Sozialgericht Stade
Urt. v. 09.11.2011, Az.: S 10 LW 11/09
Anspruch auf Befreiung von Versicherungspflicht als Ehegatte eines Landwirts gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG besteht bei jährlichem Arbeitseinkommen von 4.800,00 EUR; Bestehen eines Anspruchs auf Befreiung von Versicherungspflicht als Ehegatte eines Landwirts gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG bei jährlichem Arbeitseinkommen von 4.800,00 EUR
Bibliographie
- Gericht
- SG Stade
- Datum
- 09.11.2011
- Aktenzeichen
- S 10 LW 11/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2011, 32168
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGSTADE:2011:1109.S10LW11.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 Abs. 1 ALG
- § 48 SGB X
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. November 2009 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass die Klägerin auch für den Zeitraum vom 01. Februar 2009 bis einschließlich 30. April 2009 gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG von der Versicherungspflicht zur Landwirtschaftlichen Alterskasse befreit ist. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig ist die Versicherungspflicht der Klägerin in der Landwirtschaftlichen Alterskasse in den Monaten Februar, März und April 2009.
Die im Jahr 1951 geborene Klägerin ist seit 14. Mai 1970 mit dem Beigeladenen verheiratet. Seit dem 01. August 1988 ist sie als Reinigungskraft bei der Sparkasse Verden angestellt. Durch Bescheid der Beklagten vom 17. März 1998 wurde die Klägerin mit Wirkung ab dem 01. Januar 1995 von der Versicherungspflicht als Ehegatte eines Landwirts gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG befreit, nachdem die Prüfung durch die Beklagte ergeben hatte, dass die Klägerin regelmäßig Arbeitsentgelt erzielte, welches 1/7 der Bezugsgröße (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG in der bis zum 30. März 2003 gültigen Fassung) bzw. 4.800,00 EUR jährlich (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG in der seit dem 01. April 2004 gültigen Fassung) überschritt.
Im Rahmen der Überprüfung der Befreiungsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG forderte die Beklagte bei der Klägerin im März 2009 Lohnunterlagen seit Mai 2008 an. Die Klägerin überreichte am 08. Mai 2009 Entgeltabrechnungen der Kreissparkasse Verden für die Kalendermonate Juni 2008, Juli 2008, Oktober 2008, November 2008, Dezember 2008, Januar 2009 und Februar 2009. Am 11. Mai 2009 teilte die Klägerin gegenüber der Beklagten telefonisch mit, dass sie ihre Tätigkeit als Reinigungskraft bei der Kreissparkasse H. ab 01. Februar 2009 auf eine Stunde täglich reduziert habe. Ab April 2009 habe sie eine zweite Arbeitsstelle bei I.angetreten, so dass sie Einkommen von insgesamt über 400,00 EUR monatlich erzielen werde. Unter dem 02. Juni 2009 legte die Klägerin eine Gehaltsabrechnung über die Tätigkeit bei I.für den Monat Mai 2009 vor, die ein Bruttogehalt von 120,00 EUR auswies.
Die Beklagte hörte die Klägerin am 02. Juni 2009 dahingehend an, dass sie beabsichtigte, die Klägerin ab 01. Februar 2009 als Versicherungspflichtige in der Landwirtschaftlichen Alterskasse aufzunehmen, da die Lohnunterlagen gezeigt hätten, dass die Klägerin die geforderte Einkommenshöhe von 400,00 EUR monatlich seit Februar 2009 nicht mehr erreiche bzw. nicht mehr überschreite.
Durch Bescheid vom 30. Juni 2009 stellte die Beklagte die Versicherungspflicht der Klägerin zur Landwirtschaftlichen Alterskasse als Ehegatte eines Landwirts gemäß § 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 ALG ab 01. Februar 2009 unter Zahlung eines monatlichen Beitrages iHv 217,00 EUR fest. Gleichzeitig hob die Beklagte den Befreiungsbescheid auf.
Die Klägerin erhob am 24. Juli 2009 Widerspruch, mit dem sie vortrug, dass ihr Einkommen im Jahr 2009 voraussichtlich den Betrag von 4.800,00 EUR überschreiten werde.
Am 19. August 2009 beantragte die Klägerin zudem die Befreiung von der Versicherungspflicht ab Februar 2009 und teilte gegenüber der Beklagten weitere Arbeitsentgelte mit. Danach erzielte sie im Juni 2009 durch ihre Tätigkeit bei I.ein Bruttoeinkommen von 150,00 EUR. Zusammen mit ihrem Gehalt im Juni 2009 für die Tätigkeit bei der Sparkasse iHv 269,39 EUR betrugen ihre Einkünfte in diesem Monat insgesamt 419,39 EUR. Die Klägerin gab an, im Jahr 2009 voraussichtlich allein durch ihre Tätigkeit bei J., bei der sie ab Juli 2009 180,00 EUR brutto erzielen werde, 1.350,00 EUR zu erwirtschaften. Durch das Arbeitsentgelt bei der Kreissparkasse, welches sich voraussichtlich auf insgesamt 3.473,99 EUR brutto belaufen werde, ergäbe sich ein voraussichtliches Bruttoentgelt für 2009 iHv 4.823,39 EUR. Durch Bescheid vom 01. September 2009 befreite die Beklagte die Klägerin von der Versicherungspflicht zur Landwirtschaftlichen Alterskasse für die Zeit ab 01. Juni 2009. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 11. September 2009 Widerspruch, da sie auch für die Zeit vom 01. Februar 2009 bis 31. Mai 2009 nicht versicherungspflichtig sei.
Die Beklagte wies die Widersprüche durch Bescheid vom 03. November 2009 zurück. Im Zeitraum zwischen Februar und Mai 2009 habe das Einkommen der Klägerin unter 400,00 EUR monatlich betragen.
Die Klägerin hat am 02. Dezember 2009 Klage erhoben, mit der sie die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Landwirtschaftlichen Alterskasse in den Monaten Februar, März, April und Mai 2009 weiter begehrt. Sie hat unter Vorlage von weiteren Lohnbescheinigungen vorgetragen, im November 2009 von der Kreissparkasse Verden eine - jährlich regelmäßig anfallende - Sonderzahlung iHv 254,10 EUR brutto erhalten zu haben. Diese sei auf das Kalenderjahr umzulegen, was einen monatlichen Betrag von 21,18 EUR ergebe. Zumindest sei unter Berücksichtigung der anteiligen Sonderzahlung im Monat Mai 2009 von Einkünften iHv 410,57 EUR auszugehen (Gehalt Sparkasse 269,39 EUR + 21,18 EUR [= 290,57 EUR] + Gehalt I.120,00 EUR).
Unter Berücksichtigung sämtlicher Einkommensnachweise hat die Klägerin im Jahr 2008 ein Bruttoeinkommen von insgesamt 5.622,80 EUR und im Jahr 2009 insgesamt 5.081,84 EUR erwirtschaftet. Die Beträge setzen sich wie folgt zusammen: Jahr 2008: Monat Gehalt Sparkasse Umgelegte Sonderzahlung von 11/2008 Gehalt I. Gesamt Januar 2008 419,50 EUR 20,60 EUR 440,10 EUR Februar 2008 419,50 EUR 20,60 EUR 440,10 EUR März 2008 419,50 EUR 20,60 EUR 440,10 EUR April 2008 419,50 EUR 20,60 EUR 440,10 EUR Mai 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 282,80 EUR Juni 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 400,00 EUR 682,80 EUR Juli 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 400,00 EUR 682,80 EUR August 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 400,00 EUR 682,80 EUR September 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 400,00 EUR 682,80 EUR Oktober 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 282,80 EUR November 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 282,80 EUR Dezember 2008 262,20 EUR 20,60 EUR 282,80 EUR 5.622,80 EUR (1)
Jahr 2009: Monat Gehalt Sparkasse Umgelegte Sonderzahlung von 11/2009 Gehalt I Gesamt Januar 2009 514,39 EUR 21,18 EUR 535,57 EUR Februar 2009 269,39 EUR. 21,18 EUR 290,57 EUR März 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 290,57 EUR April 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 290,57 EUR Mai 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 120,00 EUR 410,57 EUR Juni 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 150,00 EUR 440,57 EUR Juli 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 180,00 EUR 470,57 EUR August 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 180,00 EUR 470,57 EUR September 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 180,00 EUR 470,57 EUR Oktober 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 180,00 EUR 470,57 EUR November 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 180,00 EUR 470,57 EUR Dezember 2009 269,39 EUR 21,18 EUR 180,00 EUR 470,57 EUR 5.081,84 EUR
Die Beklagte hat die Klägerin durch Bescheid vom 21. Juni 2010 für den Monat Mai 2009 von der Versicherungspflicht befreit, da das Einkommen der Klägerin in diesem Monat über der Grenze von 400,00 EUR monatlich gelegen habe.
