Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.10.2000, Az.: 4 Sa 229/00
Arbeitsbefreiung für die Hin- und Rückreise zu einer Personalversammlung außerhalb der Arbeitszeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 25.10.2000
- Aktenzeichen
- 4 Sa 229/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 22451
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:1025.4SA229.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lüneburg - 16.12.1999 - AZ: 2 Ca 1872/99
Fundstellen
- FStNds 2002, 34-35
- NdsVBl 2001, 231-232
- PersR 2001, 171-172
- PersV 2001, 367-368
- ZTR 2001, 140
- ZfPR 2002, 50
Amtlicher Leitsatz
Für die Teilnahme an Personalversammlungen außerhalb der Arbeitszeit besteht kein Anspruch auf Arbeitsbefreiung für die Wegezeiten.
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 25.10.2000
durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht ...
den ehrenamtlichen Richter ... und
die ehrenamtliche Richterin ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 16.12.1999 - 2 Ca 1872/99 - wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Gewährung von Arbeitsbefreiung für die Hin- und Rückreise zu einer Personalversammlung außerhalb der Arbeitszeit.
Der Kläger ist seit dem 01.06.1976 als Tischler im ... mit einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 4.300,00 DM beschäftigt. Am 11.03.1999 führten die Personalräte des ... und des - beide Einrichtungen befinden sich in Trägerschaft des Beklagten - in der ... um 20:00 Uhr eine gemeinsame Personalversammlung durch. Der Kläger nahm an dieser Personalversammlung außerhalb seiner persönlichen Arbeitszeit teil. Die Fahrtzeit für die Hin- und Rückfahrt von seinem Wohnort in ... nach ... betrug 1,5 Stunden.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe Anwendung. Mit Schreiben vom 30.04.1999 beantragte der Kläger schriftlich Arbeitsbefreiung für die angefallene Fahrtzeit von 1,5 Stunden. Nachdem der Beklagte dies mit Schreiben vom 03.05.1999 abgelehnt hatte, verlangte der Kläger durch seine Gewerkschaft mit Schreiben vom 10.06.1999 erneut die Gewährung von Freizeitausgleich für die im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Personalversammlung angefallene Fahrtzeit. Der Beklagte lehnte das Begehren des Klägers mit Schreiben vom 05.06.1999 ab.
Mit seiner am 06.10.1999 eingegangenen Klage begehrt der Kläger vom Beklagten Arbeitsbefreiung in Höhe von 1,5 Stunden für die Wegezeit zur Teilnahme an der Personalversammlung am 11.03.1999. Er hat die Auffassung vertreten, bei der Teilnahme an einer Personalversammlung außerhalb der Arbeitszeit sei auch für die Zeit der Hin- und Rückfahrt Arbeitsbefreiung zu gewähren; die Wegezeit sei ausschließlich zur Teilnahme an der Personalversammlung erforderlich geworden.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger für die Wegezeit zur Teilnahme an der Personalversammlung am 11.03.1999 1,5 Stunden Arbeitsbefreiung zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, Wegezeiten seien von der Regelung des § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG nicht erfasst.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 16.12.1999 abgewiesen. Gegen das ihm am 07.01.2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 07.02.2000 Berufung eingelegt und sie nach Verlängerung der Begründungsfrist am 06.04.2000 begründet.
Der Kläger hält an seiner Rechtsauffassung fest, ihm stehe aus § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG ein Freistellungsanspruch für die Wegezeit zur Personalversammlung zu. Satz 3 knüpfe an Abs. 2 Sätze 1 und 2 an. Satz 3 gewähre dem Teilnehmenden an einer außerhalb der Arbeitszeit stattfindenden Personalversammlung Arbeitsbefreiung "in entsprechendem Umfang." Auslegungsmaßstab für den Umfang der Arbeitsbefreiung bildeten die Sätze 1 und 2. Ein "entsprechender Umfang" an Arbeitsbefreiung im Fall der außerhalb der Arbeitszeit stattfindenden Personalversammlung entspreche diesem Maßstab dann, wenn für zusätzliche Wegezeiten in der Freizeit Arbeitsbefreiung erteilt werde.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 16.12.1999 - 2 Ca 1872/99 - abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Freistellung für die Wegezeit zur Teilnahme an der Personalversammlung am 11.03.1999 für 1,5 Stunden nachträglich zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte macht geltend, in § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG sei die Fallgestaltung geregelt, dass die Personalversammlung außerhalb der Arbeitszeit durchgeführt werde. Arbeitsbefreiung sei in entsprechendem Umfang zu gewähren, wie sie durch die Teilnahme an der Personalversammlung entstehe. Diese Auffassung werde durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Die Begründung des Gesetzes zu § 44 Abs. 2 Nds. PersVG verweise darauf, dass die Regelung des § 39 PersVGübernommen worden sei. Die Begründung zu § 39 weise aber ausdrücklich darauf hin, dass Dienstreisezeiten weder beamtenrechtlich noch tariflich als Dienst- bzw. Arbeitszeit gelten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.
Gründe
I.
Die Berufung des Klägers ist zulässig; sie ist statthaft (§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 518, 519 ZPO).
II.
Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG dem Kläger keinen Rechtsanspruch auf Arbeitsbefreiung für die von ihm anlässlich der Teilnahme an der Personalversammlung außerhalb der Arbeitszeit benötigte Wegezeit einräumt.
1.
Nach § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG ist den Teilnehmern an einer Personalversammlung Arbeitsbefreiung in entsprechendem Umfang zu gewähren, soweit Personalversammlungen aus dienstlichen Gründen außerhalb der Arbeitszeit stattfinden. Der Wortlaut der Bestimmung legt die Auslegung nahe, dass er nur einen der Dauer der Personalversammlung entsprechenden Anspruch auf Arbeitsbefreiung gewährt (vgl. Dembowski/Ladwig/Sellmann § 44 Nds. PersVG Rn. 10; Bieler/Müller-Fritzsche, Nds. PersVG, 8. Aufl. § 44 Rn. 10 Kümmel/Palm, Personalvertretungsrecht in Niedersachsen § 44 Rn. 6; a. A. Fricke/Frohner, Nds. PersVG § 44 Rn. 13). Mit diesem Inhalt entspricht diese Vorschrift - unter Berücksichtigung ihrer personalvertretungsrechtlichen Zielsetzung, die Teilnahmebereitschaft auch für solche Personalversammlungen zu fördern - sowohl dem im öffentlichen Dienstrecht als auch im Arbeitsrecht geltenden allgemeinen Grundsatz, dass Wegezeiten zwischen Wohnung und Dienststelle keine Arbeitszeit sind (vgl. BVerwG Urt. v. 28.10.1982 - 2 C 1.80 - ZBR 1983, 191; Beschl. v. 12.11.1993 - 6 P 8.92 - AP Nr. 6 zu § 76 BPersVG; BAG Urt. v. 06.10.1965 - 2 AZR 375/64 - AP Nr. 1 zu § 17 BAT; Urt. v. 22.02.1978 - 4 AZR 579/76 - AP Nr. 3 zu § 17 BAT; Urt. v. 21.09.1977 - 4 AZR 292/76 - AP Nr. 3 zu § 19 MTB II; Urt. v. 22.05.1986 - 6 AZR 526/83 - AP Nr. 8 zu § 46 BPersVG).
2.
Die am Wortlaut orientierte Auslegung des § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG wird durch die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien, die zur Stütze eines bereits aus dem objektiven Gesetzesinhalt abgeleiteten Ergebnisses oder zur Behebung von Zweifeln bei der Auslegung nicht eindeutiger Vorschriften herangezogen werden können, bestätigt (BVerfG Beschl. v. 16.12.1981 - BvR 898/80 - BVerfGE 59, 128).
§ 57 S. 2 Nds. PersVG a.F. sah - ebenso wie § 44 Abs. 1 S. 2 BetrVG - vor, dass die Zeit der Teilnahme an Personalversammlungen einschließlich der zusätzlichen Wegezeiten wie Arbeitszeit zu vergüten ist. § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG ist zwar nach seinem Inhalt und Wortlaut mit der früheren Fassung des Gesetzes nicht vergleichbar. Nach der Neufassung besteht lediglich eine Lohnausfallgarantie für die Teilnahme während der Arbeitszeit; bei Abhaltung außerhalb der Arbeitszeit wird die zusätzliche Belastung der Teilnahme durch eine Dienstbefreiung in entsprechendem Umfang ausgeglichen. Eine § 57 S. 2 Nds. PersVG a.F. entsprechende Regelung - die Gewährung von Arbeitsbefreiung für Wegezeiten - ist im Rahmen der grundlegenden Novellierung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen im Jahre 1993 nicht aufgenommen worden. Eine solche dem öffentlichen Dienst im Grunde systemfremde Regelung war ausweislich der Gesetzesbegründung ersichtlich gewollt. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs (Drucksache 12/4370) übernimmt Satz 3 "die Schutzvorschrift für Personalratsmitglieder in § 39 Abs. 2 Satz 3 und 4 auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Personalversammlungen außerhalb der Arbeitszeit. Sie erhalten Dienst- oder Arbeitsbefreiung in entsprechendem Umfang." § 39 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG gewährt Mitgliedern des Personalrats Arbeitsbefreiung in entsprechendem Umfang, wenn sie durch die Erfüllung ihrer Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden. Entsprechend der erklärten Absicht des Gesetzgebers, das Nds. PersVG weitgehend dem BPersVG anzugleichen, ist Personalratsmitgliedern kein Freizeitausgleich für Reisezeiten eingeräumt worden, die sie für Personalratstätigkeit außerhalb der Arbeitszeit aufwenden. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es dazu, die Anregung, auch Reisezeiten als Arbeitszeit gelten zu lassen, sei nicht aufgegriffen worden. Dienstreisezeiten außerhalb der Arbeitszeit würden weder beamtenrechtlich noch tarifrechtlich als Dienst- bzw. Arbeitszeit angesehen.
3.
Die am Wortlaut und der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung wird durch einen weiteren Gesichtspunkt gestützt. § 44 Abs. 2 S. 3 Nds. PersVG entspricht nach seinem Wortlaut der Regelung des § 50 Abs. 1 S. 3 BPersVG. Der zweite Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat sich in seiner Entscheidung vom 28.10.1982 (a.a.O.) mit der Bestimmung des § 50 Abs. 1 S. 3 BPersVG befasst und angenommen, für die Teilnahme an Personalversammlungen außerhalb der Dienstzeit bestehe kein Dienstbefreiungsanspruch für die Wegezeiten. Diese Rechtsprechung hat im Schrifttum Zustimmung erfahren (vgl. Lorenzen/Schmitt/Etzel/Gerhold/Schlatmann BPersVG § 50 Rn. 14; Grabendorf/Ilbertz/Widmeier BPersVG, 9. Aufl. § 50 Rn. 9); Altvater/Bacher/Hörter/Peiseler/Sabottig/Schneider/Vohs, BPersVG, 4. Aufl., § 50 Rn. 6; Dietz/Richardi BPersVG 2. Aufl., § 50 Rn. 18). Dem Landesgesetzgeber waren bei der Neufassung des Personalvertretungsgesetzes im Jahre 1993 Wortlaut und Inhalt des § 50 BPersVG bekannt. Er hat die Vorschrift des § 50 Abs. 1 S. 3 BPersVG in Kenntnis der dazu ergangenen Rechtsprechung übernommen. Das lässt nur den Schluss zu, dass er keinen Anspruch auf Arbeitsbefreiung für die Wegezeiten gewähren wollte.
4.
Das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren ist nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage zu führen. Der Kläger vernachlässigt bei seinen Ausführungen zur rechtlichen Bewertung von Wege- und Reisezeiten innerhalb der Arbeitszeit, dass er einen Anspruch auf Dienstbefreiung für Wegezeiten anlässlich einer Personal Versammlung außerhalb der Arbeitszeit geltend macht, für die auch sonst im öffentlichen Dienst grundsätzlich keine Arbeitsbefreiung gewährt wird.
III.
Die Berufung war daher mit der sich aus § 97 ZPO ergebenen Kostenfolge zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.