Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 22.03.2012, Az.: 7 Sa 1053/11
Zeitliche Grenzen der Rückforderung von Arbeitslohn nach erfolgter Insolvenzanfechtung; Zeitpunkt der Fälligkeit des Rückgewähranspruchs
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 22.03.2012
- Aktenzeichen
- 7 Sa 1053/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 22679
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2012:0322.7SA1053.11.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 08.05.2014 - AZ: 6 AZR 465/12
Rechtsgrundlagen
- § 142 InsO
- § 143 Abs. 1 InsO
- § 146 Abs. 1 InsO
Fundstellen
- InsbürO 2013, 243-244
- ZInsO 2013, 150-152
- schnellbrief 2012, 4
Amtlicher Leitsatz
1. Bei dem Anspruch auf Rückgewähr von Vergütung nach einer erfolgten Insolvenzanfechtung handelt es sich um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis, für den die Ausschlussfrist des für allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrages für das Maler- und Lackiererhandwerk gilt.
2. Der Rückgewähranspruch nach § 142 InsO wird mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig. Er ist zu diesem Zeitpunkt auch objektiv feststellbar und kann von dem Insolvenzverwalter schriftlich geltend gemacht werden.
3. Der im Streit stehende Anspruch des Klägers war mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30.04.2007 objektiv feststellbar und konnte von dem Insol-venzverwalter auch innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist schriftlich geltend gemacht werden.
4. Aus der dreijährigen Verjährungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO folgt nicht, dass dem Insolvenzverwalter in allen Fällen dieser Zeitraum zur Prüfung und Geltendmachung seiner Ansprüche zustehen muss. Vielmehr muss er den Besonderheiten eines Arbeitsverhältnisses Rechnung tragen und in eigenem sowie im Interesse des Arbeitnehmers, das insbesondere darin liegt, seine Ansprüche auf Insolvenzgeld rechtzeitig geltend zu machen, auf das Arbeitsverhältnis anwendbare tarifvertragliche Ausschlussfristen beachten.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 12.05.2011, 4 Ca 379/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob tarifvertragliche Ausschlussfristen auf Ansprüche des Insolvenzverwalters aus § 143 InsO anwendbar sind.
Der Beklagte war bei der S. GmbH beschäftigt. Über das Vermögen dieser Firma wurde gemäß Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 30.04.2007 (Bl. 11, 12 d.A.) das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Vorausgegangen war ein Insolvenzantrag der AOK vom 09.02.2007 (Bl. 13, 14 d.A.), der beim Insolvenzgericht am 12.02.2007 eingegangen war.
Der Beklagte erhielt von seiner Arbeitgeberin in den letzten 3 Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags im Rahmen der Zwangsvollstreckung am 12.01.2007 500,00 €, am 08.02.2007 weitere 500,00 € sowie am 12.03.2007 535,20 €.
Mit Schreiben vom 20.09.2010 (Bl. 19 - 21 d.A.) erklärte der Kläger die Anfechtung dieser Zahlungen gemäß §§ 129, 131 Abs. 1 InsO und forderte die genannten Beträge nebst Zinsen seit Verfahrenseröffnung bis zum 11.10.2010 zurück.
Das Arbeitsgericht hat die auf Zahlung von 1.535,20 € nebst Zinsen gerichtete Klage durch ein dem Kläger am 29.06.2011 zugestelltes Urteil vom 12.05.2011, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 43 - 48 d.A.), abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach der Entscheidung des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.09.2010 (GmS-OGB 1/09) handele es sich bei dem Rückgewähranspruch gemäß § 143 Abs. 1 InsO um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis. Der Anspruch unterliege deshalb der Ausschlussfrist des für allgemein verbindlich erklärten Rahmentarifvertrages für das Maler- und Lackiererhandwerk. Diese tarifvertragliche Ausschlussfrist sei von dem Kläger nicht gewahrt worden.
Hiergegen richtet sich die am 19.07.2011 eingelegte und am 22.08.2011 begründete Berufung des Klägers.
Der Kläger ist der Auffassung, nach dem zutreffenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 19.11.2003 (10 AZR 110/03) seien tarifvertragliche Ausschlussfristen auf Ansprüche des Insolvenzverwalters aus § 143 Abs. 1 InsO nicht anwendbar. Hieran habe der Beschluss des gemeinsamen Senates der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.09.2010 nichts geändert. Durch diese Entscheidung sei lediglich der Zuständigkeitsstreit zwischen dem 9. Zivilsenat des BGH und dem 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts geklärt worden.
Im Übrigen sei der Rechtsanspruch auf Rückgewährung tatsächlich auch nicht verfallen. Die Ausschlussfrist des § 49 RTV stelle auf die Fälligkeit der beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis ab. Ein Anspruch werde jedoch grundsätzlich erst fällig, wenn er vom Gläubiger feststellbar sei und geltend gemacht werden könne.
Dem Insolvenzverwalter werde nach der Insolvenzordnung ein dreijähriger Prüfungszeitraum zur Feststellung insolvenzrechtlicher Anfechtungsansprüche eingeräumt. Hierdurch solle dem Insolvenzverwalter die Möglichkeit gegeben werden, umfassend und intensiv zu prüfen, ob Sachverhalte gegeben sind, die der Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO zugänglich sind.
Eine Anwendung der von den Tarifparteien aufgestellten kurzen 2-monatigen Ausschlussfrist auf gesetzliche Rückgewähransprüche des Insolvenzverwalters unterlaufe die dreijährige Verjährungsfrist des § 146 Abs. 1 InsO und verstoße somit gegen höherrangiges Recht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags des Klägers im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf den Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 23.08.2011.
Der Kläger beantragt, nachdem der Beklagte in dem Termin vom 22.03.2012 nicht erschienen ist,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 12.05.2011 durch Versäumnisurteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.535,20 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.04.2007 zu zahlen.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.
II. Sie ist jedoch nicht begründet, weshalb sie durch sog. unechtes Versäumnisurteil gemäß §§ 64 Abs. 7, 46, 59 ArbGG, 331 Abs.2, 2. Halbsatz ZPO zurückzuweisen war.
Das Arbeitsgericht ist zu Recht und mit zutreffender Begründung zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Rückzahlung von 1.535,20 € zusteht, da dieser aus der Insolvenzanfechtung herrührende Anspruch gemäß § 49 RTV Maler- und Lackiererhandwerk verfallen ist. Das Landesarbeitsgericht macht sich die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils zu Eigen und nimmt hierauf zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug.
Der Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren gibt Anlass zu folgenden ergänzenden und zusammenfassenden Ausführungen.
Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 19.11.2003 (10 AZR 110/03, AP Nr. 1 zu § 129 InsO) entschieden hat, dass es sich bei dem streitigen Anspruch um einen schuldrechtlichen Rückgewähr- oder Verschaffungsanspruch handelt, der aufgrund der Insolvenzeröffnung als gesetzliches Schuldverhältnis entstanden ist. Deshalb seien tarifliche Ausschlussfristen auf diesen Anspruch nicht anwendbar, da dieses gesetzliche Schuldverhältnis außerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien stehe.
An dieser Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann seit dem Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.09.2010 (GmS-OGB 1/09, AP Nr. 14 zu § 2 ArbGG 1979 Zuständigkeitsprüfung) nicht mehr festgehalten werden, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Richtig ist zwar, dass durch diesen Beschluss lediglich der Zuständigkeitskonflikt zwischen dem BGH und dem BAG entschieden worden ist. Zur Begründung wurde allerdings ausgeführt, dass der Streit über die Rückgewähr vom Schuldner geleistete Vergütung nach § 143 Abs. 1 InsO eine Streitigkeit aus dem Arbeitsverhältnis ist. Die Rückgewähr verdienten Arbeitsentgelts gemäß § 143 Abs. 1 InsO, das der Beklagte als vorleistungspflichtiger Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsverhältnisses und in Erfüllung der sich daraus ergebenden beiderseitigen Hauptleistungspflichten erhalten hat, ist auf die Rückabwicklung der arbeitsrechtlichen Beziehung gerichtet, die wirksame Anfechtung ermöglicht es dem Insolvenzverwalter, korrigierend in die arbeitsrechtliche Leistungsbeziehung einzugreifen (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.09.2010, aaO., Rn. 12).
Der Gemeinsame Senat hat ferner ausgeführt, dass der Insolvenzverwalter für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis für die Dauer des Insolvenzverfahrens Arbeitgeber ist und in die Arbeitgeberstellung des Schuldners eintritt und Arbeitgeber kraft Amtes ist. Dies gilt unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter aufgrund des nach § 80 Abs. 1 InsO auf ihn übergegangenen Verwaltungs- und Verfügungsrechts tätig wird oder er aufgrund eines ihm von der Insolvenzordnung anderweitig eingeräumten Rechts, wie dem besonderen Kündigungsrecht nach § 113 InsO oder dem Anfechtungsrecht nach §§ 129 ff. InsO, auf das Arbeitsverhältnis einwirkt (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 27.09.2010, aaO., Rn. 18) .
Aus diesen Ausführungen folgt, dass es sich bei dem Anspruch auf Rückgewähr von Vergütung nach einer erfolgten Insolvenzanfechtung um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis handelt. Für alle (beiderseitigen) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen) gilt die Ausschlussfrist des für allgemeinverbindlich erklärten Rahmentarifvertrages für das Maler- und Lackiererhandwerk, nach der diese Ansprüche innerhalb von 2 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
Diese Ausschlussfrist hat der Kläger nicht gewahrt. Der Rückgewähranspruch wurde mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30.04.2007 fällig ( BGH vom 01.02.2007, IX ZR 96/04, BGHZ 171, 38-45). Denn da die Insolvenzanfechtung nach der Rechtsprechung des BGH keiner gesonderten Erklärung bedarf, entsteht das Anfechtungsrecht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, zugleich wird der Rückgewähranspruch fällig.
Dem steht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht entgegen, nach der Fälligkeit erst eintritt, wenn ein Anspruch vom Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann. Denn der im Streit stehende Anspruch des Klägers war mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 30.04.2007 objektiv feststellbar und konnte von dem Insolvenzverwalter auch innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist schriftlich geltend gemacht werden.
Es liegt auch kein Verstoß gegen höherrangiges Recht vor. Tarifliche Ausschlussfristen existieren parallel zu den gesetzlichen Verjährungsvorschriften. Sie finden ihre Rechtfertigung darin, innerhalb eines überschaubaren Zeitraums für beide Parteien des Arbeitsvertrages endgültige Klarheit über den Bestand von Forderungen und Rechten zu schaffen und damit Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu garantieren. Sie unterliegen dabei grundsätzlich auch keiner Inhaltskontrolle (BAG vom 29.09.1999, 10 AZR 839/98, AP Nr. 226 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Verfallfristen führen im Gegensatz zur Verjährung zum Untergang des Rechts.
Es besteht kein Anlass, von diesen Grundsätzen für die Ansprüche des Insolvenzverwalters nach einer Insolvenzanfechtung abzuweichen. Selbst wenn § 146 Abs. 1 InsO eine dreijährige Verjährungsfrist für die Rückgewähransprüche nach einer Insolvenzanfechtung vorsieht, folgt daraus nicht zwingend, dass dem Insolvenzverwalter in allen Fällen dieser Zeitraum zur Prüfung und Geltendmachung seiner Ansprüche zustehen muss. Vielmehr muss er den Besonderheiten eines Arbeitsverhältnisses Rechnung tragen und in eigenem sowie im Interesse des Arbeitnehmers, das vorliegend insbesondere darin liegt, seine Ansprüche auf Insolvenzgeld rechtzeitig geltend zu machen, auf das Arbeitsverhältnis anwendbare tarifvertragliche Ausschlussfristen beachten. Die tarifvertragliche Ausschlussfrist ist vorliegend auch nicht so kurz bemessen, dass es dem Kläger als Insolvenzverwalter nicht möglich war, die Ausschlussfrist einzuhalten.
III. Die Berufung des Klägers war mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1, 2 ArbGG.