Landgericht Osnabrück
Urt. v. 24.11.2003, Az.: 9 O 523/02

Vertragspflichtverletzung wegen Verstoßes gegen Vergabevorschriften bei der Durchführung eines Ausschreibeverfahrens; Vertrag über die Durchführung eines Vergabeverfahrens im Bereich der Abfallentsorgung; Abstellen auf die Länge des Abwasserkanalnetzes zur Bezeichnung des Sammelgebietes

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
24.11.2003
Aktenzeichen
9 O 523/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 33770
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2003:1124.9O523.02.0A

Tenor:

  1. 1)

    Die Klage wird abgewiesen

  2. 2)

    Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. 3)

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar

Tatbestand

1

Der Kläger ist öffentlich-rechtlicher Versorgungsträger für die auf seinem Gebiet anfallenden Abfälle aus privaten Haushalten und anderen Herkunftsbereichen. Zur Erfüllung seiner daraus folgenden Verpflichtungen bedient er sich der Leistungen Dritter, um die Abfälle zu erfassen, einzusammeln und zu befördern. Die hierzu zu vergebenden Aufträge sollten mit Wirkung zum 01.01.01 im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens im Jahr 2000 vergeben werden. Hierzu schlossen die Parteien am 04.10.99 einen Vertrag "über die Durchführung des Ausschreibeverfahrens zur Vergabe der Erfassung, Einsammlung und Beförderung der Abfälle im Landkreis Osnabrück".

2

Vertragsgegenstand war die Bestandsaufnahme und Wertung des gegenwärtigen Systems und die "Durchführung des vorgeschriebenen Vergabeverfahrens in sämtlichen Abschnitten". Hierzu hatte die Beklagte das für die Zwecke des Vertrages am besten geeignete Ausschreibungsverfahren auszuwählen, die erforderlichen Ausschreibungsunterlagen zusammenzustellen, eine Bewertungsmatrix für einen Vergleich der eingehenden Angebote zu erstellen, die zur Durchführung der Ausschreibung erforderlichen Erklärungen für den Kläger abzugeben, eingehende Angebote auszuwerten und zu prüfen, unter Beteiligung des Klägers Gespräche mit Bietern zu führen und schließlich einen Vergabevorschlag zu unterbreiten und den Vertragsabschluss bis zur Unterschriftsreife vorzubereiten.

3

Die von der Beklagten erstellte Ausschreibung weist zur Ermittlung der Sammelkilometer lediglich die Länge des Abwassernetzes des Sammelgebietes aus.

4

Der Submissionstermin war für den 24.03.00 vorgesehen. Mit Schreiben vom 15.03.00 rügte der Bieter, der die Leistungen bisher erbracht hatte, 14 verschiedene Verstöße gegen Vergabevorschriften. Diese Rüge wurde der Beklagten am gleichen Tage per Telefax übermittelt. Nach Abstimmung mit der Beklagten und den juristischen Beratern wies der Kläger die Rügen mit der Begründung zurück, es handele sich nicht um vergaberechtlich relevante Rügen

5

Am 20.06.00 stellte dieser Bieter bei der Vergabekammer Lüneburg einen Nachprüfungsantrag gem. §§ 97 ff GWB. Mit rechtskräftigem Beschluss der Vergabekammer Lüneburg vom 24.07.00 wurde der Kläger verpflichtet, das Vergabeverfahren zumindest hinsichtlich der Fachlose Sammlung und Beförderung aller anderen Fraktionen und des Loses Behältergestaltung aufzuheben. Ein Rechtsmittel hat der unterlegene Kläger gegen diese Entscheidung nicht eingelegt.

6

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe eine fehlerhafte Ausschreibung erstellt, da die bloße Angabe der Länge des Abwassernetzes falsch und unvollständig gewesen seien. Die Angaben seien nicht geeignet gewesen, allen Bietern die gleiche Kalkulationsgrundlage zu geben, weil kein gleicher Informationsgehalt sichergestellt gewesen sei. Die Beklagte habe die notwendigen Informationen für die Leistungsbeschreibung in Bezug auf die Sammelstrecke unpräzise abgefragt, deren Bedeutung verkannt und trotz Rüge eines Bieters die Leistung im Vergabeverfahren nicht entsprechend den Anforderungen des § 8 Nr.1 VOL/ A eindeutig und erschöpfend beschrieben. Die Beklagte habe zumindest eine Landkarte der Ausschreibung beifügen müssen.

7

Es sei der Geschäftsführer der Beklagten gewesen, der im Rahmen von Besprechungen mit dem Kläger ausgeführt habe, dass innerörtliche Abwassernetz sei die einfachste Möglichkeit zur Ermittlung der Kilometer. Ein Abfahren der Strecke mit Messrädern sei zu aufwendig.

8

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 57.678,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basissatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Sie behauptet, die Bezeichnung des Sammelgebietes durch Angabe der Länge des Abwassernetzes sei bis zur Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg eine gängige und zulässige Ausschreibungsart gewesen. Man könne der Beklagten deshalb keinen Vorwurf machen, dass sie diese Methode angewandt habe, da die Entscheidung der Vergabekammer nicht voraussehbar gewesen sei.

11

Ihre Leistung sei für den eingetretenen Schaden nicht kausal. Ursächlich für das Unterliegen des Klägers im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer sei allein die unzutreffende rechtliche Würdigung der anwaltlichen Berater des Klägers. Hätten diese die Rügen vergaberechtlich zutreffend gewürdigt, wären sie - wie auch die Vergabekammer - zum Vorliegen von gemäß § 107 Abs.3 GWB vergaberechtlich relevanten Rügen gelangt. Bei vergaberechtlich zutreffender rechtlicher Würdigung hätte der behauptete Fehler korrigiert werden können.

12

Es ist Beweis erhoben worden durch Einholung einer schriftlichen Aussage des Zeugen A..... , Vernehmung des Zeugen B...... sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens des Prof. C...... .

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Klage ist unbegründet.

14

(I)

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus dem zwischen ihnen geschlossenen Vertrag.

15

Der Kläger hat nicht beweisen können, dass die Werkleistung der Beklagten einen Mangel aufweist und diese somit eine Pflichtverletzung begangen hat.

16

a)

Der Kläger kann sich diesbezüglich nicht auf die Bindungswirkung des § 124 GWB berufen. Die Bindungswirkung gilt nur zwischen den am Verfahren vor der Vergabekammer Lüneburg Beteiligten. Da die Beklagte aber keine Beteiligte an dem Verfahren war und so z.B. auch nicht in der Lage war ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Vergabekammer einzulegen, kann diese Entscheidung keine Bindungswirkung für bzw. gegen sie entfalten.

17

b)

Der Umstand, dass die Beklagte zur Bezeichnung des Sammelgebietes die Länge des Abwassernetzes angegeben hat, ist nicht zu beanstanden. Die dies anders sehende Entscheidung der Vergabekammer Lüneburg ist insofern falsch. Aufgrund des sachlich fundierten, schlüssig und widerspruchsfrei vorgetragenen Gutachten des Sachverständigen Prof. C...... ist das Gericht davon überzeugt, dass das Abstellen auf die Länge des Abwassernetzes keine Pflichtverletzung, sondern eine einwandfreie Erfüllung der vertraglichen Pflichten darstellt. Da keine Gesichtspunkte ersichtlich sind, die vernünftige Zweifel daran aufkommen lassen, hat das Gericht an der Sachkunde des Sachverständigen keine Zweifel. Insbesondere ist dem Sachverständigen das Osnabrücker Land und damit das hier relevante Gebiet durch frühere Arbeiten gut genug bekannt um sachlich fundierte Angaben machen zu können. Der Sachverständige hat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Angabe der Länge des Kanalnetzes im hier relevanten Bereich aufgrund der praktisch flächendeckenden Erschließung eine gute Grundlage zur Beschreibung des Sammelgebietes ist. Die vom Kläger hiergegen erhobenen Vorwürfe gehen fehl.

18

Zum einen ist auch für jeden Laien klar, dass die Länge des Kanalnetzes nicht mit der tatsächlich zu fahrenden Sammelstrecke gleichzusetzen ist. Dies würde aber auch bei der Angabe der Länge des Straßennetzes gelten. Bereits einem Laien erschließt sich, dass bei der Mülleinsammlung Strecken auch doppelt gefahren werden müssen. So muss z.B. in Sackgassen hinein und wieder hinausgefahren werden. Weiter können z.B. insbesondere bei mehrspurigen Fahrbahnen nicht beide Seiten der Straßen gleichzeitig abgegrast werden, so dass sie zweimal befahren werden müssen.

19

Das Abstellen auf die Länge des Kanalnetzes genügt im Einklang mit den Angaben des Sachverständigen auch den Anforderungen des § 8 Nr.1 VOL/ A . Hiernach muss das Angebot, worauf der Kläger selbst hinweist, so gefasst sein, dass ein Bieter das ihm aufgebürdete Risiko und die hieraus resultierenden Auswirkungen auf den Preis abschätzen können muss. Dies ist vorliegend gegeben, wie der Sachverständige angegeben hat. Nach seinen Angaben ist jeder auf dem hier relevanten Gebiet der Müllentsorgung tätigen Firma bekannt, dass man die Länge des Abwassernetzes nicht mit der tatsächlichen Sammelstrecke gleichsetzen kann. Dies erschließt sich selbst einem Laien. Der Sachverständige hat insofern ausgeführt, dass eine Hochrechnung mit einem Faktor bis 6 erforderlich ist, um ein vernünftiges Angebot abzugeben. Die Beklagte hat damit alle Umstände, die die Preisermittlung der Bieter beeinflussen könnten, angegeben. Außerdem konnten sich die Bieter auf den Wortlaut der Leistungsbedingungen und anderer Vertragsbedingungen verlassen; d.h. Der Kläger hat zumindest andere "Mängel" als die Angabe des Kanalnetzes nicht gerügt. Die Beklagte hatte nämlich eine auf diesem Gebiet anerkannte und verlässliche Größe angegeben. Die Ermittlung eines Angebotspreises gehört zum gewöhnlichen Know-how eines auf diesem Gebiet tätigen Bieters.

20

Soweit der Kläger, wie die Vergabekammer Lüneburg, darauf abstellt, dass die Beklagte zumindest Kartenmaterial dem Angebot hätte beifügen müssen, geht auch dies fehl. Auch die Beigabe von Kartenmaterial hätte nicht die von der Klägerin und der Vergabekammer Lüneburg beanstandeten Mängel beseitigt. Auch das Kartenmaterial hätte keine Erkenntnisse über Einbahnstraßen, Straßenbreiten, Brückenhöhen, Verkehrsbelastungen und Straßenzustände gebracht. Auch dies sind aber Umstände, die für die Bestimmung der Sammelstrecke von Bedeutung sind bzw. sein können. Soweit die Vergabekammer Lüneburg in ihrer Entscheidung ausführt, dass es sogar ausgereicht hätte, auf allgemein zugängliches Kartenmaterial zu verweisen, stellt dies völlig überhöhte Anforderungen. Das Angebot richtet sich nicht an unwissende Laien sondern an im Wirtschaftsleben stehende Fachunternehmen. Bei diesen kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass sie von allein in der Lage sind sich allgemein zugängliche Kartenmaterial zu besorgen, insbesondere in der heutigen Zeit, in der man von praktisch jeder deutschen Gemeinde einen Stadtplan mit Straßennetz im Internet finden kann.

21

Auf Grund der Art der ausgeschriebenen Leistung ändert auch die europaweite Ausschreibung nichts an der Richtigkeit der Leistung der Beklagten. Der Sachverständige hat insofern eindeutig und nachvollziehbar dargelegt, dass es bei Ausschreibungen auf diesem Gebiet dem allgemeinen Standard entspricht, dass für ein vernünftiges Angebot eine Augenscheinnahme des betreffenden Gebietes durch den Bieter erforderlich ist. Dies erschließt sich auch einem Laien unproblematisch. Die Festlegung der Sammelstecke hängt von vielen Faktoren ab, die sich nicht durch den Ausschreibenden in erschöpfender Weise angeben lassen. Dies hängt schon damit zusammen, dass die Relevanz bestimmter Angaben von individuellen Eigenschaften des Bieters abhängen, insbesondere davon, was für Fahrzeuge und wie viele eingesetzt werden sollen. Die Ermittlung der für ein Unternehmen am Besten geeigneten Sammelstrecke ist eben keine einfache Rechenaufgabe, bei der man nur einfach ein paar Zahlen wie die Straßenlänge und Anzahl der Haushalte eingeben muss. Insofern unterscheidet sich die hier ausgeschriebene Leistung von anderen Ausschreibungen, wie Brücken-, Straßen- oder Gebäudeerrichtungen. Aus diesem Grunde ist auch der Verweis der Klägerin auf die Entscheidung des Thüringer OLG v. 15.07.03 unerheblich, da man den Transport von Fahrgästen nicht mit dem Einsammeln von Müll vergleichen kann. Dies folgt schon daran, dass bei der Personenbeförderung bestimmte Wegstrecken und Fahrpläne, insbesondere Zeitpläne durch den Bieter zu beachten sind, was bei der Mülleinsammlung gerade nicht der Fall ist.

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Unerheblich ist auch der Einwand, dass nicht für alle Bieter die gleichen Voraussetzungen galten, da der bisherige Leistungserbringer benachteiligt war, weil er das Sammelgebiet genau kannte und wusste, dass die tatsächliche Sammelstrecke die Länge des Kanalnetzes bei weitem übersteigt. Zum einen ist bereits ausgeführt worden, dass es gerade zum Know-how einer auf diesem Gebiet tätigen Firma gehört, zu wissen, dass die Sammelstrecke nicht mit dem Kanalnetz gleichzusetzen ist. Diesem Umstand trägt die Berücksichtigung der vom Sachverständigen angegeben Faktoren Rechnung. Zum anderen ist es praktisch unmöglich eine völlige Gleichheit der Bieter zu erreichen. Die Firma, die die Leistungen bereits lange Zeit erbracht hat, hat immer einen Wissensvorsprung, der - wenn überhaupt - nur dadurch zu beseitigen wäre, dass diese Firma ihr gesamtes diesbezügliches Wissen dem Ausschreibenden zur Verfügung stellt. Dies ist vorliegend aber nicht geschehen. Der Kläger hatte bei dem bisherigen Leistungsanbieter nicht nachgefragt. Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob dieses erforderlich gewesen wäre, oder nicht, weil es von vornherein aussichtslos war. Es war auf jeden Fall nicht Aufgabe der Beklagten eine solche Anfrage zu tätigen. Dies hätte - wenn man eine solche Pflicht annähme - dem Kläger oblegen.