Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.05.2012, Az.: 6 TaBV 5/12

Mitbestimmung bei der Eingruppierung in der niedersächsischen holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie; unzulässiger Antrag der Arbeitgeberin auf Zustimmungsersetzung bei versäumter Anrufung der Einigungsstelle

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
11.05.2012
Aktenzeichen
6 TaBV 5/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 16661
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2012:0511.6TABV5.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Osnabrück - 21.11.2011 - AZ: 6 BV 4/11

Amtlicher Leitsatz

1. Nach § 2 Nr. 3 C) LTV der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie in Niedersachsen vom 11.01.1985 sind die Betriebsparteien dazu verpflichtet, vor Anrufung des Arbeitsgerichts wegen Ein-/Umgruppierung eines Mitarbeiters die Tarifvertragsparteien einzuschalten und falls danach eine Beilegung der Meinungsverschiedenheiten nicht erreicht werden konnte, die Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG anzurufen.

2. Diese Verpflichtung besteht nicht nur dann, wenn der Arbeitnehmer gemäß § 2 Nr. 3 b) LTV beim Arbeitgeber oder Betriebsrat eine Änderung seiner Ein- oder Umgruppierung begehrt hat und es insoweit zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat kommt, sondern auch wenn Auslöser für die Meinungsverschiedenheiten ein Antrag des Arbeitgebers an den Betriebsrat auf Zustimmung zur Eingruppierung eines bestimmten Arbeitnehmer/in ist.

3. Solange der Arbeitgeber diesen tarifvertraglich vorgegebenen Weg zur Lösung der Meinungsverschiedenheiten nicht absolviert hat, ist sein gerichtlicher Antrag auf Zustimmungsersetzung mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig.

Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 21.11.2011 - 6 BV 4/11 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I. Die Parteien streiten über die Ersetzung der vom Betriebsrat und Beteiligten zu 2) verweigerten Zustimmung zur Eingruppierung zweier Arbeitnehmer der Beteiligten zu 1) in die Lohngruppe 3 des Lohntarifvertrages der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e. V. vom 11.01.1985. Im Streit zwischen den Beteiligten ist insbesondere, ob die Beteiligte zu 1) nach dem Lohntarifvertrag vor Anrufung des Arbeitsgerichts die Tarifvertragsparteien einzuschalten und die Einigungsstelle anzurufen hat.

2

Die Beteiligte zu 1) beschäftigt sich als Arbeitgeberin mit der Entwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb von Schlafraummöbel. Sie ist tarifgebundenes Mitglied des Landesverbandes Niedersachsen und Bremen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e. V.. Der Beteiligte zu 2) ist der bei der Beteiligten zu 1) gewählte Betriebsrat.

3

Mit Schreiben vom 22.06.2011 (Bl. 17 und 18 d. A.), ergänzt durch Schreiben vom 01.07.2011 (Bl. 19 und 20 d. A.) beantragte die Beteiligte zu 1) beim Beteiligten zu 2) die Zustimmung zur Eingruppierung der Mitarbeiter D. und F. in die Lohngruppe 3 Lohntarifvertrages der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie. Hierzu äußerte der Beteiligte zu 2) zunächst mit Schreiben vom 07.07.2011 (Bl. 21 und 22 d. A.) seine Einschätzung, dass eine Eingruppierung der beiden Mitarbeiter in die Lohngruppe 5 zu erfolgen habe. Nachdem die Beteiligte zu 1) dem Beteiligte zu 2) gegenüber mit Schreiben vom 12.07.2011 mitgeteilt hatte, dass sie an der Eingruppierung in Lohngruppe 3 festhalte, erklärte der Beteiligte zu 2) mit Schreiben vom 15.07.2011 (Bl. 24 d. A.) die Gespräche zur Eingruppierung als gescheitert und kündigte an, die Tarifvertragsparteien einschalten zu wollen.

4

Der Lohntarifvertrag der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e.V. vom 11.01.1985 (LTV) lautet wörtlich auszugsweise wie folgt:

5

"§ 1 Geltungsbereich

6

Der Geltungsbereich umfasst:

7

a) räumlich: das Land Niedersachen

8

...

9

§ 2 Allgemeine Bestimmungen

10

1. Soweit in diesem Lohntarifvertrag nichts andere vereinbart ist, gilt der jeweils gültige Manteltarifvertrag (MTN) für die holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie im nordwestdeutschen Raum der Bundesrepublik Deutschland.

11

2. Die Lohntabellen ergeben sich aus der Anlage 1.

12

3. a) Die Arbeitnehmer werden vom Arbeitgeber unter Mitwirkung des Betriebsrates nach der Art ihrer Tätigkeit unter genauer Bezeichnung der Tätigkeit in die unter § 4 angeführten Lohngruppen eingestuft.

13

b) Jede Eingruppierung und Umgruppierung ist dem Arbeitnehmer schriftlich mitzuteilen. Ist die schriftliche Mitteilung der Eingruppierung oder Umgruppierung nicht erfolgt, so entfallen hinsichtlich der Eingruppierung oder Umgruppierung die tariflichen Ausschlussfristen. Gegen eine Eingruppierung oder Umgruppierung kann der Arbeitnehmer Einspruch beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat einlegen.

14

Der Arbeitnehmer hat das Recht, beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat eine Änderung der Eingruppierung oder Umgruppierung zu beantragen. Für die Mitwirkung des Betriebsrates gelten die Bestimmungen des BetrVG.

15

c) Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat über die Einstufung eines Arbeitnehmers sind innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen. Ist eine betriebliche Beilegung der Meinungsverschiedenheiten nach Hinzuziehung der Tarifvertragsparteien nicht möglich, entscheidet die Einigungsstelle gemäß § 76 des BetrVG.

16

..."

17

Wegen des gesamten Inhaltes des Lohntarifvertrages wird auf den Inhalt der Hülle Blatt 30 d. A. Bezug genommen.

18

Mit dem am 29.07.2011 beim Arbeitsgericht Osnabrück eingegangenen Antrag begehrt die Beteiligte zu 1) die Ersetzung der vom Beteiligten zu 2) verweigerten Zustimmung zur Eingruppierung der Arbeitnehmer D. und F. in die Lohngruppe 3. Sie hat die Ansicht vertreten, dass aufgrund der Tätigkeiten dieser Mitarbeiter nur eine Eingruppierung in Lohngruppe 3 gerechtfertigt sei. Das gerichtliche Zustimmungsersetzungsverfahren sei der zulässige Weg, um diese Eingruppierungsentscheidung durchzusetzen. Dem stehe der Hinweis des Betriebsrates auf die Einschaltung der Tarifvertragsparteien und die Anrufung der Einigungsstelle nicht entgegen.§ 2 Abs. 3 c) LTV gelte nur für den Fall, dass ein Arbeitnehmer seine Eingruppierung überprüfen lassen wolle und deshalb einen Antrag bei einer der Betriebsparteien stelle. Die Beteiligte zu 1) sei nicht auf den Weg über die Einigungsstelle zu verweisen, da die Betriebsparteien nur in Bezug auf selbst geschaffenes Recht gesonderte Regelungsinstrumente vereinbaren könnten, nicht hingegen für das gesetzliche Recht.

19

Die Antragstellerin hat beantragt,

20

die von Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung der Arbeitnehmer D. und F. in die Lohngruppe 3 Lohntarifvertrages der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e.V. vom 11.01.1985 wird ersetzt.

21

Der Antragsgegner hat beantragt,

22

den Antrag der Beteiligten zu 1) als unzulässig abzuweisen,

23

hilfsweise,

24

den Antrag abzuweisen und

25

die Zustimmung des Beteiligten zu 2) nicht zu ersetzen.

26

Er hat die Ansicht vertreten, dass zunächst die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen seien und im Anschluss daran die Einigungsstelle anzurufen sei. Der sofortige Antrag beim Arbeitsgericht sei unzulässig und verstoße gegen § 2 Nr. 3 c) LTV. Nach dieser Vorschrift müsse nicht nur bei einem entsprechenden Antrag von Seiten des Arbeitnehmers, sondern bei sämtlichen Streitigkeiten zwischen den Betriebsparteien im Zusammenhang mit Ein- oder Umgruppierungen zunächst die Tarifvertragsparteien und anschließend die Einigungsstelle angerufen werden.

27

Abgesehen davon rechtfertige die Tätigkeit der Mitarbeiter D. und F. auch ausschließlich deren Eingruppierung in Lohngruppe 5, woraufhin der Betriebsrat die Zustimmung zur Eingruppierung dieser Mitarbeiter in die Lohngruppe 3 zu Recht verweigert habe.

28

Mit Beschluss vom 21.11.2011 hat das Arbeitsgericht Osnabrück den Antrag der Beteiligten zu 1) abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass dieser Antrag unzulässig sei, da es ihm an dem erforderlichen Rechtschutzbedürfnis fehle. In § 2 Nr. 3 c)m LTV hätten die Tarifvertragsparteien in zulässiger Weise vereinbart, dass nicht nur bei einem Antrag des Arbeitnehmers, sondern immer dann, wenn Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Zusammenhang mit Eingruppierungen und Umgruppierungen zu klären seien, vor Anrufung der Arbeitsgerichte zunächst die Tarifvertragsparteien und erforderlichenfalls anschließend die Einigungsstelle einzubeziehen sei.

29

Gegen diesen ihr am 15.12.2011 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 1) unter dem 11.01.2012 Beschwerde eingelegt und diese sofort begründet.

30

Sie vertritt die Auffassung, dass das Arbeitsgericht § 2 Nr. 3 c) LTV unrichtig ausgelegt habe. Bereits der Wortlaut dieser Norm sei eindeutig. Nach § 2 Abs. 3 c) LTV seien bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat über die Einstufung eines Arbeitnehmers innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen. In der gesamten Norm werde der Begriff des "Antrages" oder der "Beantragung" lediglich in dem unmittelbar vorhergehenden Absatz in § 2 Abs. 3 b) LTV verwendet. Dort heiße es, dass der Arbeitnehmer das Recht habe, beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat eine Änderung der Eingruppierung oder Umgruppierung zu beantragen. Die Auslegung des Arbeitsgerichtes spreche dem letzten Satz von § 2 Abs. 3 b) LTV jegliche Relevanz ab. Wenn die Tarifvertragsparteien darin formuliert hätten, dass für die Mitwirkung des Betriebsrates die Bestimmung desBetriebsverfassungsgesetz gelten, dann sei damit eindeutig kundgetan, dass bei Ein- und Umgruppierungen die §§ 99 ff. BetrVG umfänglich anwendbar seien. Die Schnittstelle liege nicht in den unterschiedlichen Verfahren, sondern im Unterschied zwischen einer kollektivrechtlichen und einer individualrechtlichen Ebene. Streitigkeiten sollten nach dem Tarifvertrag nur dann in einer Einigungsstelle enden, wenn sie durch einen entsprechenden Antrag des Arbeitnehmers "individualrechtlich" angestoßen würden. Voraussetzung hierfür sei eine Ein- oder Umgruppierung des Arbeitnehmers, deren Ergebnis ihm schriftliche mitzuteilen sei. Hintergrund hierfür sei, den Arbeitnehmer individualrechtlich von den Darlegungs- und Beweisproblemen bei einer Eingruppierungsklage zumindest teilweise zu entlasten. Es habe auch keinesfalls dem Willen der Tarifvertragsparteien entsprochen, Meinungsverschiedenheiten über die Einstufung eines Mitarbeiters jederzeit und ohne äußeren Anlass zu ermöglichen. Eine derartige Interpretation der Tarifnorm berge die objektive Gefahr, dass sich die Betriebsparteien in permanenten und nicht anlassbezogenen Streitigkeiten wiederfinden würden, die regelmäßig vor einer Einigungsstelle ausgetragen werden müssten. Abgesehen davon wäre die streitgegenständliche Regelung mit dem vom Arbeitsgericht hergeleiteten Inhalt unzulässig. Schließlich stelle die Einschaltung der Tarifvertragsparteien und die ggf. erforderliche Anrufung der Einigungsstelle auch keineswegs einen besseren, dafür aber auf jeden Fall langwierigen sowie kosten- und zeitintensiveren Weg dar, welcher dann auch noch letztendlich durch die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zu überprüfen wäre. Das Rechtschutzbedürfnis der Beteiligten zu 1) für den gerichtlichen Antrag sei gegeben.

31

Die Beteiligte zu 1) beantragt,

32

den Beschluss des Arbeitsgericht Osnabrück 6 BV 4/11 abzuändern und die von dem Beteiligten zu 2) verweigerte Zustimmung zur Eingruppierung der Arbeitnehmer D. und F. in die Lohngruppe 3 Lohntarifvertrages der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e. V. vom 11.01.1985 wird ersetzt.

33

Der Beteiligte zu 2) beantragt,

34

die Beschwerde zurückzuweisen.

35

Er verteidigt den erstinstanzlichen Beschluss als zutreffend. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über die richtige Eingruppierung seien zunächst die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen. Erforderlichenfalls habe eine Klärung vor einer betrieblichen Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG stattzufinden, bevor insoweit das Gericht einzuschalten sei. Dies hätten die Tarifvertragsparteien so gewollt und in § 2 LTV auch vereinbart. Die betriebliche Einigung habe Vorrang vor der gerichtlichen Klärung haben sollen. Es sei und werde von einer größeren Nähe der betrieblichen und tariflichen Akteure zum Streitgegenstand ausgegangen. Dem widerspreche auch nicht der Wortlaut des § 2 Abs. 3 c) LTV. Dieser regele das Verfahren bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betriebsparteien, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber, der Betriebsrat oder der Arbeitnehmer das Verfahren in Gang gesetzt habe. Entweder habe der Arbeitnehmer es initiiert oder der Arbeitgeber habe die Zustimmung zur Eingruppierung beim Betriebsrat beantragt bzw. der Betriebsrat beim Arbeitgeber eine Höhergruppierung beantragt. Sowohl der Wortlaut als auch der Sinn und Zweck dieser Regelung seien eindeutig.

36

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätzen nebst Anlage, soweit diese Gegenstand der mündlichen Anhörung waren und auf die in der mündlichen Anhörung am 11.05.2012 gemachten Erklärungen.

37

II. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Mit zutreffender Begründung und im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht Osnabrück den Antrag der Beteiligten zu 1) als unzulässig zurückgewiesen.

38

Die Beteiligte zu 1) war gemäß § 2 Nr. 3 c) des Lohntarifvertrages der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e. V. einerseits und der Gewerkschaft Holz und Kunststoff, Bezirksleitung Niedersachsen/Bremen andererseits vom 11.01.1985 (LTV) dazu verpflichtet, vor Anrufung des Arbeitsgerichtes wegen der Eingruppierung der Mitarbeiter D. und F. die Tarifvertragsparteien einzuschalten und falls die Beilegung der Meinungsverschiedenheiten dort nicht zu erreichen ist, die Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG anzurufen.

39

1. In § 2 Nr. 3 c) LTV haben die Tarifvertragsparteien bestimmt, dass bei Meinungsverschiedenheit im Zusammenhang mit Ein- und Umgruppierung zunächst die Tarifvertragsparteien selbst hinzuzuziehen sind und wenn auch danach eine betriebliche Beilegung der Meinungsverschiedenheiten nicht möglich ist, dass die Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG entscheidet. Das Betriebsverfassungsrecht räumt den Tarifvertragsparteien ausdrücklich die Möglichkeit ein, eine Einigungsstelle durch eine betriebliche Schlichtungsstelle zu ersetzen und zwar in § 76 Abs. 8 BetrVG. Voraussetzung hierfür ist ausschließlich die Tarifbindung des Arbeitgebers. Ein derartiger Tarifvertrag enthält Regelungen betriebsverfassungsrechtlicher Art, weshalb es nicht darauf ankommt, dass alle Arbeitnehmer des Betriebes tarifgebunden sind (vgl. nur BAG,14.09.2010 - 1 ABR 30/09 - AP Nr. 61 zu § 76 BetrVG 1972). Vorliegend haben die Tarifvertragsparteien des LTV keine tarifliche Schlichtungsstelle, sondern die betriebliche Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG zwecks Beilegung der Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat über die Einstufung eines Arbeitnehmers eingerichtet. Das begegnet keinen Bedenken. Die Beteiligte zu 1) ist hieran als Mitglied des Landesverbandes Niedersachsen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie e. V. als einer der Tarifvertragsparteien gebunden.

40

2. Die Auslegung von § 2 Nr. 3 c) LTV ergibt eindeutig und unmissverständlich, dass sowohl die vorherige Hinzuziehung der Tarifvertragsparteien als auch die ggf. erforderliche Entscheidung der Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat über die Ein-/Umgruppierung eines Arbeitnehmers nicht auf die Fälle beschränkt ist, in denen der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber oder Betriebsrat die Änderung der Ein- oder Umgruppierung im Sinne von § 2 Abs. 3 b) Satz 4 LTV beantragt hat, sondern immer auch dann erforderlich ist, wenn - wie vorliegend - der Arbeitgeber beim Betriebsrat die Zustimmung zur Ein- oder Umgruppierung begehrt hat und insoweit kein Einvernehmen erzielt werden konnte.

41

a) Die Auslegung des normativen Teils des Tarifvertrages richtet sich nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Auszugehen ist vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei nicht eindeutigem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien zu berücksichtigen, aber nur soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Ferner ist abzustellen auf den Gesamtzusammenhang, weil gerade diese Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und auch nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben gleichwohl Zweifel, können die Gerichte weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages und die praktischen Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechter zweckorientierten und gesetzeskonformen Regelungen führt (vgl. BAG, 19.11.2008 - 10 AZR 658/07 - AP Nr. 4 zu § 67 BMT-G II).

42

b) Der bei der gebotenen Zugrundelegung dieser Auslegungsmaßstäbe umfasst die tarifvertraglich vereinbarte vorherige Einschaltung der Tarifvertragsparteien und die ggf. erforderliche Anrufung der Einigungsstelle auch den vorliegenden Fall, in dem der Arbeitgeber vom Betriebsrat die Zustimmung zur Eingruppierung zweier Mitarbeiter begehrt.

43

aa) Zunächst ist der Wortlaut von § 2 Nr. 3 c) LTV - entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1) - keineswegs eindeutig. Zwar ist der Beteiligten zu 1) zuzugeben, dass im § 2 Nr. 3 c) Satz 1 LTV ausdrücklich davon die Rede ist, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat über die Einstufung eines Arbeitnehmers seien innerhalb von zwei Monaten nach "Antragstellung" die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen. Mit der Benutzung des Begriffes der Antragstellung ist aber keineswegs festgelegt, dass es sich dabei nur um einen Antrag im Sinne von § 2 Nr. 3 b) Satz 4 LTV handeln kann. Danach hat der Arbeitnehmer das Recht, beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat eineÄnderung der Eingruppierung oder Umgruppierung zu "beantragen". Bei dem Begriff des Antrages handelt es sich jedoch um einen allgemein geläufigen Begriff, der kennzeichnet, dass eine Seite von einer anderen Seite etwas begehrt. Notwendige und zulässige Anträge im Rahmen von Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsratüber die Einstufung eines Arbeitnehmers gibt es nicht nur im Fall des§ 2 Abs. 3 b) Satz 4 LTV, sondern stets dann, wenn der Arbeitgeber eine erstmalige Eingruppierung eines Mitarbeiters oder eine Umgruppierung im Rahmen eines bereits bestehenden Arbeitsverhältnisses vornehmen will. Auch in diesen Fällen hat der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrates zu beabsichtigten Ein- oder Umgruppierung einzuholen und entsprechend beim Betriebsrat zu beantragen.

44

bb) Die Systematik des § 2 Abs. 3 LTV spricht eindeutig dafür, dass die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Tarifvertragsparteien bzw. der Entscheidung der Einigungsstelle nicht nur in den Fällen besteht, in denen der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber oder Betriebsrat eine Änderung der Ein- oder Umgruppierung begehrt und es insoweit zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Geschäftsleitung und dem Betriebsrat kommt, sondern auch dann, wenn Auslöser für die Meinungsverschiedenheiten der Antrag des Arbeitgebers auf Zustimmung zur Ein- oder Umgruppierung eines bestimmten Arbeitnehmers oder mehrerer Arbeitnehmer ist. Zunächst ist § 2 LTV mit "allgemeine Bestimmungen" überschrieben. Das bringt zum Ausdruck, dass hier die Grundsätze der Lohnanwendungen in einem tarifgebundenen Betrieb aufgestellt werden. Insoweit bestimmt Nr. 1 grundsätzlich, soweit im Lohntarifvertrag nichts anderes vereinbart ist, dass der jeweils Manteltarifvertrag gilt. Ziffer 2 legt allgemein fest, dass sich die Lohntabellen aus der Anlage 1 ergeben. Ziffer 3 beschäftigt sich dann mit der Ein- oder Umgruppierung der Mitarbeiter. Insoweit sind drei selbstständige Untergliederungspunkte mit a), b) und c) gebildet worden. In a) wird der Grundsatz ausgeführt, dass die Arbeitnehmer vom Arbeitgeber unter Mitwirkung des Betriebsrates nach der Art ihrer Tätigkeit unter genauer Bezeichnung der Tätigkeit in die angeführten Lohngruppen eingestuft werden. Damit ist festgehalten, dass der Arbeitgeber bei den Einstufungen aktiv werden muss und nach der jeweiligen Art der Tätigkeit des Arbeitnehmers, die genau bezeichnet werden muss, diesen in die unter § 4 des Lohntarifvertrages angeführten Lohngruppen einzugruppieren hat. Dabei hat der Betriebsrat mitzuwirken.

45

§ 2 Nr. 3 b) LTV regelt das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Ein- oder Umgruppierung, betrifft also die individualrechtliche Ebene des Arbeitsvertrages. Insoweit ist zunächst bestimmt, dass dem Arbeitnehmer jede Ein- oder Umgruppierung schriftlich mitzuteilen ist, andernfalls entfallen hinsichtlich der Ein- oder Umgruppierung die tariflichen Ausschlussfristen. Hieraus erschließt sich unmissverständlich der individualrechtliche Regelungsgehalt des § 2 Nr. 3 b) LTV. In Satz 3 wird dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt, gegen seine Ein- oder Umgruppierung Einspruch einzulegen und zwar sowohl beim Arbeitgeber als auch beim Betriebsrat. Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer das Recht, beim Arbeitgeber oder beim Betriebsrat die Änderung der Ein- oder Umgruppierung zu beantragen. Während dem Arbeitnehmer also in § 2 Ziffer 3 b) Satz 3 LTV als reaktives Mittel gegen eine vom Arbeitgeber vorgenommene Ein- oder Umgruppierung die Möglichkeit des Einspruchs gegeben wird, räumt § 2 Nr. 3 b) Satz 4 LTV dem Arbeitgeber ein aktives Recht zur Beantragung der Änderung seiner Ein- oder Umgruppierung beim Arbeitgeber oder Betriebsrat ein. Dabei stellt Satz 5 ausdrücklich klar, dass abgesehen von den individualrechtlichen Ebenen in jedem Fall für die Mitwirkung des Betriebsrates die kollektivrechtlichen Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes uneingeschränkt gelten. Diese sollen nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien in keiner Art und Weise durch die individualrechtlichen Ansprüche des einzelnen Arbeitnehmers im Verhältnis zum Arbeitgeber eingeschränkt oder modifiziert werden. Das wäre rechtlich auch gar nicht möglich. Vor diesem Hintergrund kommt § 2 Nr. 3 b) Satz 5 LTV eine erkennbar klarstellende Funktion zu. Dem Arbeitnehmer soll vor Augen geführt werden, dass neben seinen eigenen individualrechtlichen Ansprüchen vom Arbeitgeber stets die betriebverfassungsrechtlichen Mitwirkungsrechte des Betriebsrates zu gewährleisten und zu beachten sind. Vor diesem Hintergrund ist § 2 Abs. 3 b) Satz 5 LTV keineswegs überflüssig. In § 2 Nr. 3 c) LTV wird dann festgelegt, wie bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat über die Einstufung des Arbeitnehmers zu verfahren ist. Er regelt also abweichend von § 2 Nr. 3 b) LTV die kollektivrechtliche Ebene, dabei handelt es sich allein schon vom Aufbau her um einen eigenständigen Regelungsbereich. Würde es sich bei den Regelungen in § 2 Nr. 3 c) LTV lediglich um Ergänzungen oder aufbauende Bestimmungen zu dem in § 2 Ziffer 3 b) LTV thematisierten Antrag des Arbeitnehmers handeln, hätten die Tarifvertragsparteien diese Regelung sinnvoller Weise sofort unter dem Untergliederungspunkt b) getroffen. Aus dem Umstand, dass sie stattdessen einen separaten Untergliederungspunkt c) gebildet haben, wird ersichtlich, dass es sich hierbei auch aus Sicht der Tarifvertragsparteien um eine eigenständige Regelungsmaterie handelt. In§ 2 Abs. 3 c) LTV haben die Tarifvertragsparteien bestimmt, dass bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsratüber die Einstufung eines Arbeitnehmers innerhalb von zwei Monaten nach Antragstellung die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen sind. Dabei wird aus dem Abstellen auf eine Antragstellung ersichtlich, dass die Tarifvertragsparteien nicht etwa - wie die Beteiligte zu 1) mutmaßt - jederzeit in "nicht Anlass bezogenen Streitigkeiten" hinzuzuziehen sind, sondern nur dann, wenn dem eine förmliche Antragstellung vorangegangen ist. Dieser Antrag kann sowohl vom Arbeitnehmer im Sinne von § 2 Nr. 3 b) LTV gestellt worden sein, es kann sich aber auch um einen ganz normalen betriebsverfassungsrechtlichen Antrag des Arbeitgebers an den Betriebsrat auf Zustimmung zu einer beabsichtigten Ein- oder Umgruppierung handeln. Damit ist der Anwendungsbereich des § 2 Nr. 3 c) LTV ausreichend begrenzt und eingrenzbar. Ist nach Hinzuziehung der Tarifvertragsparteien eine betriebliche Beilegung der Meinungsverschiedenheiten nicht möglich, soll nach § 2 Nr. 3 c) Satz 2 die Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG entscheiden. Einzuschalten bei der Beilegung von Meinungsverschiedenheiten sind also einerseits die Tarifvertragsparteien und andererseits die Betriebsparteien selbst.

46

cc) Hieraus erschließt sich letztendlich eindeutig der Sinn und Zweck der Regelung in § 2 Nr. 3 c) LTV. Im Rahmen der vorgerichtlichen Klärung von Meinungsverschiedenheiten zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat soll die unterstellte und zu Recht erwartete besondere Kompetenz sowohl der Tarifvertragsparteien, als Verfasser des Tarifvertrages samt seiner Lohntabellen, als auch der Betriebsparteien, die die tatsächlichen Gegebenheiten im Betrieb und die vom einzelnen Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung aus eigener praktischer Wahrnehmung und Anschauung kennen, eingebracht werden. Dass die Kombination dieser beiden Kompetenzen ohne Frage als geeignet erscheint, Meinungsverschiedenheiten auf substanzieller Art und Weise beizulegen, kann auch von der Beteiligten zu 1) nicht in Frage gestellt werden. Warum das nur den Arbeitnehmern im Vorfeld von individualrechtlichen Streitigkeiten und wegen der insoweit bestehenden Darlegungs- und Beweispflichten zu Gute zukommen soll, ist nicht ersichtlich. Vielmehr entspricht es Sinn und Zweck der Regelung, dieser Wissens- und Praxiskompetenz auch auf der kollektivrechtlichen Ebene Geltung zu verschaffen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass Tarifvertragsparteien nur den einzelnen Arbeitnehmer hiervon profitieren lassen wollen, während auf der kollektivrechtlichen Ebene diese Kompetenzen zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten nicht genutzt werden können.

47

c) Es ist also festzuhalten, dass die Beteiligte zu 1) nach § 2 Abs. 3 c) LTV innerbetrieblich dazu verpflichtet ist, bei Meinungsverschiedenheiten mit dem Betriebsrat über die Einstufung der Arbeitnehmer D. und F. innerhalb von zwei Monaten nach ihrem Antrag an den Betriebsrat, der von ihr begehrten Eingruppierung zuzustimmen, die Tarifvertragsparteien hinzuzuziehen. Soweit die Meinungsverschiedenheiten nach Hinzuziehung der Tarifvertragsparteien nicht beseitigt werden können, hat die Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG zu entscheiden.

48

3. Dieses Ergebnis begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das in § 2 Nr. 3 c) LTV geregelte Vorverfahren hat nicht den Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit zur Folge. Die ausschließliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit wird dadurch nicht berührt. Mit der Vereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien, dass Meinungsverschiedenheiten zunächst unter Hinzuziehung von Tarifvertragsparteien geklärt werden sollen und wenn das nicht möglich ist, die Einigungsstelle gemäß § 76 BetrVG zu entscheiden hat, haben die Tarifvertragsparteien keine Regelung dazu getroffen, welche Wirkung die Entscheidung der Einigungsstelle hat, insbesondere, ob die Entscheidung für die Betriebspartner verbindlich ist und eine Anrufung der Arbeitsgerichte ausschließt. Letzteres wäre ohne Frage nicht möglich, weil dann, wenn der Einigungsstelle die verbindliche und endgültige Entscheidung über Rechtsfragen übertragen würde, damit der Ausschluss der Entscheidungskompetenzen der Gerichte für Arbeitssachen einhergehen würde. Nach § 4 ArbGG kann die Arbeitsgerichtsbarkeit jedoch nur in den Fällen des § 2 Abs. 1 und 2 und auch nur nach Maßgabe der §§ 101 bis 110 ArbGG ausgeschlossen werden. Für die in § 2 a) Abs. 1 Nr. 1 ArbGG geregelten Fälle der "Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungsgesetz" ist daher ein Ausschluss der Arbeitsgerichtsbarkeit nicht möglich. Das gemäß § 2 Nr.3 c) LTV vorgeschaltete Tarifvertragsparteien- und Einigungsstellenverfahren hat daher nur die Bedeutung eines außergerichtlichen Vorverfahrens. Die Vereinbarung eines solchen "außergerichtlichen Vorverfahrens" wird jedoch durch § 4 ArbGG nicht ausgeschlossen, sondern in § 76 Abs. 6 und 8 BetrVG ausdrücklich für zulässig erklärt.

49

4. Treffen also die Betriebspartner bzw. Tarifvertragsparteien eine solche Vereinbarung, dann sind sie im Verhältnis zueinander verpflichtet, im Falle einer Streitigkeit zunächst den vorgezeichneten Weg einer innerbetrieblichen Einigung zu gehen. Daraus folgt, dass der Antrag des Arbeitgebers, der ohne Versuch einer vorherigen innerbetrieblichen Einigung sofort eine gerichtliche Entscheidung des zwischen den Beteiligten bestehenden Meinungsstreites anstrebt, unzulässig ist (vgl. BAG, 20.11.1990 - 1 ABR 45/89 - AP Nr. 43 zu § 76 BetrVG 1972). Die Vereinbarung der Entscheidungskompetenz der Einigungsstelle hat die Konsequenz, dass die Anrufung des Gerichtes erst nach Durchführung des Einigungsstellenverfahrens zulässig ist, vorher fehlt das Rechtschutzinteresse (Germelmann, 7. Aufl., Arbeitsgerichtsgesetz, § 4 Rn. 4).

50

5. Dies hat das Arbeitsgericht Osnabrück zutreffend erkannt und den Antrag der Beteiligten zu 1) zu Recht zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) war zurückzuweisen.

51

III. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde war nicht veranlasst, §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG.