Sozialgericht Stade
Urt. v. 07.04.2011, Az.: S 7 U 198/06

4105; Asbest; Berufskrankheit; Faserjahre; Pleuramesotheliom; Seemann; Unfallversicherung

Bibliographie

Gericht
SG Stade
Datum
07.04.2011
Aktenzeichen
S 7 U 198/06
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 45151
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Anerkennung und Entschädigung eines Pleuramesothelioms eines Seemanns als Folge der Berufskrankheit Nr 4105 der Anlage zur BKV, wenn die Asbestbelastung strittig ist und die Schiffe nicht mehr bestehen.

Tenor:

Der Bescheid der Beklagten vom 23. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2006 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, das Pleuramesotheliom des Versicherten Herrn W. Q. als Folge der Berufskrankheit Nr 4105 der Anlage zur BKV anzuerkennen und entsprechend der gesetzlichen Vorschriften zu entschädigen.

Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Erkrankung eines Versicherten als Folge einer Berufskrankheit (BK) anzuerkennen und zu entschädigen ist.

Der Ehemann der Klägerin (nachfolgend: Versicherter) fuhr von 1937 bis 1979 mit Unterbrechungen zur See. Er war auf verschiedenen Schiffen als Schiffsjunge, Matrose, Steuermann, Kapitän und Wachkapitän tätig. Der Versicherte war auch auf Schiffen tätig, mit denen Hochseefischerei betrieben wurde.

Anfang 2004 wurde bei dem Versicherten eine Krebserkrankung des Rippenfells, ein so genanntes Pleuramesotheliom diagnostiziert und es erfolgte die Anzeige bei Verdacht auf eine BK. Die Beklagte nahm daraufhin ihre Ermittlungen auf. Der Versicherte gab an, dass während der Fischerei die nasse Kleidung auf den mit Asbest isolierten Leitungen getrocknet worden sei, da kein Trockenraum vorhanden gewesen sei. Der Technische Aufsichtsdienst (TAD) der Beklagten, Herr H., nahm keine Gefährdung des Versicherten als Mitglied der Decksbesatzung an und verwies auf ein Messprogramm der Beklagten aus dem Jahr 1994. Asbest sei auf Seeschiffen zwar im Wohnbereich in gebundener Form in Trennwänden und im Maschinenraum in Form von Matten oder Schnüren zur Isolierung von Bauteilen mit heißer Oberfläche sowie für Dichtungen und Packungen verwendet worden, ausweislich des Messprogramms sei die Emission von Asbestfeinstaub aus diesen Teilen allerdings gering gewesen.

Die Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. I. regte weitere Ermittlungen an und führte aus, dass die Aussage des TAD nicht zufriedenstellend sei, da keine genaue Messdaten für vergleichbare Arbeitsplätze angegeben worden seien und insbesondere unklar bleibe, ob bei den Messungen auch thermisch belastete Materialien einbezogen worden seien. Sie regte an, die Art der Isolierung und deren Zustand zu erfragen. Im Dezember 2004 verstarb der Versicherte an den Folgen des Pleuramesothelioms. Die Klägerin teilte dem TAD mit, dass ihr Mann ihr zu Lebzeiten mitgeteilt habe, dass die Rohre mit Asbest isoliert gewesen seien. Der Gewerbearzt Dr. J. empfahl der Beklagten das Pleuramesotheliom des Versicherten als Folge einer BK anzuerkennen und verwies auf arbeitsmedizinische Untersuchungen, nach denen für Seeleute ein erhöhtes Risiko bestehe, an einem Pleuramesotheliom zu erkranken. Den von dem TAD zitierten Abschlussbericht konnte Dr. K. nicht nachvollziehen. Er führte aus, dass bei älteren Schiffen in größerem Umfang Asbest eingebaut worden sei und davon ausgegangen werden müsse, dass bei Isolierungen Asbest nicht in fest gebundener Form vorhanden gewesen sei. Der TAD blieb bei seiner Einschätzung und kritisierte an Dr. J. Stellungnahme, dass bei den von ihm zitierten Untersuchungen nicht zwischen Decks- und Maschinenpersonal differenziert worden sei. Der Versicherte sei ausschließlich im Deckbereich tätig gewesen und habe keinen nachgewiesenen Kontakt mit asbesthaltigen Stoffen gehabt.

Mit Bescheid vom 23. September 2005 lehnte die Beklagte eine Anerkennung und Entschädigung des Pleuramesothelioms des Versicherten als Folge der BK Nr 4105 der Anlage zur BKV ab. Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein und fügte ein Schreiben des ehemaligen Personalchefs der K. GmbH bei. Dieser hatte mit den ehemaligen Mitarbeitern L., M., N. und O. gesprochen. Nach deren Aussage hätte die Isolation der Zu- und Ableitungen vom Kessel des jeweiligen Schiffes aus Asbestplatten, die mit einfachen Schellen am Rohleitungssystem befestigt gewesen sei, bestanden. Die Besatzung hätte dort die nasse Arbeitskleidung zum Trocknen aufgehängt. Im Sonnenlicht habe man sogar die kleinen Asbestflöckchen herabregnen sehen können.

Der TAD sprach daraufhin mit den Zeugen. Die Zeugen bestätigten, dass die Arbeitskleidung häufig im Maschinenraum zum Trocknen aufgehängt wurde und dass sich das Deckspersonal dort häufig zum Aufwärmen aufgehalten hat. Herr L. und Herr M. sowie Herr N. konnten keine Angaben über Beschädigungen an den Rohrleitungen machen. Der Zeuge O. gab an, dass die Isolierung der Dampfleitungen aus Glaswolle bestanden habe, die mit Asbesttuch ummantelt gewesen sei. Besonders auf den älteren Schiffen sei diese häufig schadhaft gewesen. Durch Dampfundichtigkeiten an den Flanschverbindungen sei die Isolierung sehr oft zerstört gewesen. Bezüglich der Einzelheiten der Aussage des Zeugen Kokot wird auf Blatt 136 der Verwaltungsakte verwiesen. Der TAD blieb bei seiner Einschätzung, dass der Versicherte keiner Gefährdung durch Asbest ausgesetzt war und die Beklagte wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 4. Oktober 2006 zurück.

Am 2. November 2006 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Die Klägerin trägt vor, dass der Versicherte sich nicht ausschließlich im Decksbereich, sondern auch im Maschinenbereich aufgehalten habe. Sie rügt, dass der TAD die Aussage des Herrn N. unzutreffend wiedergegeben hat.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 23. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2006 aufzuheben und die Beklagte zur verurteilen, dass Pleuramesotheliom des Versicherten, Herrn W. Q., als Folge der Berufskrankheit Nr 4105 der Anlage zur BKV anzuerkennen und entsprechend der gesetzlichen Vorschriften zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat eine schriftliche Stellungnahme des Herrn H. eingereicht. Bezüglich der Einzelheiten der Stellungnahme wird auf Blatt 83 der Gerichtsakte verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens von Dr. P. und durch eine Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung. Bezüglich der Einzelheiten des Gutachtens und der ergänzenden Stellungnahme wird auf Blatt 111 ff. und 137 ff. der Gerichtsakte verwiesen.

Das Gericht hat die den Versicherten betreffende Verwaltungsakte beigezogen. Diese und die Prozessakte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Grundlage der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig.

Die Klägerin macht mit der Klage zum einen eigene Ansprüche auf Witwenrente und zum anderen, auf sie als Sonderrechtsnachfolgerin gemäß § 56 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB I übergegangene, Ansprüche des Versicherten geltend.

Die Klage ist auch begründet.

Der Bescheid der Beklagten vom 23. September 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Oktober 2006 ist rechtswidrig. Die Klägerin hat Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung des Pleuramesothelioms des Versicherten als Folge der BK Nr 4105 der Anlage zur BKV.

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 26 Abs 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – SGB VII) sind dann zu gewähren, wenn ein Versicherungsfall eingetreten ist. Nach § 7 Abs 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und BKen. BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§ 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Unter der Nr 4105 ist in der Anlage zur BKV das durch Asbest verursachte Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Pericards verzeichnet.

Die Kammer folgt den überzeugenden Ausführungen des Dr. Wegner in seinem Gutachten vom 15. März 2010. Dieser hat unter Zugrundelegung von allgemein anerkannten medizinischen Erfahrungssätzen (vgl Mehrtens / Brandenburg, Die Berufskrankheiten-verordnung, M 4105, Seite 5) ausgeführt, dass für die Verursachung eines Pleuramesothelioms bereits eine geringe Menge von Asbest ausreicht.

Die Kammer ist zu der Überzeugung gelangt, dass der Versicherte während seiner beruflichen Tätigkeit als Seemann einer ausreichenden Exposition gegenüber Asbest ausgesetzt war. Dr. P. hat, wie bereits zuvor Dr. Q., auf internationale Studien verwiesen, nach denen bei Seeleuten ein erhöhtes Risiko besteht, an einem Pleuramesotheliom zu erkranken. Unerheblich ist diesbezüglich, dass die Studien nicht zwischen Decks- und Maschinenpersonal unterscheiden. Der Versicherte war entgegen der Annahme der Beklagten nicht ausschließlich an Deck tätig, sondern hat sich auch im Maschinenraum aufgehalten. Die Zeugen haben die Aussagen des Versicherten bestätigt, dass es üblich war, dass sich das Deckspersonal im Maschinenraum aufgewärmt hat und dass im Maschinenraum die nasse Kleidung getrocknet wurde. Eine Gefährdung wird auch nicht durch die von der Beklagten zitierte Untersuchung aus dem Jahre 1994 widerlegt. Vielmehr ergibt sich auch aus dieser Untersuchung eine - wenn auch geringe - Asbestbelastung von Schiffen. Die von Frau Dr. Meyer in der mündlichen Verhandlung getätigte Aussage, es sei im Normalbetrieb kein Asbest nachweisbar gewesen, ist danach unzutreffend und irreführend. Vielmehr wurden in den Untersuchungen geringe Mengen von Asbest nachgewiesen, die Frau Dr. R. allerdings als unerheblich einstuft. Dr. S. hat indes darauf hingewiesen, dass bereits eine geringe Menge Asbest ausreichend ist, um eine Pleuramesotheliom zu verursachen.

Die Zeugen D. und E. haben die Angaben des Versicherten, dass die asbesthaltigen Isolierungen an den Rohren häufig schadhaft waren, bestätigt. Entgegen des von dem TAD aufgenommenen Telefonvermerks über die Aussage des Herrn D. hat dieser angegeben, dass durch Beschädigungen an den Isolierungen jede Menge Asbeststaub freigesetzt wurde. Anders als die Beklagte geht die Kammer davon aus, dass die Zeugen beurteilen können, ob es sich um Asbest handelte. Herr D. war technischer Mitarbeiter, so dass die Kammer davon ausgeht, dass Herr D. die entsprechende Sachkunde hat, die Art und den Zustand der Isolierungen der Leitungen zu beurteilen. Der Zeuge E. konnte ganz detaillierte Angaben über die Art der Leitungen machen und hat ausgeführt, dass die aus Glaswolle bestehende Isolierung der Dampfleitungen mit Asbest ummantelt war und das diese besonders auf den älteren Schiffen häufig schadhaft war. Durch Dampfundichtigkeiten an den Flanschverbindungen wurde die Isolierung sehr oft zerstört. Sowohl nach den vorliegenden Untersuchungsergebnissen als auch den Zeugenaussagen hat die Kammer keinerlei Zweifel daran, dass der Versicherte während seiner Tätigkeit als Seemann Asbest ausgesetzt war, welches nach den Ausführungen des Dr. P. das Pleuramesotheliom wesentlich verursacht hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.