Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.02.2012, Az.: 8 Sa 263/11

Anspruch aus einzelvertraglich vereinbarten tariflichen Bestimmungen nach Günstigkeitsvergleich bei unbegründetem Verwirkungseinwand des Arbeitgebers; Teilurteil auf Feststellungsantrag des Arbeitnehmers

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
13.02.2012
Aktenzeichen
8 Sa 263/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 16249
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2012:0213.8SA263.11.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 11.12.2013 - AZ: 4 AZR 250/12

Amtlicher Leitsatz

Ein Arbeitnehmer disponiert durch seine Widerspruchlose Weiterarbeit in einer 38-Stunden-Woche ohne Lohnansprüche über einen längeren Zeitraum über die geltenden Arbeitsbedingungen nicht ohne Weiteres. Eine spätere Geltendmachung des Rechts kann auch in diesem Fall noch möglich sein. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalls.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 01.02.2011 - 5 Ca 17/10 - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen der Tarifverträge der A. AG mit Tarifstand 24. Juni 2007 Anwendung finden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, inwieweit tarifliche Regelungen aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme neben Normen, die kraft Tarifbindung gelten, auf ihr Arbeitsverhältnis Anwendung finden und ob die Geltendmachung dieses Rechts nach zweieinhalbjähriger Untätigkeit verwirkt ist. In diesem Zusammenhang streiten die Parteien um die Gutschrift von Überstunden und die Zahlung von Vergütung.

2

Der Kläger, Mitglied der Gewerkschaft B., ist seit Januar 1975 in der Niederlassung A-Stadt bei der Beklagten bzw. bei ihren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Er ist freigestelltes Betriebsratsmitglied. Sein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 30. Januar 1975, der seinerzeit mit der Deutschen Bundespost geschlossen wurde, enthält folgende Vereinbarung:

3

"Die Bestimmungen des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost gelten in ihrer jeweiligen Fassung als unmittelbar zwischen den Vertragsparteien vereinbart."

4

Bereits im Jahre 1990 entstanden im Zuge der sog. Postreform I aus der Deutschen Bundespost die einzelnen Geschäftsbereiche - sog.öffentliche Unternehmen - Postdienst, Postbank und Fernmeldedienst, die nach wie vor (Teil-)Sondervermögen des Bundes bildeten. Der Kläger verblieb im Geschäftsbereich Deutsche Bundespost - Fernmeldedienst (ab 1992 Deutsche Bundespost - C.). Die Geschäftsbereiche wurden bei der sog. Postreform II durch das Gesetz zur Umwandlung der Unternehmen der Deutschen Bundespost in die Rechtsform der Aktiengesellschaft (vom 14. September 1994, BGBl. I S. 2325, 2339 - Postumwandlungsgesetz) privatisiert. Aus dem Geschäftsbereich Fernmeldebau- und Werkstättendienst, in dem der Kläger tätig gewesen war, entstand die A. (nachfolgend A. AG). Das Arbeitsverhältnis des Klägers wurde zum 1. Januar 1995 auf die A. AGübergeleitet.

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Die A. AG vereinbarte in der Folgezeit mit der Deutschen Postgewerkschaft (DPG) Tarifverträge, die die zwischen der Deutschen Bundespost und der DPG geschlossenen "Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost" (nachfolgend TV Arb) für den Bereich der A. AG abänderten. Eine weitgehende Ablösung der vormals mit der Deutschen Bundespost geschlossenen und auch noch nachfolgend geänderten Tarifverträge erfolgte anlässlich der Einführung des "Neuen Bewertungs- und Bezahlungssystems - NBBS" zum 1. Juli 2001 in einem gesonderten Übergangstarifvertrag, dem Tarifvertrag zur Umstellung auf das NBBS.

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Im Jahre 2007 gründete die A. AG drei D.-Service Gesellschaften, darunter die Beklagte. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ging infolge Betriebsübergangs mit dem 25. Juni 2007 auf diese über. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden die jeweiligen Tarifverträge der Deutschen Bundespost und später die der A. AG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien angewendet. Die Beklagte schloss ebenfalls am 25. Juni 2007 mit der Gewerkschaft B. Haustarifverträge ab, darunter den Manteltarifvertrag (MTV DTTS) und den Entgeltrahmentarifvertrag (ERTV DTTS), die von den Tarifverträgen der A. AG jedenfalls bei der Arbeitszeit und beim Entgelt Abweichungen enthalten. Mit einem Unterrichtungsschreiben vom 17. Juli 2007 der Beklagten und der A. AG, auf das Bezug genommen wird (Bl. 56 bis 63 d. A.), wurde der Kläger über den Betriebsübergang und seine rechtlichen Folgen informiert. In dem Schreiben heißt es zu Ziffer II. 2b) dd):

7

"Ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs 38 Stunden sofern Sie Vollzeitarbeitnehmer sind. Haben Sie bei der A. AG bisher 34 Wochenstunden in Vollzeit gearbeitet, wird Ihre Arbeitszeit ohne Lohnausgleich auf 38 Wochenstunden angehoben".

8

Mit Schreiben vom 6. Januar 2010 machte der Kläger erfolglos Ansprüche nach den vormals bei der A. AG bestehenden Tarifverträgen geltend, soweit sie günstiger als die tariflichen Regelungen der DTTS sind. Insbesondere begehrte er, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von nur 34 Stunden beschäftigt zu werden.

9

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein Feststellungsantrag, auf das Arbeitsverhältnis die Tarifverträge der A. AG mit dem Regelungsbestand vom 24. Juni 2007 im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs anzuwenden, sei zulässig. Die Hilfsanträge seien für den Fall der Unzulässigkeit des Hauptantrages gestellt. Der Anspruch sei nicht verwirkt. Die Arbeitszeit sei von dem Arbeitsentgelt zu trennen. Die 34-stündige wöchentliche Arbeitszeit für sich betrachtet sei günstiger als eine 38-Stunden-Woche.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen der Tarifverträge der A. AG mit Tarifstand 24. Juni 2007 kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung finden, soweit sie günstiger sind als die Tarifverträge der E: GmbH,

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2. die Beklagte zu verpflichten, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für den Zeitraum 1. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 104,8 Stunden gutzuschreiben,

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3. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34 Stunden entsprechend dem Manteltarifvertrag der A. AG (Tarifstand: 24.06.2007) zu beschäftigen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hat ausgeführt, die Klage sei unzulässig, da sie keine Klarheit darüber schaffe, inwieweit die Tarifverträge der A. AG anwendbar seien. Der Kläger müsse diejenigen Regelungskomplexe bezeichnen, die auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollen. Es fehle das Feststellungsinteresse. Darüber hinaus sei die Klage unbegründet. Der Anspruch des Klägers sei verwirkt. Jedenfalls sei die arbeitsvertraglich in Bezug genommene wöchentliche Arbeitszeit des Tarifvertrages A. AG durch konkludente Vereinbarung auf die im Haustarifvertrag geltende 38-stündige Wochenarbeitszeit abgeändert worden.

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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat die vom Kläger begehrten Ansprüche für verwirkt gehalten; sowohl das Zeit- als auch das Umstandsmoment seien erfüllt. Erst rund zweieinhalb Jahre nach dem Betriebsübergang habe der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche geltend gemacht. Wäre das Zeitmoment nicht eher als mit Ablauf der Verjährung erfüllt, sei der Tatbestand der Verwirkung überflüssig. Aufgrund des Informationsschreibens vom 17. Juli 2007 und der betrieblichen Praxis sei nicht unklar geblieben, dass die Beklagte die Regelungen des Haustarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis des Klägers anwende. Der Kläger habe auch gewusst, dass ihm wegen der tariflichen Ausschlussfristen etwaige Ansprüche aus dem A. AG verloren gingen. Gleichwohl habe er sich hiergegen nicht gewehrt. Dieses Verhalten habe die Beklagte nur dahin verstehen können, der Kläger sei mit der tatsächlichen Handhabung einverstanden. Unerheblich sei, dass im Jahre 2008 vergleichbare Fälle im Sinne des Klägers gerichtlich entschieden worden seien. Die Beklagte habe dem Schweigen des Klägers entnehmen können, dieser werde sie später nicht mehr in Anspruch nehmen. § 4 Abs. 4 TVG greife nicht, weil die Tarifverträge der A. AG nur aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung fänden.

18

Gegen dieses ihm am 8. Februar 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 25. Februar 2011 Berufung eingelegt, die er innerhalb der verlängerten Frist am 6. Mai 2011 begründet hat.

19

Er verbleibt bei seiner bereits in erster Instanz vertretenen Auffassung nach Maßgabe seiner Schriftsätze vom 5. Mai 2011, vom 7. November 2011, vom 7. Januar 2012, vom 18. Januar 2012 und vom 22. Januar 2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 119 bis 124; 245 bis 264; 294 bis 305; 392 bis 407; 409 bis 411 d. A.). Insbesondere hält er eine Verwirkung seiner Ansprüche nicht für gegeben. Es fehle am Umstandsmoment. Dieses ergebe sich nicht daraus, dass die Ansprüche trotz Unterrichtung im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang und entsprechender Umsetzung zweieinhalb Jahre lang nicht geltend gemacht worden seien.

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Nach klagerweiternden Hilfsanträgen und teilweiser Rücknahme der Klage beantragt der Kläger zuletzt,

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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 1. Februar 2011 - 5 Ca 17/10 -

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1. festzustellen, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen der Tarifwerke der A. AG mit Tarifstand 24. Juni 2007 Anwendung finden,

23

hilfsweise festzustellen, dass sich die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers nach dem Manteltarifvertrag der A. AG mit Tarifstand 24. Juni 2007 richtet und 34 Wochenstunden beträgt,

24

2. die Beklagte zu verpflichten, dem Arbeitszeitkonto des Klägers für den Zeitraum 1. Juli 2009 bis 31. Dezember 2009 90,9 Stunden gutzuschreiben,

25

hilfsweise, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 2.239,08 Euro brutto zuzüglich von Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen,

26

3. die Beklagte zu verpflichten, den Kläger mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34 Stunden entsprechend dem Manteltarifvertrag der A. AG (Tarifstand: 24.06.2007) zu beschäftigen,

27

hilfsweise, festzustellen, dass die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Klägers gem. § 11 Abs. 1 MTV der A. AG (Tarifstand 24.06.2007) 34 Stunden beträgt.

28

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

30

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 11. Juli 2011 und der Schriftsätze vom 10. November 2011 und vom 16. Januar 2012, auf deren Inhalt Bezug genommen (Bl. 171 bis 211; 274 bis 279; 359 bis 375 d. A.).

31

Zu den Ausführungen der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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I. Die Berufung, soweit hier über sie entschieden worden ist, ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG; §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO iVm § 66 Abs. 1 und 2 ArbGG). Auch die Erweiterung durch neu in das Berufungsverfahren eingeführte Hilfsanträge und die teilweise Rücknahme sind zulässig.

33

II. Die Berufung ist auch, soweit vorliegend über sie entschieden ist, begründet. Der Anspruch ist nicht verwirkt. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Feststellung, dass der A. AG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien im Wege des Günstigkeitsvergleichs Anwendung findet. Der Hilfsantrag zu Ziffer 1. fällt nicht zur Entscheidung an.

34

1. Der Antrag ist zulässig. Er ist so zu verstehen, dass der Kläger die Anwendbarkeit der im Antrag genannten Tarifverträge ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs nach Maßgabe des Günstigkeitsprinzips gem. § 4 Abs. 3 TVG neben dem für ihn nach§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend geltenden Haustarifvertrag festgestellt wissen will. Das folgt aus den Begründungen des Klägers in all seinen Schriftsätzen und in der mündlichen Verhandlung. Der Antrag ist hinreichend bestimmt; ihm fehlt nicht das erforderliche Feststellungsinteresse (vgl. BAG v. 6. Juli 2011 - 4 AZR 494/09 - EzA-SD 2011, Nr. 24, 13 = ArbR 2011, 640).

35

a. Der Kläger hat ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung nach § 256 Abs. 1 ZPO, denn die Beklagte beruft sich auf Verwirkung. Die Anwendbarkeit eines bestimmten Tarifvertrages oder von Tarifwerken auf ein Arbeitsverhältnis kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein (BAG v. 6. Juli 2011 - 4 AZR 494/09 - aaO.; v. 26. Januar 2011 - 4 AZR 333/09 - EzA-SD 2011, Nr. 11 = EzTöD 100 § 2 TVöD-AT Bezugnahmeklausel Nr. 30; v. 22. Oktober 2008 - 4 AZR 784/07 - BAGE 128, 165 = AP Nr. 66 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).

36

b. Der Antrag ist hinreichend bestimmt. Insbesondere ist der Kläger nicht gehalten, diejenigen tariflichen Regelungsbereiche des A. AG zu benennen, die er für günstiger im Sinne von § 4 Abs. 3 TVG hält und sie deshalb auf sein Arbeitsverhältnis angewendet wissen will. Der Kläger begehrt insgesamt zunächst nur die allgemeine Feststellung der Geltung des A. AG nach Maßgabe des Günstigkeitsprinzips gem. § 4 Abs. 3 TVG neben dem für ihn nach§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG unmittelbar und zwingend geltenden Haustarifvertrag. Das ist zulässig (BAG v. 6. Juli 2011 - 4 AZR 494/09 - aaO.; v. 26. Januar 2011 - 4 AZR 333/09 - aaO.; v. 22. Oktober 2008 - 4 AZR 784/07 - aaO.).

37

c. Der Kläger hat das erforderliche Feststellungsinteresse, denn die Beklagte bestreitet, auf das Arbeitsverhältnis des Klägers den A. AG im Wege des Günstigkeitsvergleichs anwenden zu müssen. Die Rechtskraft der Entscheidung schließt weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex aus. Denn mit der Entscheidung, ob der A. AG auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft vertraglicher Bezugnahme anzuwenden ist, wird eine Vielzahl von Einzelfragen dem Streit der Parteien entzogen, die sich daran knüpfen, ob überhaupt die Tarifverträge der A. AG auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind. Das rechtfertigt die Annahme eines rechtlichen Interesses (BAG v. 6. Juli 2011 - 4 AZR 494/09 - aaO.; v. 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 - BAGE 67, 330 [BAG 20.03.1991 - 4 AZR 455/90]). Hierfür sprechen auch dann prozessökonomische Gründe (BAG 2. Oktober 1990 - 4 AZR 106/90 - BAGE 66, 95), wenn es nachfolgend doch noch zu Streitigkeiten darüber kommen sollte, ob für einzelne Rechte und Pflichten die Tarifverträge der A. AG als günstigere einzelvertragliche Regelung anwendbar sind oder durch die haustarifvertragliche Regelung verdrängt werden. Diese Frage müsste sonst stets dann neu geklärt werden, wenn ein nachfolgender Tarifvertrag mit anderen Reglungsinhalten in Kraft tritt. Zwischen den Parteien wird auch insoweit jedenfalls im Grundsatz geklärt, dass auch die Tarifverträge der A. AG anwendbar sind (vgl. BAG v. 6. Juli 2011 - 4 AZR 494/09 - aaO.). Der Kläger ist daher nicht gehalten, nur eine Vielzahl von Leistungsklagen zu erheben, um die Anwendbarkeit einzelner tariflicher Regelungsbereiche klären zu lassen; er kann diese verbinden mit einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1, Abs. 2 ZPO. Die Feststellung, ob die tariflichen Regelungen der A. AG günstiger sind, ist möglich (BAG v. 6. Juli 2011 - 4 AZR 494/09 - aaO.). Sie geschieht nach dem Grundsatz des Sachgruppenvergleichs.

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2. Der Anspruch des Klägers ist nicht verwirkt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann das Recht, eine Klage zu erheben, verwirkt werden mit der Folge, dass eine gleichwohl erhobene Klage unzulässig ist (BAG v. 19.02.2009 - 8 AZR 176/08 - NZA 2009, 1095 = AP Nr. 368 zu § 613a BGB; BAG v. 24.05.2006 - 7 AZR 365/05 - EzAÜG§ 10 AÜG Fiktion Nr. 114).

39

a. Die Verwirkung ist ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB), die dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit dient. Sie hat nicht den Zweck, Schuldner, denen gegenüber Gläubiger ihre Rechte längere Zeit nicht geltend gemacht haben, von ihrer Pflicht zur Leistung vorzeitig zu befreien. Deshalb kann allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Es müssen vielmehr zu dem Zeitmoment besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch des Verpflichteten hinzutreten (Umstandsmoment), die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten als unzumutbar anzusehen (BAG v. 14. Februar 2007 - 10 AZR 35/06 - EzA § 242 BGB 2002 Verwirkung Nr. 2). Der Berechtigte muss unter solchen Umständen untätig geblieben sein, die den Eindruck erwecken konnten, er wolle sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass der Verpflichtete sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Bei den an das Zeit- und Umstandsmoment zu stellenden Anforderungen ist zu berücksichtigen, dass durch die Annahme einer prozessualen Verwirkung der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigenden Weise erschwert werden darf (vgl. BAG v. 24. Mai 2006 - 7 AZR 365/05 - EzAÜG § 10 AÜG Fiktion Nr. 114; v. 28. Oktober 2008 - 3 AZR 171/07 - NZA-RR 2009, 499).

40

b. Bei Anwendung dieser Grundsätze durfte die Beklagte im Streitfall nicht darauf vertrauen, der Kläger werde gerichtlich gegen sie nicht mehr vorgehen. Zwar liegt das Zeitmoment, nicht aber das zusätzlich erforderliche Umstandsmoment vor. Es fehlt an besonderen Umständen im Verhalten des Berechtigten und des Verpflichteten, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für die Beklagte als unzumutbar anzusehen.

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aa. Hinsichtlich des Zeitmoments ist nicht auf eine feststehende Monatsfrist abzustellen, sondern auf die konkreten Umstände des Einzelfalles. Dabei ist davon auszugehen, dass bei schwierigen Sachverhalten die Rechte des Arbeitnehmers erst nach längerer Untätigkeit verwirken können. Ferner ist die Länge des Zeitablaufs in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment zu setzen. Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände sind, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, desto schneller kann ein Anspruch verwirken (vgl. z. B. BAG v. 12. November 2009 - 8 AZR 370/07 - AP Nr. 381 zu § 613a BGB; v. 23. Juli 2009 - 8 AZR 357/08 - EzA § 613a BGB 2002 Nr. 113 = AP Nr. 10 zu § 613a BGB Widerspruch; v. 27. November 2008 - 8 AZR 174/07 - EzA § 613a BGB 2002 Nr. 106 = AP Nr. 363 zu § 613a BGB). Entscheidend ist eine Gesamtbetrachtung (BAG v. 2. April 2009 - 8 AZR 178/07 - ZIP 2009, 2307 = AP Nr. 9 zu § 613a BGB Widerspruch). Das Bundesarbeitsgericht hat das Zeitmoment schon nach 17 Monaten (BAG v. 3. November 2009 - 8 AZR 530/07 - NJW 2010, 1302 = NZA 2010, 761 [BAG 12.11.2009 - 8 AZR 530/07]) oder nach 15 bzw. 15,5 Monaten (BAG v. 2. April 2009 - 8 AZR 473/07 - AP Nr. 9 zu § 613a BGB Unterrichtung; v. 23. Juli 2009 - 8 AZR 357/08 - aaO.), sogar bereits nach zehn Monaten (BAG v. 27. November 2008 - 8 AZR 225/07 - ArbRB 2009, 229 = AP Nr. 364 zu § 613a BGB) als erfüllt angesehen.

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(1) Vorliegend ist das Zeitmoment erfüllt. Der Kläger hat seinen Anspruch und nach dessen Ablehnung die vorliegende Klage erst nach längerer Zeit erhoben. Zweieinhalb Jahre nach Zugang des Informationsschreibens über den Betriebsübergang und Anwendung der Haustarifverträge hat er seine Ansprüche geltend gemacht. Der Zeitraum ist in Bezug auf die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche erheblich zu nennen.

43

(2) Spätestens mit Zugang des gemeinsamen Unterrichtungsschreibens der Beklagten und der A: AG vom 17. Juli 2007 war der Kläger über den Betriebsübergang und die damit verbundenen rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen, wie sie die Beklagte sieht, informiert. Mit mehrseitigem Schreiben unterrichteten ihn beide über die zum 1. Juli 2007 geänderten Arbeitsbedingungen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wusste er also, wie die Beklagte die streitgegenständliche Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag auslegte. Er wusste, dass sie von ihm zukünftig eine wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden abforderte. Da sie zudem die geänderten tariflichen Arbeitsbedingungen ab dem 1. Juli 2007 auch tatsächlich umsetzte, erhielt der Kläger auch aufgrund der tatsächlichen Handhabung unmittelbare Kenntnis hiervon. Dennoch rügte er dies nicht sogleich, sondern forderte die Beklagte erstmalig mit Schreiben vom 6. Januar 2010, also zweieinhalb Jahre nach dem Betriebsübergang und einer Beschäftigungszeit von regelmäßig 38 Stunden pro Woche, zur Anwendung der A. AG und Beachtung einer wöchentlichen Arbeitszeit von 34 Stunden auf.

44

bb. Es fehlt jedoch am Umstandsmoment. Auch durch seine Untätigkeit über einen längeren Zeitraum hat der Kläger bei der Beklagten keinen Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen, seine einzelvertraglich vereinbarten tariflichen Bestimmungen, soweit sie aufgrund der in Bezug genommenen tariflichen Regelungen günstiger sind, künftig nicht mehr einfordern zu wollen. Das gilt auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sich die Arbeitsbedingungen nach dem Betriebsübergang für den Kläger erheblich veränderten, weil der Kläger seit Juli 2007 u. a. wöchentlich - wie gefordert - regelmäßig 38 Stunden anfangs ohne Lohnausgleich arbeitete und damit die tatsächlichen arbeitsvertraglichen Veränderungen unmittelbar wahrnahm.

45

(1) Mit der Verwirkung wird nur die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen. Sie dient dem Vertrauensschutz (vgl. BAG v. 14. Februar 2007 - 10 AZR 35/06 - aaO.) und verfolgt nicht den Zweck, den Schuldner stets dann von seiner Verpflichtung zu befreien, wenn der Gläubiger längere Zeit seine Rechte nicht geltend gemacht hat. Das Zeitmoment ist nur eine der Voraussetzungen der Verwirkung. Ihm wird durch vereinbarte Ausschluss- oder auch Verjährungsfristen Rechnung getragen.

46

Das Umstandsmoment ist nur dann erfüllt, wenn der Berechtigte unter Umständen untätig geblieben ist, die in dem Verpflichteten den Eindruck erweckt haben, er wolle sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass dieser sich darauf einstellen durfte, nicht mehr in Anspruch genommen zu werden. Hierbei muss das Erfordernis des Vertrauensschutzes auf Seiten des Verpflichteten das Interesse des Berechtigten derart überwiegen, dass ihm die Erfüllung des Anspruchs nicht mehr zuzumuten ist (vgl. z. B. BAG v. 12. November 2009 - 8 AZR 530/07 - aaO.). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben, denn es fehlt an besonderen Umständen, die diesen Eindruck erwecken.

47

(2) Weder das Unterrichtungsschreiben der Beklagten und der A. AG vom 17. Juli 2007 noch das Schweigen des Klägers rechtfertigen es, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für die Beklagte als unzumutbar anzusehen. Der Kläger hat durch seine widerspruchslose Weiterarbeit in einer 38-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich über einen längeren Zeitraum über seine geltenden Arbeitsbedingungen nicht disponiert.

48

(a) So enthielt das Informationsschreiben lediglich die Mitteilung einer einseitig bestehenden Rechtsauffassung, nämlich die der Beklagten und der A. AG, die zudem in Teilen der Rechtslage, wie sie höchstrichterlich vertreten wird (BAG v. 6 Juli 2011 - 4 AZR 494/09 - aaO.), nicht entspricht.

49

Die Beklagte hat die hier streitgegenständliche Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag des Klägers zudem nicht berücksichtigt und sich mit ihr in dem Informationsschreiben nicht im Einzelnen auseinandergesetzt. Im Gegenteil bringt sie unmissverständlich zum Ausdruck, dass mit dem Vollzug des Betriebsübergangs nunmehr die in ihrem Unternehmen geltenden Tarifverträge zur Anwendung kämen und die früheren tariflichen Regelungen der A. AG ihre Wirkung verlören. Damit wird dem Kläger entgegen der objektiv bestehenden Rechtslage suggeriert, die tariflichen Regelungen der Beklagten lösten die bisher geltenden vollständig ab. Bereits wegen dieser fehlerhaften Unterrichtung kann das Schreiben keinen Vertrauensschutz entfalten.

50

(b) Unerheblich ist, dass für den Kläger ab Juli 2007 feststand, die Beklagte wende die bisher geltenden Tarifverträge nicht mehr an. Auch dies begründet das Umstandsmoment nicht. Allein dem Schweigen des Klägers und seinem widerspruchslosen Weiterarbeitenüber einen längeren Zeitraum ist nicht zu entnehmen, er wolle auf seine Ansprüche verzichten und sie zukünftig nicht mehr geltend machen. Einerseits kann nur aus der bloßen - widerspruchslosen - Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch im Fall verschlechterter Arbeitsbedingungen regelmäßig nicht auf das Einverständnis des Arbeitnehmers mit der Vertragsänderung geschlossen werden (vgl. BAG v. 25. November 2011 - 10 AZR 779/08 - EzA § 242 BGB 2002 Betriebliche Übung Nr. 11 = AP Nr. 87 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Andererseits war die Frage der Anwendung des A. AG nach dem Betriebsübergang nicht unumstritten. In der Folgezeit wurden hierüber Rechtsstreite geführt, wenn auch nicht vom Kläger. Bereits deswegen konnte ein Vertrauenstatbestand nicht begründet werden.

51

Hinzu kommt Folgendes: Der Kläger befindet sich in einem laufenden Arbeitsverhältnis. Dieses war von der A. AG im Wege des Betriebsübergangs auf die Beklagte übergegangen. Die Beklagte hatte die Veränderung der Arbeitsbedingungen einseitig angeordnet, einen neuen Tarifvertrag abgeschlossen. Die hiermit zusammenhängenden Rechtsfragen können als schwierig bezeichnet werden. Das gilt ebenfalls für die Frage, welche Tarifregelungen in welchem Verhältnis auf Arbeitsverhältnisse wie das des Klägers Anwendung finden. Hierüber musste eine höchstrichterliche Entscheidung herbeigeführt werden. Die Rechtsfrage wurde von den Instanzgerichten und dem Bundesarbeitsgericht nicht einheitlich beantwortet. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts sollte gerade im Grundsatz klären, ob auch die Tarifverträge der A. AG anwendbar sind. Die Beklagte war diejenige, die eine Grundsatzentscheidung begehrte.

52

Vor diesem Hintergrund konnte die Beklagte nicht darauf vertrauen, von der Rechtsfrage Betroffene - wie der Kläger - würden eventuell sich aus der Entscheidung ergebende Ansprüche, soweit sie nicht verfallen oder verjährt sind, nicht mehr verfolgen. Tatsächlich beruhte ihr Vertrauen auch nicht auf dem Verhalten des Klägers. Vielmehr war sie selbst von der Richtigkeit ihrer Erklärungen in dem Informationsschreiben überzeugt.

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(3) Unerheblich ist, dass nach beiden Tarifwerken eine sechsmonatige tarifliche Ausschlussfrist gilt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung ist von dem der tariflichen Verfallfristen zu unterscheiden. Ausschlussfristen verhindern, dass Ansprüche für einen zurückliegenden Zeitraum noch eingefordert werden können. Sie stellen regelmäßig nur auf den Zeitablauf ab.

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(4) Dass die Beklagte sich nach einem längeren Zeitablauf auf die unterbliebene Geltendmachung der nunmehr klageweise begehrten Tarifgeltung eingerichtet hat, begründet den Einwand der Verwirkung ebenfalls nicht. Denn es kommt nicht auf die einseitig subjektive Bewertung des Verpflichteten an. Vielmehr gilt ein objektiver Maßstab.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO.

56

IV. Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Insbesondere weicht die Entscheidung von der zu einem gleich gelagerten Sachverhalt ab.