Sozialgericht Stade
Beschl. v. 07.02.2011, Az.: S 34 SF 43/10 E

Ausgangspunkt bei Bemessung einer Erledigungsgebühr ist die sog. Mittelgebühr; Sog. Mittelgebühr als Ausgangspunkt bei der Bemessung einer Erledigungsgebühr

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
07.02.2011
Aktenzeichen
S 34 SF 43/10 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 24181
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2011:0207.S34SF43.10E.0A

Tenor:

Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts Stade vom 10. September 2010 wird geändert. Die von der Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Auslagen und Gebühren werden auf 71,40 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juli 2010 festgesetzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten um die Höhe erstattungsfähiger Rechtsanwaltsgebühren. Streitig ist zwischen den Beteiligten ausschließlich die Frage, ob eine Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr nach Nrn 1005, 1006 VV RVG geltend gemacht werden kann, nach dem der Rechtsstreit in der Hauptsache durch Annahme eines Teilanerkenntnisses für erledigt erklärt worden war.

2

Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet, sofern die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG iHv 95,00 EUR festgesetzt hat. Die Erinnerungsgegnerin hat lediglich Anspruch auf eine Erledigungsgebühr iHv 60,00 EUR.

3

Dem Grunde nach zutreffend und in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des SG Stade hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle eine Erledigungsgebühr nach Nrn 1002, 1005, 1006 VV RVG festgesetzt. Eine solche Gebühr entsteht bei einer Einigung oder Erledigung sozialrechtlicher Angelegenheiten, in denen im gerichtlichen Verfahren Beitragsrahmengebühren entstehen. Nach der Rechtsprechung des BSG setzt die Gebühr dabei eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung bei der Erledigung der Rechtssache voraus (vgl hierzu BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 1 KR 13/06 R und Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 137/08 R). Gemeint ist damit, dass der Rechtsanwalt in einer Weise tätig wird, die über die allgemeine Wahrnehmung verfahrensmäßiger bzw. rechtlicher Interessen für seinen Mandanten hinausgeht und damit erst eine Entstehung neben den in anderen Teilen bestimmten Gebühren rechtfertigt. Eine Tätigkeit des Anwalts, die nur allgemein auf Verfahrensförderung gerichtet ist, reicht damit nicht aus; es muss ein besonderes Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung des Rechtsstreits gegeben sein. Dass der Rechtsanwalt sämtliche für den Mandanten sprechenden rechtlichen Argumente in möglichst überzeugender Weise vorträgt, ist bereits durch die Verfahrens- und u.U. Terminsgebühr abgegolten (Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 18. Aufl. 2008, VV 1002 Rdn 38). Eine qualifizierte anwaltliche Mitwirkung in diesem Sinne kann regelmäßig unterstellt werden, wenn der Anwalt nach Abgabe eines schriftlichen Teilanerkenntnisses durch den Beklagten dieses annimmt und den Rechtsstreit im Übrigen für erledigt erklärt. Denn die Abgabe dieser Erklärung erfordert regelmäßig eine Rücksprache mit dem Kläger, wobei häufig ein Einwirken des Anwalts hinsichtlich der Erledigungserklärung im Übrigen erforderlich sein wird. Anderenfalls wäre die Vergütung des Rechtsanwalts bei der - relativ unproblematischen - Annahme eines vollen Anerkenntnisses höher als bei der Annahme eines Teilanerkenntnisses. Dies wäre jedoch nicht gerechtfertigt.

4

Allerdings kann die Klägerin und Erinnerungsgegnerin eine Erledigungsgebühr in diesem Sinne weder wie im Kostenfestsetzungsantrag geltend gemacht in Höhe der Mittelgebühr von 190,00 EUR noch in Höhe - wie von der Urkundsbeamtin festgesetzt - von 95,00 EUR geltend machen. Geltend gemacht werden kann lediglich eine Erledigungsgebühr in Höhe von 60,00 EUR, d.h. in Höhe der doppelten Mindestgebühr. Auch für die Festsetzung der Erledigungsgebühr gelten die Grundsätze des § 14 RVG. Dabei hat eine unabhängige Prüfung der Kriterien des § 14 RVG ausschließlich im Hinblick auf die Erledigungsgebühr zu erfolgen, eine pauschale Anlehnung an die Feststellung zur Verfahrensgebühr ist nicht zulässig.

5

Nach §§ 3, 14 RVG bestimmt der Rechtsanwalt die Rahmengebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und der Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen. Das Haftungsrisiko ist zu berücksichtigen, § 14 Abs. 1 Satz 3 RVG. Wenn die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, so ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist.

6

Ausgangspunkt bei der Bemessung der Gebühr ist die sogenannte Mittelgebühr, das heißt die Mitte des gesetzlichen Gebührenrahmens, die anzusetzen ist bei Verfahren durchschnittlicher Bedeutung, durchschnittlichen Schwierigkeitsgrades und wenn die vom Rechtsanwalt/Beistand geforderte und tatsächlich entwickelte Tätigkeit ebenfalls von durchschnittlichem Umfang war. Denn nur so wird eine einigermaßen gleichmäßige Berechnungspraxis gewährleistet. Abweichungen nach unten oder oben ergeben sich, wenn nur ein Tatbestandsmerkmal des § 14 RVG fallbezogen unter- oder überdurchschnittlich zu bewerten ist, wobei das geringere Gewicht eines Bemessungsmerkmals das überwiegende Gewicht eines anderen Merkmals kompensieren kann (Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 18. Auflage 2008, § 14 Rn 11).

7

Vorliegend war Gegenstand des Verfahrens lediglich die Übernahme von Kosten des Widerspruchsverfahrens. Die Erledigungserklärung betraf - nach Abgabe des Teilanerkenntnisses - einen außerordentlich geringen Betrag von etwa 10% der im Widerspruchsverfahren geltend gemachten Rechtsanwaltskosten. Die Bedeutung der Rechtssache ist insoweit für die Klägerin und Erinnerungsgegnerin außerordentlich gering. Ebenfalls ist nicht erkennbar, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Hinblick auf die abgegebene Erledigungserklärung einem durchschnittlichen Umfang entsprechen könnte. Dementsprechendes ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass es für den Prozessbevollmächtigten aufwendiger Überzeugungsarbeit bedurfte, die Klägerin und Erinnerungsgegnerin von der Annahme des Teilanerkenntnisses zu überzeugen. Auch die Schwierigkeit der Rechtssache ist in dieser Hinsicht als deutlich unterdurchschnittlich anzusehen. Ebenfalls deutlich unterdurchschnittlich sind die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Klägerin. Nach alledem ist die geltend gemachte Einigungsgebühr in Höhe der Mittelgebühr ohne Zweifel als unbillig anzusehen, gerechtfertigt ist allenfalls die doppelte Mindestgebühr in Höhe von 60,00 EUR.

8

Nach alledem sind die Auslagen und Gebühren wie folgt festzusetzen:

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Erledigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG 60,00 EUR Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG 19% 11,40 EUR Summe 71,40 EUR

10

Die Entscheidung ist unanfechtbar, § 197 Abs. 2 SGG.