Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.01.2000, Az.: 9 Sa 521/99
- siehe dazu Urteil des BAG vom 31.05.2001 - 6 AZR 196/00
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 12.01.2000
- Aktenzeichen
- 9 Sa 521/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 34230
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2000:0112.9SA521.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 22.01.1999 - AZ: - 6 Ca 559/98
Rechtsgrundlagen
- BMT-G 2 § 22 Abs. 1 S. 2 Buchst. d
Fundstelle
- ZTR 2000, 268-269
Amtlicher Leitsatz
§ 22 Abs. 1 S. 2 d) BMT-G II bestimmt ungeachtet der obligatorischen Freizeitausgleichspflicht für Arbeit an den Vorfesttagen eines Zeitzuschlag in Höhe von 100 % für Stunden nach 12:00 Uhr. Ein zwingender Anhaltspunkt für einen ungewollten Wertungswiderspruch zwischen den Bestimmungen in c) und in b) der Tarifvorschrift fehlt.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 22.01.1999 6 Ca 559/98 teilweise abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im übrigen wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 108,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15.03.1997 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger 62,5 %, die Beklagte 37,5 % zu tragen.
Die Revision wird für die Beklagte zugelassen.
Tatbestand:
Die beiderseits tarifgebundenen Parteien streiten darüber, ob für Arbeit an Heiligabend und an Sylvester außer Freizeitausgleich zusätzlich Zeitzuschläge zu gewähren sind.
Der am 02.02.1950 geborene Kläger ist seit dem 01.09.1984 bei der Beklagten als Müllwerker beschäftigt. Er erhält seit Dezember 1996 Lohn nach Lohngruppe 3 a des Lohngruppenverzeichnisses. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der BMT-G II sowie die diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung statt. Der Kläger arbeitete am 24.12.1996 und am 31.12.1996 von 6:30 Uhr bis 15:00 Uhr für die Beklagte. Er erhielt am 02.01.1997 und am 03.01.1997 entsprechende Freizeitausgleiche.
In den vergangenen Jahren hat die Beklagte aufgrund eines Urteils des Landesarbeitsgerichts in einem Musterprozess (6 Sa 160/85; Urteil vom 22. April 1986) für Zeiten, die der Kläger am 24.12. und am 31.12. vor 12:00 Uhr gearbeitet hat, einen Zeitzuschlag gezahlt, allerdings im Einklang mit der seinerzeitigen tariflichen Regelung für diese Arbeitszeiten einen Freizeitausgleich nicht gewährt.
Mit der am 07.10.1998 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger die Zahlung von Zeitzuschlägen für seine Arbeit am 24. und 31.12.1996 verlangt. Er hat gemeint, sein Anspruch für die Arbeitsstunden vor 12:00 Uhr ergebe sich aus betrieblicher Übung, der Anspruch für die Arbeitszeit nach 12:00 Uhr aus § 22 Abs. IS. 1. S. 2 d BMT-G II).
Der Kläger hat daher beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 288,00 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15.03.1997 zu zahlen,
hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, an ihn DM 108,00 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15-03.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, Zeitzuschläge könne der Kläger nur dann beanspruchen, wenn er für die am 24. und 31.12. geleisteten Arbeitsstunden einen Freizeitausgleich nicht bekommen habe.
Durch Urteil vom 22.01.1999 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt, den Streitwert auf 288,00 DM festgesetzt und die Berufung zugelassen.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung bestehe deshalb nicht, weil keine Übung der Beklagten existiere, für Arbeiten am 24. und 31.12. Zeitzuschläge und Freizeitausgleich kumulativ zu gewähren. Aber auch ein tariflicher Anspruch nach § 22 Abs. IS. 2 d) bestehe nicht. Zwar sei dem Kläger zuzugeben, dass der Wortlaut dieser Tarifbestimmung keinerlei Einschränkungen für die Zahlungsansprüche für den 24. und 31.12. für die Zeit ab 12:00 Uhr enthalte. Eine systematische Auslegung der Tarifbestimmung gebiete jedoch eine teleologische Reduktion. Denn in § 22 Abs. IS. 2 c) seien Zuschlagsregelungen für Arbeiten an anderen Feiertagen normiert, und zwar in der Weise, dass die Zuschläge für Tage mit Freizeitausgleich auch dann weitaus geringer als 100 % seien, wenn diese Tage "in ihrer gesellschaftlichen Wertigkeit höher angesiedelt" seien als die Werktage 24. und 31.12. Es sei nicht anzunehmen, dass die Tarifvertragsparteien bewußt einen derartigen Wertungswiderspruch hätten treffen wollen. Es sei auch dafür kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich. Dieser Widerspruch könne nur so aufgelöst werden, dass die Vorschrift nur dann angewendet werden könne, wenn die Behörde einen Freizeitausgleich nach § 15 Abs. 4 S. 2 BMT-G II nicht gewähren könne.
Wegen der weiteren rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seinem Ergebnis haben gelangen lassen, wird auf den Inhalt der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 32-35 d.A.).
Gegen dieses ihm am 17.02.1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 17.03.1999 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er mit einem am 06.04.1999 beim LAG eingegangenen Schriftsatz begründet hat.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klageziel nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 01.04.1999, auf deren Inhalt die Kammer Bezug nimmt (Bl. 44-48 d.A.) weiter.
Er beantragt daher,
das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 288,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15.03.1997 zu zahlen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 108,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 15.03.1997 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 07.05.1999, auf deren Inhalt die Kammer ebenfalls Bezug nimmt (Bl. 51-54 d.A.).
Gründe
Die Berufung ist unbegründet, soweit sie zurückgewiesen worden ist, im übrigen begründet.
I.
Die Berufung ist unbegründet soweit der Kläger Zeitzuschläge für seine Arbeitsstunden vor 12:00 Uhr am 24. und am 31.12.1996 verlangt. Insoweit hat das Arbeitsgericht die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen. Die Kammer folgt dem Arbeitsgericht auch in der Begründung. In der Berufungsinstanz ist unstreitig geblieben, dass es zu keinem Zeitpunkt eine kumulative Gewährung von Zeitzuschlägen und von Freizeitausgleich für vor 12:00 Uhr am 24. und am 31.12. geleistete Arbeitsstunden gegeben hat. Damit scheidet ein Anspruch aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung aus. Eine weitere Anspruchsgrundlage ist nicht ersichtlich, insbesondere gewährt § 22 Abs. 1 S. 2 BMT-G II keinen derartigen Anspruch.
II.
In Bezug auf die von dem Kläger verlangten Zeitzuschläge für seine Arbeit nach 12:00 Uhr an Heiligabend und an Sylvester 1996 ist die Berufung dagegen begründet, weil die Klage begründet ist. Der Kläger stützt seinen Anspruch zu Recht auf die tarifliche Regelung in § 22 Abs. IS. 2 d). § 22 Abs. 1 BMT-G II lautet, soweit für den Streitfall von Bedeutung:
"Für die in Satz 2 genannten Arbeiten erhält der Arbeiter Zeitzuschläge. Sie betragen je Stunde
- a
...
- b
...
- c
für Arbeit an
- a
gesetzlichen Wochenfeiertagen sowie am Ostersonntag und am Pfingstsonntag
ohne Freizeitausgleich 135 %
bei Freizeitausgleich 35 %
- b
gesetzlichen Wochenfeiertagen, die auf einen Sonntag fallen,
ohne Freizeitausgleich 150 %
bei Freizeitausgleich 50 %
- d
für Arbeit nach 12:00 Uhr an den Tagen vor Neujahr, vor Ostersonntag, vor Pfingstsonntag und vor dem 1. Weihnachtsfeiertag gem. § 15 Abs. 4 100 %....
§ 22 S. 1 und S. 2 d) enthalten eindeutige Regelungen, und zwar gerade auch im Hinblick auf die differenzierten Bestimmungen in c); während dort nämlich zwischen Arbeit mit Freizeitausgleich und solcher ohne Freizeitausgleich unterschieden wird, bestimmt § 22 S. 2 d) ungeachtet derobligatorischen Freizeitausgleichspflicht für Arbeit an den Vorfesttagen einen Zeitzuschlag in Höhe von 100 % für Stunden nach 12:00 Uhr. Insofern ist nicht nur, was die Beklagte einräumt, der Wortlaut eindeutig, von dem nach der Rechtsprechung des BAG bei einer tariflichen Auslegung auszugehen ist (st. Rechtsprechung, z. B. AP.-Nr. 57 zu § 1 TVG Tarifverträge: Einzelhandel), sondern die Tarifvertragsparteien haben dadurch, dass sie bei Arbeit an gesetzlichen Wochenfeiertagen sowie am Ostersonntag und am Pfingstsonntag die Höhe der Zeitzuschläge im Falle von Arbeit ohne Freizeitausgleich um 100 % höher festgelegt haben, als bei Arbeit mit Freizeitausgleich, in der Regelung in d) eine solche Unterscheidung dagegen nicht getroffen haben, zunächst einmal der Tatsache Rechnung getragen, dass nach § 15 Abs. 4 S. 2 BMT-G II der Freizeitausgleich für die Arbeit an Vorfesttagen (ganztägig an Heiligabend und Sylvester, jeweils ab 12:00 Uhr an den Tagen vor Ostersonntag und vor Pfingstsonntag) nicht fakultativ ist. Demgegenüber findet der Ausgleich für Arbeit an Wochenfeiertagen gem. § 15 Abs. 2 Unterabs. 2 BMT-G II nur auf Antrag und nur dann statt, wenn die dienstlichen oder betrieblichen Verhältnisse es zulassen.
Damit ergibt sich zwar eine unterschiedliche Wertigkeit der Arbeit an den Feiertagen in § 22 Abs. IS. 2 c) einerseits und an den Vorfesttagen in d) andererseits. Es fehlt aber ein zwingender Anhaltspunkt für einen ungewollten Wertungswiderspruch.
III.
Die Kostenentscheidung fußt auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Gesetzliche Gründe, für den Kläger die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Die Zulassung der Revision für die Beklagte beruht auf § 72 Abs. 2 Ziff. 1 i.V.m. § 72 a Abs. 1 Ziff. 2 ArbGG.