Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.10.2012, Az.: 11 Sa 302/12

Befristung; Prozessrechtsarbeitsverhältnis; Schriftform; Weiterbeschäftigungsanspruch; Vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
23.10.2012
Aktenzeichen
11 Sa 302/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 32208
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2012:1023.11SA302.12.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 22.07.2014 - AZ: 9 AZR 1066/12

Fundstellen

  • ArbR 2013, 138
  • ZTR 2013, 275

Amtlicher Leitsatz

Hat das Landesarbeitsgericht einer Befristungskontrollklage stattgegeben, aber mangels Antrag den Arbeitgeber nicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verurteilt, bedarf eine für die weitere Prozessdauer beim Bundesarbeitsgericht befristete Weiterbeschäftigung einer schriftlichen Vereinbarung gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG. Liegt kein Titel auf vorläufige Weiterbeschäftigung vor, so kann der Arbeitgeber die Rechtsfolgen einer vorläufigen und befristeten Weiterbeschäftigung "aufgrund des nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts bestehenden allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs" nicht durch einseitige Erklärung bewirken.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 10.01.2012 - 5 Ca 363/11 - abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der Kläger sich über den 30.06.2010 hinaus in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum beklagten Land in einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität C-Stadt mit Vergütung nach Entgeltgruppe 13, Entgeltstufe 4 plus, befindet, das auch nicht durch das Schreiben des Rechtsanwalt W. vom 24.08.2011 beendet worden ist.

Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger machte mit der Klage einen Anspruch auf Feststellung des Fortbestands seines Arbeitsverhältnisses und auf Weiterbeschäftigung geltend.

2

Der am 00.00.1956 geborene, verheiratete Kläger, der einem Kind zum Unterhalt verpflichtet ist, war aufgrund 23 befristeter Arbeitsverträge seit 01.04.1992 bei dem beklagten Land als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität C-Stadt beschäftigt.

3

Der Kläger führte wegen eines bis zum 30.06.2010 befristeten Arbeitsvertrages eine Entfristungsklage vor dem Arbeitsgericht Oldenburg (5 Ca 469/08), der nach einem klagabweisenden erstinstanzlichen Urteil im Berufungsverfahren vor dem LAG Niedersachsen mit Urteil vom 08.12.2009 (13 Sa 636/09) stattgegeben wurde.

4

Mit Schreiben vom 08.01.2010 seines Prozessbevollmächtigten (Anlage K 3, Blatt 7 der Akte) machte der Kläger daraufhin einen Weiterbeschäftigungsanspruch geltend und kündigte an, für den Fall der Ablehnung der Weiterbeschäftigung erneut Klage zu erheben. Mit Schreiben vom 20.01.2010 (Anlage K 4, Blatt 8 der Akte) ließ das beklagte Land durch seinen Prozessbevollmächtigten mitteilen, dass eine Weiterbeschäftigung des Klägers "ausschließlich und nur aufgrund des nach der Rechtsprechung des Großen Senates des Bundesarbeitsgerichts bestehenden allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs" erfolgen werde bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits.

5

Der Kläger wurde daraufhin von der Beklagten über den 30.06.2010 hinaus beschäftigt. Die Beklagte legte gegen die Entscheidung des LAG Niedersachsen vom 08.12.2009 erfolgreich Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG ein. Mit Urteil vom 24.08.2011 (7 AZR 228/10) hob das BAG die Entscheidung des LAG Niedersachsen auf und stellte die erstinstanzliche Entscheidung wieder her. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Verfassungsbeschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden ist (1 BvR 176/12).

6

Mit Schreiben vom 24.08.2011 (Anlage K 1, Blatt 4 der Akte) ließ die Beklagte durch ihren Rechtsanwalt mitteilen, dass der Kläger ab sofort nicht mehr beschäftigt werde. Darauf ließ der Kläger mit Schreiben vom 22.08.2011 (Anlage K 2, Blatt 5 f der Akte) durch seinen Rechtsanwalt mitteilen, dass er mangels Beachtung der gesetzlichen Schriftform die Auffassung vertrete, dass die Weiterbeschäftigung über den 30.06.2010 hinaus zu einem unbefristeten Arbeitsverhältnis geführt habe.

7

In der Zeit ab 01.07.2010 bis August 2011 war der Kläger für insgesamt 10 Bachelorarbeiten vom Prüfungsamt zum Prüfer bestellt worden. In drei Promotionsverfahren im Oktober und November 2010 sowie im Mai 2011 war der Kläger als Prüfer zum Mitglied der Promotionskommission bestimmt worden. Ihm waren Hausarbeiten von Studierenden zur Korrektur vorgelegt worden. Er war verantwortlich für das Praktikumsmodul im Studiengangs "interkulturelle Bildung und Beratung" (Bachelor-Studiengang für Zuwanderer).

8

Mit Schreiben vom 30.03.2011 (Anlage BG 2, Blatt 39 f der Akte) teilte die Vizepräsidentin der Universität dem Kläger mit, dass es dauerhafte Landeszuweisungen der Universität zur Absicherung des Studienganges "BA interkulturelle Bildung und Beratung", in dem der Kläger beschäftigt werden könne, nicht gebe und der Kläger sich selbst um die nachhaltige Finanzierung aus anderen Quellen bemühen möge. Bisher wurden Drittmittel lediglich befristet bis 30.09.2012 eingeworben. Darin sei die Vergütung für den Kläger enthalten.

9

In einer Presserklärung der Universität vom 18.06.2010 wurde der Kläger als "Studiengangskoordinator" für den Studiengang "Interkulturelle Bildung und Beratung" bezeichnet und als Ansprechpartner für Bewerbungen über den 30.06.2010 hinaus benannt worden. Der Kläger hat in dieser Zeit an den Gremienwahlen der Universität C-Stadt teilgenommen und auch zum Fakultätsrat kandidiert. Zwischenzeitlich ist der Studiengang geschlossen.

10

Der Kläger meint, dass durch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den 30.06.2010 hinaus gemäß § 15 Absatz 5 TzBfG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden sei. Er ist darüber hinaus der Auffassung, dass das in § 14 Absatz 4 TzBfG verankerte Schriftformgebot für die Befristung eines Arbeitsvertrages grundsätzlich auch auf die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, der mit einer Kündigungsschutz- bzw. Entfristungsklage erfolgreich gewesen sei, anzuwenden sei. Mangels Einhaltung der Schriftform der lediglich befristeten Weiterbeschäftigung durch die Beklagte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzverfahrens sei diese Befristung unwirksam mit der Folge, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien entstanden sei.

11

Der Kläger hat beantragt,

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1. festzustellen, dass der Kläger sich über den 30.06.2010 hinaus in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum beklagten Land in einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität C-Stadt mit Vergütung nach Entgeltgruppe 13 und Entgeltstufe 4 plus befindet, das auch nicht durch das Schreiben des Rechtsanwalts W. vom 24.08.2011 beendet worden ist, beziehungsweise beendet werden wird;

13

2. hilfsweise zu 1: festzustellen, dass der Kläger sich über den 30.06.2010 hinaus aufgrund des Schreibens des Rechtsanwalts W. vom 20.01.2010 in Verbindung mit der tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers über den 30.06.2010 hinaus in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum beklagten Land in einer Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität C-Stadt mit Vergütung nach Entgeltgruppe 13 und Entgeltstufe 4 plus befindet, das auch nicht durch das Schreiben des Rechtsanwalts W. vom 24.8. 2011 beendet worden ist, beziehungsweise beendet werden wird;

14

3. hilfsweise zu 2: das beklagte Land zu verurteilen, gegenüber dem Kläger eine Willenserklärung abzugeben, die das Angebot zu einer befristeten Weiterbeschäftigung als wissenschaftlicher Mitarbeiter nach Entgeltgruppe 13 und Entgeltstufe 4 plus mit einer Befristung, deren Bestimmung in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber mindestens bis zum 30.09.2012 dauert, darstellt.

15

Das beklagte Land hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

17

Es beruft sich darauf, dass nach dem Berufungsurteil zwischen den Parteien kein neues Prozessrechtsarbeitsverhältnis für die Dauer bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites begründet worden sei. Das beklagte Land habe den Kläger nur aufgrund des Weiterbeschäftigungsbegehrens nach dem Obsiegen im Bestandsschutzverfahren im ursprünglichen Arbeitsverhältnis aufgrund der Rechtsprechung des BAG zum Weiterbeschäftigungsbegehren nach gewonnenem Bestandsschutzrechtsstreit weiter beschäftigt. Die Erfüllung des Weiterbeschäftigungsbegehrens begründe kein neues und kein unbefristetes Arbeitsverhältnis und bedürfe nicht der Schriftform.

18

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 10.01.2012 die erneute Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein neues befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei weder gemäß § 15 Abs. 5 TzBfG durch tatsächliche Weiterbeschäftigung des Klägers mit Kenntnis des Beklagten entstanden, noch gemäß § 14 Abs. 4, § 16 TzBfG dadurch, dass die Beklagte den Kläger über den 30.06.2010 gemäß einseitigem Schreiben vom 20.01.2010 weiterbeschäftigt habe. Erkennbar sei die Beschäftigung des Klägers über das Ende der Befristung am 30.06.2010 hinaus nicht auf Grund eines so genannten Prozessrechtsarbeitsverhältnisses, sondern unter Berücksichtigung der vom Großen Senat des BAG entwickelten Rechtsprechung in seinem Beschluss vom 27.02.1985 erfolgt. Diese Rechtsprechung gelte auch, wenn die Arbeitsvertragsparteien über die Wirksamkeit einer Befristung streiten. Erst nach Verkündung des Urteils des Bundesarbeitsgerichts am 24.08.2011 sei der Bestandsschutzrechtsstreit rechtskräftig abgeschlossen gewesen, der Weiterbeschäftigungsanspruch habe zu diesem Zeitpunkt geendet. Darauf habe der Prozessbevollmächtigte des beklagten Landes mit Schreiben vom 24.08.2011 zu Recht hingewiesen.

19

Auf Grund der eindeutigen Formulierung im Schreiben des Beklagtenvertreters vom 20.01.2010 sei klar gewesen, dass das beklagte Land kein neues Arbeitsverhältnis habe begründen wollen und auch das alte Arbeitsverhältnis nicht über das Enddatum der Befristung fortsetzen wollte. Damit habe kein Zweifel aufkommen können, dass das beklagte Land nach Ablauf der Befristung keinen neuen befristeten Arbeitsvertrag habe abschließen wollen, der zu seiner Wirksamkeit der Schriftform gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG bedurft hätte. Vielmehr habe nach dem 30.06.2010 lediglich ein faktisches Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien vorgelegen.

20

Der Kläger habe auch keinen Anspruch gegen das beklagte Land auf Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsverhältnis gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 TV-L i. V. m. § 315 BGB, da die genannte Vorschrift gemäß § 30 Abs. 1 TV-L auf den Kläger als wissenschaftlichen Mitarbeiter der Beklagten nicht anzuwenden sei.

21

Gegen dieses ihm am 20.02.2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 13.03.2012 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist fristgemäß am 18.05.2011 begründet.

22

Zum Sachverhalt verweist der Kläger ergänzend darauf, dass er über den 30.06.2010 hinaus in jeder Weise wie bisher behandelt worden sei: Er habe Lehrveranstaltungen abgehalten, Prüfungen abgenommen, Studierende beraten, die Weiterführung des Studienganges "Interkulturelle Bildung und Beratung" organisatorisch sichergestellt und diesen Studiengang nach innen und außen in jeder Weise vertreten. Dies ergebe sich u. a. auch aus dem bereits vorgelegten Schreiben der Vizepräsidentin der Universität C-Stadt vom 30.03.2011.

23

In rechtlicher Hinsicht sei der Kläger über den 30.06.2010 hinaus uneingeschränkt mit Wissen des Arbeitgebers weiterbeschäftigt worden, so dass das Arbeitsverhältnis gemäß § 15 Abs. 5 TzBfG als auf unbestimmte Zeit verlängert gelte. Einen solchen Widerspruch des Arbeitgebers habe es nicht gegeben. Das Schreiben des Rechtsanwalts W. vom 20.01.2010 könne nicht als beachtlicher Widerspruch bewertet werden, weil es an einem zeitlichen Zusammenhang fehle.

24

Jedenfalls sei aber in der tatsächlichen Weiterbeschäftigung des Klägers über den 30.06.2010 hinaus ein eigener Arbeitsvertrag zu sehen, dessen Befristung mangels Beachtung des Schriftformgebotes gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG unwirksam sei. Die vom Arbeitsgericht vorgenommene rechtliche Wertung sei aus mehreren Gründen unzutreffend. In der zitierten Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz sei die Weiterbeschäftigung ausgeurteilt gewesen und der Arbeitgeber habe die Weiterbeschäftigung ausschließlich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eingeräumt. Diese Situation sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Im Übrigen sei die zitierte Rechtsprechung keineswegs ohne weiteres auf den Streit um die Wirksamkeit befristeter Arbeitsverträge zu übertragen.

25

Schließlich seien beide Parteien tarifgebunden. Nach § 40 Nr. 8 TV-L enthalte folgende Protokollerklärung:

26

"Die Tarifvertragsparteien erwarten eine verantwortungsbewusste Handhabung der Befristungen im Wissenschaftsbereich."

27

Es stehe dem Arbeitgeber nicht zu, durch einseitige Erklärung den rechtlichen Charakter einer Weiterbeschäftigung zu definieren. Der vom Rechtsanwalt W. erklärte Vorbehalt im Schreiben vom 20.01.2010 sei deshalb angesichts der Protokollerklärung der Tarifvertragsparteien unbeachtlich.

28

Generell sei das vom BAG entwickelte faktische Arbeitsverhältnis als "befristetes Arbeitsverhältnis" auch nach europäischem Recht nicht zu rechtfertigen. Die richterlichen Grundsätze könnten insbesondere auch auf ein Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst, in dem hoheitliche Befugnisse verliehen und wahrgenommen würden, nicht übertragen werden. Mit all diesen Gesichtspunkten habe sich das angefochtene Urteil nicht auseinandergesetzt.

29

Den hilfsweise gestellten Antrag auf Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsverhältnisses gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 TV-L verfolgt der Kläger infolge Zeitablaufs nicht mehr weiter.

30

Der Kläger beantragt,

31

das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 10.01.2012 - 5 Ca 363/11 Ö - abzuändern und nach den erstinstanzlichen Anträgen zu 1.) und 2.) zu erkennen.

32

Das beklagte Land beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

34

Bei seinen Ausführungen zu dem Schreiben vom 20.01.2010 lasse der Kläger außer Betracht, dass bereits im Januar 2010 absehbar gewesen sei, dass das Verfahren über die beim Bundesarbeitsgericht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde im Fall der Stattgabe nicht am 30.06.2010 abgeschlossen sein würde. Tatsächlich sei die Revision auch bereits mit Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 17.03.2010 zugelassen worden. Es sei aber nicht ersichtlich, welche weitergehenden Erklärungen das beklagte Land vor dem 30.06.2010 noch hätte abgeben sollen. Zwischen dem 20.01. und 30.06.2010 habe sich nichts geändert: Das Urteil des Landesarbeitsgerichts sei noch nicht rechtskräftig gewesen, der Kläger habe in der Berufungsinstanz gewonnen und nach der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts habe ihm ein Weiterbeschäftigungsanspruch zugestanden.

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Die vom Kläger dargestellte Presseerklärung vom 18.06.2010 stamme von ihm selber.

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Soweit der Kläger meine, aus der Ausgestaltung seiner tatsächlichen Beschäftigung etwas für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses herleiten zu können, verkenne der Kläger, dass es einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung entsprechend dem streitigen Arbeitsvertrag gebe. In rechtlicher Hinsicht sei deshalb festzustellen, dass weder das zum 30.06.2012 befristete Arbeitsverhältnis ohne Widerspruch des Arbeitgebers fortgesetzt worden sei, noch sei ein neues Arbeitsverhältnis begründet worden. Das beklagte Land habe einer Fortsetzung des befristeten Arbeitsverhältnisses eindeutig und unmissverständlich gemäß § 15 Abs. 5 TzBfG widersprochen. Dieser Widerspruch wirke fort und müsse nicht noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt wiederholt werden. Hätte das beklagte Land den Kläger tatsächlich nicht beschäftigt, hätte es nicht lange auf eine einstweilige Verfügung warten müssen, mit der der Kläger sein Weiterbeschäftigungsanspruch geltend gemacht hätte. Dies belege bereits der jetzige Prozess, in dem der Kläger ebenfalls eine einstweilige Verfügung beantragt habe. Dies habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch mit Schreiben vom 08.01.2010 ausdrücklich angekündigt. Dem beklagten Land könne somit nicht vorgehalten werden, dass es den allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers erfüllt habe. Der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch bestehe nach der Rechtsprechung des BAG auch bei einem stattgebenden Urteil über die Wirksamkeit der Befristung eines Arbeitsverhältnisses.

37

Es treffe auch nicht zu, dass die Stelle auf der der Kläger, zuletzt beschäftigt wurde, finanziell auf Dauer gesichert gewesen sei. Im Übrigen sei die Befristung des letzten Arbeitsvertrages bis zum 30.06.2010 auf Grund des WissZeitVG bis zu sechs Jahren nach der Promotion erfolgt. Diese Befristung sei nach dem Revisionsurteil im Vorprozess wirksam gewesen. Die Protokollerklärung zu § 40 Nr. 8 TV-L begründe schon als solche keinerlei Rechtsansprüche. Die Ausführungen des Klägers zu § 30 Abs. 3 Satz 2 TV-L gingen ebenfalls fehl. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Protokollerklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig gemäß §§ 519, 520 ZPO, §§ 64, 66 ArbGG.

39

Es liegt auch bereits zum jetzigen Zeitpunkt ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis des Klägers vor. Nach dem Beschleunigungsgrundsatz für Bestandsschutzstreitigkeiten, wie er in § 64 Abs. 8 ArbGG auch für das Berufungsverfahren zum Ausdruck kommt, war der Rechtsstreit nicht gem. § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Vorrechtsstreit auszusetzen.

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Die Berufung ist auch begründet. Durch die Weiterbeschäftigung des Klägers über den 30.06.2010 hinaus ist ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zustande gekommen.

41

Dies folgt allerdings nicht aus § 15 Abs. 5 TzBfG. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 20.01.2010 hat das beklagte Land deutlich gemacht, dass es einer Verlängerung des am 30.06.2010 auslaufenden Arbeitsverhältnisses nicht zustimmen werde. Diese Erklärung ist dem Inhalt nach eindeutig. Auch dass sie mehr als fünf Monate vor dem Auslaufen des streitigen befristeten Arbeitsvertrages abgegeben wurde, steht der Rechtswirkung dieses Vorbehaltes nicht entgegen. Der Kläger hatte mit vorangegangenem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten das beklagte Land aufgefordert, sich zu der Beschäftigungslage ab dem 01.07.2010 zu äußern. Dieser Aufforderung ist das beklagte Land nachgekommen. In diesem Zusammenhang relevante Änderungen der tatsächlichen Umstände sind in der Zeit zwischen dem 20.01. und dem 30.06.2010 nicht eingetreten.

42

Die Begründung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses folgt vielmehr aus § 14 Abs. 4 i. V. m. § 16 TzBfG. Die über den 30.06.2010 hinaus fortgesetzte Beschäftigung der Parteien beruhte auf einer vertraglichen Einigung, die aber nicht in der erforderlichen Schriftform erfolgt ist.

43

Seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass in Kündigungsrechtsstreiten nach obsiegender instanzgerichtlicher Entscheidung der Arbeitnehmer in der Regel die vorläufige tatsächliche Weiterbeschäftigung verlangen kann. Dies gilt in ebenfalls ständiger Rechtsprechung auch für Rechtsstreitigkeiten über die Befristung von Arbeitsverhältnissen (bereits BAG 13.6.85, 2 AZR 410/84, AP Nr. 19 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht). Bezüglich des Vollzuges dieses Weiterbeschäftigungsanspruchs lassen sich im Wesentlichen zwei große Fallgruppen ausmachen.

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Erfüllt der Arbeitgeber einen gerichtlichen Weiterbeschäftigungstitel ausschließlich zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung, werden über den gerichtlichen Titel selbst hinaus keinerlei wechselseitige Rechte und Pflichten begründet (etwa LAG Schleswig-Holstein 29.9.11, 5 Sa 155/11, DB 12, 2170: faktische Prozessbeschäftigung; Revision eingelegt BAG 7 AZR 856/11). Eine Beendigung der faktischen Weiterbeschäftigung kann von beiden Seiten jederzeit durch schlichte Erklärung erfolgen. Wird in Rechtsmittelverfahren der Weiterbeschäftigungstitel aufgehoben, entfällt damit automatisch zugleich die Grundlage für den weiteren Vollzug der Weiterbeschäftigung. Im Urteil vom 10.3.87 (8 AZR 146/84, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung) hatte der 8. Senat des BAG bereits Bedenken geäußert, ob die Situation der vorläufigen Weiterbeschäftigung mit anderen anerkannten Fällen des sog. faktischen Arbeitsverhältnisses, etwa nach wirksamer Anfechtung des Arbeitsvertrages, gleichzusetzen sei. Konsequenzen hat das insbesondere für die finanzielle Abwicklung. Während das faktische Arbeitsverhältnis für die Vergangenheit wie ein fehlerfrei zustande gekommenes behandelt wird, sind andere Fälle der rechtsgrundlosen Beschäftigung nach Bereicherungsrecht abzuwickeln (etwa BAG 1.3.90, 6 AZR 649/88, AP Nr. 7 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung; 30.4.97, 7 AZR 122/96, AP Nr. 20 zu § 812 BGB). Im allgemeinen Zivilrecht wird die Theorie von den faktischen Vertragsverhältnissen inzwischen als überwunden bezeichnet (MünchKomm-BGB/Busche 6. Auf. vor § 145 Rn. 44). Ob die Rechtsprechung zum Weiterbeschäftigungsanspruch unvereinbar mit der Befristungsrichtlinie 1991/533/EWG ist, wie der Kläger rügt, kann für den vorliegenden Rechtsstreit dahinstehen.

45

Da jedenfalls beide Parteien Interesse daran haben können, die mit einer faktischen Prozessbeschäftigung verbundenen rechtlichen Unsicherheiten zu vermeiden, können sie eine klärende und wirtschaftliche Risiken reduzierende Vereinbarung in Form eines gesonderten befristeten Prozessrechtsarbeitsverhältnisses treffen. Üblich ist dies insbesondere schon nach Ablauf der Kündigungsfrist vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung. In Betracht kommen dabei zwei Gestaltungen, nämlich als befristete Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses oder als Vereinbarung eines gesonderten befristeten Arbeitsverhältnisses (BAG 22.10.03, 7 AZR 113/03, AP Nr. 6 zu § 14 TzBfG). Die Ausräumung der Ungewissheit über den weiteren Prozessverlauf stellt insoweit einen ausreichenden Sachgrund für eine Befristung im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 TzBfG dar (LAG Köln 5.4.12, 13 Sa 1360/11, juris, Revision BAG 7 AZR 696/12). Folgerichtig bedarf diese Vereinbarung der Schriftform gemäß § 14 Abs. 4 TzBfG. Die vom beklagten Land zitierte Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 04.05.2005 - 9 Sa 973/04 - lässt nicht ganz eindeutig erkennen, ob dort ein gerichtlich ausgeurteilter Weiterbeschäftigungsanspruch vorlag oder nicht. Nach den Ausführungen in den Entscheidungsgründen muss angenommen werden, dass ein derartiger gerichtlicher Titel nicht vorlag. Denn das Landesarbeitsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, der Arbeitgeber habe in einer schriftlichen Erklärung ausdrücklich klargestellt, dass die nachfolgende Weiterbeschäftigung in Erfüllung des dem Kläger nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht zustehenden Weiterbeschäftigungsanspruches erfolge. Nach dieser Rechtsprechung habe der gekündigte Arbeitnehmer auch außerhalb der Regelung des § 102 Abs. 5 BetrVG einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsprozesses hinaus, wenn die Kündigung unwirksam sei und überwiegend schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht entgegenstünden. Da mithin im dortigen Fall der Arbeitgeber mit der Weiterbeschäftigung des Klägers lediglich einen zu diesem Zeitpunkt dem Kläger zustehenden arbeitsvertraglichen Weiterbeschäftigungsanspruch erfüllt habe, habe lediglich ein faktisches Arbeitsverhältnis vorgelegen.

46

Dieser Argumentation ist im Ansatz insoweit zu folgen, als bei zivilrechtlicher Betrachtung die Erfüllung eines richterrechtlich begründeten Anspruches auch ohne ausdrückliche gerichtliche Verurteilung möglich sein kann. In der Entscheidung des Großen Senats vom 27.02.1985 wird insoweit nicht abschließend deutlich, ob der große Senat den dort formulierten Anspruch auf "tatsächliche Weiterbeschäftigung" ausschließlich als verfahrensrechtlich durch richterlichen Spruch begründet betrachtet oder ob dieser Anspruch auch losgelöst von einer gerichtlichen Entscheidung entstehen und damit auch außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens erfüllt werden kann. So hat der 2. Senat des BAG formuliert, dieser Anspruch "kann" im Klagewege geltend gemacht werden (BAG 28.3.85, 2 AZR 548/83, AP Nr. 4 zu § 767 ZPO). Der Große Senat leitet den Anspruch materiell aus §§ 611, 612 BGB iVm. § 242 BGB ab. Andererseits heisst es unter C.II. 3.b) der Gründe, hier werde dem Arbeitgeber "...die Weiterbeschäftigung gegen seinen Willen aufgezwungen". Der 8. Senat hat im Urteil vom 10.3.87 (8 AZR 146/84, AP Nr. 1 zu § 611 BGB Weiterbeschäftigung) auf das vorläufig vollstreckbare Urteil des Arbeitsgerichts abgestellt. In diesem Sinne hatte vorliegend auch der Kläger eine gerichtliche Durchsetzung seines Weiterbeschäftigungsanspruches mit Schreiben vom 10.01.2010 ausdrücklich in Aussicht gestellt. Die vom beklagten Land abgegebene Erklärung ersparte insoweit die unnötige Inanspruchnahme des Arbeitsgerichts sowie das Entstehen von anwaltlichen Kosten auf beiden Seiten zu vermeiden.

47

Im Wege der Auslegung der ausdrücklichen Erklärungen und des tatsächlichen Verhaltens beider Parteien folgt jedoch, dass der tatsächlichen weiteren Beschäftigung des Klägers ab dem 01.07.2010 eine vertragliche Vereinbarung zugrunde lag. Nach §§ 133, 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie die Parteien sei nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Entscheidend ist nicht der empirische Wille des Erklärenden, sondern der durch normative Auslegung zu ermittelnde Erklärungswert seines Verhaltens. Auch wenn es darum geht, ob ein bestimmter Erklärungsakt als Willenserklärung aufzufassen ist oder nicht, ist nicht der innere Wille des Erklärenden, sondern die objektive Erklärungsbedeutung seines Gesamtverhaltens maßgebend (BGH 16.11.90, V ZR 297/87, NJW 91, 564 [BGH 16.11.1990 - V ZR 297/89]; LAG Schleswig-Holstein 29.9.11, 5 Sa 155/11 aaO.).

48

Ein erster Anhaltspunkt kann sich daraus ergeben, welche der Parteien in welcher Weise die Initiative zur Weiterbeschäftigung ergriffen hat. Hier hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 08.1.2010 nur um eine "Bestätigung" seiner Weiterbeschäftigung gebeten und nicht um den Abschluss eines Vertrages. Eine Würdigung als vertragliche Vereinbarung ergibt sich aber maßgeblich daraus, dass beide Parteien erhebliches Interesse daran hatten, einen möglicherweise noch viele Monate über den Ablauf des 30.06.2010 hinaus dauernden Schwebezustand beiderseits rechtssicher auszugestalten. Ein bloßes faktisches Arbeitsverhältnis hätte von beiden Parteien zu jedem Zeitpunkt durch einseitige Erklärung wieder außer Kraft gesetzt werden können. Es mag dahinstehen, ob der Argumentation des Klägers insoweit zu folgen ist, dass im öffentlichen Dienst infolge der dabei zu erfüllenden hoheitlichen Aufgaben ein derartiges faktisches Arbeitsverhältnis bereits aus generellen Überlegungen auszuschließen sein kann. Jedenfalls war dem Kläger weiterhin maßgeblich die Betreuung des Studienganges "Interkulturelle Bildung und Beratung" übertragen. Ferner war ihm die Mitwirkung an Prüfungen bis hin zu Promotionsprüfungen übertragen. Für alle diese Aufgaben bedurfte es auf Seiten der Universität der rechtssicheren Gewissheit, dass der Kläger auch für die geplanten Zeiträume tatsächlich seine Aufgaben vertragsgemäß erfüllen und nicht seinerseits möglicherweise kurzfristig die Tätigkeit einstellen würde. Auch das BAG weist in dem Zusammenhang darauf hin, dass aufgrund der Kündigung - bzw. Befristung - eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers während des Rechtsstreits nicht besteht (BAG 22.10.03, 7 AZR 113/03 aaO.). Das Interesse der Universität an einer verlässlichen Planung ergibt sich auch aus dem weiteren Schreiben vom 30.3.2011 (Bl. 39 d. A.), worin der Kläger aufgefordert wird Konzeptionen zu entwickeln, wie der Studiengang dauerhaft unabhängig von Sonderweisungen des Landes finanziert werden könne. Ebenso hatte der Kläger mit anwaltlichen Schreiben vom 08.01.2010 sein Interesse an einer kontinuierlichen und gesicherten Weiterbeschäftigung deutlich gemacht. Die festzustellende Interessenlage entspricht somit vollständig derjenigen, die üblicherweise Anlass für den Abschluss einer gesonderten Vereinbarung über ein Prozessrechtsarbeitsverhältnis gibt. Der ausdrückliche Vorbehalt des beklagten Landes im dem Schreiben vom 20.01.2010, ein gesondertes Arbeitsverhältnis nicht begründet zu wollen, steht dieser rechtlichen Würdigung nicht entgegen. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung ist, wie der ausdrücklich oder konkludent geäußerte Willen beider Parteien unter Anwendung der gesetzlichen Vorschriften beurteilen lässt. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine vertragliche Bindung vor, so können diese nicht durch einen einseitigen Vorbehalt ausgeschlossen werden (so genannte protestatio facto contraria (BGH 16.11.90, V ZR 297/87, NJW 91, 564 [BGH 16.11.1990 - V ZR 297/89]; MünchKomm-BGB/Busche § 133 Rn. 56).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; da die Hilfsanträge nicht zur Entscheidung angefallen sind (§ 45 Abs. 3 GKG, § 23 RVG), bleibt auch die Rücknahme des Antrages zu 3.) der Berufung kostenmäßig ohne Auswirkung.

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Die Revision ist zugelassen worden gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.