Die Klägerin ist der Meinung, auch in den Monaten, Februar, März und April 2009 sei sie von der Versicherungspflicht zur Landwirtschaftlichen Alterkasse zu befreien, da es für den Befreiungstatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG nicht auf das monatliche Einkommen, sondern auf den Jahresbetrag von 4.800,00 EUR ankomme, den die Klägerin im Jahr 2009 überschritten habe. Bereits Mitte des Jahres 2009 sei absehbar gewesen, dass ihr Einkommen im Jahr 2009 diese Grenze übersteigen werde.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. November 2009 aufzuheben und
- 2.
festzustellen, dass die Klägerin auch für den Zeitraum vom 1. Februar 2009 bis einschließlich 30. April 2009 gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG von der Versicherungspflicht zur Landwirtschaftlichen Alterskasse befreit ist.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihres Antrages auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Bescheide. Ihrer Meinung nach müssten die Befreiungsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 ALG dauerhaft und ununterbrochen vorliegen. Die Beklagte stützt sich insbesondere auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16. Oktober 2002 - Az: B 10 LW 5/01 R. Als Argument diene hier § 3 Abs. 2a Satz 2 ALG: wenn die Befreiungsvoraussetzungen drei Monate und mehr nicht beständen, trete Versicherungspflicht ein. Damit gehe einher, dass der Jahresbetrag von 4.800,00 EUR notwendigerweise auf den monatlichen Betrag von 400,00 EUR umgerechnet werden müsse, damit die Befreiungs-voraussetzungen durchgehend erfüllt blieben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage i.S.d. §§ 54 Abs. 1 i.V.m. 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Klage ist zulässig und begründet. Die Aufhebung der Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 3 Abs. 1 ALG durch den Bescheid vom 30. Juni 2009 für den Zeitraum von 01. Februar 2009 und 30. April 2009 hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Damit beschwert der Bescheid die Klägerin i.S.d. § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung der Befreiung der Klägerin von der Versicherungspflicht ist hier einzig § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) (vgl BSG, Urteil vom 16. Oktober 2002 - Az: B 10 LW 5/01 R - zit nach [...]).
Gemäß § 48 Abs. 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit 1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, 2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahr-lässig nicht nachgekommen ist, 3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder 4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Der Befreiungsbescheid vom 17. März 1998 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (vgl BSGE 80, 215 [217]; BSG, Urteil vom 16. Oktober 2002 - Az: B 10 LW 5/01 R - zit nach [...]). Die bei seinem Erlass vorliegenden Einkommensverhältnisse der Klägerin haben sich ab 01. Februar 2009 geändert, weil diese von da an nur noch in geringerem Umfang erwerbstätig war und ein geringeres Arbeitsentgelt erzielte. Die Klägerin hatte ab diesem Zeitpunkt die Tätigkeit als Reinigungskraft bei der Sparkasse H. auf eine Stunde täglich reduziert. Diese Änderung war aber nur dann i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X wesentlich, d.h. rechtserheblich, wenn damit der in § 3 Abs. 1 Nr. 1L.is dahin vorliegende Befreiungstatbestand entfallen war (so BSG, Urteil vom 16. Oktober 2002 a.a.O.).
Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind indes nicht erfüllt, da in Bezug auf die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG keine wesentliche Änderung an den Einkommensverhältnissen der Klägerin in den Monaten Februar bis April 2009 eingetreten war. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG werden Landwirte auf Antrag von der Versicherungspflicht befreit, solange sie regelmäßig Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, vergleichbares Einkommen oder Erwerbsersatzeinkommen beziehen, das ohne Berücksichtigung des Arbeitseinkommens aus Land- und Forstwirtschaft jährlich 4.800,00 EUR überschreitet. Die Änderung des Arbeitsentgelts der Klägerin in den Monaten Februar bis einschließlich April 2009 war nach Auffassung der erkennenden Kammer unschädlich für den Erhalt des Befreiungstatbestandes des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG. Bei dem in § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG genannten Grenzwert von 4.800,00 EUR handelt es sich um einen Jahresbetrag. Diesem darf jedoch nicht einfach das im jeweiligen Kalenderjahr insgesamt erzielte Arbeitsentgelt gegenübergestellt werden. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die landwirtschaftlichen Alterskassen über die Befreiungsvoraussetzung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG nicht rückwirkend für einen abgelaufenen Zeitraum zu entscheiden, sondern vorausschauend (ohne Bindung an das Kalenderjahr) zu beurteilen haben, ob die Entgeltgrenze überschritten werden wird. Das ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien. Der Entwurf zu § 3 Abs. 1 ALG bezog sich zunächst nicht auf "regelmäßiges" Einkommen und enthielt nach dem Wort "überschreitet" noch den erläuternden Satz: "Maßgebend ist der Jahresbetrag der Einkommen im laufenden Kalenderjahr" (BT-Drucks 12/5700, S 9). Die später Gesetz gewordene, diesen Zusatz nicht mehr enthaltende Fassung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG wurde vom zuständigen Bundestagsausschuss dann damit begründet, dass - wie in der gesetzlichen Krankenversicherung im Hinblick auf die Versicherungsfreiheit - im Wege einer vorausschauenden Betrachtungsweise das regelmäßige Einkommen maßgeblich sein solle (BT-Drucks 12/7599, S 8). Danach wurde ebenso wie im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung der Beg-riff "regelmäßig" zur Klarstellung dafür gewählt, dass eine vorausschauende und nicht eine rückschauende Betrachtung anzuwenden ist. Der somit maßgebende Begriff der Regelmäßigkeit setzt eine gewisse Stetigkeit, Dauer und Gesetzmäßigkeit voraus. Da er i.V.m. dem Beziehen von Arbeitsentgelt verwendet wird, kommt es auf die Art und Weise der Zahlung an. Wird das Gehalt monatlich geleistet, so ist dieser Rhythmus für die Frage eines regelmäßigen Bezuges bestimmend. Längere Unterbrechungen sind demnach schädlich. Nur ein in diesem Sinne regelmäßiges Arbeitsentgelt ist an dem Grenzwert des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG zu messen. Wird es (voraussichtlich) nicht während des ganzen Kalenderjahres erzielt, ist es mit einem entsprechenden Anteil des Grenzbetrages zu vergleichen (vgl BSG, Urteil vom 16. Oktober 2002 - Az: B 10 LW 5/01 R Rdnr 19 u 20 m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Gemessen an diesen Kriterien geht die Beklagte in der hiesigen Fallkonstellation fehl in der Annahme, für die Annahme des Befreiungstatbestandes des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG sei grundsätzlich von einem monatlichen (Grenz-)Betrag von 400,00 EUR auszugehen, der mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erreichen bzw. gar zu überschreiten wäre. Nach der Entscheidung des BSG kommt ein Vergleich mit einem entsprechenden Anteil des Grenzbetrages, wie von der Beklagten in Verwaltungsübung regelmäßig praktiziert, hier nicht in Betracht. Denn weder hatte die Klägerin in der Vergangenheit ihre berufliche Tätigkeit aufgegeben und daher (teilweise) kein regelmäßiges monatliches Einkommen erzielt, noch hat das Jahreseinkommen im Jahr 2009 selbst unter vorausschauender Betrachtung den Betrag von 4.800,00 EUR unterschritten. Im Gegenteil. Die Klägerin war seit August 1988 ununterbrochen als Reinigungskraft stundenweise bei der Sparkasse Verden tätig, wodurch sie regelmäßiges monatliches Einkommen erwirtschaftete. Ab Februar 2009 reduzierte sie ihre tägliche Arbeitszeit auf lediglich eine Stunde, wodurch ihr Bruttoeinkommen (ohne Einrechung der Sonderzahlung) auf 269,39 EUR monatlich absank. Einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit bei regelmäßigem Bezug von Einkommen ging sie damit jedoch immer noch nach. Zudem nahm die Klägerin im Mai 2009 die weitere Tätigkeit als Reinigungskraft bei I. auf, so dass bereits zu diesem Zeitpunkt feststand, dass das jährliche Einkommen (unter Berücksichtigung der jährlich gewährten Sonderzahlung der Sparkasse VeM.etrag von 4.800,- EUR übersteigen würde. Dies hatte die Klägerin gegenüber der Beklagten mit Schriftsatz vom 14. August 2009 mitgeteilt. Letztlich stellte sich auch heraus, dass die Klägerin im Jahr 2009 ein Arbeitsentgelt von insgesamt 5.081,84 EUR erzielte. Mithin hatte sich die Beklagte bei Prüfung der Befreiungs-voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 ALG von Anfang an am Jahresbetrag von 4.800,00 EUR zu orientieren.
Darüber hinaus erweist sich der Bescheid der Beklagten vom 30. Juni 2009 auch aus anderen Gründen als rechtswidrig. Er betrifft die Zeit vom 01. Februar bis 30. April 2009. Die Beklagte hätte den Befreiungsbescheid vom 17. März 1998 nur mit Wirkung für die Zukunft aufheben dürfen. Insoweit ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Aufhebungsbescheides vom 30. Juni 2009 abzustellen. Eine rückwirkende Aufhebung der Befreiung für die Monate Februar bis April 2009 wie im hiesigen Fall ist rechtswidrig. Es lag keiner der in § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB X genannten Fälle vor, in denen ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben werden soll. Der streitgegenständliche Bescheid vom 30. Juni 2009 lässt entsprechende Ausführungen durch die Beklagte vermissen. Zudem kann das Gericht nicht erkennen, dass einer der Tatbestände des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 SGB X erfüllt sein könnte.
Eine Änderung zugunsten der Klägerin (Nr. 1) liegt hier nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X werden nicht erfüllt (vgl BSG, Urteil vom 16. Oktober 2002, a.a.O.).
Das Gericht kann auch die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X nicht erkennen. In keinem Fall ist der Klägerin Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit nachzuweisen in Bezug auf unterlassene Mitteilungspflichten (Nr. 2) oder gar in Bezug auf die Kenntnis, dass mit Wirkung von Februar 2009 an der Befreiungstatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG weggefallen sein könnte (Nr. 4). Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der zivil- und verwaltungsrechtlichen Rechtsprechung dann vor, wenn die in der Personengruppe herrschende Sorgfaltspflicht in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden ist, wenn außer Acht gelassen worden ist, was in gegebenem Falle jedem hätte einleuchten müssen. Die Rechtswidrigkeit muss sich ohne weitere Nachforschungen aus dem Bescheid selbst ergeben haben, und es musste anhand der Umstände und ganz naheliegender Überlegungen einleuchten und auffallen, dass der Bescheid fehlerhaft ist. Dabei ist auch in subjektiver Hinsicht ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden nötig. Im Sozialrecht gilt nichts anderes: Der Versicherte muss unter Berücksichtigung seiner individuellen Einsichts- und Urteilsfähigkeit seine Sorgfaltspflichten in außergewöhnlich hohem Maße, d.h. in einem das gewöhnliche Maß an Fahrlässigkeit erheblich übersteigende Ausmaß verletzt haben (von Wulffen, Kommentar zum SGB X, 5. Auflage 2005, § 45 Rn 23, 24 m.w.N. aus der Rspr). Dies ist für die Klägerin und den im Streit stehenden Zeitraum nicht zu bejahen. Die Klägerin ging ununterbrochen einer geregelten Tätigkeit als Reinigungskraft - wenn auch zu einem späteren Zeitpunkt für zwei unterschiedliche Betriebe - nach, durch welche sie regelmäßiges monatliches Einkommen erzielte. In vorausschauender Betrachtung würde ihr Gehalt den im Gesetz genannten Jahresbetrag von 4.800,00 EUR überschreiten. Sie hatte daher keine Veranlassung davon auszugehen, dass sie monatlich mindestens 400,00 EUR verdienen müsse, damit die Befreiungs-voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG weiter erfüllt sind. Ohnehin hatte sie - den Einkommensunterlagen zufolge - in den Kalendermonaten Oktober bis Dezember 2008 unter Einrechnung der im November gewährten Sonderzahlung von der Sparkasse Verden nur ein Einkommen von jeweils 282,80 EUR erzielt, den Jahresbetrag von 4.800,00 EUR aber deutlich überschritten. Dies wurde von der Beklagten ebenfalls nicht beanstandet. Die Klägerin hatte daher keinen Grund für die Annahme, dass der gleiche Sachverhalt im hier streitgegenständlichen Zeitraum von Februar bis April 2009 ggf. differenziert beurteilt werden würde.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
(1) Red. Anm.: