Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.03.2012, Az.: 5 Sa 140/12
Urlaubsabgeltung bei Elternzeit; Zahlungsklage bei Kürzung des Erholungsurlaubs; Europarechtlich wirksame Regelung zur Kürzung des Erholungsurlaubs bei Elternzeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 29.03.2012
- Aktenzeichen
- 5 Sa 140/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 16659
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2012:0329.5SA140.12.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 22.07.2014 - AZ: 9 AZR 449/12
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 4 BUrlG
- § 11 BUrlG
- § 17 Abs. 1 BEEG
- Art. 7 Abs. 1 RL 88/2003/EG
Amtlicher Leitsatz
1. Widerspricht ein nationales Gesetz einer EU-Richtlinie, dann folgt hieraus noch nicht das Verbot, dieses Gesetz anzuwenden.
2. § 17 BEEG kann nicht anders ausgelegt werden, als es seinem Wortlaut entspricht.
3. Darüber hinaus ist § 17 BEEG auch richtlinienkonform.
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 21.12.2011 - 3 Ca 203/11 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche der Klägerin.
Die Klägerin war vom 01.02.2002 bis zum 31.03.2011 bei der Beklagten als Arzthelferin tätig. Am 04.12.2009 gebar sie ihre Tochter. Im Anschluss an die Mutterschutzfrist trat sie am 30.01.2010 die Elternzeit an. Im Folgenden blieb sie bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses, dem 31.03.2011, in Elternzeit.
Die Beklagte machte bereits mit Schreiben vom 08.11.2009 von ihrem Recht nach § 17 Abs. 1 BEEG Gebrauch.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin u.a. Urlaubsabgeltung für 22 Arbeitstage im Jahr 2010 und für sechs Urlaubstage im Jahr 2011 geltend gemacht. Sie hat hierzu die Ansicht vertreten, § 17 BEEG verstoße gegen die Rechtsprechung des EUGH vom 20.01.2009 sowie gegen dieRichtlinien 93/104 bzw. Art. 7 RL 2003/88/EG.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.713,85 € brutto abzüglich gezahlter 321,00 € netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, entsprechend der geltenden Rechtsordnung gehandelt zu haben.
Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, Blatt 2 und 3 desselben, Blatt 65 und 66 der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Urteil vom 21.12.2011 hat das Arbeitsgericht Hameln die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils, Blatt 3 bis 5 desselben, Blatt 66 bis 68 der Gerichtsakte verwiesen.
Dieses Urteil ist der Klägerin am 09.01.2012 zugestellt worden. Mit einem am 02.02.2012 eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel sogleich begründet.
Sie begehrt, wie bereits erstinstanzlich geltend gemacht, die Urlaubsabgeltung für die Kalenderjahre 2010 und 2011 (anteilig bis zum 31.03.). Sie vertritt weiterhin die Rechtsauffassung, § 17 Abs. 1 BEEG sei europarechtswidrig. Deshalb dürfe sich die Beklagte nicht auf die von ihr vorgenommene Kürzung des Erholungsurlaubes berufen.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des am 21.12.2011 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Hameln, Az: 3 Ca 203/11 zu verurteilen, an sie weitere 2.171,07 € zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und §§ 519, 520 ZPO).
B. Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht Hameln die Klage - soweit für die Berufungsinstanz von Bedeutung - abgewiesen. Der Klägerin steht kein Urlaubsabgeltungsanspruch gemäß §§ 7 Abs. 4, 11 BUrlG in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag der Parteien für Urlaubsansprüche der Kalenderjahre 2010 und 2011 (anteilig bis zum 31.03.) zu. Denn die Beklagte hat von ihrer Befugnis gemäß § 17 Abs. 1 BEEG Gebrauch gemacht und damit den der Klägerin zustehenden Urlaub gewissermaßen auf Null gekürzt.
1. An die unstreitig von der Beklagten vorgenommene Kürzung des Erholungsurlaubes ist das Berufungsgericht gebunden. In diesem Zusammenhang kann bereits dahingestellt bleiben, ob § 17 Abs. 1 BEEG gegen eine Richtlinie, insbesondere die gegen Art. 7 Richtlinie 2003/88/EG, verstößt.
a) Richtlinien der Gemeinschaft wenden sich nach Art. 249 Abs. 3 EG an die Mitgliedstaaten. Sie verpflichten die Mitgliedstaaten, die von der Richtlinie verfolgten Ziele innerhalb einer bestimmten Frist in nationales Recht umzusetzen. Richtlinien wirken deshalb nicht direkt zwischen Bürgern. Sie finden im Privatrechtsverhältnis nicht als solche unmittelbare Anwendung. Widerspricht nationales Recht einer EU-Richtlinie, dann folgt hieraus nicht das Verbot, dieses nationale Recht anzuwenden. Denn das Gemeinschaftsrecht enthält keinen Mechanismus, der es dem nationalen Gericht erlaubt, nationale Vorschriften zu eliminieren. Der Inhalt der Richtlinie gewinnt allerdings insoweit besondere Bedeutung, als das nationale Recht richtlinienkonform auszulegen ist. Unter welchen Voraussetzungen eine richtlinienkonforme Auslegung möglich ist, ergibt sich aus nationalem Recht. Die Grenzen einer gemeinschaftskonformen (richtlinienkonformen) Auslegung werden durch die allgemeinen Auslegungsregeln bestimmt. Insoweit gilt nichts anderes als für die verfassungskonforme Auslegung. Wenn auch diese Auslegung nicht am Wortlaut der Vorschrift halt machen darf, darf die Auslegung nicht den erkennbaren Willen des Gesetzgebers verändern (BAG, Urteil vom18.09.2003, 2 AZR 79/02 - BAGE 107, 318 - 338; BAG, Urteil vom 24.03.2009, Az: 9 AZR 983/07 - AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG).
b) Gemessen an vorstehend aufgezeigten Rechtsgrundsätzen, kann ein Verstoß des § 17 Abs. 1 BEEG gegen eine Richtlinie der europäischen Gemeinschaft dahingestellt bleiben. Selbst bei einem Verstoß gegen diese Richtlinie wäre diese Vorschrift weiterhin anzuwenden. Sie ist auch aufgrund ihren Wortlautes und ihres Sinngehaltes eindeutig und darf aufgrund allgemein anerkannter Auslegungsgrundsätze nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Beklagte als Arbeitgeberin von der Kürzungsmöglichkeit keinen Gebrauch machen darf. Denn dieses widerspricht dem eindeutigen Wortlaut und dem erkennbaren Sinn und Zweck ihres Regelungsgehaltes.
2. Abgesehen davon verstößt die Kürzungsbestimmung des § 17 Abs. 1 BEEG auch nicht gegen Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG. Sie gehört zu den dort "vorgesehenen Maßnahmen" für die Inanspruchnahme des bezahlten Mindestjahresurlaubs. Insoweit folgt diese Entscheidung der Entscheidung des LAG Niedersachsen (Urteil vom 16.11.2010, Az: 3 Sa 1288/10 - Juris). Weil bereits eine anderweitige Auslegung der Vorschrift als nämlich der, dass der Arbeitgeber eine Kürzungsmöglichkeit vornehmen kann, nicht möglich ist, auch bei einer eventuell vorzunehmenden richtlinienkonformen Auslegung, bedarf dieser Problemkreis keiner weiteren Vertiefung.
C. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.