Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.11.2000, Az.: 7 Sa 55/00

Anspruch auf Zuweisung von wöchentlich 10 Überstunden bei einem Montagearbeitsverhältnis aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
14.11.2000
Aktenzeichen
7 Sa 55/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 10965
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2000:1114.7SA55.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hildesheim - 08.12.1999 - AZ: 1 Ca 178/99
nachfolgend
BAG - 07.11.2002 - AZ: 2 AZR 742/00

Fundstellen

  • FA 2001, 188
  • FAr 2001, 188
  • PP 2001, 21

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Bei einem Montagearbeitsverhältnis kann aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung ein Anspruch auf Zuweisung von wöchentlich 10 Überstunden entstehen.

  2. 2.

    Es verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn ein Monteur nur mit der tariflichen Arbeitszeit von 35 Stunden eingesetzt wird, während alle anderen Monteure 45 Stunden arbeiten. Der Umstand, dass die anderen Monteure u. a. auf die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen verzichtet haben, ist kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigt.

In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 22.08.2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 08.12.1999, 1 Ca 178/99, teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt,

  1. 1.

    an den Kläger 13.157,20 DM brutto zu zahlen nebst Zinsen

    • auf den sich aus 1.372,00 DM ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4 % seit dem 01.03.1999,

    • auf den sich aus weiteren 1.364,13 DM ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4 % seit dem 01.04.,

    • auf den sich aus weiteren 803,80 DM ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4 % seit dem 01.04.1999,

    • auf den sich aus weiteren 1.708,08 DM ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4 % seit dem 01.05.,

    • auf den sich aus weiteren 3.416,16 DM ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4 % seit dem 28.08.1999,

    • auf den sich aus weiteren 3.072,89 DM ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4 % seit dem 21.10.1999,

    • auf den sich aus weiteren 1.720,14 DM ergebenden Nettobetrag in Höhe von 4 % seit dem 30.11.1999,

  2. 2.

    dem Kläger über den ausgeurteilten Betrag eine spezifizierte Brutto/Nettoabrechnung zu übersenden

Im übrigen wird die Berufung (in Höhe von 389,75 DM) zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt war, den Kläger in der Zeit von Januar 1999 bis September 1999 mit lediglich 35 Stunden pro Woche als Monteur einzusetzen, während die meisten anderen Monteure 45 Stunden pro Wochen gearbeitet haben.

2

Der ... 1941 geborene Kläger ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit 1971 beschäftigt. Auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 06. März 1979 (Bl. 5-8 d.A.) wird er seit dem 01. Juni 1978 als Obermonteur eingesetzt.

3

Die Parteien sind tarifgebunden. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall, während die Beklagte einen Anerkennungstarifvertrag bezüglich der Tarifverträge für die Metallindustrie abgeschlossen hat. Die Parteien vereinbarten zudem in dem Arbeitsvertrag die Anwendung des Manteltarifvertrages für die Arbeitnehmer in niedersächsischen Metallindustrie.

4

Die bei der Beklagten beschäftigten Außendienstmonteure arbeiteten in der Regel zuletzt 45 Stunden pro Woche, während die tarifliche Arbeitszeit 35 Stunden pro Woche beträgt. Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 03.12.1984 (Bl. 81, 82 d.A.) an alle Mitarbeiter der Montageabteilung folgendes ausgeführt:

"1.
Die normale Arbeitszeit beträgt 8 Stunden am Tag ohne Überstunden.

Da es für den Kunden wirtschaftlicher ist, durch Überstunden Arbeitstage und Auslösungen zu sparen, gehen wir jedoch davon aus, daß 10 Stunden pro Tag gearbeitet werden."

5

Auch in einer internen Mitteilung vom 23.04.1998 (Bl. 115 d.A.) wird von der Beklagten bezüglich der Montagesätze für Deutschland und Österreich eine Arbeitszeit von 45 Stunden pro Woche zugrundegelegt.

6

Während der Arbeitsunfähigkeit eines Monteurs gewährte die Beklagte unter Bezugnahme auf § 9 Abs. 2 des Manteltarifvertrages für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie Entgeltfortzahlung auf der Basis von 35 Stunden pro Woche.

7

Mit Schreiben vom 02. Dezember 1997 unterbreitete die Beklagte den bei ihr beschäftigten Monteuren folgendes Angebot:

Sehr geehrter Herr Ra.

auf der Monteursversammlung am 28.10.97 in Sarstedt bzw. am 29.10.97 in Pfungstadt sind Sie darüber informiert worden, daß vor dem Hintergrund eines stark rückläufigen Molkereimarktes sowie auslaufender Großaufträge und nicht erkennbarer rentabler Anschlußaufträge die Beschäftigung im Montage-, Verwaltungs-, Vertriebs-, und Engineeringbereich nicht im bisherigen Umfang aufrechterhalten werden kann.

Geschäftsleitung und Betriebsrat haben zwischenzeitlich in einem Interessenausgleich/Sozialplan Kündigungen von 75 Arbeitnehmern bis zum 30.06.1998 vereinbart.

Aufgrund des aufgezeigten Sachverhalts sind auch im Montagebereich 29 Kündigungen vorgesehen. Mit dem Betriebsrat wurde jedoch vereinbart, daß bei einer 13 bis 15%-igen Kostensenkung im Montagebereich - gerechnet ab 01.01.1998 auf Basis Ist-Kosten 1997 - keine betriebsbedingten Kündigungen ausgesprochen werden. Sofern diese Quote erreicht wird, haben Geschäftsführung und Betriebsrat schriftlich eine Beschäftigungsgarantie bis zum 30.06.1999 abgeschlossen. Danach kann keinem Monteur in den nächsten 18 Monaten aus betriebsbedingten Gründen das Arbeitsverhältnis gekündigt werden. Sollten im Zeitraum 01.07.1999 bis 31.12.1999 dennoch betriebsbedingte Kündigungen im Montagebereich notwendig sein, erhalten die von dieser Maßnahme betroffenen Mitarbeiter eine Abfindungszahlung gemäß Sozialplan vom 03.11.1997 auf Basis Lohn/Gehalt mit Stand 31.10.1997.

Da der Betriebsrat der ... über den Maßnahmenkatalog der Kostenreduzierung keine rechtsverbindliche Betriebsvereinbarung mit der Geschäftsführung abschließen kann, müssen wir Ihnen und Ihren Kollegen in der Montage auf einzelvertraglicher Basis individuell eine Lösung herbeiführen.

Nachdem zwischenzeitlich sehr intensiv über eine 13 bis 15%-ige Kostensenkung nachgedacht worden ist, bieten wir Ihnen sowie allen anderen Monteuren mit Wirkung vom 01.01.1998 folgende Vertragsänderung an:

1.
Senkung der Leistungszulage von 13% auf 10%.

2.
Keine Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen ab der 35. Wochenstunde. Hiervon sind Feiertags-, Nacht- und Wochenendzuschläge ausgenommen.

3.
Reduzierung Heimfahrten auf alle 6 Wochen.

4.
Einstellung Kilometergeld für Fahrten Baustelle/Hotel.

5.
Wegfall Sonderurlaub Monteure 2 Tage p.a.

6.
Kilometerpauschale DM 0,90. Dieser Betrag setzt sich wie folgt zusammen:

DM 0,52 Fahrkostenerstattung (steuerfrei gemäß LStR) bei Nutzung von Privatfahrzeugen

DM 0,38 beinhaltet die Entlohnung für Reisezeiten, darin eingeschlossen ist die Abgeltung der Überstunden-Zuschläge sowie die Aufwendungen für die Mitnahme von Werkzeugen. Diese Summe ist steuer- und sozialversicherungspflichtig.

