Landgericht Osnabrück
Urt. v. 06.11.2003, Az.: 1 O 2042/03
Beweis des ersten Anscheins bei einem durch Auffahren verursachten Verkehrsunfall; Umfang des Schadenersatzes nach einem Auffahrunfall im Straßenverkehr
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 06.11.2003
- Aktenzeichen
- 1 O 2042/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 33769
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2003:1106.1O2042.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 Abs. 1 BGB
- § 17 Abs. 1 StVG
- § 18 Abs. 1 S. 1 StVG
- § 1 PflVG
- § 3 Nr. 1 PflVG
- § 4 Abs. 1 S. 1 StVO
Tenor:
- 1.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 10.442,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. April 2003 auf 4.900,92 EUR sowie auf weitere 5.541,38 EUR seit dem 31.7.2003 zu zahlen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
- 2.
Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagten restlichen Schadenersatz auf Grund eines Verkehrsunfalles geltend, der sich am 12. März 2003 gegen 15.40 Uhr auf der Quendorfer Straße in Schüttorf ereignet hat und an dem zum einen der Kläger mit seinem Pkw Toyota RAV 4, zum anderen der Beklagte zu 1) als Fahrer des Lkw's Daimler Chrysler nebst Anhänger beteiligt waren. Der Lkw war zum Unfallzeitpunkt bei der Beklagten zu 2) versichert.
Der Kläger befuhr mit dem vorbezeichneten Pkw, den er gerade zuvor neu vom einem Autohaus in Schüttorf übernommen hatte, den Nordring in Richtung Innenstadt. Hinter ihm befand sich das vom Beklagten zu 1) gelenkte Lkw-Gespann. An der Ampelkreuzung Nordring/Quendorfer Straße bog der Kläger auf die Quendorfer Straße in Richtung Hallenbad ein. Direkt hinter ihm befand sich weiterhin das in Rede stehende Lkw-Gespann. In Höhe des Hauses Quendorfer Straße 5 fuhr der Beklagten-Lkw auf das Fahrzeug des Klägers auf.
In dem Anspruchsschreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 20. 3. 2003 bezifferte der Kläger seinen Schaden wie folgt:
1. Wiederbeschaffungswert | 26.400,00 EUR |
---|---|
2. Gutachterkosten | 623,23 EUR |
3. Pauschgebühr | 25,00 EUR |
4. 10 Tage Wiederbeschaffungsdauer à 50,-- EUR | 500,00 EUR |
Summe: | 27.548,23 EUR. |
Hierauf leistete die Beklagte 4.900,93 EUR, die sie wie folgt ermittelte:
1. Wiederbeschaffungswert netto (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB) | 22.758,62 EUR |
---|---|
2. abzüglich Pkw-Restwert ./. | 13.600,00 EUR |
9.158,62 EUR | |
3. Sachverständigenkosten | 623,23 EUR |
4. Kostenpauschale | 20,00 EUR |
9.801,85 EUR | |
davon 50% | 4.900,93 EUR. |
Im Klageverfahren berechnet der Kläger seinen Rest-Schaden nunmehr wie folgt:
1. Neupreis Pkw | 27.800,00 EUR |
---|---|
2. Gutachterkosten | 623,23 EUR |
3. Pauschalgebühr | 25,00 EUR |
4. Nutzungsausfall 10 Tage à 50,-- EUR | 500,00 EUR |
28.948,23 EUR | |
abzüglich Restwert ./. | 13.600,00 EUR |
abzüglich vorprozessualer Zahlung ./. | 4.900,93 EUR |
Summe: | 10.447,30 EUR |
Der Kläger verweist darauf, bereits im Schreiben seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 20. März 2003 zur "Abrechnung auf Neuwagenbasispreis" aufgefordert zu haben. Dies sei dahin zu verstehen gewesen, dass er nicht lediglich - wie in dem vorbezeichneten Schreiben angegeben - den Wiederbeschaffungswert in Höhe von 26.400,-- EUR, sondern den im Sachverständigengutachten vom 17.3.2003 ausgewiesenen Neupreis in Höhe von 27.800,-- EUR verlangt habe.
Darüberhinaus verweist er darauf, von der Beklagten zu 2 ) niemals zum Nachweis der - tatsächlich unstreitig am 17.4.2003 durch den Kauf eines gleichwertigen neuen Toyota RAV 4 erfolgten - Ersatzbeschaffung aufgefordert worden zu sein.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 10.447,30 EUR nebst 5% Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 3. April 2003 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie behaupten, bereits während der Fahrt des Klägers auf dem Nordring habe fortwährend das Bremslicht des klägerischen Fahrzeuges geleuchtet. Hierauf habe der Beklagte zu 1) den Kläger an der Ampelkreuzung Nordring/Quendorfer Straße hinweisen wollen. Da die Lichtzeichenanlage sofort auf "Grün" umgeschaltet habe, habe er dieses Vorhaben jedoch nicht in die Tat umsetzen können. Zu dem Zusammenstoß sei es ausschließlich deshalb gekommen, da der Kläger in Höhe des Hauses Quendorfes Straße 5 im fließenden Verkehr unerwartet und ohne äußeren Anlass eine Vollbremsung gemacht habe, die wegen der fortlaufend leuchtenden Bremslichter nicht sofort als solche erkennbar gewesen sei. Die Beklagten vermuten, dass diese Vollbremsung darauf zurückzuführen ist, dass der Kläger keine Fahrpraxis mit Fahrzeugen gehabt habe, die - wie der in Rede stehende Toyota - mit einem Automatikgetriebe ausgestattet sind, und dementsprechend Bremse und Kupplung verwechselt habe.
Im Rahmen seiner gemäß § 141 ZPO erfolgten Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.10.2003 hat der Beklagte zu 1) angegeben, dass der Abstand zwischen dem Lkw und dem klägerischen Pkw unmittelbar vor dem Zusammenstoß ca. 5 Meter betragen habe. Darüber hinaus hat er mitgeteilt, nach rechts in die Matthias-Claudius-Straße gesehen zu haben, um nach Verkehr Ausschau zu halten, und dass der klägerische Pkw bereits vor ihm gestanden habe, als er wieder nach vorne gesehen habe. Zu diesem Zeitpunkt sei es zu spät gewesen, um einen Aufprall vermeiden zu können.
Die Beklagten sind der Auffassung, bis zum Nachweis der Ersatzbeschaffung seitens des Klägers weder zur Erstattung des Neuwagenpreises noch zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung verpflichtet gewesen zu sein.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen PK L .
Entscheidungsgründe
Die Klage ist im wesentlichen begründet. Gemäß §§ 823 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1, 17 Abs. 1 StVG (i. V. mit §§ 1, 3 Nr. 1 PflVG) hat der Kläger gegen die Beklagten einen Anspruch auf Ersatz des ihm durch den in Rede stehenden Verkehrsunfall vom 12.3.2003 auf der Quendorfer Straße in Schüttorf entstandenen Schadens:
Da der Pkw des Klägers bei dem Betrieb des Beklagten-Lkw's beschädigt worden ist, kann der Kläger den ihm entstandenen Schaden vom Beklagten zu 1) grundsätzlich nach § 18 Abs. 1 Satz 1 i. V. mit § 7 Abs. 1 StVG ersetzt verlangen. Die Ersatzpflicht des Beklagten zu 1) wäre nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StVG nur dann ausgeschlossen, wenn der Schaden nicht durch sein Verschulden verursacht worden wäre. Das kann nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme jedoch nicht festgestellt werden:
Der Beklagte zu 1) ist auf den Pkw des Klägers aufgefahren. Damit spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der betreffende Verkehrsunfall durch einen schuldhaften Verstoß des Beklagten zu 1) gegen die ihn aus § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO treffende Verpflichtung, einen ausreichenden Abstand von einem vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten, verursacht worden ist (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage, § 4 StVO, Rdnr. 17 m.w.N.). Den Beklagten ist es nicht gelungen, diesen Anschein zu erschüttern. Denn sie haben die Möglichkeit des von ihnen vorgetragenen atypischen Verlaufs nicht bewiesen. Die Aussage des PK L. war unergiebig. Nach seiner Darstellung hat der Kläger am Unfallort keinerlei Angaben über den Unfallhergang gemacht. Es sei lediglich so gewesen, dass er - PK L. - seinerseits Vermutungen über die Unfallursache angestellt habe. Tatsachen, auf denen er diese Vermutungen habe gründen können, konnte PK L. jedoch nicht angeben. Damit aber liegen keine sicheren Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger tatsächlich - wie von den Beklagten behauptet - (nicht vorhandenes) Kupplungspedal und Bremspedal verwechselt und so unbeabsichtigt eine Vollbremsung ausgeführt haben könnte.
Vielmehr zeigt die eigene Darstellung des Beklagten zu 1) im Rahmen seiner Anhörung gemäß § 141 ZPO, dass er zum einen unaufmerksam gefahren ist und sich zum anderen zu dicht hinter dem klägerischen Pkw befunden hat. Der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen betrug ausweislich der Schilderung seitens des Beklagten zu 1) kurz vor dem Zusammenstoß ca. 5 Meter. Dies ist auch im Stadtverkehr zu wenig, um ein Fahrzeug in jeder Verkehrssituation hinter dem Vordermann sicher zum Stillstand bringen zu können. Zudem wäre der Beklagte zu 1) auf Grund der Tatsache, dass die Bremslichter des klägerischen Pkw's nach seiner Darstellung ständig aufleuchteten, zu größerer Aufmerksamkeit und damit zu einem größeren als dem sonst geforderten Abstand aufgerufen gewesen. Dies deshalb, da er nicht mehr darauf vertrauen konnte, durch die Bremsleuchten auf einen Bremsvorgang hingewiesen und entsprechend gewarnt zu werden.
Schließlich hat es der Beklagte zu 1) auch dadurch an der erforderlichen Aufmerksamkeit vermissen lassen, dass er in die Matthias-Claudius-Straße geblickt und hierdurch den vor ihm fahrenden Verkehr aus den Augen verloren hat. Auch bedingt hierdurch konnte er auf das - angebliche - Bremsmanöver des Klägers - nach seiner eigenen Darstellung - nicht ausreichend schnell reagieren.
Mithin ist ein schwerer Verstoß des Beklagten zu 1) gegen das Abstandsgebot des § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO festzuhalten.
Demgegenüber kann ein schuldhaftes Verhalten des Klägers nicht festgestellt werden. Zwar behaupten die Beklagten, der Kläger habe unvermutet und ohne verkehrsbedingten Anlass stark abgebremst und hierdurch den Verkehrsunfall verursacht. Wie bereits dargestellt, ist ihnen der entsprechende Beweis jedoch nicht gelungen.
In die gemäß § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung ist folglich zu Lasten des Klägers lediglich die Betriebsgefahr seines Kraftfahrzeuges, zu Lasten der Beklagten hingegen zum einen der dargestellte unfallursächliche und schuldhafte Verstoß gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO und zum anderen die Betriebsgefahr des Lkw's einzubringen. Hierbei fällt die Betriebsgefahr des klägerischen Pkw's gegenüber dem schuldhaften Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) nicht ins Gewicht. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da zu berücksichtigen ist, dass bereits die reine Betriebsgefahr des Beklagten-Fahrzeuges deutlich höher als diejenige des Kläger Pkw's ist.
Demzufolge haben die Beklagten dem Kläger 100% des diesem entstandenen Schadens zu ersetzen. Dieser setzt sich wie folgt zusammen:
1. Neupreis Pkw | 27.800,00 EUR |
---|---|
2. Gutachterkosten | 623,23 EUR |
3. Auslagenpauschale | 20,00 EUR |
4. Nutzungsausfallentschädigung (10 Tage à 50 EUR) | 500,00 EUR |
8.943,23 EUR | |
abzüglich Pkw-Restwert ./. | 13.600,00 EUR |
abzüglich vorprozessualer Zahlung ./. | 4.900,93 EUR |
Summe: | 10.442,30 EUR. |
Da der klägerische Pkw zum Zeitpunkt des Unfalles erst einen Kilometerstand von 48 km aufwies und erst einen Tag zugelassen war, kann der Kläger auf Neuwagenbasis abrechnen (vgl. OLG Oldenburg, MDR 1997, 349, 350 [OLG Oldenburg 17.12.1996 - 5 U 154/96] m.w.N. ). Den Ersatzwagen hat er am 17.4.2003 angeschafft, so dass sein Anspruch nicht gemäß § 249 Abs. 2 Satz 2 BGB auf den Nettobetrag beschränkt ist.
Die Sachverständigenkosten in Höhe von 623,23 EUR sind unstreitig ersatzfähig.
Darüber hinaus kann der Kläger eine Nutzungsausfallentschädigung für 10 Tage à 50,--EUR, mithin in Höhe von insgesamt 500,-- EUR, verlangen. Die Ersatzbeschaffung zeigt, dass der Kläger nutzungswillig war. Die Wiederbeschaffungsdauer ist - von den Beklagten nicht angegriffen - im vorprozessual eingeholten Sachverständigengutachten mit 10 Tagen angegeben.
Die Auslagenpauschale ist jedoch regelmäßig nicht - wie geltend gemacht - mit 25,-- EUR, sondern mit 20,-- EUR zu bemessen. Hieraus errechnet sich der Rest-Gesamtschaden des Klägers auf 10.442,30 EUR. Diesen haben die Beklagten noch zu ersetzen.
Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1, 286 BGB.