Landgericht Osnabrück
Urt. v. 07.03.2003, Az.: 13 O 177/02

Anforderungen an die Wirksamkeit des Hauptversammlungsbeschlusses einer Aktiengesellschaft (AG); Vereinbarkeit von gesetzlichen Vorschriften zur Übertragung von Aktien mit der grundgesetzlichen Eigentumsgarantie; Verpflichtung zur Abfindung des Hauptaktionärs gegenüber den Minderheitsaktionären durch eine Bankgarantie; Notwendigkeit einer ausreichenden Wahrung des vermögensrechtlichen Bestandes einer Beteiligung

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
07.03.2003
Aktenzeichen
13 O 177/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 34646
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2003:0307.13O177.02.0A

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Wirksamkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses.

2

1.

Am 1. Januar 2002 ist das vom Deutschen Bundestag verabschiedete und am 20. Dezember 2001 im Bundesgesetzblatt verkündete Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz in Kraft getreten. Art. 7 dieses Gesetzes fügt § 327 des Aktiengesetzes bisheriger Fassung die Bestimmungen der §§ 327a - 327f des Aktiengesetzes an. Diese Bestimmungen eröffnen dem Mehrheitsaktionär, der mindestens 95 Prozent der Anteile einer Aktiengesellschaft hält, die Möglichkeit, die Minderheitsaktionäre durch ein gesetzlich geregeltes Verfahren gegen Barabfindung aus der Gesellschaft auszuschließen.

3

2.

Die Beklagte ist eine seit dem Jahr 2001 nicht mehr börsennotierte, deutsche Aktiengesellschaft. Das Kapital der Beklagten ist in 27.918.276 Aktien zerlegt. 27.776.888 Aktien, mithin 99,49% davon gehören der X. S.p.A.. 6.513 Aktien hält die Beklagte selbst. 134.857 Aktien, mithin 0,48% des Grundkapitals befinden sich im Streubesitz. Der Kläger hält davon 30 Aktien.

4

3.

Die Hauptversammlung der Beklagten beschloss am 28. Februar 2002 in Köln auf Verlangen der X. S.p.A. die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin gegen Barabfindung. Der in der Hauptversammlung erschienene Kläger widersprach diesem Beschluss zur notariell aufgenommenen Versammlungsniederschrift. Er hat mit am 28. März 2002 beim Landgericht eingegangener Schrift Klage gegen den Beschluss der Hauptversammlung erhoben.

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4.

Der Kläger vertritt die Auffassung, dass die gesetzlichen Regelungen über den Ausschluss von Minderheitsaktionären nicht mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Jedenfalls aber seien die Bestimmungen einschränkend nur auf börsennotierte Aktiengesellschaften anzuwenden. Soweit das Gesetz die Übertragung der Aktien von einer angemessenen Barabfindung abhängig mache, sei der Eigentumsverletzung die Grundlage nicht entzogen. Die beschlossenen Barabfindungen seien regelmäßig zu niedrig. Das belege der Erfolg der aussenstehenden Aktionäre in Spruchstellenverfahren. Diese Verfahren böten gleichwohl keinen ausreichenden Schutz. Denn ihre Dauer sei regelmäßig viel zu lang.

6

5.

Der Kläger beantragt:

  1. a)

    den in der außerordentlichen Hautversammlung der Beklagten vom 28. Februar 2002 gefassten Beschluss über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung für nichtig zu erklären,

  2. b)

    hilfsweise festzustellen, dass der in der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 28. Februar 2002 gefasste Beschluss über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung nichtig ist,

  3. c)

    hilfsweise festzustellen, dass der in der außerordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 28. Februar 2002 gefasste Beschluss über die Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung unwirksam ist.

7

6.

Die Beklagte beantragt

die Klage abzuweisen.

8

7.

Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Beschluss. Er müsse Bestand haben, da er nach den gesetzlichen Bestimmungen zustande gekommen sei. Eine Unvereinbarkeit mit der aktienrechtlichen Vorschriften mit dem Grundgesetz sei nicht gegeben.

9

8.

Wegen aller Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Klageschrift vom 28. Februar 2002 und die Klageerwiderung vom 27. Mai 2002 Bezug genommen, und zwar sämtlich einschließlich aller Anlagen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist erfolglos.

11

1.

Sie ist zulässig. Der Kläger ist anfechtungsbefugt. Das bestimmt § 245 Nr. 1 AktG. Die Klagefrist von einem Monat aus § 246 Abs. 1 AktG ist durch Einreichung der Klageschrift am 28. März 2002 gewahrt.

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2.

Die Klage ist aber nicht begründet. Der angefochtene Beschluss ist wirksam. Die beschlossene Übertragung der Aktien findet ihre rechtliche Grundlage in § 327a AktG. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen liegen vor. Dem Hauptaktionär gehören Aktien der Gesellschaft in Höhe von mehr als 95 v. H. des Grundkapitals. Darüber streiten die Parteien nicht. Die vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Bestimmungen über den Ausschluss von Minderheitsaktionären sind verfassungsgemäss. Die Gesetzgebungszuständigkeit des Deutschen Bundestages folgt aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. 72 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Das Aktiengerecht ist als Bestandteil des Gesellschaftsrechts Recht der Wirtschaft. Die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit macht im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich.

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3.

Die Bestimmungen der §§ 327a - 327f AktG sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Eigentumsgarantie ist gewahrt. Der vermögensrechtliche Bestand der Aktie wird durch die Neuregelung nicht angegriffen. Nach den §§ 327a Abs. 1 S. 1, 327b, 327f AktG ist dem Minderheitsaktionär eine angemessene Barabfindung zu zahlen. Deren Höhe ist gerichtlicher Überprüfung zugänglich. Die von dem Kläger im Haupttermin beklagte Dauer dieser Verfahren steht dem nicht entgegen. Ein - hier unterstellter - Mangel im Vollzug von Bestimmungen entzieht den zu vollziehenden Bestimmungen nicht ohne weiteres die verfassungsrechtliche Grundlage. Hier tritt hinzu: Die Angemessenheit der Barabfindung ist durch sachverständige Prüfer zu prüfen. Die Prüfer werden gerichtlich ausgewählt und bestimmt. Die Unabhängigkeit der auszuwählenden und zu bestimmenden Prüfer muss gewahrt sein. Das alles folgt aus den Bestimmungen der §§ 327c Abs. 2 S. 2, 3 und 4, 293d Abs. 1 S. 1 AktG und § 319 Abs. 2 HGB. Weiter gilt: Die Barabfindung ist zu verzinsen. Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen. Die Abfindungsverpflichtung des Hauptaktionärs gegenüber den Minderheitsaktionären ist durch Bankgarantie abzusichern. Das folgt aus § 327b Abs. 2 und 3 AktG.

14

4.

Das durch die Neuregelungen der §§ 327a ff. angegriffene mitgliedschaftsrechtliche Bestandsinteresse des Klägers ist durch Art. 14 nicht geschützt, wenn, was hier der Fall ist, der vermögensrechtliche Bestand der Beteiligung ausreichend gewahrt ist. Das folgt aus Gründen der den Parteien bekannten sog. "Moto Meter" Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts.

15

5.

Anlass, die Bestimmungen der §§ 327a ff. AktG nur auf börsennotierte Aktiengesellschaften anzuwenden besteht nicht. Soweit dies im Sommer des Jahres 2001 in Mainz anlässlich der Antrittsvorlesung eines Hochschullehrers vorgeschlagen worden ist, ist dem der Gesetzgeber ersichtlich nicht gefolgt.

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6.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre rechtliche Grundlage in § 247 Abs. 1 AktG.