Das Unternehmen gibt die Fahrtroute (Entfernungs-Km) für die angeordnete Reise vor. Die Ermittlung erfolgt durch MAP-Guide.

Der Ordnung halber weisen wir darauf hin, daß die Punkte 1-6 eine Unterschreitung des bestehenden Bundesmontagetarifvertrages darstellen.

Die aufgezeigte Kosteneinsparung von bis zu 15% im Montagebereich ist zweifellos mit einer Reduzierung Ihres Einkommens verbunden. Für den Erhalt des Unternehmens und zur Absicherung der künftigen Personalstruktur ist diese Maßnahme aber zwingend notwendig. Im Interesse aller Beteiligten bitten wir Sie um Zustimmung in dieser Angelegenheit. Nur durch die Solidarität aller beteiligten Mitarbeiter können die Kündigungen von 29 Monteuren vermieden werden. Deshalb bitten wir Sie, die beigefügte Kopie mit Ihrer Unterschrift und Zustimmung zu versehen und bis zum

12.12.1997

an die Personalleitung der ... zurückzusenden.

8

Von insgesamt 61 Monteuren nahmen 59 im Februar 1998 dieses Angebot an. Der Kläger und ein weiterer Monteur erklärten sich mit der Vertragsänderung demgegenüber nicht einverstanden.

9

Die Beklagte gab die erreichte Kostenreduzierung im Montagebereich an ihre Kunden im Markt weiter. Sie bemühte sich, "dem ökonomischen Prinzip existenznotwendig verpflichtet den Kläger, aber auch den Monteur Ri die beide mit ursprünglicher Leistungszulage von 13 % und Mehrarbeitszuschlägen arbeiten, im Rahmen der Mehrarbeit nicht einzusetzen, um unnötige Mehrkosten zu vermeiden" (Seite 5 des Schriftsatzes des Beklagtenvertreters vom 23.06.1999, Bl. 58 d.A.).

10

Der Kläger wurde ab 11. Mai 1998 von der Beklagten bei der Fa. T ... mit einer Arbeitszeit von 35 Stunden pro Woche eingesetzt. Hiergegen wandte er sich mit einer Klage vor dem Arbeitsgericht Hildesheim (1 Ca 211/98).

11

Mit Schreiben vom 16. Oktober 1998 (Bl. 11 d.A.) wurde ihm eine Tätigkeit auf einer Montagestelle in Nordhackstedt bei Flensburg zugewiesen. Die Beklagte beschäftigt auf dieser Baustelle 21 Monteure mit einer Arbeitszeit von 45 Stunden pro Woche. Für den Kläger betrug demgegenüber die wöchentliche Arbeitszeit 35 Stunden. Hiergegen wandte sich der Kläger mit Schreiben vom 24.12.1998 (Bl. 12 d.A.).

12

Im Januar 1999 arbeitete der Kläger an insgesamt 11 Tagen, 4 Tage war er vom 25. bis 28. Januar arbeitsunfähig erkrankt. Für insgesamt 37,5 nicht geleistete Überstunden macht er einschließlich des Mehrarbeitszuschlags einen Betrag von insgesamt 1.461,75 DM brutto geltend (vgl. die Berechnung Bl. 4 d.A.).

13

Für den Monat Februar 1999 errechnete der Kläger (Bl. 23 d.A.) für 14 Tage einen Anspruch in Höhe von 1.364,13 DM brutto.

14

Bis zum 11. März 1999 war der Kläger auf der Montagestelle in Nordhackstedt eingesetzt. Für diese Zeit geht er von einer Restforderung von 803,80 DM brutto aus (Bl. 35 d.A.).

15

Ab dem 22. März 1999 wurde der Kläger auf einer Baustelle in Monheim beschäftigt. Ihm wurde mitgeteilt, dass er 45 Stunden arbeiten könne, sofern er auf den 25 %-igen Überstundenzuschlag verzichte. Hierzu erklärte sich der Kläger unter dem 22.03.1999 bereit (Bl. 41 d.A.). Nachdem sich der Kläger am 29. März 1999 geweigert hatte, sämtliche Punkte des Änderungsangebots vom 02.12.1997 zu akzeptieren, wurde ihm mit Telefax vom 31.03.1999 (Bl. 42 d.A.) mitgeteilt, dass für ihn auf der Baustelle die 35-Stunden-Woche gelte.

16

In der Folgezeit wurde der Kläger mit wöchentlich 35 Stunden eingesetzt. Die Differenz zu einer 45-Stunden-Woche macht er in folgender Höhe geltend:

April 1999:1.708,08 DM brutto(Bl. 35, 36 d.A.)
Mai 1999:1.708,08 DM brutto(Bl. 84 d.A.)
Juni 1999:1.708,08 DM brutto(Bl. 85 d.A.)
Juli 1999:1.708,08 DM brutto(Bl. 85, 86 d.A.)
August 1999:1.364,81 DM brutto(Bl. 86, 87 d.A.)
September 1999:1.720,14 DM brutto(Bl. 112 d.A.).
17

Mit seiner Klage verfolgt der Kläger des weiteren Ansprüche auf Auslösung und Fahrtkosten. Hierüber ist erstinstanzlich bislang nicht entschieden worden.

18

Das Arbeitsgericht hat durch dem Kläger am 17. Dezember 1999 zugestelltes Teil-Urteil vom 08. November 1999, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 123-132 d.A.), die Klage in Höhe von 13.546,95 DM abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe ab Januar 1999 keinen Anspruch auf Bezahlung von 45 Stunden pro Woche. Die Weisung der Beklagten, in der Woche nur 35 Stunden zu arbeiten, sei rechtens. Der Arbeitgeber könne anordnen, dass der Arbeitnehmer keine Überstunden leisten solle. Grundsätzlich bestehe nämlich kein Anspruch darauf, zu Überstunden herangezogen zu werden. Zwar müsse der Arbeitgeber bei der Ausübung des Direktionsrechts auch den Grundsatz der Gleichbehandlung beachten, was auch bei der Heranziehung zu Überstunden gelte. Die Beklagte habe jedoch im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung nach § 315 BGB das unsolidarische Verhalten des Klägers im Interesse an der Aufrechterhaltung des Betriebsfriedens besonders berücksichtigen dürfen. Völlig unbegründet sei das Verlangen des Klägers, sich auch noch Überstundenzuschläge auszahlen zu lassen. Dies widerspräche eklatant der begehrten Gleichbehandlung, da die anderen Monteure wegen des Verzichts eine zusätzliche Überstundenvergütung gerade nicht erhalten hätten.

19

Hiergegen richtet sich die am 11. Januar 2000 eingelegte und gleichzeitig begründete Berufung des Klägers.

20

Der Kläger ist der Auffassung, die Arbeitszeit von 45 Stunden pro Woche auf einer Montagebaustelle sei zum Vertragsinhalt geworden. Dies sei die für die Außendienstmonteure übliche regelmäßige normale Arbeitszeit gewesen. Eine Reduzierung der Arbeitszeit hätte nicht einseitig kraft Weisungsrecht erfolgen dürfen. Vielmehr sei der Ausspruch einer Änderungskündigung erforderlich gewesen.

21

Der Kläger ist weiter der Auffassung, er sei nicht verpflichtet gewesen, der von der Beklagten gewünschten Vertragsänderungen zuzustimmen. Seine Ablehnung sei rechtmäßig gewesen, weshalb er wegen § 612 a BGB nicht hätte durch Ausschluss der Zuweisung von 45 Stunden pro Woche gemaßregelt werden dürfen.

22

Das Arbeitsgericht habe schließlich den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz unzutreffend angewendet. Aus der Ablehnung des Änderungsangebotes der Beklagten dürfe ihm wegen § 612 a BGB kein Nachteil erwachsen. Die Beklagte lasse ihn aber gerade deswegen nur 35 Stunden gezielt an weit entfernten Orten arbeiten, wodurch er erheblich weniger verdiene als seine Kollegen. Zumindest hätte die Beklagte ihm so viel Arbeit belassen müssen, dass er auf den gleichen Verdienst komme wie die übrigen Monteure. Die Beklagte hätte ihn zumindest 43,4 Stunden wöchentlich arbeiten lassen müssen.

23

Auch die Überstundenzuschläge könne er aufgrund seines unveränderten Arbeitsvertrages weiterhin beanspruchen.

24

Der Kläger beantragt,

das Teilurteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 08.12.1999, 1 Ca 178/99, abzuändern und die Beklagte gemäß den im Tatbestand des angefochtenen Urteils widergegebenen Anträgen 1. bis 4., 6. bis 8., 10. und 11. sowie 13. zu verurteien, hinsichtlich der Anträge 2., 4., 7., 10. und 13. mit der Maßgabe, dass jeweils zu Beginn einzufügen ist: "Dem Kläger".

25

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

26

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes ihrer Prozessbevollmächtigten vom 21. Februar 2000 (Bl. 151-163 d.A.) und behauptet ergänzend, die Montagearbeiter hätten mehr als 35 Stunden nur nach Bedarf gearbeitet.

Gründe

27

Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG.

28

Sie ist auch überwiegend begründet.

29

Der Kläger hat gegen die Beklagte für die Zeit von Januar bis September 1999 einen restlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 13.157,20 DM brutto aus § 615 BGB. Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitgeber den Lohn auch ohne entsprechende Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zahlen, wenn er sich in Annahmeverzug befindet. Annahmeverzug liegt vor, wenn der Arbeitgeber die von dem Arbeitnehmer geschuldete und angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt.

30

Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.

31

Nach dem Inhalt des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses war die Beklagte verpflichtet, den Kläger während des im Streit stehenden Zeitraums mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 45 Stunden zu beschäftigen.

32

In dem Arbeitsvertrag vom 06. März 1979 haben die Parteien eine ausdrückliche Regelung über die Arbeitszeit nicht getroffen. Maßgeblich ist mithin grundsätzlich die in dem Manteltarifvertrag für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie vereinbarte Regelarbeitszeit, die während des streitigen Zeitraums 35 Stunden pro Woche betrug.

33

Der Kläger hat jedoch einen Anspruch auf Zuweisung von wöchentlich 10 Überstunden aus dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung.

34

Unter einer betrieblichen Übung versteht man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, dass ihnen eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden soll. Aufgrund einer Willenserklärung, die von den Arbeitnehmern stillschweigend angenommen wird, erwachsen dann vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, z. B. vom 16.09.1998, 5 AZR 598/97, AP § 242 BGB betriebliche Übung Nr. 54). Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist dabei nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung alle Begleitumstände verstehen musste und durfte. Will der Arbeitgeber verhindern, dass aus der Stetigkeit seines Verhaltens eine in die Zukunft wirkende Bindung entsteht, muss er einen entsprechenden Vorbehalt erklären.

35

Vorliegend durfte der Kläger davon ausgehen, dass er zumindest bei einem Einsatz auf einer Montagebaustelle regelmäßig 45 Stunden und damit 10 Überstunden leisten muss und leisten darf.

36

Dies folgt zum einen daraus, dass der Kläger in der Vergangenheit, wie auch die anderen bei der Beklagten beschäftigten Monteure während des Einsatzes auf einer Montagebaustelle, immer 10 Überstunden pro Woche leisten musste. Dem entsprechenden Vortrag des Klägers ist die Beklagte nicht hinreichend konkret entgegengetreten, so dass er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen ist. Unerheblich ist insofern die Behauptung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 22. August 2000, die Montagearbeiter hätten mehr als 35 Stunden nur nach Bedarf gearbeitet. Dies kann nicht als ausreichendes Bestreiten der gegenteiligen Behauptung des Klägers angesehen werden. Die Beklagte hätte schon im einzelnen anhand konkreter Beispielsfälle darlegen müssen, wann sie welchen Monteur auf welcher Montagebaustelle mit weniger als 45 Stunden pro Woche eingesetzt hat. Soweit die Beklagte als Beispielsfall die Tätigkeit des Klägers bei der Fa. T ... ab 11. Mai 1998 aufgeführt hat, steht dies dem gefundenen Ergebnis nicht entgegen, da der Kläger hier nicht auf einer Montagebaustelle eingesetzt war.

37

Der Kläger durfte vorliegend auch davon ausgehen, dass die im Streit stehende Handhabung von der Beklagten wissentlich gesetzt wurde und zum Vertragsinhalt werden sollte. Dies folgt aus dem Schreiben der Beklagten vom 03.12.1984 an alle Mitarbeiter der Montageabteilung, in der die Beklagte selbst davon ausgegangen ist, dass 10 Stunden pro Tag gearbeitet werden.

38

Gestützt wird das gefundene Ergebnis schließlich auch aus den Besonderheiten eines Montagearbeitsverhältnisses. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber als auch die Kunden des Arbeitgebers sind aus wirtschaftlichen Gründen daran interessiert, dass während des Montageeinsatzes möglichst viele Arbeitsstunden geleistet werden. Denn durch die Überstunden werden Arbeitstage und Auslösungen eingespart, weshalb der Arbeitgeber seine Leistung auf dem Markt günstiger anbieten kann. Auch die Arbeitnehmer haben eher ein Interesse an zusätzlicher Arbeit während eines Einsatzes außerhalb des Wohnortes, da in der Regel ein Bedürfnis für Freizeit während des Einsatzes von geringerer Bedeutung ist.

39

Unter Berücksichtigung dieser Umstände muss vorliegend davon ausgegangen werden, dass die Beklagte grundsätzlich verpflichtet war, den Kläger während der im Streit stehenden Zeit mit 45 Stunden pro Woche einzusetzen. Da sie dies trotz entsprechenden Arbeitsangebotes des Klägers nicht gemacht hat, ist sie in Annahmeverzug geraten. Sie muss den Kläger deshalb so stellen, als wenn er auch in der Zeit von Januar 1999 bis September 1999 wöchentlich 45 Stunden gearbeitet hätte.

40

Der Anspruch des Klägers besteht auch, wenn man entgegen vorstehenden Ausführungen einen Anspruch auf Ableistung von Überstunden aus betrieblicher Übung verneint. Anspruchsgrundlage ist dann der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz.

41

Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regel gleich zu behandeln. Er verbietet dabei die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe (BAG vom 17. November 1998, 1 AZR 147/98, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 162).

42

Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch im Bereich der Vergütung anwendbar. Liegt ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung nicht vor, so kann der übergangene Arbeitnehmer verlangen, nach Maßgabe der allgemeinen Regelung behandelt zu werden (BAG vom 21. Juni 2000, 5 AZR 806/98).

43

Vorliegend ist der Kläger ungleich behandelt worden. Sämtliche von der Beklagten während des im Streit stehenden Zeitraums eingesetzten Monteure haben auf den Montagebaustellen 45 Stunden pro Woche gearbeitet. Nur der Kläger und sein Kollege Ri ... sind von dieser Zuweisung von Überstunden ausgeschlossen worden. Darin liegt ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

44

Dieser Verstoß ist auch nicht durch billigenswerte Gründe gerechtfertigt.

45

Die Kammer hat dabei zugunsten der Beklagten berücksichtigt, dass wirtschaftliche Gründe dagegen sprechen können, den Kläger Überstunden leisten zu lassen. Im Gegensatz zu den meisten übrigen Monteuren muss die Beklagte nämlich die Mehrarbeitsstunden des Klägers teurer bezahlen aufgrund des tariflichen Anspruchs auf Mehrarbeitsvergütung.

46

Dies stellt jedoch keinen billigenswerten Grund für die Ungleichbehandlung dar. Zu Recht wendet der Kläger ein, dass der Ausschluss des Klägers aus dem Kreis der Monteure, die Überstunden leisten, eine unzulässige Benachteiligung im Sinne des § 612 a BGB ist.

47

Der Kläger war nämlich nicht verpflichtet, das Vertragsangebot der Beklagten anzunehmen. Der Ausschluss von dem Ableisten von Überstunden erfolgte durch die Beklagte dann als Reaktion darauf, dass der Kläger das Vertragsangebot nicht angenommen hat. Die Voraussetzungen des § 612 a BGB sind mithin gegeben.

48

Hinzu kommt, dass nach den insoweit nicht protokollierten Erklärungen der Parteien im Kammertermin beide Parteien tarifgebunden sind. Das hat zur Folge, dass eine Vereinbarung entsprechend dem Angebot der Beklagten vom 02.12.1997 wegen § 4 Abs. 3, 4 TVG nicht wirksam erfolgen konnte.

49

Unter diesen Umständen ist die Ungleichbehandlung des Klägers sachlich nicht gerechtfertigt.

50

Dem Anspruch des Klägers auf die begehrten Überstundenzuschläge steht nicht die Verzichtserklärung vom 22. März 1999 (Bl. 41 d.A.) entgegen. Der Kläger hat sich nämlich insoweit nur damit einverstanden erklärt, auf der Baustelle in Monheim 45 Stunden pro Woche ohne Zuschläge zu arbeiten. Diese Erklärung ist jedoch durch das Schreiben der Beklagten vom 31. März 1999 gegenstandslos geworden, mit dem die Beklagte für diese Baustelle die 35-Stunden-Woche wieder angeordnet hat. Für die Zeit vom 22. bis 31. März 1999, während der der Kläger tatsächlich 45 Stunden gearbeitet hat, ist ein Zuschlag von ihm nicht geltend gemacht worden.

51

Hinzu kommt, dass der Versicht vom 22. März 1999 ebenfalls wegen Verstosses gegen § 4 Abs. 3, 4 TVG unwirksam ist.

52

Der Zinsanspruch des Klägers ist begründet gemäß den §§ 284 Abs. 2 Satz 1, 288, 291 BGB.

53

In Höhe von 389,75 DM brutto war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen. Für den Monat Januar 1999 steht dem Kläger nämlich lediglich ein Zahlungsanspruch von 1.072,00 DM zu. Während der Dauer des Arbeitsunfähigkeit hat der Kläger keinen Anspruch auf Vergütung nicht geleisteter Überstunden. Die Entgeltberechnung bei bezahlten Ausfallzeiten richtet sich nach § 9 MTV für die Beschäftigten in der niedersächsischen Metallindustrie. Hiernach sind bei Krankheit mit Entgeltfortzahlungsanspruch das gleichmäßige Monatsentgelt und der Durchschnitt der variablen Entgeltbestandteile fortzuzahlen "mit Ausnahme der Mehrarbeit und der auf die Mehrarbeit fallenden Zuschläge". Nach dieser Bestimmung ist das Vertragsverhältnis auch in der Vergangenheit abgerechnet worden. Es ist deshalb kein Grund ersichtlich, entgegen der tariflichen Regelung die Mehrarbeitsstunden für die Entgeltfortzahlung während der Krankheit zu berücksichtigen.

54

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97, 92 Abs. 2 ZPO. Die Zuvielforderung des Klägers war verhältnismaäßig geringfügig und hat keine besonderen Kosten veranlasst.

55

Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen.