Landgericht Osnabrück
Urt. v. 02.07.2003, Az.: 6 O 62/03

Feststellung materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche nach einer ärztlichen Behandlung; Beweislast im Rahmen eines Verfahrens um behauptete Behandlungsfehler bei einer Bypassoperation

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
02.07.2003
Aktenzeichen
6 O 62/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33949
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2003:0702.6O62.03.0A

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Feststellung materieller und immaterieller Schadensersatzansprüche.

2

Bei dem 1950 geborenen Kläger bestand seit 1997 eine belastungsabhängige Angina pectoris-Symptomatik, die sich zunächst durch beim Fahrradfahren auftretende thorakale Schmerzen äußerte. Im Dezember 1998 nahm die Symptomatik zu und trat bereits bei leichter Belastung sowie gelegentlich auch in Ruhe oder nach üppigen Mahlzeiten auf. Sein Hausarzt überwies den Kläger an den Beklagten, ein Krankenhaus in Osnabrück zur stationären Behandlung. Die Ärzte dort führten Anfang Januar 1999 bei dem Kläger eine Herzkatheteruntersuchung durch, welche eine diffuse, stenosierende und ektasierende koronare Dreigefäßerkrankung mit kollateralisiertem Verschluss der RCA, eine mittelgradige Stenose des Ramus circumflexus und eine subtotale Tandemstenose des Ramus interventrikularis anterior ergab. Aufgrund dieses Befundes stellten die Ärzte die Indikation zu einer ACB-Operation (Bypassoperation) und meldeten den Kläger zur Durchführung dieser Operation in eine Spezialklinik für den 17.02.1999 an. Am 15.01.1999 wurde der Kläger beschwerdefrei nach Hause entlassen. Am 07.02.1999 stellte sich der Kläger erneut mit einer Angina pectoris-Symptomatik in Ruhe bei dem Beklagten vor, so dass er wieder stationär aufgenommen wurde. Im sodann durchgeführten EKG zeigten sich bei dem Kläger neue antero-laterale Erregungsrückbildungsstörungen. Nachdem der Kläger am 10.02.1999 wiederum beschwerdefrei aus der stationären Behandlung des Krankenhauses des Beklagten entlassen worden war, musste er am 14.02.1999 wegen aus der Ruhe heraus auftretender starker thorakaler Schmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm und einer vegetativen Begleitsymptomatik im Krankenhaus des Beklagten erneut stationär aufgenommen werden. Da die Beschwerden auch unter intravenöser Therapie nur zögerlich rückläufig waren und sich elektrokardiographisch Ischämiezeichen antero-lateral zeigten, wurde die Verlegung zur dringlichen ACB-Operation in Spezialllinik noch am 14.02.1999 veranlasst. Die dortigen Ärzte führten dann bei dem Kläger am 15.02.1999 eine Bypass-Operation durch. Direkt präoperativ trat jedoch bei dem Kläger zweimal ein Kammerflimmern auf, das elektrisch terminiert wurde. Das bei dem Kläger durchgeführte EKG zeigte zu diesem Zeitpunkt das Bild eines akuten Vorderwandinfarktes. Der Kläger wurde nach unkompliziertem postoperativen Verlauf Anfang März 1999 entlassen und unterzog sich daraufhin einer Rehabilitationsmaßnahme.

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Der Kläger wirft den Ärzten des Beklagten Fehler bei seiner Behandlung vor. Dazu behauptet der Kläger, aufgrund seiner Angina pectoris-Symptomatik und der bei ihm bei den stationären Aufnahmen am 11.01.1999 und am 07.02.1999 vorgelegenen Beschwerden hätten die Ärzte des Beklagten spätestens ab dem 07.02.1999 seine Verlegung in eine Herzklinik zur Durchführung einer operativen Myokardrevaskularisierung veranlassen müssen. Wenn bei ihm die operative Myokardrevaskularisierung vor dem 15.02.1999 durchgeführt worden wäre, hätte ein Vorderwandinfarkt, den er am 15.02.1999 erlitten habe, vermieden werden können. Aufgrund des von ihm durch den Behandlungsfehler der Ärzte des Beklagten erlittenen Vorderwandinfarktes seien Spätfolgen nicht auszuschließen. Weiterhin vertritt der Kläger die Auffassung, dass der von ihm im Zusammenhang mit den Behandlungsfehlern der Ärzte des Beklagten gestellte Feststellungsantrag zulässig sei. Der Vorrang einer Leistungsklage gelte in diesem Fall nicht, da er seinen Anspruch auf Schadensersatz noch nicht oder nicht ohne Durchführung einer aufwendigen Begutachtung beziffern könne. Ferner sei zu berücksichtigen, dass eine Feststellungsklage insgesamt zulässig sei, wenn sich der anspruchsbegründende Sachverhalt zur Zeit der Klageerhebung wie hier noch in der Fortentwicklung befinde.

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Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund von Behandlungsfehlern des Beklagten, insbesondere aufgrund der unterlassenen Verlegung zur dringlichen operativen Myokardrevaskularisation, in den Monaten Januar und Februar 1999 entstanden ist und noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen ist.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Beklagte hält einen Fehler seiner Ärzte bei der Behandlung des Klägers in dem Zeitraum Januar/Februar 1999 für nicht gegeben. Dazu behauptet er, dass aufgrund des bei dem Kläger während der Behandlung in dem Zeitraum vom 11. bis zum 15.01.1999 festgestellten Befundes von einer instabilen Angina mit niedrigem Risiko habe ausgegangen werden müssen. In dieser Situation sei die medikamentöse Therapie, wie sie von seinen Ärzten verabreicht worden sei, ein standardisiertes Behandlungsverfahren. Nach der erneuten stationären Aufnahme des Klägers am 07.02.1999 sei unter Weiterführung der vorausgegangenen Therapie bei dem Kläger eine völlige Beschwerdefreiheit eingetreten. Aus diesem Grund habe man ihn wegen der für eine Woche später geplanten Operation erneut entlassen. Wegen der klinischen Stabilisierung habe bei moderatem Risiko zu diesem Zeitpunkt eine Indikation für eine Notfalloperation nicht bestanden, zumal die aortakoronare Bypassoperation kurzfristig geplant und eine engmaschige ambulante Führung des Klägers gewährleistet gewesen sei. Die Risikostratifikation, die nach internationalem Standard vorgenommen worden sei, rechtfertige das von seinen Ärzten gewählte medizinische Vorgehen. Die rasche Progredienz der instabilen Angina mit Entwicklung eines Infarktes sei vielmehr als schicksalhaft anzusehen.

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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung materieller oder immaterieller Schadensersatzansprüche. Solche Ansprüche ergeben sich weder aus §§ 31, 89, 823 Abs. 1, Abs. 2, 847 Abs. 1 BGB noch, soweit materielle Schadensersatzansprüche verfolgt werden, aus einer positiven Vertragsverletzung des zwischen den Parteien geschlossenen Behandlungsvertrages ggfls. in Verbindung mit § 278 BGB.

9

Bei der Beurteilung einer Haftung des Beklagten kann dahingestellt bleiben, ob den Ärzten des Beklagten bei der Behandlung des Klägers Fehler unterlaufen sind. Denn selbst wenn solche Behandlungsfehler vorliegen, kann der Kläger nicht beweisen, dass bei einem ordnungsgemäßen medizinischen Vorgehen, insbesondere bei einer früheren Durchführung der Bypassoperation, der von ihm am 15.02.1999 erlittene Vorderwandinfarkt vermieden worden wäre. Der gerichtlich bestellte Sachverständige E. hat in seinen Gutachten vom 07.01. und 23.04.2003 insoweit ausgeführt, dass bei dem Kläger bei Beginn der Behandlung am 11.01.1999 eine koronare Dreigefäßerkrankung mit einer subtotalen Tandemstenose des Ramus interventrikularis anterior und bereits eingeschränkter linksventrikulärer Funktion vorgelegen habe. In einer solchen Situation sei von einer instabilen Angina pectoris-Symptomatik mit deutlich erhöhtem Risiko eines kompletten Gefäßverschlusses und einem daraus folgenden Myokardinfarkt auszugehen. Eine Verlegung zur möglichst raschen operativen Revaskularisation wäre zu diesem Zeitpunkt sinnvoll gewesen. Während des stationären Aufenthaltes des Klägers vom 11.01.1999 bis zum 15.01.1999 sei wegen der Beschwerdefreiheit und ohne vorliegende EKG und Laborveränderung trotz des bekannten Herzkathederbefundes von einem akzeptablen Risiko auszugehen gewesen, so dass eine medikamentöse Therapie bis zur geplanten ACB-Operation vertretbar gewesen sei. Bei der Wiederaufnahme des Klägers am 07.02.1999 seien neue EKG-Veränderungen nachweisbar gewesen, die als Hinweis auf eine Minderdurchblutung des Herzmuskels hätten gedeutet werden müssen. Zudem hätten klinische Symptome im Sinne einer instabilen Angina pectoris-Symptomatik bestanden. Der initial gemessene Troponin-Wert habe im Normbereich gelegen. Im weiteren Verlauf sei der Patient beschwerdefrei gewesen. Nach den Empfehlungen zur Risikostratefizierung von Patienten mit einer instabilen Angina pectoris-Symptomatik, zum Beispiel nach Braunwald et. al., habe bei dem Kläger zwar eine instabile Angina pectoris-Symptomatik mit moderatem Risiko vorgelegen. Diese Empfehlungen dienten jedoch der Risikoabschätzung bei Patienten ohne bekannten Koronarstatus. In diesem Fall habe aber eine bekannte subtotale Tandemstenose des Ramus interventrikularis anterior vorgelegen, so dass das erhöhte Risiko eines kompletten Gefäßverschlusses und eines daraus folgenden Myocardinfarktes hätte bekannt sein müssen. Die Verlegung zur operativen Revaskularisation sei zu diesem Zeitpunkt indiziert gewesen. Der Sachverständige führt in diesem Zusammenhang allerdings weiter aus, es sei nicht retrospektiv zu klären, ob ein Myocardinfarkt bei einer früheren Revaskularisation sicher hätte verhindert werden können. Das Auftreten eines solchen Infarktes sei nämlich nicht allein vom Ausmaß der Gefäßverengung abhängig. Es müssten weitere lokale Veränderungen der Blutgerinnung oder andere Mechanismen hinzutreten. Das akute Infarktereignis und die den Infarkt auslösende Plaqueruptur mit den damit verbundenen Gerinnungsveränderungen seien nicht vorhersehbar. Es sei daher nicht auszuschließen, dass auch bei einer zeitlich früheren Operation, z.B. im Rahmen des perioperativen Stresses, ein Myocardinfarkt hätte auftreten können. Zusammenfassend kommt der Sachverständige demnach zu dem Ergebnis, dass durch eine frühere Myocardrevaskularisation das Risiko für ein Myocardinfarkt zwar verringert, aber nicht ausgeschlossen worden wäre.

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Das Gericht folgt den schlüssigen, in sich widerspruchsfreien und mithin überzeugenden Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Der Sachverständige hat den Sachvortrag der Parteien vollständig zur Kenntnis genommen, die ihm vorliegende Dokumentation umfassend ausgewertet und die gestellten Beweisfragen erschöpfend beantwortet. Die von ihm getroffenen Feststellungen sind klar, eindeutig und wissenschaftlich belegt. Das Gericht kann dem Sachverständigen insbesondere bei seinen Darlegungen folgen, dass er keine Aussage dahingehend treffen könne, ob bei einer früheren Verlegung des Klägers in eine Herzklinik der von ihm erlittene Myocardinfarkt vermieden worden wäre, da ein solcher Infarkt verschiedenste Ursachen haben könne. Die Ausführungen des Sachverständigen stehen auch nicht im Widerspruch zu dem vorprozessual erstellten sozial- medizinischen Gutachten der Ärztin Frau Dr. W. . Im sozialmedizinischen Gutachten wird lediglich ausgeführt, dass der Kläger verspätet in eine Herzklinik eingewiesen worden sei und dementsprechend die Ärzte des Beklagten behandlungsfehlerhaft gehandelt hätten. Es finden sich keine Ausführungen dazu, ob bei einem ordnungsgemäßen Handeln der Ärzte der von dem Kläger erlittene Myocardinfarkt vermieden worden wäre. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige im Gegensatz zu der Gutachterin Frau Dr. W. den Kläger persönlich untersucht hat.

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Der Ausgang der Beweisaufnahme geht zu Lasten des Klägers. Denn der Patient trägt bei feststehendem fehlerhaften Unterlassen der Ärzte die Beweislast dahingehend, dass bei richtiger Diagnose oder rechtzeitiger Erhebung der Befunde und richtiger Behandlung nach dem medizinischen Sollstandard die Primärschädigung gänzlich oder teilweise vermieden worden wäre (vgl. BGH VersR 1989, Seite 80; OLG Köln VersR 1998, Seite 767; OLG Oldenburg VersR 1993, Seite 229). Diesen Nachweis hat der Kläger, wie oben dargelegt, nicht führen können. Der Kläger kann auch keine Beweiserleichterung zu seinen Gunsten, z.B. aufgrund eines groben Behandlungsfehlers in Anspruch nehmen, da der Sachverständige die medizinischen Voraussetzungen eines solchen nicht festgestellt hat.

12

Bei dieser Sach- und Rechtslage brauchte nicht entschieden zu werden, ob der Kläger hinsichtlich der von ihm geltend gemachten Feststellungsklage ein Feststellungsinteresse hatte, da die Klage wegen der mangelnden Ursächlichkeit eines etwaigen Behandlungsfehlers für den eingetretenen Schaden durch Sachurteil abzuweisen war (vgl. zur Ausnahme vom prozessualen Vorrang der Zulässigkeit BGH NJW 1954, Seite 1159; 1972, Seite 198; 1987, Seite 2808).