Sozialgericht Stade
Urt. v. 26.09.2011, Az.: S 29 KR 234/06

Unfreiwillige Beendigung von landwirtschaftlicher Tätigkeit wegen Zwangsversteigerung des Hofes ist auch als "Aufgabe" des Betriebes i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989 zu werten; Wertung der unfreiwilligen Beendigung von landwirtschaftlicher Tätigkeit wegen Zwangsversteigerung des Hofes als "Aufgabe" des Betriebes i.S.v. § 24 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
26.09.2011
Aktenzeichen
S 29 KR 234/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 28341
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2011:0926.S29KR234.06.0A

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darum, ob die Versicherungspflicht der Klägerin als landwirtschaft-liche Unternehmerin am 14.01.2003 geendet oder aber über diesen Tag hinaus fortbe-standen hat.

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Die 1954 geborene Klägerin bewirtschaftete seit 1992 einen landwirtschaftlichen Betrieb mit einem Reitergestüt, der die Mindestgröße für den Eintritt der Versicherungspflicht als landwirtschaftliche Unternehmerin nach dem Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG 1989) überschritt. Über die Klägerin war deren 1991 geborene Tochter G.familienversichert.

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Nachdem der landwirtschaftliche Betrieb bereits in den Jahren 1999/2000 notleidend ge-worden war, wurde er zwangsverwaltet, wobei verschiedene Pächter eingesetzt wurden. Schließlich kam es zur Zwangsversteigerung. Im Zusammenhang damit endete die Tä-tigkeit der Klägerin in ihrem Betrieb am 14.01.2003. Die für das Flächenkataster der Landwirte zuständige Landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft Niedersachsen-Bremen (LBG NB) teilte der Beklagten, die mit eigenen Beitragsforderungen am Zwangsverstei-gerungsverfahren beteiligt gewesen war, deren Leistungs- und deren Beitragsabteilung die Klägerin aber weiterhin als versichert behandelt hatten, erst am 26.01.2005 nachträg-lich mit, dass die Klägerin seit dem 15.01.2003 keinen Betrieb mit einer für die Versiche-rungspflicht erforderliche Mindestgröße mehr geführt habe.

4

Die Klägerin, die ihrerseits der Beklagten den Umstand des Endes ihrer Tätigkeit für den Betrieb nicht mitgeteilt hatte, vielmehr nach ihren eigenen Angaben davon ausgegangen war, durch die Beteiligung der Beklagten am Zwangsverwaltungs- und Versteigerungs-verfahren sei die Information dort bereits vorhanden, hatte in der Zeit vom 14.01. bis zum 31.12.2003 - für ihre Tochter G.- ambulante und vor allem stationäre medizinische Leis-tungen in Anspruch genommen (gemäß Bescheid der Beklagten vom 08.08.2006 - betreffend die Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen - in einem Umfang von 6.771,36 EUR).

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Mit ihrem Bescheid vom 03.05.2005 folgte die Beklagte der Mitteilung der LBG NB und stellte fest, das bisherige und in der Kranken- und Pflegeversicherung bestehende Versi-cherungsverhältnis der Klägerin, die seit dem 01.01.2005 Arbeitslosengeld II bezieht, habe mit Ablauf des 14.01.2003 geendet. Abgesehen davon seien zwischenzeitlich Bei-tragsrückstände in Höhe von 25.508,68 EUR entstanden.

6

Den allein gegen die Beendigung der Versicherungspflicht gerichteten Widerspruch wies die Beklagte, die die Bearbeitung des parallel gegen den Bescheid vom 08.08.2006 ge-richteten Widerspruchs zurückgestellt hat, mit ihrem Widerspruchsbescheid vom 20.10.2006 zurück. Aus § 24 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989 ergebe sich zwingend, dass die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger mit dem Tag der Aufgabe der Tätigkeit als land-wirtschaftlicher Unternehmer ende. Die Versicherungspflicht falle kraft Gesetzes weg, ohne dass es darauf ankomme, ob und welche Informationen ggf. aufgenommen worden seien oder ob Informations- oder Hinweispflichten beachtet worden seien. Da die Kläge-rin ein Angebot, sich für die Zeit vom 15.01.2003 bis zum 31.12.2004 nachträglich freiwil-lig zu versichern, nicht angenommen habe, verbleibe es bei der sich ergebenden Versi-cherungslücke bis zum Beginn der Pflichtversicherung als Bezieherin von Arbeitslosen-geld II.

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Dagegen richtet sich die am 24.11.2006 eingegangene Klage. Die Klägerin räumt ein, grundsätzlich die Verpflichtung gehabt zu haben, die Aufgabe ihrer Tätigkeit der Beklag-ten zu melden. In der Phase der Zwangsverwaltung habe sie allerdings über Einzelheiten der Betriebsführung nicht mehr selbst entscheiden können. Sie habe lediglich erfahren, dass der Zwangsverwalter weiterhin Flächen verpachtet habe. Sie habe davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte über das Zwangsversteigerungsverfahren die Information über die Betriebsaufgabe - und das daraus folgende Ende der Versicherungspflicht - erhalten werde.

8

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.)

    den Bescheid der Beklagten vom 03. Mai 2005 in der Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 20. Oktober 2006 zu ändern und

  2. 2.)

    festzustellen, dass die Versicherungspflicht über den 14. Januar 2003 hinaus fortbestanden hat.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

In der mündlichen Verhandlung haben die Beteiligten klargestellt, im anhängigen Ge-richtsverfahren lediglich über die Frage des Endes der Versicherungspflicht am 14.01.2003 zu streiten.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und wegen des weiteren Sachvortra-ges der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Verwaltungsakten der Be-klagten verwiesen. Diese Akten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist statthaft und zulässig.

13

Die Klage war als in der Sache unbegründet abzuweisen. Zu Recht hat die Beklagte fest-gestellt, dass das Versicherungsverhältnis der Klägerin mit der Einstellung ihrer Tätigkeit als landwirtschaftliche Unternehmerin am 14.01.2003 geendet hat.

14

Gemäß der hier anwendbaren Fassung des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989 (gültig vom 01.01.1995 bis zum 31.03.2007) endet die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger mit dem Tag der Aufgabe der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer. Die Vorschrift ist im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 Nr. 1 KVLG 1989 zu sehen, wonach die Versiche-rungspflicht der Landwirte von der Bewirtschaftung eines die Existenzgrundlage bilden-den Betriebes abhängig ist. An einer solchen Bewirtschaftung fehlt es (spätestens) ab dem 15.1.2003.

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Zu keinem abweichenden Ergebnis führt der Gesichtspunkt der Unfreiwilligkeit im Zwangsversteigerungsverfahren, der hier der Erfüllung des Merkmals der "Aufgabe der Tätigkeit" entgegenstehen könnte. Es könnte insoweit auf die Wirksamkeit der den Real-akt der nicht mehr erfolgenden landwirtschaftlichen Betätigung begleitenden Willenserklä-rungen und Verfahrenshandlungen ankommen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat in anderer Sache, nämlich für den Fall einer Beendigung der betrieblichen Tätigkeit durch einen Geschäftsunfähigen, die Aufgabe der Tätigkeit zwar als Realakt (kombinierte Rechts- und Tathandlung) angesehen, also als eine, deren Erfolg kraft Gesetzes und ohne Rücksicht darauf eintrete, ob dies vom Handelnden gewollt sei oder nicht. Zum Schutze des Geschäftsunfähigen bedürfe es jedoch der Handlungen eines Vertreters, sofern die dem Realakt zugrunde liegenden Willenserklärungen und Verfahrenshandlun-gen nichtig bzw. unwirksam seien (vgl. zweiter Leitsatz des Urteils des BSG vom 27.08.1998, Az.: B 10 KR 5/97 R). Im Gegensatz zum Fall eines Geschäftsunfähigen steht die Tatsache der seitens der Klägerin unfreiwilligen Beendigung der landwirtschaftlichen Tätigkeit der Annahme einer "Aufgabe" i. S. des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989 aber nicht entgegen. Es genügt viel-mehr, wenn die die Zwangsverwaltung und -versteigerung betreffenden Rechts- und Ver-fahrenshandlungen wirksam waren und die Rechte der Klägerin gewahrt blieben. Davon ist in Bezug auf die Zwangsverwaltung und -versteigerung des landwirtschaftlichen Be-triebes der Klägerin auszugehen. Die diesbezüglichen Angaben der Beklagten sind von der Klägerin nicht in Abrede gestellt worden. Es hat kein Verfahren stattgefunden, das zu einer nachträglichen und abweichenden Einschätzung des Endes der landwirtschaftli-chen Betätigung der Klägerin hätte führen können. Eine Parallele kann etwa zur Rege-lung des Endes der Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Rentner gezogen werden, denen durch Verwaltungsakt nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) die Rente entzogen wird. In derartigen Fällen endet die Mitgliedschaft als Rentner mit Ablauf des Monats, in dem die Entscheidung über den Wegfall oder den Entzug der Rente unan-fechtbar geworden ist (vgl. Gerlach in: Hauck/Noftz, Kommentar zum Sozialgesetzbuch V, K § 190 Rd.-Nr. 25; zum Fall einer - zwangsweisen - Exmatrikulation eines Studenten vgl. Gerlach a.a.O. Rd.-Nr. 21).

16

Die Beklagte konnte das Ende der Mitgliedschaft der Klägerin mit dem 14.1.2003 unab-hängig von der in der Folgezeit tatsächlich in Unkenntnis der Sachlage erfolgten Durch-führung der "Fehlversicherung" (zumindest zeitweise Leistungsgewährung; Beitragsforde-rung, die sich im Nachhinein als unrechtmäßig herausgestellt hat) feststellen. Da die Klä-gerin in der streitigen Zeit tatsächlich laufend keine Beiträge entrichtet hat, liegt schon kein Fall einer gem. § 26 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) ausgeschlos-senen Rückabwicklung vor (keine Beitragserstattung, wenn Leistungen erbracht wurden oder zu erbringen waren; von der Frage nach einer Rückabwicklung des Leistungsaus-tausches noch zu trennen ist dabei die hier interessierende und darüber hinausgehende Frage nach dem Bestehen oder Nichtbestehen einer Mitgliedschaft, vgl. zu "Fehlversi-cherungen" und zur Rückabwicklung BSG-Urteil v. 25.4.1991, Az. 12 RK 40/90). Es ist nicht geboten, allein wegen der Leistungserbringung von der Vorgabe des Gesetzgebers abzuweichen, die Rechtsfolge des § 24 Abs. 1 Nr. 2 KVLG 1989 an die Erfüllung des gesetzlichen Tatbestandes der Bewirtschaftung eines landwirtschaftlichen Betriebes zu knüpfen (vgl. Gerlach a.a.O. Rd.-Nr. 34: Maßgeblichkeit der tatsächlichen Verhältnisse).

17

Nur ergänzend ist auf den Umstand der somit ab dem 15.01.2003 eingetretenen Versi-cherungslücke hinzuweisen. Denn die Klägerin hat von der ihr durch die Beklagte unter-breiteten Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, im Anschluss an das Ende des Pflicht-versicherungsverhältnisses nachträglich eine freiwillige Mitgliedschaft zu begründen.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus der Anwendung des § 193 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).