertragsstrafe verwirkt, weil er mit seiner Kündigung vom 26. Mai 1998 die arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende nicht eingehalten habe. Entgegen der von dem Kläger vertretenen Ansicht sei die arbeitsvertraglich vereinbarte Kündigungsfrist nicht ungünstiger als die tarifliche Regelung, sondern günstiger. Wenn auch in vereinzelten Fällen eine längere als die tarifliche Kündigungsfrist den Arbeitnehmer hindern möge, kurzfristig eine neue Stelle anzutreten, so sei gleichwohl festzustellen, dass der Arbeitnehmer einen höheren Bestandsschutz erhalte, der gerade in Zeiten hoher Arbeitlosigkeit von Bedeutung sei. Verlängerte Kündigungsfristen wie die hier vereinbarten, begünstigten den Arbeitnehmer, der sich über einen längeren Zeitraum auf sein Ausscheiden einstellen und sich in Ruhe eine neue Anschlussbeschäftigung suchen könne. Dies gelte auch für den Fall einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers, dem die verlängerte Kündigungsfrist insoweit nützlich sein könne, dass er mehrere Stellenangebote prüfen und sich in Ruhe für eines entscheiden könne. Aus diesem Grunde sei auch die erhobene Widerklage begründet.

12

Wegen der vertragswidrigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Kläger stehe diesem gemäß Ziffer 93 Satz 2 MTN ein Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld für das Jahr 1998 nicht zu.

13

Hiergegen richtet sich die am 22. April 1999 eingelegte und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 25. Juni 1999 am 26. Mai 1999 begründete Berufung des Klägers.

14

Der Kläger ist der Auffassung, die Vereinbarung einer dreimonatigen Kündigungsfrist im Arbeitsvertrag sei tarifwidrig und deshalb gemäß § 4 Abs. 3 TVG unwirksam. Die vereinbarte Kündigungsfrist sei für ihn nicht günstiger als die tarifliche Regelung. Zu berücksichtigen sei, dass er bei Abschluss des Arbeitsvertrages ein 31-jähriger gut qualifizierter, lediger und somit ungebundener Angestellter gewesen sei, der aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gewechselt sei, um sich zu verbessern. Unter diesen Umständen sei es bei Abschluss des Arbeitsvertrages nicht von vornherein feststellbar gewesen, dass die Vereinbarung einer dreimonatigen Kündigungsfrist für ihn günstiger sei. Sein Vorteil habe lediglich darin bestanden, dass er bei einer arbeitgeberseitigen Kündigung aufgrund der längeren Kündigungsfrist mehr Möglichkeiten gehabt habe, aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis heraus eine neue Stelle zu suchen. Jedoch sei auch eine kurze Zeit der Arbeitslosigkeit für ihn keine allzu schwere Beeinträchtigung, da dies in der heutigen Zeit angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen nicht mehr als Stigma angesehen werde.

15

Die Nachteile für den Arbeitnehmer seien demgegenüber wesentlich schwerer. Die verlängerte Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende erschwere die Arbeitssuche außerordentlich. Ein vernünftiger Arbeitnehmer werde sein Arbeitsverhältnis erst dann kündigen, wenn er bereits einen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben habe. Nahezu alle freien Stellen, die über das Arbeitsamt oder den Stellenmarkt in den Zeitungen ausgeschrieben würden, seien jedoch zum sofortigen Antritt ausgeschrieben. Der Kläger müsse deshalb befürchten, dass ihm Mitbewerber vorgezogen würden, die schneller verfügbar seien. Die vertragliche Kündigungsfrist sei mithin gemäß § 134 BGB unwirksam. Ihm könne deshalb nicht vorgeworfen werden, das Arbeitsverhältnis vertragswidrig gelöst zu haben. Die Vertragsstrafe sei mithin nicht verwirkt und sein Anspruch auf zusätzliches Urlaubsgeld damit auch nicht weggefallen. Im übrigen beziehe sich die Regelung in Ziffer 93 Satz MTN nur auf die tarifvertragswidrige Auflösung des Arbeitsverhältnisses und nicht auf die arbeitsvertragswidrige Beendigung.

16

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 2.269,51 DM brutto sowie 1.659,90 DM netto nebst 4 % Zinsen auf den sich insgesamt ergebenden Nettobetrag seit dem 01. Juli 1998 zu zahlen und die Widerklage abzuweisen.

17

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

18

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes ihrer Prozessbevollmächtigten vom 19. Juli 1999 (Bl. 66-69 d.A.).

Gründe

19

Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG.

20

Sie ist auch begründet.

21

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung des im Monat Juni 1998 einbehaltenen Gehaltsteils von 1.659,90 DM netto, da der Beklagten ein auf rechenbarer Gegenanspruch nicht zusteht. Entgegen der von dem Arbeitsgericht vertretenen Auffassung hat der Kläger nämlich die in Ziffer 9 des Arbeitsvertrages vereinbarte Vertragsstrafe nicht verwirkt.

22

Nach Ziffer 9 des von den Parteien vereinbarten Arbeitsvertrages ist der Kläger zur Zahlung einer Vertragsstrafe in Höhe eines Monatsgehaltes verpflichtet, wenn er das Arbeitsverhältnis vertragswidrig löst. Mit seiner Kündigung vom 26. Mai 1998 zum 30. Juni 1998 hat der Kläger die in dem Arbeitsvertrag vereinbarte Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende nicht einbehalten. Hierzu war er jedoch auch nicht verpflichtet, da die vertragliche Kündigungsfrist wegen Verstosses gegen das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG unwirksam ist.

23

Gemäß Ziffer 13 des kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren MTN konnte das Arbeitsverhältnis nur mit einer Mindestkündigungsfrist von einem Monat zum 15. des Monats oder zum Monatsende beiderseits gekündigt werden. Diese Frist hat der Kläger eingehalten.

24

Die tarifliche Regelung der Kündigungsfrist in Ziffer 13 stellt eine normative Regelung dar und hat nicht nur deklaratorische Bedeutung. Es handelt sich nämlich nicht um eine inhaltsgleiche Wiederholung der gesetzlichen Regelung, da § 622 Abs. 1 BGB im Gegensatz zum Tarifvertrag eine vierwöchige Kündigungsfrist und nicht eine einmonatige Kündigungsfrist vorsieht.

25

Nach § 4 Abs. 3 TVG sind vom Tarifvertrag abweichende Vereinbarungen "nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten".

26

Der im Streit stehende Tarifvertrag gestattet eine ungünstigere abweichende Vereinbarung nicht. Nach Ziffer 13 Satz 2 MTN werden vielmehr lediglich für den Arbeitnehmer günstigere gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfristen von der tariflichen Regelung nicht berührt. Dabei bezieht sich das Wort "günstigere" entgegen der von der Beklagten erstinstanzlich vertretenen Auffassung nicht nur auf die gesetzlichen Kündigungsfristen, sondern auch auf die vertraglichen. Sprachlich bezieht sich das Adjektiv "günstigere" auf beide nachfolgenden Alternativen, nämlich die gesetzliche oder die vertragliche Kündigungsfrist. Wenn die Tarifvertragsparteien dies anders gemeint hätten, hätten sie beispielsweise formulieren müssen: "für den Arbeitnehmer günstigere gesetzliche Kündigungsfristen oder vertragliche Kündigungsfristen werden hiervon nicht berührt" oder "vertragliche oder für den Arbeitnehmer günstigere gesetzliche Kündigungsfristen werden hiervon nicht berührt".

27

Da eine tarifliche Öffnungsklausel mithin nicht vorliegt, kann die arbeitsvertraglich vereinbarte längere Kündigungsfrist nur Bestand haben, wenn es sich hierbei um eine für den Kläger günstigere Regelung handelt. Dies konnte jedoch nicht festgestellt werden.

28

Im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs kommt es im Hinblick auf einen geschlossenen Einzelarbeitsvertrag zunächst auf das Interesse des jeweiligen Arbeitnehmers an (Kempen/Zachert, 3. Aufl., § 4 TVG Rdz. 186). Um eine gleichmäßige und auch vorhersehbare Beurteilung zu gewährleisten, muß dabei jedoch ein objektiver Maßstab angelegt werden (vgl. Wiedemann/Wank, 6. Auf 1., Rdz. 461 ff). Es ist deshalb darauf abzustellen, wie ein verständiger Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und der Umstände des Einzelfalles die Bestimmung des Arbeitsvertrages im Vergleich zu der des Kollektivvertrages einschätzen würde (Löwisch/Rieple, § 4 TVG Rdnr. 203; LAG München vom 04. Mai 1990, 2 Sa 128/90, LAG E § 4 TVG Günstigkeitsprinzip Nr. 3).

29

Inhaltlich sind bei dem Günstigkeitsvergleich diejenigen vertraglichen Arbeitsbedingungen den Tarifnormen gegenüberzustellen, die in einem inneren Zusammenhang miteinander stehen, sogenannter Sachgruppenvergleich (BAG vom 23.05.1984, AP Nr. 9 zu § 339 BGB). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Günstigkeit ist der Augenblick, in dem die abweichende Vereinbarung getroffen wurde (BAG vom 12.04.1972, AP Nr. 13 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip). Lässt sich nicht feststellen, ob die getroffene Vereinbarung für den einzelnen Arbeitnehmer günstiger oder ungünstiger ist als die entsprechende tarifliche Regelung, so muss es bei dem Grundsatz der zwingenden Geltung der Tarif normen bleiben (BAG vom 12.04.1972, a.a.O.). Ambivalente Bestimmungen, also Bedingungen im Arbeitsvertrag, die sich je nach den Umständen als günstig oder ungünstig auswirken können, setzen sich nur dann gegenüber der tariflichen Regelung durch, wenn im voraus feststellbar ist, dass sie sich für den Arbeitnehmer vorteilhaft auswirken (Wiedemann/Wank, § 4 TVG, Rdz. 452; LAG Hamm vom 16.11.1998, 18 Sa 1581/97, n.v.).

30

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend die arbeitsvertragliche Vereinbarung einer beiderseitigen Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende, eine ambivalente Bestimmung im oben geschilderten Sinne, wegen Verstosses gegen zwingende tarifliche Normen unzulässig. Denn die vereinbarte Regelung ist für den Kläger jedenfalls nicht günstiger als die tarifliche Regelung.

31

Dem Arbeitsgericht ist dahin zuzustimmen, dass längere Kündigungsfristen für den Arbeitnehmer günstiger sind, wenn eine von dem Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung im Streit steht. In der Tat hat nämlich der Arbeitnehmer dann für einen längeren Zeitraum Gelegenheit, sich um eine anderweitige Beschäftigung zu bemühen. Auch der Gesetzgeber lässt grundsätzlich eine einzelvertragliche Verlängerung der Kündigungsfrist zu, § 622 Abs. 5 Satz 2 BGB. Es darf lediglich für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber, § 622 Abs. 6 BGB.

32

Soweit der Arbeitnehmer selbst das Arbeitsverhältnis kündigen möchte, ist die Verlängerung der Kündigungsfrist für ihn jedoch ungünstiger. Er ist dann nämlich verpflichtet, für eine längere Zeit an dem Arbeitsverhältnis festzuhalten, dessen Beendigung er wünscht. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb auch in einem Urteil vom 23. Februar 1977 (AP Nr. 15 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip) ausgeführt, dass eine vertragliche Erschwerung der tariflichen Möglichkeit zur kurzfristigen Lösung des Arbeitsverhältnisses nicht zulässig gewesen wäre, weil das für den Arbeitnehmer ungünstiger wäre als die tarifliche Regelung. In späteren Entscheidungen hat das Bundesarbeitsgericht zum Günstigkeitsprinzip im Zusammenhang mit beiderseits verlängerten Kündigungsfristen nicht Stellung genommen (BAG vom 27. August 1982, AP Mr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG vom 30. November 1994, AP Nr. 16 zu § 4 TVG).

33

Es kann unter diesen Umständen nicht von vornherein festgestellt werden, dass sich die vertragliche Kündigungsregelung für den Arbeitnehmer vorteilhaft auswirkt, was bereits zu deren Unwirksamkeit führt.

34

Aber auch ein Gesamtvergleich der im Streit stehenden Regelungen führt zu dem Ergebnis, dass jedenfalls nicht zweifelsfrei feststellbar ist, dass die getrofffene Vereinbarung für den Kläger günstiger ist als die entsprechende tarifliche Regelung.

35

Die Kammer hat dabei auf der einen Seite zugunsten der Arbeitgeberin berücksichtigt, dass auch diese ein berechtigtes Interesse daran haben, nicht kurzfristig durch Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer gezwungen zu sein, den Arbeitsplatz neu zu besetzen. Dies gilt insbesondere für qualifizierte Arbeitskräfte, soweit hier ein entsprechender Mangel am Arbeitsmarkt feststellbar ist.

36

Dass im vorliegenden Fall konkret ein derartiges berechtigtes Interesse der Beklagten vorgelegen hat, ist nicht dargelegt worden. Es sind insbesondere keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass auf dem Arbeitsmarkt Arbeitnehmer mit der Qualifikation des Klägers, die für die Stelle eines Disponenten im Bereich Arbeitsvorbereitung in Betracht kommen, nicht zur Verfügung stehen.

37

Auf der Arbeitnehmerseite besteht zum einen das Interesse, nicht innerhalb kurzer Fristen den Arbeitsplatz zu verlieren, während demgegenüber zum anderen der Arbeitnehmer auch ein nicht unerhebliches Interesse daran haben kann, seine Arbeitskraft bestmöglich zu verwerten und sich bietende Arbeitsmarkt-Chancen möglichst schnell zu nutzen. Ob das Interesse, auf sich am Arbeitsmarkt bietende Chancen eines Stellenwechsels schnell reagieren zu können, oder die gesicherte Möglichkeit, im Falle einer Arbeitgeberkündigung längere Zeit zum Aussuchen einer anderen Stellung zur Verfügung zu haben, überwiegt, kann nur im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden (LAG München vom 04. Mai 1990, 2 Sa 128/90, LAG Nr. 3 zu § 4 TVG Günstigkeitsprinzip).

38

Vorliegend bestand der Vorteil längerer Kündigungsfristen nach Ziffer 5 des Arbeitsvertrages für den Kläger darin, dass die Kündigungsfrist für den ... Arbeitgeber bis zum Ablauf des 4. Jahres des Bestehens des Arbeitsverhältnisses um etwa 2 Monate und danach bis zum Ablauf des 7. Jahres um einen Monat verlängert wurde. Nach diesem Zeitpunkt kommt nach Ziffer 13 Abs. 2 MTN die gesetzliche Regelung des § 622 Abs. 2 BGB zum Tragen.

39

Der Kläger war im Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages 32 Jahre alt, ledig und ungebunden. Der Vorteil der verlängerten Kündigungsfrist bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber trifft den Kläger mithin während eines Lebens Zeitraums, zu dem die Bereitschaft des Arbeitsplatzwechsels höher liegt, und die Chance, verhältnismäßig schnell eine neue Stelle zu finden, größer ist. Zudem wird eine dennoch unter Umständen drohende vorübergehende Arbeitslosigkeit durch die nur geringfügige Verlängerung der Kündigungsfrist nicht nennenswert abgemildert. Finanziell würde der Differenzzeitraum unter Berücksichtigung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nicht signifikant zu Buche schlagen.

40

Auf der anderen Seite stellt die Verlängerung der vom Kläger einzuhaltenden vertraglichen Kündigungsfrist eine nicht unerhebliche Erschwerung des Arbeitsplatzwechsels dar. Gerade zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr eines Arbeitnehmers ist ein Arbeitsplatzwechsel zur Verbesserung der beruflichen und damit einhergehenden finanziellen Situation nicht unüblich. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit gerade auch in der hier in Frage stehenden Region stellt es in der Tat eine Erschwerung dar, wenn der Arbeitnehmer eine Kündigungsfrist von 3 Monaten zum Monatsende beachten muss, bevor er einen Arbeitsplatzwechsel verwirklichen kann. Ein Arbeitnehmer, der sich verändern will, wird daher, wie das LAG München (a.a.O.) bereits zutreffend betont hat, bei Einhaltung der vertraglichen längeren Kündigungsfrist in aller Regel das Arbeitsverhältnis kündigen müssen, bevor er sich einen neuen Arbeitsplatz hat sichern können. Diese Vorgehensweise bildet das Risiko einer Sperrfristverhängung beim Bezug von Arbeitslosengeld, wenn die Bemühungen um einen neuen Arbeitsplatz nicht nahtlos erfolgreich sind. Dies erschwert die Wahrnehmung von Chancen eines Arbeitsplatzwechsels fühlbar.

41

Bei einer Gesamtabwägung der Vor- und Nachteile der tariflichen Kündigungsregelung und derjenigen des Arbeitsvertrages ist nach allem ein günstigerer Gehalt der vertraglichen Regelung bei objektiver Würdigung nicht von vornherein feststellbar. Dies hat zur Folge, dass die vertragliche Regelung nicht günstiger als die tarifliche ist, was zu deren Unwirksamkeit führt. Der Kläger hat mithin das Arbeitsverhältnis durch seine Kündigung zum 30. Juni 1998 nicht vertragswidrig aufgelöst. Er ist deshalb auch nicht verpflichtet, an die Beklagte eine Vertragsstrafe zu zahlen. Sein Gehaltsanspruch für den Monat Juni 1998 steht ihm deshalb ungekürzt zu. Die Beklagte ist verpflichtet, die einbehaltenen 1.659,90 DM netto zu zahlen, während die Widerklage abzuweisen war.

42

Auch der Anspruch des Klägers aus zusätzliches Urlaubsgeld für 15 Urlaubstage aus dem Jahre 1998 ist gemäß Ziffer 90,86 MTN gegeben. Der Anspruch ist insbesondere nicht gemäß Ziffer 93 Satz 2 MTN ausgeschlossen, da der Kläger das Arbeitsverhältnis nicht vertragswidrig aufgelöst hat.

43

Der Zinsanspruch des Klägers ist begründet gemäß den §§ 284 Abs. 2 Satz 1, 288 BGB.

44

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

45

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen.