Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.01.2000, Az.: 5 Ta 550/99

Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
28.01.2000
Aktenzeichen
5 Ta 550/99
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 21507
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2000:0128.5TA550.99.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Lüneburg - 24.09.1999 - AZ: 1 Ca 1330/99

Fundstelle

  • NZA-RR 2000, 315-318 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ergibt sich schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers, dass die Voraussetzungen dies gesetzlichen Kündigungsschatzes offensichtlich nicht erfüllt sind und liegt ohne die Rechtsbehauptung des Arbeitnehmers, er unterfalle dem gesetzlichen Kündigungsschutz, ein et-et- oder aut-aut-Fall vor, bei dem es auf die Schlüssigkeit des klägerischen Vorbringens ankommt, ist die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht bereits durch die Rechtsbehauptung des Klägers begründet. Vielmehr ist in diesen Fällen maßgeblich, ob der Kläger seine Arbeitnehmereigenschaft zumindest schlüssig vorgetragen hat.

  2. 2.

    Zum schlüssigen Vortrag der Arbeitnehmereigenschaft bei einem "freien Mitarbeitervertrag", der Freiheiten vorsieht, die durch eine am gleichen Tag abgeschlossene Ergänzungsvereinbarung in wesentlichen Punkten eingeschränkt sind.

Tenor:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 24.09.1999 (1 Ca 1330/99) wird auf die sofortige Beschwerde der Klägerin abgeändert. Das Arbeitsgericht ist zuständig.

Die weitere sofortige Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Parteien streiten in der Hauptsache um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.

2

Der Beklagte betreibt unter der Firma ... in ... sowie in ... zwei Einzelhandelsgeschäfte mit Tonträgern und Spielen. In ... ... beschäftigt er zwei Mitarbeiter, in ... die Klägerin seit dem 01.05.1998 sowie eine Aushilfskraft. Daneben ist der Beklagte Geschäftsführer der ... in ... die mindestens 10 Angestellte beschäftigt.

3

Die Parteien vereinbarten unter dem 01.05.98 einen sog. "freien" Mitarbeitervertrag". Danach besteht die Aufgabe der Klägerin in der "Organisation und Abwicklung des Vertriebes von Tonträgern, Spielen u.ä. Produkten im Einzelhandel" (§ 1). Nach § 2 erhält sie dafür ein monatliches Honorar in Höhe von mindestens 2.000,00 DM zuzüglich Umsatzsteuer. Für Umsätze, die monatlich den Betrag von 20.000,00 DM (netto, ohne Umsatzsteuer) übersteigen, verpflichtet sich der Beklagte zur Zahlung einer Provision in Höhe von 10 % dieser 20.000,00 DM übersteigenden Umsätze nach Vorlage der entsprechenden Rechnung. Die Klägerin verpflichtete sich, einen Gewerbebetrieb anzumelden und Steuern sowie Sozialversicherungsbeträge selbst abzuführen. Nach § 3 des Vertrages darf die Erfüllung der vertraglichen Leistung der Klägerin im Büro des Beklagten oder an anderen Orten erfolgen, wenn es der Auftragsabwicklung dient. § 4 sieht vor, dass dem Beklagten kein Weisungsrecht gegenüber der Klägerin aufgrund dieses Vertrages zusteht und die Klägerin ihrerseits gegenüber Angestellten des Beklagten ebenfalls nicht weisungsbefugt ist. Nach § 5 ist die Klägerin zudem befugt, ihre Arbeitszeit nach freiem, pflichtgemäßen Ermessen einzusetzen; an eine regelmäßige Arbeitszeit ist sie nicht gebunden. § 6 sieht vor, dass die Klägerin in der Wahl des Arbeitsortes frei ist und nur einen halben Tag wöchentlich nach Absprache präsent sein muss. Nach § 9 ist der Klägerin das Recht eingeräumt, Nebentätigkeiten, gleich welcher Art, auszuüben.

4

Ebenfalls unter dem 01.05.98 einigten sich die Parteien auf eine Ergänzung zu dem "freien Mitarbeitervertrag". Die Vereinbarung hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

a)
"Frau ... und/oder die ihr zugestandene Aushilfskraft ist zu den üblichen Öffnungszeiten (Mo. - Fr. 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr, Sa. 10.00 - 13.00 Uhr) im Verkaufslokal in der ... anwesend. Einer etwa erforderlichen Verschiebung der Öffnungszeiten wird sich Frau ... flexibel anpassen. Eine Ausweitung der Öffnungszeiten ist neu zu regeln.

b)
Frau ... wird eine Aushilfskraft auf Kosten des Vertragspartners zu 1) bis 590,00 DM pro Monat zugestanden. Sofern der durchschnittliche Monatsumsatz eines abgelaufenen Quartals 60.000,00 DM (ohne Umsatzsteuer) übersteigt, wird ab Beginn des darauf folgenden Quartals eine weitere Aushilfskraft bis 590,00 DM pro Monat bewilligt. Frau kann die Aushilfskräfte für das Verkaufslokal selbst aussuchen und besitzt - entgegen § 4 Abs. 2 des Vertrages - diesen gegenüber volle Weisungsbefugnis.

c)
Eine Konkurrenztätigkeit zu den Aktivitäten im Zusammenhang mit ... ist nicht gestattet...."

5

Der Beklagte kündigte das Beschäftigungsverhältnis am 04.07.1999 fristlos. Mit der am 14.07.1999 zugegangenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 04.07.1999 zum 03.07.1999 nicht beendet worden ist, sondern über diesen Zeitpunkt zu unveränderten Bedingungen fortbesteht. In der Begründung hat sie u. a. geltend gemacht, die Kündigung sei auch sozial ungerechtfertigt.

6

Das Arbeitsgericht hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 24.09.1999 ohne mündliche Verhandlung den Rechtsstreit an das Amtsgericht ... verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei als freie Mitarbeiterin bei dem Beklagten beschäftigt gewesen und damit keine Arbeitnehmerin gemäß § 2 ArbGG. Maßgebend sei ihr schriftlicher Vertrag vom 01.05.1998. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Ergänzung zum freien Mitarbeitervertrag, durch dessen Ziffer 2 a) lediglich die Anwesenheit einer Verkaufsperson im Verkaufslokal in habe sichergestellt werden sollen. Es habe aber keine Verpflichtung der Klägerin bestanden, selbst im Verkaufslokal anwesend zu sein. Vielmehr sei der Klägerin ausdrücklich wenigstens eine Aushilfskraft zugestanden worden, deren Auswahl und Einsatz die Klägerin selbst habe steuern können. Eine abweichende Handhabung und Abwicklung des Vertrages habe die Klägerin auch nicht so konkret vorgetragen, dass dies Grundlage einer Beweisaufnahme sein könne. Es fehle an der Darlegung, wann und zu welchem Zeitpunkt der Beklagte Einzelanweisungen gegeben habe. Schließlich seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Klägerin als arbeitnehmerähnliche Person anzusehen und deshalb der Weg zu den Arbeitsgerichten eröffnet sei.

7

Dieser Beschluss wurde der Klägerin am 01.10.1999 zugestellt. Sie trägt mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 06.10.1999 vor, tatsächlich keine Tätigkeiten selbständig durchführen zu können. Vielmehr sei sie im Hinblick auf Ort und Zeit durch die Ladenöffnungszeiten weisungsgebunden. Daran ändere sich auch durch die Aushilfskraft nichts, die höchstens im Umfang von 10 Stunden wöchentlich habe tätig werden können. Die Zusatzkraft sei nur eingestellt worden, damit die Klägerin Pausen machen und notwendige Gänge zur Bank usw. erledigen könne. Auch die Tatsache der Auswahl der Aushilfskraft spreche nicht gegen ein Angestelltenverhältnis, weil diese Befugnis letztlich jeder Filialleiterin zustehe. Das Arbeitsgericht habe die Tatsache nicht gewürdigt, dass die Aushilfskraft von der Beklagten bezahlt worden sei. Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe es zur Bedingung gemacht, dass die Aushilfskraft nicht länger als 50 Stunden pro Monat arbeite. Im Frühjahr 1999 habe der Beklagte angekündigt, er werde die Stundenzahl der Aushilfskraft auf 27 Stunden verringern. Bevor dies in Kraft getreten sei, habe er das Vertragsverhältnis aber gekündigt.

8

Der Beklagte hat hingegen gemeint, die Klägerin habe über Freiheiten verfügt, die keinem "normalen" Angestellten zustünden. Sie sei nicht verpflichtet gewesen, irgendwelche Öffnungszeiten einzuhalten, da ihr insoweit eine Aushilfskraft zur Verfügung gestellt worden sei, die sie sich selbst habe aussuchen können. Die Klägerin habe nicht persönlich im Geschäftslokal anwesend sein müssen.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

10

II.

Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG statthaft.

11

Das Landesarbeitsgericht entscheidet über die sofortige Beschwerde gemäß § 17 a Abs. 4 Satz 3 GVG ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter und ohne mündliche Verhandlung (vgl. BAG 10.12.1992 AP GVG § 17 a Nr. 4 = NZA 1993, 619; Erfurter Kommentar/Schaub § 48 Rdnr. 13).

12

Die Beschwerde ist auch begründet.

13

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 b) ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für bürgerlich-rechtliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses.

14

1.

Das Beschwerdegericht geht nicht schon von der Zuständigkeit des Arbeitsgerichts aufgrund der bloßen Rechtsbehauptung der Klägerin aus, sie sei Arbeitnehmerin.

15

a)

Kann eine Klage nur dann Erfolg haben, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist, liegt nach der Typologie des Bundesarbeitsgerichts ein sog. sic-non-Fall vor, bei dem die bloße Rechtsbehauptung des Klägers, er sei Arbeitnehmer, zur Begründung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit ausreicht (Beschluss vom 24.04.1996 NJW 1996, 2948 [BVerwG 31.08.1995 - 5 C 9/95] = NZA 1996, 1005). Von diesem Rechtssatz geht das Beschwerdegericht entgegen der im Schrifttum vereinzelt vertretenen Gegenauffassungen (vgl. z. B. Kluth, NJW 1999, 342) im Grundsatz aus. Der Anspruch der Prozessbeteiligten auf den gesetzlichen Richter wird durch die sic-non-Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht verletzt. Manipulationsmöglichkeiten werden hierdurch grundsätzlich nicht eröffnet. Stellt sich nämlich heraus, dass der Kläger in Wahrheit kein Arbeitnehmer ist, so steht damit zugleich fest, dass seine Klage unbegründet ist. Eine Verweisung des Rechtsstreits in einen anderen Rechtsweg wäre sinnlos (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.08.1999 NZA 1999, 1234).

16

Hingegen wird die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht durch die Rechtsbehauptung des Klägers begründet, wenn die Klage entweder auf arbeitsrechtliche oder auf bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird (sog. et-et-Fälle), oder die Klage widerspruchslos auf beide Rechtsgrundlagen gestützt werden kann (sog. aut-aut-Fälle). Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts muss der Kläger hier Tatsachen schlüssig vortragen, aus denen er seine Arbeitnehmereigenschaft herleitet (BAG 10.12.1996 AP ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung Nr. 4 = NZA 1997, 674). Diese strengen Anforderungen können weder durch die Verbindung mit einer Statusklage umgangen werden, um den Rechtsstreit vor die Arbeitsgerichte zu bringen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 31.08.1999 a.a.O.) noch dadurch, dass im Kündigungsschutzantrag Feststellung begehrt wird, dass "das Arbeitsverhältnis" durch die Kündigung nicht beendet worden ist.

17

Eine Umgehung der Anspruchsvoraussetzungen liegt nach Auffassung des Beschwerdegerichts auch in der rechtsmissbräuchlichen Behauptung, eine arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage komme neben einer bürgerlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage in Betracht. So liegt bei Streitigkeiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung an sich ein et-et-Fall vor, weil die maßgebliche Vorschrift in § 626 BGB sowohl im Dienst- wie im Arbeitsverhältnis anzuwenden ist (vgl. BAG 10.12.1996 a.a.O.). Beruft sich ein Kläger zudem auf die Unwirksamkeit der hilfsweise zu prüfenden ordentlichen Kündigung, liegt hingegen ein sic-non-Fall vor, in dem es auf die schlüssige Darlegung der Arbeitnehmereigenschaft nicht (mehr) ankommt. Die verfassungskonforme Handhabung der verfahrensrechtlichen Regel verlangt aber stets die Prüfung, ob der Kläger sich durch die Geltendmachung des Kündigungsschutzes den Rechtsweg erschleichen wollte, um die Prüfung einer bürgerlich-rechtlichen Anspruchsgrundlage in einem et-et-Fall von dem offensichtlich unzuständigen Arbeitsgericht vornehmen zu lassen. Ergibt sich schon nach dem eigenen Vortrag des Klägers, dass die Voraussetzungen des gesetzlichen Kündigungsschutzes offensichtlich nicht erfüllt sind und liegt ohne die Rechtsbehauptung des Arbeitnehmers, er unterfalle dem gesetzlichen Kündigungsschutz, ein et-et- oder aut-aut-Fall vor, bei dem es auf die Schlüssigkeit des klägerischen Vorbringens ankommt, ist die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht bereits durch die Rechtsbehauptung des Klägers begründet. Vielmehr ist in diesen Fällen maßgeblich, ob der Kläger seine Arbeitnehmereigenschaft zumindest schlüssig vorgetragen hat.

18

b)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die Zuständigkeit des Arbeitsgerichts nicht schon deshalb gegeben, weil die Klägerin die Rechtsbehauptung aufgestellt hat, sie sei Arbeitnehmer in.

19

Die Klägerin hat sich mit der Klage gegen die außerordentliche Kündigung vom 04.07.1999 gewandt und damit auf eine Anspruchsgrundlage (§ 626 BGB) bezogen, die sowohl für die Arbeits- wie für freie Mitarbeiterverhältnisse gilt. Insoweit liegt ein et-et-Fall vor. Im Hinblick auf diesen Vortrag kommt es für die Zuständigkeit darauf an, ob die Klägerin ihre Arbeitnehmereigenschaft schlüssig vorgetragen hat.

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Dieser Vortrag ist nicht dadurch entbehrlich, dass die Klägerin außerdem geltend gemacht hat, sie sei Arbeitnehmerin und die Kündigung sei nach § 1 Abs. 2 KSchG auch als ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz kann zwar nur von Arbeitnehmern, nicht von freien Mitarbeitern geltend gemacht werden. Nur für Arbeitnehmer kann die Klage unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt Erfolg haben. Dennoch liegt kein sic-non-Fall vor. Denn die Voraussetzungen für die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes sind offensichtlich nicht erfüllt. Der Beklagte beschäftigt in dem Betrieb in nur die Klägerin und eine Aushilfe im Umfang geringfügiger Beschäftigung. Damit unterfällt dieser Betrieb offensichtlich nicht dem Kündigungsschutzgesetz, für dessen Anwendung nach § 23 Abs. 1 KSchG ausschließlich der Auszubildende ständig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt sein müssen.

21

Zwar ist die Kleinbetriebsklausel verfassungskonform auszulegen und anzuwenden. Die Besserstellung der Kleinbetriebe ist nur wegen ihrer geringen wirtschaftlichen und verwaltungsmäßigen Leistungsfähigkeit sowie der besseren Nähe zwischen Betriebsinhaber und seinen Arbeitnehmern gerechtfertigt. Aus diesem Grunde kommt die Herausnahme aus dem Kündigungsschutzgesetz nur für Unternehmen in Betracht, die insgesamt nicht mehr als fünf Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigen (sog. Kleinunternehmen, vgl. BVerfG 27.01.1998 AP KSchG 1969 § 23 Nr. 17 = NZA 1998, 470). Auch unter Berücksichtigung einer verfassungskonformen Auslegung des § 23 Abs. 1 KSchG wird die Mindestarbeitnehmerzahl offensichtlich nicht erreicht. Denn in dem Geschäftslokal in beschäftigt der Beklagte nur zwei Arbeitnehmer, so dass im Bereich seines

22

Unternehmens unter Einbeziehung des Geschäfts in ... höchstens vier Arbeitnehmer regelmäßig arbeiten.

23

Die Arbeitnehmer in der Filiale in ... sind nicht hinzuzuzählen. Dieser Betrieb gehört zu einer selbständigen GmbH, deren Geschäftsführer der Beklagte ist. Ob der Beklagte und diese GmbH im Sinne des Konzernrechts verbunden sind, kann dahinstehen, weil kein Berechnungsdurchgriff im Konzern anzustellen ist (BAG 28.04.1999 = NZA 1999, 590).

24

Dafür, dass die Geschäfte in ... und dem 520 km entfernt liegenden ... als Gemeinschaftsbetrieb des Klägers und der ... Tonträger Vertriebs-GmbH anzusehen sind mit der Folge, dass die in beiden Geschäften beschäftigten Arbeitnehmer zusammengerechnet werden müssen, ergibt sich aus dem Sachvortrag der Klägerin kein Anhaltspunkt. Ein gemeinschaftlicher Betrieb setzt nämlich die Bildung einer einheitlichen Organisation voraus, die von einer einheitlichen Führung gesteuert werden muss. Zwischen den zu diesem Zweck verbundenen Unternehmen muss zudem eine Führungsvereinbarung bestehen (BAG 13.06.1985 AP KSchG 1969 § 1 Nr. 10 = NZA 1986, 600).

25

2.

Die Zuständigkeit des angerufenen Arbeitsgerichts ergibt sich aber aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) ArbGG, selbst wann man nicht von einem sic-non, sondern im Hinblick auf die nach § 626 BGB anzustellende Schlüssigkeitsprüfung von einem et-et-Fall ausgeht.

26

a)

Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a) ArbGG haben die Gerichte für Arbeitssachen eine umfassende Zuständigkeit für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Der verfahrensrechtliche Begriff des Arbeitnehmers ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Nach dieser Vorschrift ist Arbeitnehmer, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages zur Arbeit im Dienst eines anderen verpflichtet ist. Maßgeblich ist die persönliche Abhängigkeit. In Grenzfällen wird die Arbeitnehmereigenschaft mit einer Vielzahl von Einzelkriterien bestimmt. Die Rechtsprechung entscheidet arbeits- und freie Mitarbeiterverträge danach, ob derjenige, der die Dienste erbringt, von seinem Vertragspartner persönlich abhängig ist. Die persönliche Abhängigkeit ist anzunehmen, wenn statt der freien Tätigkeitsbestimmung die Einbindung in eine fremde Arbeitsorganisation vorliegt, die sich im Weisungsrecht des Arbeitgebers bezüglich Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit zeigt (BAG 30.11.1994 AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 74). Der Weisungsumfang kann dabei unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Nicht sämtliche Kriterien müssen zur Annahme der Arbeitnehmereigenschaft vorliegen, vielmehr ist das Gesamtbild im Einzelfall maßgeblich (vgl. BAG 29.01.1992 BetrVG 1972 § 5 Nr. 47).

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Der Rechtsbegriff des Arbeitnehmers ist weder Vertrags- noch tarifdispositiv. Eine fehlerhafte Vertragstypenzuordnung ist stets durch die Rechtsprechung zu korrigieren. So kann ein Vertrag, der konstitutive Elemente eines Arbeitsvertrages hat, nicht durch schlichte Bezeichnung als "freier Mitarbeitervertrag" zum freien Dienstvertrag werden. Die anwendbaren Rechtsregeln sind objektiv zugeordnet. Geben die Parteien dem geschlossenen Arbeitsvertrag also eine andere Rechtsform, hat dies für das anzuwendende Recht keine Auswirkung. Die einverständliche konkrete Ausgestaltung des Vertrages als unselbständige, persönliche Abhängigkeit begründende Arbeitsleistung führt somit zur Anwendung des Arbeitsrechts, selbst wenn die Parteien dies nicht wollen (Erfurter Kommenbar/Preis § 611 BGB Rdnr. 50 f.m.w. Nachw.).

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Dahinter steht der Grundsatz der zwingenden Wirkung des Arbeitnehmerschutzrechtes, wonach auch die Vertragsdurchführung für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft maßgeblich ist. Abzustellen ist im Zweifel auf die praktische Durchführung des Vertrages (vgl. BAG 19.11.1997 = DB 1998, 624 [BAG 19.11.1997 - 5 AZR 653/96]). Der wirkliche Geschäftsinhalt ist den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen und der praktischen Durchführung des Vertrages zu entnehmen. Sollte der Vertrag abweichend von den ausdrücklichen Vereinbarungen vollzogen werden, ist die tatsächliche Durchführung maßgebend. Denn die praktische Handhabung lässt Schlüsse darauf zu, von welchen Rechten und Pflichten die Parteien in Wirklichkeit ausgegangen sind (BAG 22.03.1995, AP ArbGG 1979, § 5 Mr. 21).

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Zur Beurteilung der tatsächlichen Vertragsdurchführung können weitere Indizien der Vertragsgestaltung herangezogen werden. So ist wesentlich, ob der Beschäftigte seine gesamte Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen hat und weitere Nebentätigkeiten ausgeschlossen sind. Es lassen sich ferner z. B. aus der Form der Vergütung (Einzelhonorar oder Monatsentgelt), der Abführung von Steuern und Versicherungsbeiträgen, der Gewährung von Urlaub Schlüsse ziehen. Allerdings sind diese Hilfstatsachen nur zu Gunsten des Arbeitnehmers zu würdigen. Aus dem Umstand, dass ein Arbeitgeber (zu Unrecht) Folgerungen aus dem von ihm eingenommenen Rechts Standpunkt zieht und z. B. auf die Gewährung oder Abführung gesetzlicher Lohnnebenleistungen verzichtet, kann nicht auf ein freies Mitarbeiterverhältnis geschlossen werden (vgl. BAG, 09.07.1977, AP BGB § 611 Abhängigkeiten Nr. 22; Erfurter Kommentar/Preis § 611 BGB Rdnr. 59).

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b)

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Klägerin die Voraussetzungen einer Arbeitnehmereigenschaft schlüssig vorgetragen.

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Die Parteien haben zwar einen "freien Mitarbeitervertrag" geschlossen, nach dessen Wortlaut die Klägerin keine Arbeitnehmerin ist. Die Klägerin hat danach vertraglich die "Organisation und Abwicklung des Vertriebes von Tonträgern, Spielen und ähnlichen Produkten im Einzelhandel" übernommen (§ 1) und unterliegt bei der Ausübung dieser Tätigkeit keinen Weisungen (§ 4 Ziff. 1). Sie muss ihre vertraglichen Leistungen nicht im Büro bzw. Ladenlokal des Beklagten erbringen (§ 3 Ziff. 1), ist also - bis auf einen halben Tag pro Woche - in der Wahl ihres Arbeitsortes frei (§ 6). Sie übt ferner gegenüber von ihr angestellten Mitarbeitern das Weisungsrecht aus (Buchst. b der Ergänzung zum freien Mitarbeitervertrag) und kann sich die Arbeitszeit nach freiem, pflichtgemäßen Ermessen einteilen (§ 5). Auch in ihrem Recht zur Ausübung von Nebentätigkeiten ist sie nicht beschränkt (§ 9). Angesichts dieser weitgehenden autonomen Dispositionsmöglichkeiten lässt sich auch aus der (Hilfs-)Tatsache, dass die Klägerin ein monatliches Grundgehalt bezieht, kein Indiz für die Annahme einer Arbeitnehmerschaft ableiten.

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Der Vertrag kann jedoch nicht isoliert, sondern muss im Zusammenhang mit dem am selben Tag abgeschlossenen Ergänzungsvertrag beurteilt werden, mit dem die Parteien die Freiheiten der Klägerin in wesentlichen Punkten eingeschränkt haben. Bei der gemeinsamen Bewertung beider Verträge zeigt sich, dass die Parteien formal einen freien Dienstvertrag geschlossen, dessen Freiheiten tatsächlich durch die Gestaltung der vertraglichen Pflichten aber so eingeschränkt haben, dass von der persönlichen Abhängigkeit der Klägerin im Status einer Arbeitnehmerin auszugehen ist.

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Nach Buchst. a) der Ergänzungsvereinbarung muss die Klägerin selbst und/oder eine Aushilfskraft, die ihr "zugestanden" ist, im Ladengeschäft während vorgeschriebener Öffnungszeiten anwesend sein. Sie darf die vertraglich geschuldeten Tätigkeiten danach keiner anderen vollzeitbeschäftigten Verkaufskraft übertragen. Der Betrieb hängt vielmehr im wesentlichen davon, dass sie persönlich in dem Ladengeschäft arbeitet. Denn nach Buchst. d) der Vereinbarung darf sie nur eine Aushilfskraft im Rahmen geringfügiger Beschäftigung (vertraglich zunächst 590,00 DM, später 610,00 DM) zu ihrer Entlastung einstellen. Nur bei Übersteigen eines monatlichen Umsatzvolumens von 60.000,00 DM ist ihr eine weitere Aushilfskraft "zugestanden". Im übrigen hat sie selbst im Ladenlokal anwesend zu sein. Angesichts der vorgeschriebenen Öffnungszeiten und des geringen Zeitkontingents, das von der Aushilfskraft abgedeckt wird, kann die Klägerin den Laden im wesentlichen nur verlassen, um selbst notwendige Einkäufe, Arztbesuche usw. zu erledigen und Urlaub zu nehmen. Sie muss den Laden von Montag bis Freitag in der Zeit von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr und am Samstag von 10.00 Uhr bis 13.00 Uhr geöffnet halten, also wöchentlich 51 Stunden. Zudem muss sie sich einer erforderlichen Verschiebung der Ladenzeiten flexibel anpassen, ohne selbst die Öffnungszeiten bestimmen zu können. Auch wenn man notwendige Vor- und Nachbereitungszeiten nicht mit einrechnet, ist die Klägerin mindestens im Umfang einer angestellten Filialleiterin in ihrer zeitlichen und örtlichen Disposition beschränkt. Sie kann lediglich - wie Angestellte mit Leitungsaufgaben oder selbständig zu verwaltendem Arbeitsgebiet auch - die Aushilfen eigenständig aussuchen und ist diesen gegenüber voll weisungsbefugt. Bezahlt werden Aushilfen aber von dem Beklagten, der nach dem Vortrag der Klägerin auch die zeitlichen Vorgaben für den Beschäftigungsumfang bestimmt hat. Zu Nebentätigkeiten, die sie nach § 9 des freien Mitarbeitervertrages ausüben könnte, besteht damit praktisch kein Raum. Hinzu kommt, dass dieses Recht im Zusatzvertrag eingeschränkt ist. Nach Buchst. c) der Vereinbarung ist ihr nämlich jede "Konkurrenztätigkeit im Zusammenhang mit der Hit-Box" verboten.

34

Nach ihrem schlüssigen Vortrag hat die Klägerin auch keinen Raum für eigenständige Entscheidungen gehabt. Sie behauptet, der Beklagte habe ohne zu fragen regelmäßig Ware geliefert, deren Verkaufspreise er auch festgelegt habe. Er habe den Warenbestand anlässlich seiner halbjährlichen Besuche kontrolliert und CD?s aussortiert. Der Beklagte habe auch die Art und Weise der Werbung sowie der Angebote vorgegeben und auf die Präsentation der Ware im Verkaufsraum Einfluss genommen.

35

III.

Die sofortige Beschwerde wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, und zwar zum einen im Hinblick auf die Voraussetzungen der Annahme des sic-non-Palles bei offensichtlich fehlerhafter Rechtsbehauptung und zum anderen wegen der Abgrenzung eines schlüssigen Vortrags für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft bei Zugrundelegung eines et-et.