Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 04.06.1996, Az.: 5 U 27/96
Bewertung von Leistung und Gegenleistung durch die Vertragsparteien; Vertragliche Grundlage eines Anspruchs auf künftige Entlohnung; Anerkennung von geschuldetem Entgelt für bereits erhaltene Betreuungsdienste als unzulässige nachträgliche Vereinbarung für abgeschlossene als unentgeltlich in der Vergangenheit erbrachte Leistungen; Indizwirkung der Wertangabe im Grundstücksübertragungsvertrag für ein erhebliches Auseinanderfallen von vereinbarter Vergütung und erbrachter Leistung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 04.06.1996
- Aktenzeichen
- 5 U 27/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1996, 21402
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1996:0604.5U27.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2325 BGB
- § 543 Abs. 1 2. Hs ZPO
Fundstellen
- FamRZ 1997, 773 (amtl. Leitsatz)
- NJW-RR 1997, 263-264 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Auch bereits erbrachte Pflegeleistungen können bei der Bewertung als Gegenleistung für eine Zuwendung berücksichtigt werden.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen seinen Bruder aus eigenem und von zwei weiteren Brüdern abgetretenem Recht Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche in Höhe von 3/8 des Nachlasswertes nach dem am 06.02.1993 verstorbenen Vater geltend.
Am 15.05.1992 setzte der Vater der Parteien den Beklagten als Alleinerben ein und übertrug sein Hausgrundstück dem Beklagten und dessen Ehefrau zu je 1/2. Darin verpflichteten sich die Erwerber ihn bis zum Lebensende zu betreuen. Für die in den letzten fünf Jahren von ihnen erbrachten Pflegedienste erkannte er an, ihnen für die ersten zwei Jahre 2.000.- DM pro Monat und die letzten drei Jahre 3.000.- DM pro Monat zu schulden. Zukünftige Verpflegungsaufwendungen wurden ebenfalls mit 3.000.- DM pro Monat bewertet. Diese insgesamt geschuldeten Beträge sollten durch die Grundstücksübertragung abgegolten sein. An Barvermögen hinterließ der Erblasser 1.861.10,00 DM. Der Verkehrswert des Grundstücks betrug am Todestag 195.000.- DM.
Der Kläger hat vorgetragen, ihm und seinen beiden Brüdern stünden je 19.812.20,00 DM zu. Testament und Übertragungsvertrag zielten allein darauf ab. diese Ansprüche zu vereiteln. Der Beklagte habe die darin angesprochenen Pflegeleistungen nicht erbracht. Für etwaige Versorgungsleistungen könnten allenfalls 38.188.52,00 DM von dem Grundstückswert in Abzug gebracht werden. Er hat beantragt. den Beklagten zu verurteilen. an ihn 59.436.60,00 DM zu bezahlen.
Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 29.947.91,00 DM stattgegeben. Die Berufung des Beklagten hatte Erfolg.
Gründe
Dem Kläger und seinen beiden Brüdern stehen keine der allein noch im Streit befindlichen Pflichtteilsergänzungsansprüche gemäß § 2325 BGB zu. Der Grundstücksübertragungsvertrag beinhaltet auch nicht zum Teil eine Schenkung an den Beklagten und seine Ehefrau.
Zutreffend geht das Landgericht auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung (siehe nur BGHZ 59. 137) im rechtlichen Ansatz davon aus. dass es zunächst Sache der Vertragsparteien ist. Leistung und Gegenleistung zu bewerten und danach festzulegen, und dass lediglich bei einem auffallend groben Missverhältnis dieser Leistungen. das vom Anspruchsteller zu beweisen ist. eine tatsächliche Vermutung für eine entsprechende von den Parteien gewollte unentgeltliche Zuwendung spricht. Das legt auch der Senat in ständiger Rechtsprechung zugrunde (vgl. nur FamRZ 92. 1226 -NJW-RR 92.778; Urteile vom 19.12.1989 - 5 U 82/89 -; 06.08.1991-5 U41/91 -).
Nicht zu beanstanden sind auch der vom Landgericht nach der Beweisaufnahme festgestellte Umfang der seit dem Tod der Ehefrau des Erblassers 1987 erbrachten Betreuungsleistungen und die dafür als angemessen für die Gegenleistung eingesetzten Monatsbeträge von 1.500.- DM vor Vertragsschluss und 3.000,00 DM danach. Insoweit kann gemäß § 543 Abs. 1 2. Halbsatz ZPO auf die überzeugenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung, die sich der Senat zu Eigen macht. verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung abgesehen werden.
Entgegenstehendes Vorbringen des Klägers in der Berufungserwiderung ist, soweit überhaupt erheblich, als verspätet zurückzuweisen. § 528 Abs. 2 ZPO.
Dabei lässt der Senat ausdrücklich offen. ob als bewiesen angesehen werden kann. dass die Ehefrau des Beklagten ein anzurechnendes monatliches Entgelt von 400,00 DM seinerzeit erhalten hat.
Auch liegt in der Anerkennung von geschuldetem Entgelt für bereits erhaltene Betreuungsdienste keine unzulässige nachträgliche Vereinbarung für abgeschlossene als unentgeltlich in der Vergangenheit erbrachte Leistungen. Die Vertragsparteien hatten es zumindest offen gelassen, ob die Dienstleistungen ohne Verpflichtung und (vorausgegangene) Leistungsversprechen erbracht werden sollen, zumal eine Versorgung eines solchen Umfanges nach den gegebenen Umständen nur gegen Vergütung erwartet werden kann. Besteht - wie hier - die Möglichkeit einer Leistungserbringung in der Absicht künftiger Entlohnung, so erhält der darauf gerichtete Anspruch mit der späteren Festlegung der Vergütung eine vertragliche Grundlage (vgl. dazu Staudinger/Reuss, BGB, 12. Aufl., § 516 Rdnr. 15d m.v.w.N.).
Zu Recht rügt allerdings die Berufung, das Landgericht habe die Kapitalisierung des Pflegeentgeltes nach dem Vertragsschluss versäumt. Das Landgericht durfte bei der Wertermittlung nicht von den bis zum Tode tatsächlich erbrachten Dienstleistungen ausgehen, sondern hätte vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses an den Wert ermitteln müssen, wie er von den Parteien prognostizierend über die weitere Entwicklung zugrunde gelegt werden durfte. Dabei ist, wie der Senat stets betont hat (vgl. die vorgenannten Urteile a.a.O.), zugunsten der anzuerkennenden freien lebzeitigen Verfügungsbefugnis des Erblassers ein großzügiger Maßstab anzulegen. Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn zumindest von einer Kapitalisierung nach der statistischen Lebenserwartung des Erblassers nach dem Vertragsschluss ausgegangen wird. Anhaltspunkte, die einen kürzeren Zeitraum zwingend bedingen. sind nicht ersichtlich. Aus dem Alter und der Pflegebedürftigkeit des Erblassers allein ist das jedenfalls nicht herzuleiten.
Sind aber für die Zeit nach Vertragsschluss die geschuldeten Betreuungsdienste - rechnerisch/statistisch - mit 129.960,00 DM (3.000,00 DM x 3,61 x 12) zu bewerten, so ist bereits bei einem monatlichen Entgelt von 1.084,00 DM für die fünf Jahre davor erbrachte Pflege das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung - rechnerisch - ausgeglichen.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts kommt der Wertangabe im Grundstücksübertragungsvertrag keine Indizwirkung für ein erhebliches Auseinanderfallen von vereinbarter Vergütung und erbrachter Leistung zu. Die Wertangabe hat zunächst bloß einen gebührenrechtlichen Sinn (Senat FamRZ 92, 1296 = NJW-RR 92, 778). Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür dass sie darüber hinaus auf einen anderen von den Parteien zugrunde gelegten Wert der Dienstleistungen hinweisen soll.
Ein grobes Missverhältnis kann aus diesen Gründen unter keinem denkbaren Gesichtspunkt sich ergeben oder gar festgestellt werden.