Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 28.02.2012, Az.: 1 TaBV 134/11
Einigungsstelle zu Sozialplan bei Personalabbau des Dienstleisters der Dekontreinigung in Kernkraftwerk; Antrag des Betriebsrats bei offenkundiger Unzuständigkeit aufgrund fehlender Betriebsänderung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 28.02.2012
- Aktenzeichen
- 1 TaBV 134/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 16253
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2012:0228.1TABV134.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 21.12.2011 - AZ: 4 BV 15/11
Rechtsgrundlagen
- § 98 Abs. 1 S. 2 ArbGG
- § 111 Abs. 1 S. 3 Nr.4 BetrVG
- § 112a Abs. 1 Nr. 2 BetrVG
Amtlicher Leitsatz
Eine Einigungsstelle zur Verhandlung eines Sozialplans kann bei einem Personalabbau des Dienstleisters der Dekontreinigung in einem Kernkraftwerk unterhalb der Zahlungsgrenzen des § 112a BetrVG nur bestellt werden, wenn damit zugleich eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG verbunden ist.
Tenor:
Die Beschwerde des Betriebsrats und Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 21. Dezember 2011 - 4 BV 15/11 - wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Nachdem das Arbeitsgericht Oldenburg eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand "Interessenausgleich aus Anlass von Entlassungen der Beteiligten zu 2)", welche als Dienstleistungsunternehmen im Kernkraftwerk A. in B. tätig ist, unter dem Vorsitz des Vorsitzenden Richters am Landesarbeitsgericht C. nebst 2 Beisitzern eingesetzt hat, verfolgt der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) im zweiten Rechtszug noch die Erweiterung der Einigungsstelle auf den Abschluss eines Sozialplans sowie die Aufstockung der Beisitzerzahl von 2 auf 4 für jede Seite.
Der Auftraggeber der Beteiligten zu 2), die D., hat für das Jahr 2012 zum Personalbedarf im Kernkraftwerk A. mitgeteilt, 25 Arbeitnehmer endgültig und dauerhaft nicht mehr zu benötigen. Daraufhin hat die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) entschieden, 8 befristete Arbeitsverhältnisse über den Ablauf des Jahres 2011 nicht zu verlängern und darüber hinaus demnächst 17 betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen.
Das Arbeitsgericht Oldenburg hat mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand Interessenausgleich eingesetzt. Die Einsetzung der Einigungsstelle für Sozialplanverhandlungen hat das Arbeitsgericht wegen offensichtlicher Unzuständigkeit zurückgewiesen. Nach dem Personalbestand von 94/95 Arbeitnehmern am Standort A. sei Voraussetzung für die Sozialplanpflicht, dass 20 % der Arbeitnehmer entlassen würden. Dies sei hier nicht der Fall. Anstelle der erforderlichen 19 Arbeitnehmer würden hier betriebsbedingt nur 17 Arbeitnehmer zur Entlassung anstehen. Auslaufende Befristungen würden dem Personalabbau nicht hinzugerechnet. Diese gesetzliche Einschränkung nach§ 112a BetrVG greife nur dann nicht, wenn neben dem Personalabbau Maßnahmen des Arbeitgebers stattfinden würden, die für sich allein oder zusammen mit dem Personalabbau eine Betriebsänderung i.S.v.§ 111 Abs. 3 Satz 3 BetrVG darstellen würden. Zu den Gründen des arbeitsgerichtlichen Beschlusses im Einzelnen und dem Vorbringen der Beteiligten im ersten Rechtszug wird auf Bl. 46 bis 49 d. A. Bezug genommen.
Gegen den ihm am 23. Dezember 2011 zugestellten erstinstanzlichen Beschluss hat der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) Beschwerde mit Begründung zum Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingelegt am 2. Januar 2012.
Der Betriebsrat wiederholt und vertieft sein Vorbringen erster Instanz. Es seien weitere Personalreduzierungen zu erwarten und die gesamte Betriebsstruktur würde sich im Jahr 2012 ändern. Die von der Arbeitgeberin angegebene Zahl der betroffenen Mitarbeiter sei unterschiedlich. Es stünden auch Versetzungen und Arbeitszeitänderungen für dieübrigen Arbeitnehmer an.
Die Erhöhung der Beisitzerzahl sei wegen der erheblichen rechtlichen, tarifvertraglichen und örtlichen Sonderprobleme erforderlich.
Der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 21. Dezember 2011 - 4 BV 15/11 - teilweise dahingehend abzuändern, dass die Zuständigkeit der Einigungsstelle auf den Regelungsgegenstand "Abschluss eines Sozialplans" erweitert und die Zahl der Beisitzer pro Seite auf 4 festgesetzt wird.
Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) stellt den Antrag,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach ihrem Vorbringen verbleibt es bei den beabsichtigten 17 betriebsbedingten Kündigungen. Es gebe keine völlige Änderung der Betriebsstruktur, man passe sich nur den Wünschen des Auftraggebers an.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens in der Beschwerdeinstanz wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten vom 30. Dezember 2011, 23. Januar 2012, 27. Januar und 28. Februar 2012 verwiesen.
II. Die zulässige Beschwerde des Betriebsrats und Beteiligten zu 1) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Einigungsstelle für die Verhandlung eines Sozialplans offensichtlich unzuständig ist. Auch die Zahl der Beisitzer auf je 2 ist zutreffend festgesetzt.
1. a.) Das Beschwerdegericht folgt der Entscheidungsbegründung des Arbeitsgerichts vollumfänglich und macht sich diese zu Eigen. Nach § 112a BetrVG kann ein Sozialplan bei einem reinen Personalabbau nur erzwungen werden, wenn in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 250 Arbeitnehmer 20 von 100 der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder mindestens 37 Arbeitnehmer aus betriebsbedingten Gründen entlassen werden sollen (§ 112a Abs. 1 Nr. 2 BetrVG). Das Arbeitsgericht hat dazu richtig festgestellt, dass bei den 17 geplanten betriebsbedingten Entlassungen keine 20 % von 94/95 Arbeitnehmern der Belegschaft im Kernkraftwerk A. erreicht werden.
b.) Das Beschwerdegericht hat hierzu wegen des abweichenden Sachvortrags des Betriebsrats noch einmal den Regionalgeschäftsführer der Arbeitgeberin, Herrn E., im Anhörungstermin befragt. Dieser hat bekräftigt, dass es über die 17 betriebsbedingten Entlassungen hinaus derzeit keinerlei Planung gibt weitere Arbeitnehmer freizusetzen.
Die Nichtverlängerung von befristeten Arbeitsverträgen, die zum Ende des Jahres 2012 inzwischen ausgelaufen sind, unterfallen - wie das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt hat - nicht dem Entlassungsbegriff des§ 112a BetrVG. Die Beendigung dieser Arbeitsverhältnisse wurde zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Befristung vereinbart und ist damit nicht Gegenstand einer geplanten Betriebsänderung i.S.v. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG gewesen. Es kann auch zugunsten des Betriebsrats und Beteiligten zu 1) unterstellt werden, dass es zu Versetzungen und Arbeitszeitänderungen bei weiteren Mitarbeitern gekommen ist. Bei Fortbestand der Arbeitsverhältnisse liegt dann ebenfalls keine Entlassung vor.
2. a.) Eine Betriebsänderung i.S.v. § 111 Abs. 1 Satz 3 Nr.4 BetrVG in Form einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation liegt zur Überzeugung des Beschwerdegerichts nicht vor. Von einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation ist auszugehen, wenn sie sich auf den Betriebsablauf in erheblicher Weise auswirkt und einschneidende Änderungen auf die Arbeitsweise sowie die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer hat (Fitting BetrVG 25. Aufl. § 111 Rz. 95 so auch BAG v. 18. März 2008 - 1 ABR 77/06 = NZA 2008, 957 = EzA § 111 BetrVG 2001 Nr. 5, Rz. 22, 23). Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. März 2006 (1 ABR 5/05 = EzA § 111 BetrVG 2001 Nr. 4) bleibt es selbst dann bei der Einschränkung der Sozialplanpflicht, wenn zu dem Personalabbau weitere Maßnahmen des Arbeitgebers hinzukommen. Darauf hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen.
b.) Nach den wechselseitigen, teilweise übereinstimmenden Bekundungen der Beteiligten im Anhörungstermin geht das Gericht davon aus, dass die Aufgabeninhalte im Rahmen des neu erteilten eingeschränkten Auftrages zur Dekontreinigung erhalten geblieben sind. Dass der Werkvertrag bereits in der Vergangenheit auf die Wünsche des Auftraggebers zugeschnitten und teilweise wie "Arbeitnehmerüberlassung" gelebt wurde, ist von dem Betriebsrat nicht in Abrede gestellt worden. Die intensivere Abstimmung der Urlaubsplanung mit dem Auftraggeber und die Festlegung der Einsatzabläufe nicht über die eigenen Teamleiter, sondern im Verbund mit den Meistern des Auftraggebers führen zwar zu Verschiebungen der bisherigen Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten; ein erhebliches Ausmaß in den Auswirkungen auf den gesamten Betriebsablauf ist aber aus Sicht des Beschwerdegerichts nicht ersichtlich (vgl. dazu auch BAG v. 18. März 2008 - 1 ABR 77/06 - aaO., Rz. 23). Eine Sozialplanpflicht lässt sich deshalb offenkundig nicht auf eine über den Personalabbau hinausgehende Betriebsänderung nach § 111 BetrVG stützen.
3. Nach der Aufklärung des Sachverhalts im Anhörungstermin vor dem Beschwerdegericht, um die tatsächlichen Grundlagen der Offenkundigkeitsprüfung zu ermitteln (LAG Niedersachsen 8.Juni 2007 - 1 TaBV 27/07 - = LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 49 mwN), bleibt es deshalb bei der offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle für den Abschluss eines Sozialplans. Aufgrund der vorliegenden Fakten ist durch fachkundige Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt (LAG Hamm 29. August 2008 - 13 TaBV 6/08 - Rz 46 ff).
Unter diesen Voraussetzungen ist eine Entscheidung über eine höhere Zahl von Beisitzern entbehrlich. Der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) behauptet dafür ohnedies allein erhebliche rechtliche, tarifvertragliche und örtliche Sonderprobleme, ohne sie konkret zu benennen. Das reicht für ein Abweichen von der Regelbesetzung mit 2 Beisitzern grundsätzlich nicht aus (vgl. dazu st. Rspr. LAG Niedersachsen 15. August 2006 - 1 TaBV 43/06 - und vom 7. August 2007 - 1 TaBV 63/07 = LAGE § 98 ArbGG 1979 Nr. 47, 49a).
III. Eine Kostenentscheidung nach § 2 Abs. 2 GKG 2004 ist nicht zu treffen, da das Beschlussverfahren gerichtskostenfrei bleibt.
Gegen diese Entscheidung ist nach § 98 Abs. 2 ArbGG ein Rechtsmittel nicht gegeben.