Landgericht Osnabrück
Urt. v. 06.10.2003, Az.: 2 O 2206/03
Voraussetzungen für die Regulierung eines Unfallschadens auf Neuwertbasis; Anspruch auf volle Erstattung des Kaufpreises für ein unfallbedingt erheblich beschädigtes, neuwertiges Motorrad
Bibliographie
- Gericht
- LG Osnabrück
- Datum
- 06.10.2003
- Aktenzeichen
- 2 O 2206/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 33768
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGOSNAB:2003:1006.2O2206.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 247 BGB
- § 823 Abs. 1 BGB
Fundstelle
- JWO-VerkehrsR 2004, 100
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die X-Bank, zur Kreditvertragsnummer ....... den Betrag in Höhe von 4.832,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 05.06.2003 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe des beschädigten Krades "Honda Black Widow (RC 48)", Fahrzeug-Ident.-Nummer ........ durch den Kläger an den Beklagten.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 14% und der Beklagte zu 86%.
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung (wegen der Kosten) durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des jeweils beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Leistung von Schadensersatz aus Anlass eines Verkehrsunfallgeschehens vom 06.05.2003 in Lingen.
Der Kläger hatte per schriftlichen Kaufvertrag vom 15.04.2003 ein Motorrad Honda Black Widow RC 48 (750 ccm) erworben und sein gebrauchtes Motorrad in Zahlung gegeben. Die Erstzulassung des neuen Motorrades erfolgte am 23.04.2003, am 02.05.2003 hatte der Kläger das Motorrad bei der Verkäuferin abgeholt.
Am 06.05.2003 fuhr der Kläger mit dem neuen Motorrad, welches einen Kilometerstand von 234 km aufwies, die Werner-von-Siemens-Straße in Lingen in Richtung Clemensstraße. In Höhe der Einmündung Clemensstraße und des dort befindlichen Kindergartens sah der Kläger im letzten Moment den Beklagten, der die Werner-von-Siemens-Straße von links kommend unter Mißachtung der Verkehrsregel "rechts vor links" mit seinem Fahrrad überqueren wollte. Der Kläger bremste sofort zur Vermeidung einer Kollision und stürzte dabei mit seinem Motorrad. Der Kläger selbst verletzte sich, das Motorrad wurde nicht unerheblich beschädigt.
Der Kläger begehrte die Regulierung des Unfallschadens auf Neuwertbasis, die Haftpflichtversicherung des Beklagten hatte mit Telefax-Schreiben vom 05.06. und 06.06.2003 eine Abrechnung auf Neupreisentschädigung abgelehnt.
Der Kläger meint, er könne eine Regulierung des Schadens auf Neupreisbasis beanspruchen, da die notwendigen Voraussetzungen einer solchen Abrechnung gegeben seien. Er behauptet, das Motorrad habe keinen Bagatellschaden erlitten und meint, er müsse sich nach einer Nutzungsdauer von lediglich 4 Tagen nicht mit einem Unfallfahrzeug zufrieden geben. Der Schaden könne auch nicht durch Austausch eines Ersatzteils absolut folgenlos behoben werden.
Ursprünglich begehrte der Kläger mit seinem Sachantrag die Zahlung eines Schadens - ersatzes in Höhe von 8.090,- EUR..Nachdem der Haftpflichtversicherer des Beklagten im September an den Kläger im Umfang der Nettoreparaturkosten eine Teilzahlung geleistet hatte, haben die Parteien in Höhe eines Betrages von 2.121,30 EUR übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die gesetzliche USt hat der Kläger nicht mehr geltend gemacht und ferner sich auch eine Nutzungsentschädigung als Gebrauchsvorteil von 20 EUR. anrechnen lassen.
Der Kläger beantragt:
Den Beklagten zu verurteilen, an die X-Bank zur Kreditvertragsnummer .............. den Betrag von 4.832,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 05.06.2003 zu zahlen Zug um Zug gegen Rückgabe des beschädigten Krades "Honda Black Widow (RC 48)", Fahrzeug-Indent.-Nr. ...... durch den Kläger an den Beklagten.
Festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Annahme des unter Ziffer 1) genannten Krades in Verzug befinde.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, es sei lediglich ein geringer Sachschaden entstanden und die Beschädigungen würden sich durch Einbau von Ersatzteilen vollständig wieder herstellen lassen. Im Hinblick auf die völlige Wiederherstellung könne der Kläger eine Abrechnung auf Neupreisbasis nicht verlangen, Voraussetzung sei nämlich, dass ein erheblicher Schaden eingetreten sei, der ein gewisses Gewicht haben müsse. Die am Motorrad des Klägers entstandenen Schäden seien jedoch durch Auswechslung der beschädigten Teile restlos zu beseitigen.
Vorsorglich bestreitet der Beklagte den Neupreis und behauptet, der Fahrzeugpreis ergebe sich nur daraus, dass der Kläger ein gebrauchtes Krad in Zahlung gegeben habe. Im Übrigen sei es normal, dass Verkäufer von Neufahrzeugen Rabatte einräumen, das erworbene Motorrad des Klägers sei auf dem Händlermarkt günstiger zu erwerben. Ferner habe der Kläger es versäumt, den Wert des verunfallten Motorrades in Abzug zu bringen, der Restwert betrage - unstreitig - 3.300,00 EUR.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der vorgetragenen und gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Die Akten 319 Js 24223/03 der Staatsanwaltschaft Osnabrück waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und lagen zu Informationszwecken vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet.
Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Leistung von Schadensersatz in Höhe von 4.832,84 EUR gemäß § 823 Abs. 1 BGB.
Zwischen den Parteien besteht eine Übereinstimmung dahin, dass der Beklagte das Unfallgeschehen, durch welches der Kläger verletzt und das von ihm neu erworbene Motorrad nicht unerheblich beschädigt wurde, allein schuldhaft verursacht hatte. Die Haftung dem Grunde nach ist zwischen den Parteien mithin unstreitig.
Da der Beklagte die ihn treffende alleinige Haftung einräumt, ist er dem Kläger mithin zum Schadensersatz verpflichtet. Dabei geht das Schadensrecht im Grundsatz von der sogenannten Naturalrestitution aus, unter besonderen Umständen hat die Rechtsprechung jedoch anerkannt, dass der Geschädigte eine Schadensabrechnung auf Neupreisbasis (Neuwagenbasis) vornehmen kann. Die in der Rechtsprechung überwiegende Übung, dem Eigentümer eines erheblich beschädigten Personenkraftwagens eine Schadensberechnung "auf Neuwagenbasis" bei einer bestimmten Kilometerleistung sowie einem bestimmten Alter des Kraftfahrzeuges zu gestatten, ist im Grundsatz zu billigen und auch auf die Beschädigung eines neu erworbenen Motorrades zu übertragen; die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind insoweit entsprechend heranzuziehen. Bei der als Ausnahme von der Rechtsprechung zugelassenen Abrechnung auf Neuwagenbasis ist ausschlaggebend, dass die allgemeine Wertschätzung eines unfallfreien Personenkraftwagens/Motorrades erheblich höher ist, als die eines - wenn auch ordnungsgemäß und fachgerecht - reparierten Fahrzeuges. Diese Verkehrseinschätzung stellt durchaus einen wirtschaftlich relevanten Wertbildungsfaktor dar, der nicht durch die Zubilligung einer - sei es auch erhöhten - Wertminderung ausgeglichen werden kann (OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 919 [OLG Nürnberg 07.06.1994 - 3 U 1020/94]). Die von dem Beklagten bzw. seinem Haftpflichtversicherer in der mündlichen Verhandlung geäußerten Rechtsauffassung, die vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25.10.1983 (VI ZR 282/81 - VersR 1984, 46) entwickelten Grundsätze seien auf ein neu angeschafftes Motorrad nicht so ohne weiteres übertragbar, Motorräder hätten in der Regel eine wesentlich geringere Laufleistung bei zudem saisonaler Zulassung, überzeugt nicht. Die dargestellte Funktion der Neupreisabrechnung verbietet eine unterschiedliche Betrachtung zwischen Kraftfahrzeug und Motorrad. Wegen der geschilderten Verkehrseinschätzung werden sich die wirtschaftlichen Nachteile für den Kläger als Motorradfahrer (ebenso) realisieren, die sich aus dem Umstand ergeben, dass es sich nicht um ein unfallfreies, sondern lediglich um ein repariertes Motorrad handelt.
Die weiteren Voraussetzungen für eine Abrechnung auf Neuwertbasis liegen vor, das Motorrad war nämlich im Zeitpunkt des Unfallgeschehens aufgrund der nur kurzen Zulassung absolut neuwertig und hatte eine Fahrleistung von gerade einmal 234 Kilometern. Der Bundesgerichtshof hat angenommen, dass eine Abrechnung auf Neuwagenbasis regelmäßig dann entfällt, wenn der Pkw mehr als 1.000 Kilometer gefahren wurde oder er eine Gebrauchsdauer von mehr als einem Monat aufweist (NJW 82, 433f.; VersR 1984, 46). Bei der Übergabe des Motorrades an den Kläger (am 02.05.2003) hatte dieser das Motorrad lediglich 4 Tage in Besitz, als es zu dem Unfallgeschehen kam, die konkrete Kilometerleistung des verunfallten Motorrades kann auch bei Beachtung des Umstandes, dass Motorräder gegenüber Automobilen insgesamt eine niedrigere (durchschnittliche) Laufleistung ermöglichen, als gering betrachtet werden.
Auf die weiteren von dem Beklagten dargelegten Voraussetzungen für eine Neuwertabrechnung kommt es nicht mehr an, denn der Bundesgerichtshof hat ausdrücklich in seiner Entscheidung vom 25.10.1983 (VersR 1984, 46) ausgeführt, dass jenseits einer Fahrleistung von 1.000 km einer Abrechnung auf Neuwagenbasis enge Grenzen gesetzt sind. Bei einer Fahrleistung von über 1.000 km ist sie nur dann zulässig, wenn bei objektiver Beurteilung der frühere Zustand durch eine Reparatur auch nicht annähernd wieder hergestellt werden kann. Unabhängig davon wurde das Motorrad bei dem Unfallgeschehen erheblich geschädigt, die Reprataurkosten betragen nach dem vom Kläger vorgelegten Gutachten immerhin 2.121,30 EUR. netto, mithin mehr als 25% des Neupreises. Des Weiteren steht ungeachtet des Makels eines unfallbeschädigten Fahrzeugs auch nicht fest, dass eine Reparatur ohne verbleibende Spuren durchgeführt werden kann. Aus dem Gutachten ergibt sich immerhin, dass der Heckrahmen verbogen ist, dem Gutachten lässt sich aber nicht eindeutig entnehmen, dass trotz der Reparatur ein Unsicherheitsfaktor nicht verbleibt. Aus dem Gutachten erschließt sich nicht, ob das verzogene Bauteil (Heckrahmen) erneuert wird oder lediglich durch Richten der Defekt beseitigt wird, und ob im letzteren Falle trotz Wiederherstellung eines technisch einwandfreien Zustand zumindest Schönheitsfehler verbleiben.
Der Neupreis inklusive Frachtkosten für das vom Kläger erworbene Motorrad beträgt 8.090,00 EUR. Auf ausdrückliches Befragen in der mündlichen Verhandlung hat die Beklagtenvertreterin erklärt, dass der Inhalt des in Ablichtung überreichten Formulars über die Bestellung für neue Kraftfahrzeuge nicht bestritten werden solle. Soweit der Beklagte darauf hinweist, das Motorrad Typ Honda Black Widow RC 48 sei zu einem wesentlich niedrigen Kaufpreis auf dem Händlermarkt zu erwerben, fehlt es an einer näheren Darlegung und zudem ist dem Kläger eine Marktanalyse bzw. Marktforschung nicht zuzumuten, er hat unstreitig den Neupreis von 8.090,00 EUR aufwenden müssen, so dass ihm insoweit ein Schaden entstanden ist. Insoweit ist auch nicht von Relevanz, ob generell beim Kauf von Neufahrzeugen Rabatte gewährt werden, maßgeblich ist allein für die Schadensberechnung auf Neuwertbasis, welchen Neupreis der Kläger tatsächlich aufgewandt hat. Der Neupreis ist in dem Kaufvertrag mit 8.090,00 EUR ausgewiesen, das von dem Kläger in Zahlung gegebene gebrauchte Motorrad wurde mit 3.290,00 EUR betragsmäßig angesetzt, so dass der Kläger 4.800,00 EUR zuzuzahlen hatte.
Den Betrag in Höhe von 8.090,00 EUR kann der Kläger jedoch nicht erstattet verlangen, da nach dem geltenden und auf diesen Fall anzuwendenden neuen Schadensrecht der in dem Neupreis enthaltende Mehrwertsteuerbetrag erst dann zu ersetzen ist, wenn der Kläger diesen Mehrwertsteuerbetrag geleistet hat. Diesen Umstand hat der Klägervertreter zum Anlass genommen, in der mündlichen Verhandlung seinen Antrag entsprechend anzupassen und aus der verlangten Schadenssumme den Mehrwertsteuerbetrag herauszurechnen. Der Kläger war danach berechtigt, den Nettokaufpreis in Höhe von 6.974,14 EUR als Schadensersatz zu beanspruchen. Unstreitig hat der Beklagte durch seinen Haftpflichtversicherer an den Kläger einen Betrag in Höhe von 2.121,30 EUR geleistet (sogenannte Nettoreparaturkosten nach dem Gutachten der DEKRA vom 23.05.2003), so dass der Kläger lediglich noch den Betrag in Höhe von 4.852,84 EUR als Schadensersatz beanspruchen durfte. Der Kläger hat durch seinen Prozessbevollmächtigten ferner nach Hinweis des Gerichts von diesem Schadensersatzbetrag die Summe von 20,00 EUR für gezogene Nutzungen (Gebrauchsvorteile: 234 Kilometer) in Abzug gebracht, § 287 ZPO. Mit diesem Betrag sind etwa 1% des Neupreises pro gefahrener 1.000 Kilometer berücksichtigt, eine solche Berücksichtigung der Nutzungsdauer ist insgesamt angemessen.
Insgesamt hat der Kläger mithin einen Anspruch auf Zahlung von 4.832,84 EUR Zug um Zug - unter Berücksichtigung des von ihm selbst gestellten Antrags - gegen Rückgabe des beschädigten Motorrades Honda Black Widow RC 48. Durch die vom Kläger angebotene Rückgabe des Motorrades ist es dem Beklagten bzw. seinem Haftpflichtversicherer nunmehr möglich, das Unfallfahrzeug günstig zu verwerten und entsprechend dem K.F.Z.-Restwertangebot aus dem Internet einen Restwert von mindestens 3.300 EUR. zu erzielen.
Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.
Der Feststellungsantrag des Klägers ist unbegründet, der Kläger hat nicht im Einzelnen dargelegt, wann sich der Beklagte mit der Annahme des Motorrades im Verzug befunden hat. Erstmals mit dem in der mündlichen Verhandlung überreichten Schriftsatz vom 20.09.2003 hat der Kläger zu erkennen gegeben, dass er bereit ist, das Motorrad an den Beklagten herauszugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 91 a ZPO. Die Kostenentscheidung entspricht dem Obsiegen und Unterliegen in dem Rechtsstreit, soweit die Parteien übereinstimmend den Rechtsstreit teilweise für erledigt erklärt haben (nämlich hinsichtlich der Zahlung in Höhe von 2.121,30 EUR), waren dem Beklagten insoweit die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen. Der Beklagte wäre nämlich hinsichtlich dieses Betrages unterlegen gewesen, da der Kläger berechtigt war, den ihm entstandenen Schaden auf Neuwertbasis abzurechnen, so dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, auch diesen Betrag an den Kläger zu leisten.