Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.07.2012, Az.: 1 TaBV 42/12

Einwand des Rechtsmissbrauchs bei einer Ausnahme von der Sozialplanfpflicht nach § 112a Abs. 2 S. 2 BetrVG; Zuständigkeit der Einigungsstelle

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
31.07.2012
Aktenzeichen
1 TaBV 42/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 22681
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2012:0731.1TABV42.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Göttingen - 30.03.2012 - AZ: 4 BV 4/12

Fundstelle

  • ArbR 2012, 489

Amtlicher Leitsatz

Eine Ausnahme von der Sozialplanpflicht nach § 112a Abs. 2 Satz 2 BetrVG kann am Einwand des Rechtsmissbrauchs scheitern. Gibt es hierzu Anhaltspunkte, kann eine offensichtliche Unzuständigkeit der angerufenen Einigungsstelle nicht festgestellt werden.

Tenor:

Die Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Göttingen vom 30.03.2012 - 4 BV 4/12 - wird zurückgewiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten im zweiten Rechtszug im Wesentlichen darüber, ob eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Abschluss eines Sozialplans wegen Betriebsstilllegung zum 30.06.2012" daran scheitert, dass die zum Konzern der A. gehörende Arbeitgeberin am 27. August 2008 gegründet wurde und den B. Betrieb zum 01. Dezember 2008 von der C. GmbH, einer Tochtergesellschaft der D. AG, übernommen hat und deshalb nach § 112 a Abs. 2 BetrVG nicht sozialplanpflichtig sei. Im Übrigen werden weiterhin gegen die Person des im ersten Rechtszug bestellten Einigungsstellenvorsitzenden, dem Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Walkling, Bedenken geltend gemacht.

2

Zur Sachverhaltsdarstellung wird des Weiteren der erstinstanzliche Beschluss (Blatt 86 - 88 d. A.) in Bezug genommen.

3

Das Arbeitsgericht hat antragsgemäß zum oben genannten Regelungsgegenstand den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Niedersachsen Tobias Walkling bestimmt und die Anzahl der Beisitzer für jede Betriebspartei auf 3 festgesetzt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen sinngemäß ausgeführt, dass die Anrufung einer Einigungsstelle bereits grundsätzlich dann möglich sei, wenn der Regelungsgegenstand nach der subjektiven Einschätzung einer der Betriebsparteien nicht ohne fremde Hilfe einer möglichst einvernehmlichen Lösung zugeführt werden könne. Die bereits geführten Gespräche zwischen den Betriebsparteien seien ohne Ergebnis geblieben; die Arbeitgeberin habe im Verlauf des Verfahrens erklärt, keinen Sozialplan mehr abschließen zu wollen. In einem solchen Fall bedürfe es keiner weitergehenden Verhandlungen. Der Betriebsrat könne dann die Einigungsstelle gerichtlich einsetzen lassen. Eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle liege zum Regelungsgegenstand hier nicht vor, da es sich bei der beabsichtigten Schließung im Grundsatz um eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG handele. Das sogenannte Neugründungsprivileg des § 112 a Abs. 2 BetrVG stehe hier der Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat nicht entgegen, auch wenn der Vier-Jahres-Zeitraum des § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG weder zum Zeitpunkt des Stilllegungsbeschlusses noch zum Zeitpunkt des Beginns oder des voraussichtlichen Endes der Betriebsänderung abgelaufen sei. Ob hier genügend Tatsachen für eine rechtliche Umstrukturierung im Sinne des Satzes 2 der zuletzt genannten Bestimmung oder für einen Rechtsmissbrauch vorgetragen worden seien, bleibe unerheblich. Dies gelte auch vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Juni 2006 - 1 ABR 18/05. Maßgeblich sei, dass § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG nach seinem Wortlaut lediglich die Anwendung des § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG ausschließe, nicht aber die Anwendung des § 112 Abs. 2 und 3 BetrVG, so dass eine Anrufung der Einigungsstelle auch im Anwendungsbereich des § 112 a Abs. 2 BetrVG nicht gesperrt sei. In diesem Fall seien nur die Gestaltungsmöglichkeiten der Einigungsstelle begrenzt; sie könne nur auf eine Einigung der Parteien hinwirken und allenfalls Empfehlungen beschließen. Auf Grund des hierzu geführten Meinungsstreits im Schrifttum handele es sich letztlich um eine offene Rechtsfrage mit Argumenten für beide Seiten, so dass eine offensichtliche Unzuständigkeit der angerufenen Einigungsstelle nicht festgestellt werden könne. Zur Person des benannten Einigungsstellenvorsitzenden habe die Arbeitgeberin keine nachvollziehbaren Bedenken vorgebracht, weil ansonsten jeder Vorschlag einer Seite zu Zweifeln an der Unparteilichkeit führen müsste. Der zu beurteilende Sachverhalt, insbesondere die Bewertung der Voraussetzungen des gesetzlichen Neugründungsprivilegs in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht seien so komplex, dass eine von der Regelbesetzung abweichende Benennung von je 3 Beisitzern auf jeder Seite angemessen sei. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf Blatt 88 - 92 d. A. Bezug genommen.

4

Gegen den ihr am 5. April 2012 (Blatt 94) zugestellten Beschluss des Arbeitsgerichts Göttingen hat die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) Beschwerde nebst Begründung beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingehend am 18. April 2012 eingelegt (Blatt 97 d. A.).

5

Sie vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 17. April 2012. Die Beteiligte zu 2) hält an den Bedenken gegen die Benennung des erstinstanzlich eingesetzten Einigungsstellenvorsitzenden Walkling fest. Das Arbeitsgericht habe sich ferner mit dem Eingreifen des Neugründungsprivilegs fehlerhaft nicht auseinandergesetzt. Das im Falle einer Umstrukturierung ausgeschlossene Neugründungsprivileg greife nur bei konzerninternen Umstrukturierungen, nicht aber wie im vorliegenden Fall bei Neugründungen außerhalb des Konzerns. Der von der Betriebsratsseite behauptete Rechtsmissbrauch im Zusammenwirken der D. mit ihrem Mutterkonzern, der A. werde "ins Blaue hinein" behauptet; ein kollusives Zusammenwirken mit der D. sei hier nicht belegt. Für die Neugründung des Unternehmens sei maßgeblich die Spezialisierung der übernommenen C. - Betriebe gewesen, die sich von der E. Sparte inhaltlich unterscheiden würden. Die Betriebe der Bet. zu 2) [F.] seien deshalb mit den E. Betrieben nicht vergleichbar und deshalb nicht in die A. integriert worden. Es habe auch keine Zusagen gegenüber den Arbeitnehmern gegeben, die diese vom Widerspruch gegen den Betriebsübergang abgehalten hätten.

6

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) b e a n t r a g t ,

7

den Beschluss des Arbeitsgerichts Göttingen vom 30. März 2012 - 4 BV 4/12 - abzuändern sowie den Antrag des Beteiligten zu 1) auf Einsetzung der Einigungsstelle zurückzuweisen.

8

Der Betriebsrat und Beteiligte zu 1) b e a n t r a g t ,

9

die Beschwerde zurückzuweisen.

10

Er tritt den Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts Göttingen bei. Aus seiner Sicht sei die Gründung der Beteiligten zu 2) im Zusammenhang mit einer "Umstrukturierung" der A. geschehen und zwar im Zusammenwirken mit der D.. Von daher könne die Sozialplanpflicht des "Jungunternehmens" der Bet. zu 2) hier nicht offensichtlich ausgeschlossen werden.

11

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Anhörungsprotokoll vom 31. Juli 2012 sowie die gewechselten Schriftsätze vom 17. und 27. April 2012 verwiesen.

12

II. Die zulässige Beschwerde der Arbeitgeberin und Beteiligten zu 2) ist als unbegründet zurückzuweisen.

13

1) Das Arbeitsgericht Göttingen hat den Rechtsstreit zutreffend entschieden. Die Angriffe der Beschwerde können nicht überzeugen. Das Gericht macht sich die Ausführungen im Beschluss des Arbeitsgerichts Göttingen vom 30. März 2012 zu Eigen und stellt das hiermit fest.

14

2) Ergänzend wird mit Blick auf das Beschwerdevorbringen folgendes ausgeführt:

15

a) Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) verkennt, dass in dem Verfahren nach § 98 ArbGG nicht die Rechtsfrage zu klären ist, ob die eingesetzte Einigungsstelle zuständig ist. Dies könnte Gegenstand eines gesonderten Beschlussverfahrens, dem sog. Vorabentscheidungsverfahren sein (Schwab/Weth-Walker, ArbGG, 3. Aufl. § 98 Rn 44 mwN). Prüfungsmaßstab ist hier jedoch die offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle, deren Kriterien das Arbeitsgericht Göttingen zu II. 5 seiner Gründe korrekt beschrieben hat. In diesem Zusammenhang ist von Belang, dass bei gleichgelagerten Sachverhalten inzwischen sowohl das Sächsische Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 5. März 2012 - 3 TaBV 4/12 - als auch das Thüringer Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 10. Mai 2012 - 2 TaBV 1/12 - den gleichlautenden Anträgen der Betriebsräte gefolgt sind und eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle abgelehnt haben. Bereits unter diesem Gesichtspunkt lässt sich eine offensichtliche Unzuständigkeit der hier beantragten Einigungsstelle nicht begründen (vgl. dazu LAG Niedersachsen vom 11. November 1993 - 1 TaBV 59/93, zu 2 c der Gründe LAGE Nr. 27 zu § 98 ArbGG 1979, ErfK-Koch, 12. Aufl. § 98 ArbGG Rn. 3).

16

b) Dem Arbeitsgericht ist auch beizutreten, dass der Wortlaut des § 112 a Abs. 2 BetrVG von seiner beschränkten Verweisung her auf § 112 BetrVG eine Anrufung der Einigungsstelle nach § 112 Abs. 2 BetrVG nicht sperrt. Welche Befugnisse der Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand zur Seite stehen, hat diese in ihrer Zuständigkeitsprüfung selbst zu erkennen.

17

c) Der Beschwerde ist indessen zuzugeben, dass das Neugründungsprivileg nach § 112 a Abs. 2 Satz 2 BetrVG nur bei konzerninternen Umstrukturierungen ausgeschlossen bleibt, nicht aber Neugründungen außerhalb des Konzerns betrifft. Der Hinweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Juni 2006 - 1 ABR 18/05 (Rn. 44) ist daher insoweit richtig (vgl. BAG, NZA 2007, 106 ff = EzA § 112 a BetrVG 2001 Nr. 2). Da der Betriebsrat hier allerdings nicht ohne Grund mutmaßt, dass bei der Neugründung der Bet. zu 2) [F.] letztlich eine Umstrukturierung der D. bzw. des Mutterkonzerns der Beteiligten zu 2) [A.] vollzogen wurde, kann eine Ausnahme von der Sozialplanpflicht nach § 112 a Abs. 2 Satz 1 BetrVG an dem Einwand des Rechtsmissbrauchs scheitern (Fitting BetrVG 26.Aufl. § 112 a Rn 112, 116). Dies hat auch das Bundesarbeitsgericht in der zitierten Entscheidung (BAG aaO. Rn. 45 f.)so gesehen, aber mangels Anhaltspunkten nicht weiter vertieft. Stellt sich deshalb bei den Verhandlungen in der Einigungsstelle heraus, dass ein entsprechender Sachverhalt vorliegt, käme eine Privilegierung in Bezug auf die Sozialplanpflicht nicht mehr in Frage. Dies könnte gegeben sein, wenn die von der Beteiligten zu 2) vorgetragenen Gründe gegen die Integration ihrer Betriebe in 2008 in die A. nicht stichhaltig sind. Auch diese Erwägung spricht dafür, eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle abzulehnen.

18

d) Was die weiter gehegten Bedenken gegen die Person des bestellten Einigungsstellenvorsitzenden Walkling angeht, sind diese zu unsubstantiiert. Allein der Umstand, dass ein Beteiligter auf Empfehlung einer Gewerkschaft oder eines Arbeitgeberverbandes eine Person als Einigungsstellenvorsitzenden in Spiel bringt, kann die neutrale Stellung dieser Person nicht ins Wanken bringen.

19

3) Über die Kosten des Verfahrens war gemäß § 2 Abs. 2 GKG nicht zu befinden.

20

Gegen diese Entscheidung ist nach § 98 ArbGG ein Rechtsmittel nicht gegeben.