Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.01.2000, Az.: 10 Sa 223/98
Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall; Verweis auf gesetzliche Regelung in einem Tarifvertrag; Konstitutive/deklaratorische Verweisung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 06.01.2000
- Aktenzeichen
- 10 Sa 223/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 22444
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0106.10SA223.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Verden - 18.12.1997 - AZ: 2 Ca 167/97
Rechtsgrundlage
- § 4 EFZG
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 06.01.2000
für Recht
erkannt:
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Verden (Aller) vom 18. Dezember 1997 - 2 Ca 167/97 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Auf das seit 1982 bestehende Arbeitsverhältnis der als Arbeiterin tätigen Klägerin fand der zunächst per 31. Dezember 1992 und nach zwischenzeitlicher Wiederinkraftsetzung im Jahre 1995 endgültig am 31. Dezember 1995 außer Kraft getretene Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer und die gewerblichen Auszubildenden sowie für die kaufmännischen und technischen Angestellten und kaufmännischen Auszubildenden in der ... Industrie in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin-West vom 09. September 1987 (künftig MTV) wegen beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
Zu einer neuen tariflichen Regelung kam es in der folgenden Zeit nicht.
Die Beklagte bezahlte für Krankentage im Oktober 1996 nur 80 % des vollen Entgeltes. Den seiner rechnerischen Höhe nach unstreitigen Klaganspruch verfolgte die Klägerin nach vergeblicher schriftlicher Geltendmachung mit Schreiben vom 07. November 1996 mit der der Beklagten am 04. Februar 1997 zugestellten Klage weiter.
Die einschlägigen Bestimmungen im MTV (Hülle Bl. 96 d. A.) lauteten auszugsweise wie folgt:
§ 10 Krankheit, Unfall, Kuren und Heilverfahren
1. ...
2.
Die Krankenvergütung im Falle von Erkrankungen und Unfällen, bei Kuren und Heilverfahren sowie bei solchen Schonungszeiten, die mit Arbeitsunfähigkeit verbunden sind, richtet sich nach dem Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) in seiner jeweiligen Fassung.Ist ein Angestellter infolge Erkrankung an der Arbeitsleistung verhindert, ist ihm das Gehalt für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bis zu sechs Wochen weiterzuzahlen. Während eines Kur- oder Heilverfahrens, das nach § 13 AnVG oder unter den gleichen Voraussetzungen von einem Sozialversicherungsträger oder dem Versorgungsamt gewährt wird, ist das Entgelt höchstens bis zur Dauer von sechs Wochen, jedoch nicht über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, weiter zu zahlen.
3.
Gemäß § 2 Abs. 3 Lohnfortzahlungsgesetz gelten abweichend von der gesetzlichen Regelung für die Berechnung des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts einheitlich für den ganzen Betrieb die Bestimmungen des § 13 Abschnitt III Ziffern 1 und 2 dieses Manteltarifvertrages sinngemäß.§ 13 Urlaub, Urlaubsgeld
I. ...
II. ...
III.
Urlaubsvergütung1.
Für gewerbliche Arbeitnehmer wird das Urlaubsentgelt nach dem Durchschnitts verdienst der letzten drei abgerechneten Lohnperioden, mindestens der letzten dreizehn Wochen, berechnet. Darüber hinaus gilt für diese Durchschnittsberechnung folgendes:a)
Durch Betriebsvereinbarung kann einheitlich für den ganzen Betrieb ein längerer Bezugszeitraum bis zu einem Jahr festgelegt werden.b)
Im Falle von Kurzarbeit, einer durch kassenärztliche Bescheinigung nachgewiesenen Erkrankung, eines Heil- oder Kurverfahrens, einer ärztlichen verordneten Schonzeit oder eines vereinbarten unbezahlten Urlaubs wird anstelle des in Abs. 1 genannten Zeitraums auf vorhergehende volle Abrechnungszeit räume zurückgegriffen.c)
Einmalige Zuwendungen, auch wenn sie in Teilbeträgen ausgezahlt werden, bleiben bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes außer Betracht.d)
Soweit eine Lohn- bzw. Gehaltserhöhung in der Berechnung des Urlaubsentgelts noch keinen Niederschlag gefunden hat, ist eine entsprechende Aufzahlung zu leisten.e)
Die Zahl der für den einzelnen Urlaubstag zu vergütenden Stunden beträgt ein Fünftel der wöchentlichen Arbeitszeit des Arbeitnehmers nach dem Durchschnitt der letzten drei abgerechneten Lohnperioden, mindestens der letzten dreizehn Wochen.
f)
Das Urlaubsentgelt je Urlaubstag wird für das Urlaubsjahr vor dem ersten Urlaubsantritt nur einmal berechnet.2.
Angestellten ist während des Urlaubs das vereinbarte Monatsgehalt weiter zu zahlen.Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und seiner Wertung durch das Arbeitsgericht wird auf das unter Zulassung der Berufung ergangene und die Klage abweisende Urteil vom 18. Dezember 1997 Bezug genommen (Blatt 53 bis 58 d. A.).
Gegen dieses ihr am 29. Dezember 1997 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 29. Januar 1998 Berufung ein und begründete diese Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 02. Mai 1998 am Montag, dem 04. Mai 1998.
Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Regelung in den §§ 10 und 13 MTV enthielten eine eigenständige und damit konstitutive Regelung der Entgelt fort Zahlung.
Die per 01. Oktober 1996 in Kraft getretene Änderung des § 4 EFZG habe keinen Einfluss auf die Rechtslage gehabt, weil Änderungen der in Bezug genommenen gesetzlichen Regelungen im Nachwirkungszeitraum eines Tarifvertrages ohne Bedeutung seien.
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 18. Dezember 1997 - 2 Ca 167/97 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 108,48 brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 04. Februar 1997 zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 03. Juni 1998 (Blatt 108 bis 110 d. A.).
Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Klägerin wird auf die Berufungsbegründung vom 04. Mai 1998 nebst Anlagen Bezug genommen (Blatt 77 bis 106 d. A.). Außerdem wird auf den vollständigen Text des MTV verwiesen (Hülle Blatt 113 d. A.).
Gründe
Die Berufung ist nicht begründet, weil der Klägerin gemäß §§ 10, 13 MTV der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht, wie das Arbeitsgericht zutreffend herausgearbeitet hat.
Gemäß § 543 ZPO nimmt das Berufungsgericht auf die Entscheidungsgründe Bezug, um Wiederholungen zu vermeiden.
I.
Die Berufung gibt Anlass zu folgenden ergänzenden Bemerkungen:
1.
Die Regelung in § 10 Nr. 2 Abs. 1 MTV wiederholt lediglich ohne jeden weitergehenden Inhalt die seinerzeitige gesetzliche Regelung mit dem Entgeltfortzahlungsanspruch einer gewerblichen Arbeitnehmerin, wie er seinerzeit sich für die Klägerin aus den Vorschriften des Lohnfortzahlungsgesetzes ergeben hatte.
Zu einer eigenständigen und daher konstitutiven Regelung hätte die in Nr. 3 des § 10 MTV gegebene Verweisung auf die Urlaubsvergütung des § 13 III Nr. 1 MTV werden können, wenn hierin die Höhe der Krankheitsvergütung in der Höhe der Urlaubsvergütung abzulesen wäre. Dies ist nicht der Fall, weil § 10 Nr. 3 MTV auf die Urlaubsvergütung nur für die "Berechnung" der Höhe der Krankenvergütung verweist (vgl. BAG vom 08. September 1999 - 5 AZR 451/98 -, sub II. wohl unveröffentlicht).
Der Fall läge wohl nur dann anders, wenn für die "Höhe" auf das Urlaubsentgelt verwiesen worden wäre. Dann ergäbe sich aus dem Tarifvertrag allein die konkrete Vergütung der Krankenvergütung, wie es beispielsweise auch dann der Fall ist, wenn die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 1/22 des - vollen - Urlaubsentgeltes vorgesehen ist (BAG vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 728/97 und 5 AZR 297/98 auf S. 4-5 -). Da hier der Tarifvertrag nur für die Berechnung der Krankenvergütung auf die Urlaubsvergütung verweist und nicht dessen Höhe vorschreibt, entfällt eine eigenständige Regelung, wie das BAG im Urteil vom 08. September 1999 a.a.O. für eine durchaus vergleichbare tarifliche Regelung mit der Verweisung im dort einschlägigen § 12 Nr. 2 TV zur Berechnung auf die Urlaubsvergütung in § 15 III TV im einzelnen ausgeführt hat.
2.
Die Klägerin kann entgegen ihrer ausdrücklichen Berufungsbegründung zu ihren Gunsten nichts aus dem Umstand herleiten, dass sich der MTV im Jahre 1996 nur im Stadium der Nachwirkung befand, weil seine zwingende Wirkung zuletzt am 31. Dezember 1995 erloschen war.
Es mag zutreffend sein, dass auch Änderungen der formellen gesetzlichen Lage und nicht nur einer tarifliche Norm ohne Auswirkungen auf den Regelungsbereich eines lediglich verweisenden Tarifvertrages bleiben, wenn sich der verweisende Tarifvertrag im Stadium der Nachwirkung befindet (so ausdrücklich lediglich für tarifliche Normen: BAG vom 10. November 1982 - 4 AZR 1203/79 - in AP.-Nr. 8 zu § 1 TVG Form und u. a. in BB 83, 1344 in LS 3 und als obiter dictum auf S. 1347 a.E.). Daraus folgt nicht, dass zu Gunsten der Klägerin die ursprüngliche gesetzliche Regelung im LFG aufrechterhalten blieb. Sie war schon 1994 durch die entsprechenden Bestimmungen des EFZG ersetzt worden und fiel per 01. Oktober 1996 unter die Neuregelung des § 4 EFZG mit der herabgesetzten Krankenvergütung. Dies ergibt sich daraus, dass wegen der lediglich deklaratorischen Bedeutung der Klauseln des MTV der Anspruch der Klägerin sich auch damals nicht aus dem MTV, sondern aus dem Gesetz ergab (LFG und ab 1994 EFZG).
3.
Die Berufung der Klägerin auf das eingereichte Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. Februar 1998 - 6 (10) Sa 1008/97 - überrascht, weil im vorliegenden Fall die Beklagte Angestellte und Arbeiter nicht ungleich behandelte, sondern an alle lediglich 80 % zahlte.
Im übrigen bestand auch für Angestellte in diesem Bereich in der Zeit vom 01. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 kein tariflicher Anspruch auf volle Entgeltfortzahlung, wie im Parallelverfahren 10 Sa 222/98 gleichfalls unter Revisionszulassung entschieden wurde.
II.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 97 ZPO zu tragen, weil ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.
Die Zulassung der Revision erfolgte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Es handelt sich um die Auslegung einer bundesweit anwendbaren tariflichen Regelung.