Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.08.2000, Az.: 11 Sa 775/00 E

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
28.08.2000
Aktenzeichen
11 Sa 775/00 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 34235
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2000:0828.11SA775.00E.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Stade - 15.03.2000 - AZ: - 2 Ca 1394/98 E

Fundstelle

  • ZTR 2001, 79-80

Bei einer Vertretungstätigkeit liegt eine "höher zu bewertende Tätigkeit" i. S. v. § 9 MTArb nicht vor, wenn der Arbeiter einen Angestellten vertritt und er im Fall der endgültigen Übertragung der Angestelltentätigkeit weniger an Vergütung erhielte als bisher in seiner Tätigkeit als Arbeiter.

Tenor:

  1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 15.03.2000 2 Ca 1394/98 E wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger gemäß § 9 Abs. 2 b des Manteltarifvertrages für Arbeiter des Bundes und der Länder vom 06.12.1995 (MTArb) eine tarifliche Vertreterzulage zu zahlen.

2

Der Kläger war bei der Beklagten bis 31. Dezember 1998 als Wachmann beim Marinefliegergeschwader ... in ... beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft Tarifbindung der Manteltarifvertrag für Arbeiterinnen und Arbeiter des Bundes und der Länder (MTArb) Anwendung. Der Kläger ist Wege des Bewährungsaufstiegs in die Lohngruppe IV a MTArb eingereiht. Die Tätigkeit des Klägers entspricht der Lohngruppe III MTArb. Vom 01. Januar 1998 bis zum 31. Dezember 1998 vertrat der Kläger den Wachtschichtführer .... Dieser ist Angestellter und erhält Vergütung aus der Vergütungsgruppe VII BAT im Wege des Bewährungsaufstiegs.

3

Nachdem die Beklagte dem Kläger zunächst eine Zulage gemäß § 9 MTArb gezahlt hatte, wenn dieser den Wachtschichtführer vertrat, verweigerte sie dies mit Schreiben vom 13.03.1998 mit der Begründung, daß die vom Kläger ausgeübte Vertretungstätigkeit keine höher zu bewertende Tätigkeit sei. Die bereits gezahlten Zulagen ab Januar 1998 behielt sie vom Arbeitsentgelt des Klägers ein und verweigerte die weitere Zahlung des Vertreterzulage gegenüber dem Kläger.

4

Mit Schreiben vom 25. März 1998 begehrte der Kläger von der Beklagten die Weiterzahlung der Zulage.

5

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei zur Zahlung der Zulage verpflichtet. Bei der Bewertung der Tätigkeiten könne es nur auf die Grundeingruppierung der Tätigkeiten ankommen. In der Grundeingruppierung sei aber die Tätigkeit eines Wachmannes niedriger bewertet als die Tätigkeit eines Wachtschichtführers. Diese Tätigkeit sei höher zu bewerten als die Tätigkeit eines Wachmannes.

6

Der Kläger hat beantragt,

  1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Vertretung eines Angestellten für die Zeit vom 01. Januar 1998 bis zum 31.12.1998 einen Betrag in Höhe von 4.146,22 DM nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

8

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und den Streitwert auf 4.166,22 DM festgesetzt.

9

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Zulage aus § 9 Abs. 2 MTArb, denn dem Kläger sei nicht vertretungsweise eine höher zu bewertende Tätigkeit im Sinne dieser Vorschrift übertragen worden. Der Wachschichtführer sei grundeingruppiert in die Vergütungsgruppe VIII des BAT. Diese Vergütungsgruppe sei aber im Vergleich zur Lohngruppe 4 a MTArb nicht höherwertig, denn wenn der Kläger in die Lohngruppe VII BAT eingruppiert würde, erhielte er monatlich 274,91 DM weniger. Dem stehe nicht entgegen, daß die Tätigkeit eines Schichtführers höher zu bewerten sei. Für die Frage der Zulage, komme es lediglich auf das tatsächlich gezahlte Entgelt, hier auf die Lohngruppe 4 a, an. Die Regelung solle lediglich sicherstellen, daß ein Arbeitnehmer, dem anderweitige Tätigkeit vertretungsweise übertragen werde, tarifgerecht vergütet werde. Dies folge auch aus der Regelung des § 9 Abs. 2 a MTArb, denn für den Fall, daß er einen Arbeiter vertreten hätte, hätte sich an seiner Vergütung nichts geändert. Dann wäre gemäß § 9 Abs. 2 a MTArb in dessen Lohngruppe einzugruppieren gewesen und damit in Lohngruppe 4 a verblieben, obwohl er dieselbe Tätigkeit ausgeübt hätte. Das würde bedeuten, daß die Zulage seinen Grund allein darin hätte, daß er einen Angestellten vertrete. Dieses Ergebnis könne nicht der Wille der Tarifvertragsparteien sein.

10

Gegen dieses ihm am 23. März 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20. April 2000 Berufung eingelegt und diese am 20. Mai 2000 begründet.

11

Er ist weiterhin der Auffassung, daß die ihm zeitweilig übertragene Vertretungstätigkeit eines Wachschichtführers höher zu bewerten sei als die Tätigkeit als Wachmann, die er ausübe.

12

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

  1. das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 15.03.2000 (2 Ca 1394/98 E) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger für die Vertretung eines Angestellten für die Zeit vom 01.01.1998 bis zum 31.12.1998 einen Betrag in Höhe von DM 4.146,22 nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

  1. die Berufung zurückzuweisen.

14

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 26.06.2000 (Bl. 119 121 d. A.), auf den Bezug genommen wird.

Gründe

15

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die Klage abgewiesen.

16

Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Vertretungszulage gemäß § 9 Abs. 2 MTArb. Der Tarifvertrag findet unmittelbar Anwendung, weil die Parteien tarifgebunden sind (§ 4 Abs. 1 TVG). Die Voraussetzungen für die Zahlung einer Vertretungszulage liegen jedoch nicht vor.

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Nach § 9 MTArb erhält ein Arbeitnehmer, dem vertretungsweise eine höher zu bewertende Tätigkeit, die ihn überwiegend in Anspruch nimmt für mehr als zwei aufeinanderfolgende Arbeitstage übertragen wird, bei Vertretung eines Angestellten zu seinem Lohn eine Vertretungszulage von 10 v. H. des Monatstabellenlohnes der Lohnstufe 1 seiner Lohngruppe bzw. von 10 v. H. des auf eine Stunde entfallenden Anteils des Monatstabellenlohns der Lohnstufe 1 seiner Lohngruppe. Dies setzt voraus, daß dem Arbeiter eine höher zu bewertende Tätigkeit vertretungsweise übertragen worden ist.

18

Eine höherwertige Tätigkeit liegt bei der Vertretung eines Angestellten nur dann vor, wenn die übertragene Tätigkeit den Tätigkeitsmerkmalen einer im Vergleich zu der Lohngruppe, in der der Arbeiter eingereiht ist, einer "höherwertigen" Vergütungsgruppe der Anlage 1 a zum BAT zuzuordnen ist, der Arbeiter die in diesen Tätigkeitsmerkmalen geforderten Voraussetzungen (auch in der Person) erfüllt und er deshalb bei dauernder Übertragung dieser Tätigkeit in der betreffenden Vergütungsgruppe eingruppiert wäre. Eine höherwertige Tätigkeit liegt deshalb bei einem Arbeiter, der Lohngruppe 4 a nur dann vor, wenn er einen Angestellten der Gehaltsgruppe VII des BAT vertritt (vgl MTArb Ausg. Bund Kommentar, Lose Blatt Sammlung, § 9 Anmerkung 6 mit Hinweis auf das Beratungsergebnis der MTL-Kommision am 23.04.1986).

19

Eine solche höherwertige Tätigkeit übt der Kläger, wenn er den Wachschichtführer vertritt, nicht aus.

20

Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, daß die Lohngruppe 4 a in der der Kläger sich im Wege des Bewährungsaufstieges befindet, vom Entgelt her höher ist, als die Vergütungsgruppe VIII BAT, in der der vertretende Wachschichtführer einzugruppieren ist. Nach der vom Kläger nicht bestrittenen Behauptung der Beklagten würde der Kläger, wenn er zum Wachschichtführer ernannt und ins Angestelltenverhältnis übernommen würde, in der Vergütungsgruppe VIII des BAT monatlich 274,91 DM brutto weniger an Gehalt erhalten, als er in der Lohngruppe 4 a erhält. Insoweit handelt es sich von seiner Lohngruppe aus gesehen bei der Tätigkeit eines Wachschichtführers nicht um eine höherwertige Tätigkeit.

21

Die Auffassung des Klägers, die Tarifvertragsparteien hätten im § 9 Abs. 2 MTArb hinsichtlich derhöher zu bewertenden Tätigkeit darauf abgestellt, wie die Grundvergütung eines Wachschichtführer und eines Wachmannes im Tarifvertrag bewertet worden ist, ist vom Sinn des Tarifvertrages nicht gedeckt (andere Auffassung Arbeitsgericht Stade, Urteil vom 20.10.1998 1 Ca 627/98 E).

22

Grundsätzlich folgt die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regelung. Zunächst ist anhand des Tarifwortlauts der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien nur mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. BAG in AP Nr. 117 und 121 zu § 1 TVG, Auslegung). Weitere Auslegungskriterien, wie Tarifgeschichte. Tarifübung, Entstehungsgeschichte sowie der verfolgte Zweck sind heranzuziehen, wenn der Wortlaut nicht eindeutig und der Auslegung zugänglich ist. Derjenigen Tarifauslegung gebührt im Zweifel der Vorrang, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vlg. BAG in AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge Großhandel).

23

Schon nach dem Wortlaut ist "eine höher zu bewertende Tätigkeit" dann gegeben, wenn diese im Verhältnis zur vergleichbaren Tätigkeit auch finanziell höherwertig ist. Die höhere Wertigkeit einer Tätigkeit bei Lohn- und Vergütungsgruppe drückt sich in erster Linie in der Höhe der Vergütung aus. Zum anderen ist aber bei einer Tarifauslegung im Zweifel der Auslegung der Vorrang einzuräumen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG in AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge Großhandel). Es ist aber, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hatte, weder vernünftig noch sachorientiert, noch entspricht es dem Zweck der Regelung, daß der Arbeiter, der vertretungsweise einen Angestellten vertritt, die Vertretungszulage des § 9 Abs. 2 MTArb auch erhält, wenn er für den Fall, daß er nicht vertreten sondern die Tätigkeit als Wachschichtführer auf Dauer ausüben würde, weniger erhielte, als er jetzt in seiner Normaltätigkeit erhält. Den Tarifvertragsparteien kann icht unterstellt werden daß sie ein solches sinnwidriges Ergebnis mit dieser Tarifvorschrift erreichen wollten (so schon LAG-Niedersachsen, Urt. vom 28.06.1999 11 Sa 466/99).

24

Ein Anspruch des Klägers auf die von ihm begehrten Zulagen ergibt sich auch nicht daraus, daß die Beklagte in der Vergangenheit die Vertreterzulage gezahlt hat. Vertragliche Ansprüche des Klägers sind daraus nicht entstanden. Zum einen hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, daß sie nur irrtümlich die Voraussetzung für die Zahlung der Zulage angenommen hat. Zum anderen ergibt sich ein Anspruch aus tariflicher Übung nicht dadurch, daß für eine längere Zeit eine Zahlung erfolgt ist. Eine tarifliche Übung mit der Folge, daß der Anspruch auf die Vertreterzulage zum Inhalt des Arbeitsvertrages wird, entsteht nicht allein durch Zeitablauf sondern nur dann, wenn der Arbeitgeber durch wetere Handlungen das Vertrauen beim Arbeitnehmer erweckt hat, er werde die Zahlung ohne Rechtsgrund auch zukünftig erbringen. Dafür fehlt jeglicher Vortrag des Klägers.

25

Der Kläger kann sich für die von ihm begehrte Zulage auch nicht auf eine Zusage der Beklagten berufen. Zwar hat die Beklagte mit Schreiben vom 12.01.1998 (Bl. 4 d. A.) dem Kläger für die Zeit vom 01.01.1998 bis auf weiteres die Tätigkeit eines Wachführers vertretungsweise übertragen hat auch ausgeführt, "Sie erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine Zulage, die sich nach den tariflichen Bestimmungen des § 9 Abs. 2 MTArb bemißt.... Nach den tariflichen Bestimmungen des § 9 Abs. 2 MTArb hat der Kläger aber gerade, wie oben ausgeführt, keinen Anspruch auf die Zulage.

26

Nach alledem war die Berufung mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

27

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.