Landgericht Osnabrück
Urt. v. 20.11.2003, Az.: 10 O 2398/03

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
20.11.2003
Aktenzeichen
10 O 2398/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 39648
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2003:1120.10O2398.03.0A

Tenor:

  1. bloockquote1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

    3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld aufgrund eines Unfalls, dessen Ursache er in der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte sieht, sowie die Feststellung, dass die Beklagte ihm auch künftige aus dem Unfall herrührende Schäden zu ersetzen hat.

2

Die Beklagte ist Eigentümerin und Betreiberin einer Tiefgarage. Die Tiefgarage wird über Lüftungsschächte belüftet, die in einem auf dem darüber befindlichen Freigelände befindlichen Rondell münden. Das Rondell ist durch eine etwa 1,30 m breite Beetanlage, die mit Rhododendren und ähnlichen Sträuchern bepflanzt ist, von dem frei begehbaren Teil der Anlage abgegrenzt. Das Rondell selbst ist gegenüber der ebenen Fläche um ca. 1 m erhöht. Von hinten ist es ringsum bewachsen. Innerhalb des Rondells befindet sich etwa 30 cm tieferliegend ein Rundweg, der Lüftungsgitter enthält. Auf die Lichtbilder in der Anlage zum Protokoll vom 15.10.2003 wird Bezug genommen. Am 29.4.2003 war auf der linken Seite des Rondells eines der Lüftungsgitter entfernt worden und befand sich in dem Lüftungsschacht.

3

Der Kläger behauptet:

4

In der Nacht vom 29. auf den 30.04.2003 sei er gegen 1.30 Uhr zusammen mit der Zeugin Tina Henseler auf das Rondell geklettert und dort umhergegangen. Dabei sei er wegen des fehlenden Gitters ca. 3 m tief in den Lüftungsschacht des Rondells gefallen.

5

Er habe dabei eine Zerrung und Innenbandruptur im rechten Knie erlitten, Brüche des Mittelfingers und des Zeigefingers der linken Hand sowie eine Verletzung des Nagelbettes des linken Zeigefingers. Vom 29.04. bis 20.06.2003 sei er zu 100 % arbeitsunfähig gewesen. Es werde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 % verbleiben. Ferner sei eine erhöhte Arthroseneigung des Knies sowie eine Nagelwachstumsstörung bei dem verletzten Finger gegeben. Hierauf stützt der Kläger ein Feststellungsinteresse und ist des Weiteren der Meinung, dass die erlittenen Verletzungen ein Schmerzensgeld von ca. 5.000,00 EUR rechtfertigten.

6

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes und seit dem 26.05.2003 mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsendes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zu zahlen;

7

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Unfallereignis vom 30.04.2003 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist oder übergehen wird.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie bestreitet den Unfall des Klägers mit Nichtwissen und meint, eine Verkehrssicherungspflicht habe sie nicht getroffen. Im Übrigen sei ihr am 29.04.2003 gemeldet worden, dass das Gitter entfernt worden sei. Daraufhin habe sie durch den Zeugen B. eine Warnbake aufstellen lassen. Sie sei schon aus diesem Grund ihrer Verkehrssicherungspflicht nachgekommen. Das Gitter sei zudem mit angeschweißten Ketten gegen das Herausnehmen gesichert gewesen. Es müsse durch unbekannte Dritte in mutwilliger Zerstörungswut ausgehängt worden sein. Damit habe sie nicht rechnen können.

10

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit sowie durch uneidliche Vernehmung der Zeugen B. und H. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 15.10.2003 verwiesen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage erweist sich in mehrerer Hinsicht als unbegründet. Zwar hat das Gericht aufgrund der glaubhaften Aussage der Zeugin H. keinen Zweifel daran, daß sich der Unfall so, wie von dem Kläger geschildert, ereignet hat. Eine Haftung gemäß § 823 Abs. I BGB scheidet jedoch aus, weil die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem Kläger trifft (1.). Ohnehin würde die Klage wegen des weit überwiegenden Mitverschuldens des Klägers scheitern (2.). Auch ergibt sich aus § 836 BGB keine Haftung der Beklagten (3.).

12

1.)

Die Beklagte trifft gegenüber dem Kläger keine Verkehrssicherungspflicht. Eine solche könnte aus der Sachherrschaft über die baulichen Anlagen der Tiefgarage hergeleitet werden. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass ein Verkehr eröffnet wird. Hier war zwar kein Verbotsschild oder ähnliches vorhanden. Gegen die Eröffnung eines Verkehrs spricht aber der Eindruck, den sich das Gericht durch die Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit verschafft hat. Das Rondell ist nämlich baulich durch die davor befindliche Betoneinfassung, die daran anschließende breite Beetbepflanzung und die Erhöhung gegenüber der Anlage deutlich abgetrennt und ersichtlich nicht frei zugänglich. Um auf das Rondell zu gelangen, muß man durch das Beet laufen und die Mauer hochklettern, was durch die etwas vorstehende obere Einfassung des Rondells erschwert wird.

13

Grundsätzlich besteht eine Verkehrssicherungspflicht nicht gegenüber Personen, die ein Gelände unbefugt betreten (Münchener Kommentar/Mertens aaO., § 823 Rz. 212). Sie kann allerdings entstehen, wenn erfahrungsgemäß mit einem Fehlverhalten Dritter zu rechnen ist, und zwar dann, wenn auf einem Gelände schwerwiegende Gefahren lauern, es aber dennoch auf Unbefugte eine besonders große Anziehungskraft ausübt (so OLG Köln, VersR 1992, 1241 zu einem Kiesgrubengelände). Diese Rechtsprechung bezieht sich aber insbesondere auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen, der hier nicht eingreift. Bei Kindern und Jugendlichen muß nämlich mit Fehlverhalten gerechnet werden, so daß aus diesem Grund höhere Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht gestellt werden. Es ist aber anerkannt, daß dies nicht zu einer Ausweitung der Verkehrssicherungspflicht auch gegenüber Erwachsenen führen darf (Münchener Kommentar/Mertens, BGB, 3. Aufl. 1997, § 823 Rz. 219). Von einem Erwachsenen kann erwartet werden, daß er eine bauliche Abgrenzung respektiert. Auch ist das Erklimmen des Rondells durch Erwachsene für den Betreiber kein naheliegendes Fehlverhalten.

14

Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, daß die Beklagte ihrer Verkehrssicherungspflicht, wollte man eine solche annehmen, nachgekommen ist. Dies ergibt sich aus der glaubhaften Aussage des Zeugen B. und der Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit. Zwar hat der Zeuge B. den Vortrag der Beklagten, wonach er schon am 29.4.2003 eine Warnbake aufgestellt habe, nicht bestätigt. Auch hat die Beklagte nicht dargelegt, daß sie Kontrollen der Gitter vornimmt. Die Beweisaufnahme hat aber ergeben, dass die Gitter jeweils durch Ketten gesichert sind, die sich im Lüftungsschacht befinden und in der Wand verschraubt sind. Das andere Ende der Kette ist jeweils gestrafft an dem Gitter festgeschweißt. Der Zeuge B. hat nachvollziehbar erläutert, dass das Gitter nur dadurch aufgehoben worden sein kann, dass unbekannte Dritte es mit brachialer Gewalt aufgehebelt haben. Dies wird bestätigt durch die Lichtbilder, die der Kläger zur Akte gereicht hat und die unstreitig den Zustand des Rondells am Tag nach dem Unfall zeigen. Auf dem Bild 5 ist nämlich die herabhängende Kette noch erkennbar.

15

Mit einem derartigen Vandalismus Dritter musste die Beklagte nicht rechnen. Auch können aufgrund der festen Verankerung der Gitter Kontrollen nicht verlangt werden. Der Grad der Verkehrssicherungspflicht muss sich nämlich einerseits danach bemessen, inwieweit überhaupt ein Verkehr vorhanden und wie intensiv dieser ist, im übrigen nach dem Erwartungshorizont der Verkehrsteilnehmer (Münchener Kommentar aaO. § 823 Rz. 232). Wollte man eine Pflicht der Beklagten zum Schutz unbefugter Dritte, die sich auf das Rondell begeben, annehmen, wäre sie dieser jedenfalls dadurch nachgekommen, dass sie die Gitter durch fest verankerte Ketten geschützt hat. Mehr kann von ihr aus Sicht des Gerichts nicht verlangt werden.

16

2.)

Selbst wenn man eine fahrlässige Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte wegen fehlender Kontrollen annehmen wollte, würde die Klage an § 254 Abs. 1 BGB scheitern, weil den Kläger ein ganz erhebliches und weit überwiegendes Verschulden träfe. Nach seinen eigenen Angaben hat er sich in der Dunkelheit auf das schwer zugängliche Rondell begeben, wobei ihm bekannt war, dass er sich dort nicht als Befugter aufhielt. Dass beim Aussuchen einer unbefugt betretenen und unbeleuchteten Örtlichkeit besondere Vorsicht erforderlich ist, bedarf keiner weiteren Erläuterung. Der Kläger selbst hat vorgetragen, er sei hinabgestürzt, weil er woanders hingesehen habe. Sein Verhalten ist insgesamt als grob fahrlässig einzustufen. Demgegenüber wäre ein etwaiges Verschulden der Beklagten im Hinblick darauf, dass sie die Gitter nicht kontrolliert hat, aufgrund der festen Verankerung allenfalls als leichte Fahrlässigkeit einzustufen. Bei der danach erforderlichen Abwägung der Verschuldensanteile führte die Gegenüberstellung der Pflichtverletzungen zu einem Wegfall der Ersatzpflicht der Beklagten.

17

3.)

Eine Haftung der Beklagten gemäß § 836 Abs. I BGB scheidet aus, weil auch diese Vorschrift gegenüber unbefugten erwachsenen Benutzern nicht eingreift (vgl. Palandt/Thomas, BGB, 61. Aufl., § 836 Rz. 3). Im übrigen wäre der Unfall wegen der festen Verankerung der Gitter nicht auf eine mangelhafte Unterhaltung zurückzuführen.

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Ziff. 11, 711 ZPO.