Landgericht Osnabrück
Urt. v. 07.11.2003, Az.: 1 O 2520/02

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
07.11.2003
Aktenzeichen
1 O 2520/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 39641
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2003:1107.1O2520.02.0A

Amtlicher Leitsatz

Kein Schadensersatzanspruch gegen die Stadt Osnabrück wegen Nichtberücksichtigung des Inhabers eines Lebensmittelgeschäftes bei der Einrichtung von Akzeptanzstellen zur Abrechnung von Sachleistungen an Asylbewerber

Tenor:

  1. 1. Die Klage wird abgewiesen.

    2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreites.

    3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch wegen der angeblich rechtswidrig erfolgten Versagung der Einrichtung einer "Akzeptanzstelle" im Rahmen eines Chipkarten-Systems zur Abrechnung von Sachleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in seinem Geschäft geltend. Dem liegt folgendes Geschehen zu Grunde:

2

Die Beklagte, die bis dahin Wertgutscheine an die nach §§ 1, 3 ff. AsylbLG Leistungsberechtigten ausgegeben hatte, beauftragte durch Vertrag vom 15. Juni die Firma I-Abrechnungssysteme", "für die Leistungsberechtigten das auf Chipkarten basierende I-Dienstleistungssystem..." zu betreiben". Dabei werden ausgewählte Geschäfte, sogenannte Akzeptanzstellen, mit speziellen Lesegeräten ausgestattet, mittels derer von den Chipkarten, die an die Leistungsberechtigten ausgegeben werden, die für die erstandenen Waren zu entrichtenden Entgelte von den Guthabenkonten der Leistungsberechtigten abgebucht werden.

3

Der Vertrag regelt unter der Ziffer 2.5, dass eine aktuelle Liste aller Akzeptanzstellen als Anlage zum Vertrag genommen und als dessen Bestandteil anerkannt wird, dass der Auftraggeber bei Änderungen und Ergänzungen der Liste unverzüglich jeweils eine aktuelle Fassung erhält und dass dem Vertrag eine Anzahl von ca. 14 Akzeptanzstellen zugrunde liegt. Nach Ziffer 2.10 des Vertrages vergütet der Auftraggeber umsatzorientiert und gestaffelt nach den Monatsumsätzen der I-CARD die Inanspruchnahme des Systems und ist der Gesamtumsatz in den monatlich zu erstellenden Abrechnungen gesondert auszuweisen.

4

In den Monaten April und Mai 1999 wählte die Beklagte die in das System einzubeziehenden Geschäfte in ihrem Stadtgebiet aus und warb diese als Akzeptanzstellen. Die Auswahlentscheidungen traf die Beklagte danach, wie die Geschäfte zu bestehenden bzw. noch möglichen Wohnheimstandorten, zu den von Leistungsberechtigten bewohnten Wohnungen auf dem freien Wohnungsmarkt und zu den Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs gelegen waren sowie nach den allgemeinen Öffnungszeiten der Geschäfte und der Breite ihres Warensortimentes.

5

Mit den einzelnen an das Chipkarten-System angeschlossenen Geschäften schloss die Firma I. Verträge zur Regelung der Abrechnungsmodalitäten.

6

Die Beklagte berücksichtigte das Lebensmittelgeschäft des Klägers bei der Auswahl der Akzeptanzstellen nicht.

7

Auf den Antrag des Klägers, sein Geschäft an das Chipkarten-System anzuschließen, teilte ihm die Beklagte im Herbst 1999 mit, es bestehe über die bereits geworbenen Akzeptanzstellen hinaus kein weiterer Bedarf. In zwei weiteren Schreiben Anfang 2000 berief die Beklagte sich darauf, die Zahl der Leistungsberechtigten sei seit Juli 1999 um ca. 24 % rückläufig, ab Juni 2000 würden in einer Vielzahl von Fällen Barleistungen analog dem Bundessozialhilfegesetz erbracht werden, so dass eine flächendeckende Versorgung der verbleibenden Leistungsberechtigten durch die bestehenden Akzeptanzstellen gewährleitet sei; für den Fall eines steigenden Bedarfs kündigte die Beklagte an, den Kläger unaufgefordert zu benachrichtigen.

8

Mit der Begründung, er habe einen Bedarf auch in Bezug auf sein Geschäft durch der Beklagten vorgelegte Erklärungen von Leistungsberechtigten belegt, die nachträgliche Berücksichtigung eines anderen Geschäftes zeige, dass es nicht unwirtschaftlich sei, weitere Akzeptanzstellen einzurichten und ihm sei die Einbeziehung in das Chipkarten-System unter bestimmten, von ihm inzwischen erfüllten Bedingungen mündlich zugesagt worden, hat der Kläger zunächst Klage auf Ermöglichung des Anschlusses an das Chipkarten-System erhoben. Das Verwaltungsgericht Osnabrück - 4. Kammer - hat die Klage mit Urteil vom 22. November 2001 - 4 A 102/00 - in der Kammerbesetzung abgewiesen, weil die Beklagte durch ihre Entscheidung über den Antrag des Klägers auf Einrichtung einer Akzeptanzstelle nicht die von ihr aufgestellten Vergaberichtlinien verletzt, sondern sich ermessensfehlerfrei daran orientiert habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Beklagte im Wesentlichen mit der Begründung zur Neubescheidung des Klägers verpflichtet, sie habe nicht hinreichend konkret, substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, dass sachgerechte Gründe der Aufnahme des Geschäftes des Klägers in das Chipkarten-System entgegenstünden.

9

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt und die Aufhebung des Berufungsurteils beantragt. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Juni 2002 - 4 LB 80/02 - aufgehoben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 22. November 2001 zurückgewiesen.

10

Der Kläger ist der Auffassung, die Weigerung der Beklagten, ihn in das Chipkarten-System einzubeziehen, sei rechtswidrig gewesen. Gegenüber anderen Lebensmittelgeschäften sei er wirtschaftlich benachteiligt worden. Erklärungen von Leistungsberechtigten belegten einen Bedarf, sein, des Klägers, Geschäft in das Chipkarten-System aufzunehmen. Die nachträgliche Berücksichtigung eines anderen Geschäfts zeige, dass es nicht unwirtschaftlich sei, weitere Akzeptanzstellen einzurichten. Auf der Grundlage ihrer eigenen Vergaberichtlinien sei das Ermessen der Beklagten dahingehend reduziert gewesen, dass dem Kläger die Aufnahme in das Chipkarten-System nicht habe versagt werden können.

11

Der Kläger behauptet, dass er im Falle der Einbeziehung in das Chipkarten-System bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung einen Mehr-Gewinn in Höhe von 59.491,37 EUR erzielt hätte.

12

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 55.000,-- EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

13

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, den entstandenen und zukünftig entstehenden Schaden auf Grund ihres Ablehnungsbescheides vom 24.9.1999 sowie 14.2.2000 und 29.2.2000 hinsichtlich der Versagung am Chipkartenzahlsystem des Klägers zu tragen.

14

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Sie trägt vor, ein Schadenersatzanspruch des Klägers sei bereits dadurch ausgeschlossen, dass das Verwaltungsgericht Osnabrück in einer kollegialgerichtlichen Besetzung die Behandlung der streitgegenständlichen Angelegenheit durch die Beklagte bestätigt und keinerlei Grund zur Beanstandung gesehen habe. Sie rügt die mangelnde Nachvollziehbarkeit der klägerischen Schadensberechnung. Im übrigen verweist sie erneut darauf, dass im Rahmen der Ermessensausübung die Einrichtung einer Akzeptanzstelle im Laden des Klägers nicht in Betracht gekommen sei, da sich das ursprüngliche Ladengeschäft des Klägers in einem schlechten Zustand befunden habe, das Geschäft nur stundenweise geöffnet gewesen sei und erhebliche Bedenken bezüglich der Einhaltung der einschlägigen Hygienevorschriften bestanden hätten. Zudem habe das Geschäft nicht annähernd das einem gängigen Verbrauchermarkt entsprechende Warensortiment aufgewiesen. Der vom Kläger angegeben andere Geschäft sei schließlich bereits bei Einführung des Chipkarten-System ausgewählt gewesen, auch wenn die technischen Voraussetzungen für die Teilnahme erst im August 1999 geschaffen worden seien.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist unbegründet.

17

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatz- oder Entschädigungsanspruch wegen der Nichteinbeziehung in das Chipkarten-System.

18

Ein Schadenersatzanspruch nach § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG scheitert am mangelnden Verschulden der Beklagten. Sowohl vom Bundesverwaltungsgericht als insbesondere auch von den für die Durchführung von Amtshaftungsprozessen zuständigen Zivilgerichten (vgl. z.B. BGH MDR 2003, 265; BGH NVwZ 2002, 1276; BGHZ 150, 172 (187); BGH VersR. 1999, 361 (363); BGH NVwZ 1998, 1329 (1330)) wird als Regel angenommen, dass einem Beamten kein Veschulden treffe, wenn ein mit mehreren Berufsrichtern besetztes Kollegialgericht die Amtstätigkeit als objektiv rechtmäßig angesehen hat (sogenannte "Kollegialgerichts-Richtlinie"). Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu; denn das Verwaltungsgericht hat - in Kammerbesetzung - die Klage abgewiesen, weil "die Vergabepraxis der Beklagten ... ermessensgerecht und keineswegs willkürlich" sei und auch "die in den Vergaberichtlinien festgehaltenen Auswahlkriterien ... keinen Ermessensfehler erkennen" ließen, so dass die "Nichtberücksichtigung (des Klägers) nicht willkürlich (sei) und ... keinen rechtlichen Bedenken (begegne)". Zwar hat dieses Urteil im Berufungsverfahren keinen Bestand gehabt. Vielmehr hat das Oberverwaltungsgericht angenommen, "die Weigerung der Beklagten, das Geschäft des Klägers in das Chipkarten-System aufzunehmen, (verletze) bei der gegebenen Sachlage den Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung". Daran scheitert die schuldausschließende Wirkung der erstinstanzlichen Kollegialentscheidung indessen nicht (vgl. BVerwG Buchholz 310, § 113 VwGO Nr. 250 = Juris-Dokument Nr. WBRE 310553902).

19

Die mit der Klage geltend gemachten Schadenspositionen sind auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines Entschädigungsanspruches wegen enteignungsgleichen Eingriffs gerechtfertigt.

20

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass zwischen dem Amtshaftungsanspruch und dem Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff Anspruchskonkurrenz bestehen kann (vgl. BGH NJW 1997, 3432 (3433)). Ein Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff setzt voraus, dass rechtswidrig in eine durch Art. 14 GG geschützte Rechtsposition von hoher Hand unmittelbar eingegriffen wird, die hoheitliche Maßnahme also unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums herbeiführt, und dem Berechtigten dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit auferlegt wird. Im vorliegenden Fall kommt als Eingriffsobjekt nur der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb des Klägers in Betracht. Insoweit fehlt es jedoch an einem Eingriff in eine eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition. Dies folgt daraus, dass der Kläger die Vereitelung eines Gewinnzuwachses durch die Nichteinbeziehung in das Chipkarten-System beklagt. Er wirft der Beklagten mithin vor, Chancen für eine Gewinnsteigerung beeinträchtigt zu haben. Die Vereitelung einer solchen Chance fällt indessen nicht in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG (vgl. BGH NVwZ 1998, 1329 (1330); BGHZ 92, 34 (46); Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Auflage, S. 243).

21

Damit aber scheidet auch ein Entschädigungsanspruch des Klägers unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen oder enteignenden Eingriffs aus, womit die Klage abzuweisen war.