Sozialgericht Stade
Urt. v. 06.06.2011, Az.: S 1 Kr 204/10

Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung darf bei einem nicht fristgerechten Hinweis nach § 175 Abs. 4 SGB V auf das Sonderkündigungsrecht nicht erhoben werden; Zusatzbeitrag zur Krankenversicherung bei einem nicht fristgerechten Hinweis nach § 175 Abs. 4 SGB V auf das Sonderkündigungsrecht des Versicherten

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
06.06.2011
Aktenzeichen
S 1 Kr 204/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 26832
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGSTADE:2011:0606.S1KR204.10.0A

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 7. Mai 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2010 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte für den Monat Februar 2010 einen Zusatzbeitrag von EUR 8,00 erhoben hat. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt 1/12 der Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Der Kläger wehrt sich gegen den Zusatzbeitrag gemäß § 242 des Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), der durch die Beklagte erhoben wird.

2

Der Verwaltungsrat der Beklagten hatte am 28. Januar 2010 beschlossen, ab 1. Februar 2010 einen monatlichen Zusatzbeitrag gemäß § 242 SGB V iHv EUR 8,00 pro Monat zu erheben. Die entsprechende Satzungsänderung wurde vom Bundesversicherungsamt genehmigt und am 3. Februar 2010 im Bundesanzeiger veröffentlicht.

3

In einem zweiseitigen Informationsschreiben teilte die Beklagte dem Kläger die Erhebung des Zusatzbeitrages mit. In dem Schreiben befand sich unter der Überschrift "Weitere allgemeine Hinweise" unter anderem der Wortlaut des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V. Hinter dem Zitat folgte der Zusatz "(Hinweis: erstmalige Fälligkeit am 15. März 2010)". Das Schreiben wurde am 5. Februar 2010 zur Post gegeben. Der Kläger macht geltend, das Schreiben erst am 25. Februar 2010 erhalten zu haben.

4

Mit Bescheid vom 7. Mai 2010 setzte die Beklagte den Zusatzbeitrag iHv EUR 8,00 ab 1. Februar 2010 fest. Der Bescheid enthielt auch die Festsetzung, dass der Beitrag am 15. des Folgemonats fällig werde, mithin erstmals am 15. März 2010.

5

Mit Schreiben vom 11. März 2010 widersprach der Kläger der Erhebung des Zusatzbeitrages. Dies sei rechtswidrig, da die Beklagte einen Monat vor der Fälligkeit des Zusatzbeitrages verpflichtet sei, auf diesen und das Sonderkündigungsrecht hinzuweisen. Die Frist sei nicht gewahrt worden, da das Schreiben erst am 25. Februar 2010 zugegangen sei. Auch sei der Hinweis auf das Sonderkündigungsrecht nicht hinreichend deutlich erfolgt.

6

Im Widerspruchsbescheid vom 11. August 2010 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Darin führte die Beklagte aus, dass die Satzung bereits vor dem 1. Januar 2010 die Aussage enthalten habe, dass Beiträge und Zusatzbeiträge i.S. des § 242 SGB V monatlich zu entrichten seien. Eine Veröffentlichung des Zusatzbeitrages im Bundesanzeiger habe am 3. Februar 2010 stattgefunden; dies bereits sei ausreichend gewesen, um den Zusatzbeitrag wirksam zu erheben. Das Informationsschreiben sei am 5. Februar 2010 versendet worden und gelte nach drei Tagen als zugegangen, bei der Behauptung des Klägers handele es sich um eine reine Schutzbehauptung. Zudem bestehe kein Schutzbedürfnis, da der Kläger das Sonderkündigungsrecht nicht genutzt habe. Es komme daher nicht darauf an, wann ihm das Informationsschreiben zugegangen sei. Auch wenn der 24. Februar 2010 als Zugangszeitpunkt unterstellt werde, wäre noch Zeit für die Ausübung des Sonderkündigungsrechts bis zum Inkrafttreten des Zusatzbeitrages gewesen.

7

Der Kläger entrichtete die Zusatzbeiträge monatlich bis zum Ende des Mitgliedschaftsverhältnisses bei der Beklagten am 31. Januar 2011. Der Widerspruchsbescheid ging am 16. August 2010 bei dem Kläger ein. Er erhob am 16. September 2010 Klage zu dem Sozialgericht Stade.

8

Der Kläger ist der Auffassung, der Zusatzbeitrag sei nicht zu erheben.

9

Er beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. März 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 2010 zu verpflichten, die bereits gezahlten Zusatzbeiträge zurückzuerstatten.

10

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Sie ist der Auffassung, ihre Bescheide seien nicht zu beanstanden.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden sind.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte den Zusatzbeitrag für den Monat Februar 2010 erhoben. Im Übrigen ist die Erhebung des Zusatzbeitrages nicht zu beanstanden.

14

Gemäߧ 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestimmt die Krankenkasse in ihrer Satzung, dass von ihren Mitgliedern ein einkommensunabhängiger Zusatzbeitrag erhoben wird, soweit der Finanzbedarf einer Krankenkasse durch die Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds nicht gedeckt ist. Nach der bei Einführung des Zusatzbeitrages durch die Beklagte gültigen Fassung der § 242 Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V ist der Zusatzbeitrag auf 1 v.H. der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds begrenzt; abweichend davon erhebt die Krankenkasse den Zusatzbeitrag ohne Prüfung der Höhe der Einnahmen des Mitglieds, wenn der monatliche Zusatzbeitrag den Betrag von EUR 8,00 nicht übersteigt. Nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V kann die Mitgliedschaft bis zur erstmaligen Fälligkeit der Beitragserhebung, der Beitragserhöhung oder der Prämienverringerung gekündigt werden, wenn die Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erhebt. Von Mitgliedern, die das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V wegen der erstmaligen Erhebung des Zusatzbeitrages fristgemäß ausgeübt haben, wird der Zusatzbeitrag nicht erhoben (§ 242 Abs. 1 Satz 4 SGB V).

15

An dem ordnungsgemäßen Zustandekommen der Satzungsregelungen hat das Gericht keinerlei Zweifel. Nach § 14 der Satzung der Beklagten beträgt der monatliche Zusatzbeitrag EUR 8,00 und ist vom Mitglied an die Kasse zu zahlen. Er wird gemäß § 17 der Satzung jeweils am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den er zu entrichten ist.

16

Der Zusatzbeitrag konnte von der Klägerin erhoben werden, da ein formgerechter Hinweis auf das Sonderkündigungsrecht an sie ergangen ist (1.). Lediglich der Zusatzbeitrag für den Monat Februar 2010 durfte seitens der Beklagten nicht erhoben werden, da der Hinweis nicht fristgerecht erging (2.).

17

1.

Die Beklagte hat dem Kläger den Hinweis auf das Sonderkündigungsrecht formgerecht i.S.d. § 175 Abs. 4 Satz 6 SGB V erteilt. Die Krankenkasse hat nach § 175 Abs. 4 Satz 6 SGB V ihre Mitglieder auf das Kündigungsrecht nach Satz 5 der Vorschrift spätestens einen Monat vor erstmaliger Fälligkeit hinzuweisen. Kommt die Krankenkasse ihrer Hinweispflicht gegenüber einem Mitglied verspätet nach, verschiebt sich für dieses Mitglied die Erhebung oder die Erhöhung des Zusatzbeitrages und die Frist für die Ausübung des Sonderkündigungsrechts um den entsprechenden Zeitraum (§ 175 Abs. 4 Satz 7 SGB V).

18

Die Beklagte ist ihrer Hinweispflicht auf das Sonderkündigungsrecht ausreichend nachgekommen. Denn sie hat in ihrem Schreiben zur Information über die Erhebung des Zusatzbeitrages den Wortlaut des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V wiedergegeben. Sie war nicht gehalten, diesen Hinweis in anderer Form als durch die Wiedergabe des Gesetzestextes vorzunehmen. Die rechtliche Eindeutigkeit des Hinweises ließ sich durch die Wiederholung des Wortlautes sicherstellen.

19

Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass der Hinweis ganz am Ende des zweiseitigen Schreibens, zudem in der kleinsten von drei verwendeten Schriftgrößen wiedergegeben war. Aus der Stellung des Hinweises auf das Sonderkündigungsrecht im "Kleingedruckten", folgt aber nicht, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung über das Sonderkündigungsrecht nicht erfolgt ist. Aus Sicht eines verständigen, durchschnittlichen Bürgers, der das Schreiben mit hinreichender Sorgfalt liest, war zu erkennen, dass als Mitglied der Beklagten ein Sonderkündigungsrecht gegeben war. Die pauschale Behauptung des Klägers, dass ein "normaler Mensch" dies nicht verstehen könne verkennt den anzulegenden Sorgfaltsmaßstab.

20

2.

Jedoch waren die Bescheide der Beklagten insoweit aufzuheben, als damit der Zusatzbeitrag für den Monat Februar 2010 erhoben wird. Denn die Beklagte hat nicht fristgerecht i.S.d. § 175 Abs. 4 Satz 6 SGB V auf die Erhebung des Zusatzbeitrages und das Sonderkündigungsrecht hingewiesen.

21

Der Kläger war insoweit zur Zahlung nicht verpflichtet. Der Bescheid der Beklagten legte die Fälligkeit für den ersten Zusatzbeitrag (für den Monat Februar 2010) auf den 15. März 2010 fest. Das Informationsschreiben ist dem Kläger nach dessen nicht widerlegtem Vortrag erst am 24. Februar 2010 zugegangen, mithin weniger als einen Monat vor der erstmaligen Erhebung des Zusatzbeitrages. Die Beweislast für den rechtzeitigen Zugang des Informationsschreibens trägt die Beklagte. Auch der Umstand, dass die Beklagte mehr als 4 Millionen Informationsschreiben versenden musste, entlastet sie nicht von Beweisführungspflicht über den Zugang der Schreiben. Ihr kann auch nicht in der Auffassung gefolgt werden, dass die Vorschrift des § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V nur anwendbar ist, wenn ein Versicherter von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch macht. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift verschiebt sich bereits die Erhebung des Zusatzbeitrages bei verspäteter Information gegenüber dem Mitglied. Dass die Sonderkündigung ausgesprochen werden muss, ist nicht Voraussetzung der Vorschrift.

22

Aus § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V folgt auch nicht, dass sich die Fälligkeit des Zusatzbeitrages für Februar 2010 auf den Zeitpunkt verschiebt, der einen Monat nach Zugang des Informationsschreibens liegt (vorliegend der 25. März 2010). Denn der Bescheid vom 23. März 2010 regelt ausdrücklich auch die Fälligkeit des Zusatzbeitrages und legt diese auf den 15. des jeweiligen Folgemonats fest. Die Fälligkeit des Zusatzbeitrages für den Monat Februar 2010 hat sich daher nicht auf den 25. März 2010 verschoben. Vielmehr ist erst der Zusatzbeitrag für den Monat März 2010, der am 15. April 2010 fällig wurde, wirksam erhoben. Die Rechtmäßigkeit des auf § 242 SGB V i.V.m. der Satzung basierende Bescheides über die Erhebung des Zusatzbeitrages wird im Ergebnis insoweit durch § 175 Abs. 4 SGB V beeinflusst, als die Beklagte nur dann zulässigerweise den Zusatzbeitrag erheben darf, wenn sie auf das Sonderkündigungsrecht fristgerecht innerhalb der Monatsfrist hingewiesen hat.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie berücksichtigt das teilweise Obsiegen des Klägers.

24

Diese Entscheidung ist unanfechtbar. Die Berufungssumme des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ist nicht erreicht. Die Zusatzbeiträge, die der Kläger entrichten muss, betragen EUR 8,00 x 12 Monate, mithin EUR 96,00. Auch ist die Berufung nicht gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG zulässig. Danach gilt ein Rechtsstreit als berufungsfähig unabhängig vom Wert des Beschwerdegegenstandes, wenn wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind. Dies ist nicht der Fall. Denn der Kläger ist mit Wirkung zum 31. Januar 2011 wirksam zu einer anderen Krankenkasse gewechselt. Streitig sind daher lediglich die Zusatzbeiträge für die Monate Februar 2010 bis einschließlich Januar 2011, mithin genau ein Jahr. Gründe für die Zulassung der Berufung waren nicht ersichtlich.