Landgericht Osnabrück
Urt. v. 28.05.2003, Az.: 10 O 1166/02
Anspruch auf Zurechnung eines Darlehensanspruches zu einem Nachlass i.R.d. Streits um die Höhe eines Pflichtteilsanspruches; Wirksamkeit einer Schenkung unter Berücksichtigung des Erbrechts
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 28.05.2003
- Aktenzeichen
- 10 O 1166/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 33946
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2003:0528.10O1166.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1924 Abs. 1 BGB
- § 1924 Abs. 4 BGB
- § 2303 Abs. 1 BGB
- § 2325 BGB
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 14.067,23 nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.10.2001 zu zahlen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten der Beweisaufnahme trägt vorab die Klägerin. Die übrigen Gerichtskosten trägt die Beklagte zu 35% und die Klägerin zu 65%. Die übrigen außergerichtlichen Kosten tragen die Beklagte zu 51% und die Klägerin zu 49%.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Zahlung eines Pflichtteilsanspruchs. Dabei sind noch zwei Positionen des Nachlasses im Streit, zum einen eine Darlehensverbindlichkeit eines Enkels des Erblassers diesem gegenüber, zum anderen eine Zuwendung des Erblassers an die Beklagte und deren Ehemann zu seinen Lebzeiten.
Der im Frühjahr 2001 verstorbene Erblasser, Herr N., hatte zwei leibliche Kinder. Seine Ehefrau ist vor ihm verstorben. Bei den Kindern handelte es sich zum einen um Frau N., die ihrerseits vorverstorben ist und drei Kinder hatte, zum anderen um Frau K. Diese ist Ende 2001 verstorben und von ihrem Ehemann, Herrn K. beerbt worden. Herr K. ist im Verlaufe dieses Rechtsstreits gestorben und von der Klägerin allein beerbt worden.
In den Jahren 1998 und 1999 bezahlte der Erblasser Schulden seines Enkels S., des Sohnes von Frau N., und zwar einmal einen Betrag von 5.000,00 DM und einmal einen Betrag von 1.210,69 DM.
Seit 1995 pflegte die Beklagte den Erblasser in dessen Haus. Bis Ende 1998 erbrachte sie die Pflegeleistungen als Inhaberin eines Pflegedienstes. Auch nach Aufgabe des Pflegedienstes pflegte sie den Erblasser weiter in seinem eigenem Haus. Ende 2000 schloss er während eines Krankenhausaufenthaltes vor einem Notar einen Erbvertrag mit der Beklagten, wonach er diese zu seiner Alleinerbin einsetzte. Dem vorausgeschickt ist die Erklärung des Erblassers, daß die Beklagte ihn in den vergangenen Jahren gepflegt und betreut habe. Gemäß § 3 des Erbvertrags behielt sich der Erblasser das Recht vor, von diesem Erbvertrag ohne Angabe von Gründen jederzeit einseitig zurückzutreten. Im Anschluß an den Krankenhausaufenthalt nahm die Beklagte den Erblasser in ihrem Haus auf und pflegte ihn dort bis zu seinem Tod.
Für die Pflegeleistungen, die die Beklagte erbrachte, erhielt sie zumindestens das Pflegegeld aus der Pflegeversicherung, zunächst 400,00 DM und später 800,00 DM.
Anfang 2001 übertrug der Erblasser zwei Sparguthaben im Wert von 110.000,00 DM auf die Beklagte und ihren Ehemann.
Das unstreitige Nachlassvermögens beläuft sich auf insgesamt 54.652,39 DM.
Die Beklagte schloss zur Abgeltung der Pflichtteilsansprüche mit den drei Kindern der Frau N. einen Vergleich, wonach 2 ihrer Kinder jeweils 5.000,00 DM erhielten. Hinsichtlich des S. hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass auch dieser 5.000,00 DM erhalten habe. Die Klägerin erhielt einen Betrag von 6.979,13 EUR zur Abgeltung ihres Pflichtteilsanspruches.
Die Klägerin trägt vor:
Bei der Zahlung an die Gläubiger den Enkel S. habe es sich um ein Darlehen des Erblassers gehandelt, das noch nicht zurückgezahlt worden und somit dem Nachlass zuzurechnen sei. Die Zuwendung der Forderungen aus den Sparguthaben in Höhe von 110.000,00 DM an die Beklagte und ihren Ehemann sei als Schenkung dem Nachlass zuzurechnen. Es sei davon auszugehen, daß die Beklagte für ihre Pflegedienste hinreichend entlohnt worden sei, da der Erblasser über eine ansehnliche Rente verfügt habe.
Die Klägerin beantragt nachdem die Wirksamkeit des Erbvertrages unstreitig gestellt worden ist nunmehr,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 21.840,23 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 9. September 2001 abzüglich am 02.05.2002 gezahlter 6.979,13 EUR zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor: S. sei mit 5.000,00 DM abgefunden worden. Die Rückzahlung der beiden Darlehen sei erfolgt und die Forderungen somit nicht existent.
Bei der Übertragung der Forderung in Höhe von 110.000,00 DM an die Beklagte habe es sich um ein Entgelt für die erbrachten Pflegeleistungen gehandelt. Der Erblasser habe damit auch bezweckt, sie bzw. ihren Ehemann zur Aufrechterhaltung dieser Dienste zu veranlassen. Eine Einigung über eine Schenkung habe es nicht gegeben. Der gezahlte Betrag von 110.000,00 DM habe der Höhe nach durchaus den Kosten entsprochen, die der Erblasser für einen entsprechenden Aufenthalt in einem Pflegeheim hätte aufwenden müssen. Derartige Kosten habe sich der Erblasser erspart, wodurch sein Vermögen bereichert worden sei. Schließlich habe die Schenkung einer sittlichen Pflicht entsprochen. Eine über das Pflegegeld hinausgehende Entlohnung habe sie nicht erhalten.
Hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Auskunftsanspruches der Klägerin hat die Beklagte erklärt, sie habe die Auskunft erteilt.
Das Gericht hat Beweis erhoben hinsichtlich der Darlehensforderungen des Erblassers gegen S. durch uneidliche Vernehmung eines Zeugen. Insoweit wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist im wesentlichen begründet.
Die Klägerin hat einen Pflichtteilsanspruch gemäß § 2303 Abs. I BGB in Höhe von 1/4 des Nachlasses, denn der gesetzliche Erbteil der Frau K. als einem von zwei leiblichen Kindern betrug 1/2 gem. § 1924 Abs. I, IV BGB. Dieser Anspruch ist im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zunächst auf Herrn K. als Ehemann und nach dessen Tod auf die Klägerin übergegangen.
Die Klägerin kann zwar nicht die Zurechnung des Darlehensanspruchs gegen S. zu dem unstreitigen Nachlass verlangen (1.), wohl aber die Zurechnung der Übertragung der Sparguthaben in Höhe von 110.000,00 DM an die Beklagte und ihren Ehemann gemäß § 2325 BGB (2.).
1.
Hinsichtlich der angeblichen Darlehensforderungen des Erblassers gegen S. hat die Beweisaufnahme ergeben, dass eine derartige Forderung im Todeszeitpunkt nicht mehr bestanden hat, weil das Darlehen bereits zurückgezahlt wurde. Eine Erhöhung des Nachlasses insoweit scheidet aus. Der Zeuge hat nämlich glaubhaft ausgeführt, er habe zwar den Erblasser gebeten, seine Schulden zu begleichen, habe ihm dies in der Folgezeit jedoch ratenweise zurückgezahlt. Aus diesem Grund sei er auch ebenso wie seine Geschwister durch die Beklagte mit 5.000,00 DM abgefunden worden.
2.
Dagegen besteht ein Pflichtteilergänzungsanspruch gemäß § 2325 BGB im Hinblick auf die Zuwendung von 110.000,00 DM an die Beklagte. Gemäß § 2325 BGB erhöht sich der unstreitige Nachlasswert in Höhe von 54.652,39 DM um 110.000,00 DM auf 164.652,39 DM. Daraus errechnet sich ein Pflichtteilsanspruch in Höhe eines Viertels in Höhe von 41.163,10 DM = 21.046,36 EUR. Hiervon sind die vorgerichtlich gezahlten 6.979,13 EUR in Abzug zu bringen, so dass sich die tenorierte Forderung ergibt.
Die Voraussetzungen des § 2325 BGB liegen vor. Die Zuwendung erfolgte im Jahre 2001 und somit innerhalb der von § 2325 Abs. III BGB genannten Frist von 10 Jahren.
Es handelt sich auch um eine Schenkung im Sinne von § 2325 Abs. I BGB. Eine Einigung über die Unentgeltlichkeit im Sinne von § 516 Abs. I BGB ist zur Überzeugung des Gerichts auch nach dem Vortrag der Beklagten gegeben, denn die Schenkung ist als § 516 Abs. I BGB unterfallende belohnende Schenkung einzuordnen (vgl. Palandt/Putzo, BGB, 61. Aufl., § 516 Rz. 9).
Insoweit hat die Beklagte persönlich im Termin erklärt, sie habe sich zunächst mit den 800,00 DM Pflegegeld zufrieden gegeben, auch wenn die Pflege mehr Wert gewesen sei. Von der Absicht des Erblassers, ihr die Sparguthaben zuzuwenden, habe sie nichts gewußt. Er habe dies aus eigenem Antrieb gemacht. Bei der Schenkung der 110.000,00 DM habe der Erblasser ihr erklärt, ihr Mann und sie sollten für ihre viele Arbeit mit ihm (Pflege, Beköstigung und sonstige Sorge) das Geld erhalten, und auch für die Grabpflege. Aus dieser Äußerung der Beklagten, die im Rahmen der freien Beweiswürdigung gemäß § 286 Abs. I ZPO verwertbar ist, geht hervor, dass sich die Zuwendung der 110.000,00 DM auf die in der Vergangenheit geleisteten Dienste bezog.
Leistungen, die abgeschlossen als unentgeltlich in der Vergangenheit erbracht wurden, können nicht durch eine nachträgliche Vereinbarung zu entgeltlichen Diensten werden. Maßgeblich ist dabei nicht die subjektive Vorstellung der Parteien, sondern, ob ein tatsächliches Entgelt gezahlt wird. Anders liegt der Fall allerdings dann, wenn Dienste zunächst ohne Verpflichtung und ohne vorausgegangenes Leistungsversprechen geleistet werden. In diesem Fall kann die Auslegung ergeben, dass die Dienste in der erkennbaren Absicht künftiger Lohnforderungen als Erfüllungshandlungen eines noch abzuschließenden Vertrages vorgenommen werden (Staudinger/Cremer, BGB, Bearb. Juni 1995, § 516, Rdnr. 30; OLG Oldenburg, NJW-RR 1997, 263 [OLG Oldenburg 04.06.1996 - 5 U 27/96]). Nachdem die Beklagte erklärt hat, sie habe sich zunächst mit den 800,00 DM Pflegegeld zufrieden gegeben, ist ausgeschlossen, dass die Pflege in Erwartung weiterer Entlohnung erbracht worden ist. Dies gilt um so mehr, als die Beklagte weiter angab, der Erblasser habe die Zuwendung ohne ihr Wissen aus eigenem Antrieb vorgenommen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich auch nichts anderes aus dem Erbvertrag. Dieser Vertrag ist abgeschlossen worden, als der Erblasser ins Krankenhaus kam und bald danach bei der Beklagten zu Hause zur Pflege aufgenommen wurde. In dem Vertrag ist eine Verpflichtung zur Pflege und deren Entlohnung zusätzlich zu der Erbeinsetzung jedoch gerade nicht vereinbart worden. Zwar ist davon auszugehen, daß die Beklagte die Pflegedienste in Erwartung ihrer zukünftigen Erbenstellung vorgenommen hat. Daraus folgt aber nicht zwingend, dass sie eine über das Pflegegeld hinausgehende Entlohnung noch zu Lebzeiten des Erblassers erwartete. Darüber hinaus behielt sich der Erblasser in diesem Vertrag ein einseitiges Rücktrittsrecht vor.
Ein Anspruch bestand im Zeitpunkt der Zuwendung auch nicht gemäß § 612 Abs. II BGB. Allerdings kann dies in Betracht kommen, wenn erheblich unterbezahlte Dienstleistungen insbesondere im Hinblick auf eine Erbeinsetzung erbracht werden, die dann nicht eintritt (sog. zweckverfehlte Dienstleistung, vgl. Palandt/Putzo a.a.O.., § 612 Rz. 4 m.w.N.). Es kann dahinstehen, ob hier die Dienstleistung unterbezahlt war, denn im Zeitpunkt der Zuwendung war die Beklagte als Alleinerbin des Erblassers eingesetzt.
Ein Ausgleich gemäß den §§ 2316, 2057 a Abs. I S. 2 BGB scheidet aus, weil die Beklagte nicht zu dem in § 2316 BGB genannten Personenkreis gehört.
Auch die Erfüllung eines Bereicherungsanspruches der Beklagten durch den Erblasser scheidet aus. Selbst wenn man ersparte Aufwendungen für ein Pflegeheim unterstellt, ist diese Ersparnis jedenfalls nicht auf Kosten der Beklagten erfolgt. Denn die Vermögensmehrung bei dem Erblasser bewirkte keinen unmittelbaren Vermögensnachteil der Beklagten. Würden schon bei rein tatsächlicher Erbringung von Pflegeleistungen Bereicherungsansprüche entstehen, so wäre die Regelung des § 2057 a Abs. I S. 2 BGBüberflüssig.
Ein Pflichtteilsergänzungsanspruch ist schließlich nicht deshalb ausgeschlossen, weil es sich um eine Pflichtschenkung im Sinne von § 2330 BGB gehandelt hat. Die Annahme einer Anstandsschenkung dürfte hier schon mit Rücksicht auf den Wert der Schenkung ausgeschlossen sein (vgl. BGH NJW-RR 1996, 705, 706) [BGH 17.01.1996 - IV ZR 214/94]. An eine Pflichtschenkung im Zusammenhang mit erbrachten Pflegeleistungen sind nach der Rechtsprechung des BGH besondere Anforderungen zu stellen. Eine sittliche Verpflichtung zur Belohnung von Pflegeleistungen kommt im Allgemeinen nur in Betracht, wenn besondere Umstände vorliegen, die das Ausbleiben einer solchen Belohnung als sittlich anstößig erscheinen lassen (BGH NJW 1986, 1926, 1927) [BGH 09.04.1986 - IVa ZR 125/84]. Die vom BGH aufgeführten Beispiele, nämlich schwerwiegende persönliche Opfer des Pflegenden und eine daraus resultierende Notlage sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.