Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.02.2012, Az.: 17 Sa 877/11

Anforderungen an das Aushandeln vorformulierter Klauseln in einem Arbeitsvertrag

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
01.02.2012
Aktenzeichen
17 Sa 877/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 26298
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2012:0201.17SA877.11.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 12.09.2012 - AZ: 5 AZN 1743/12 (F)

Amtlicher Leitsatz

Die Möglichkeit der Einflußnahme auf vorformulierte Vertragsbedingungen (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB) setzt voraus, dass der Verwender die Klausel ernsthaft zur Disposition gestellt und dem Verbraucher (AN) Gestaltungsfreiheit zur Wahrung seiner Interessen eingeräumt hat.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 12.04.2011 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

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Die Parteien streiten über Vergütung aus einem bereits beendeten Arbeitsverhältnis.

2

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der vor dem Arbeitsgericht gestellten Sachanträge wird auf die sorgfältige Darstellung im Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 12.04.2011 Bezug genommen.

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Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 1.970,45 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 850,-- € seit dem 02.11.2009, aus weiteren 850,-- € seit dem 02.12.2009 und aus weiteren 270,45 € seit dem 02.01.2010 zu zahlen, den weitergehenden Zinsantrag abgewiesen, den Beklagten in die Kosten des Rechtsstreits verurteilt und den Streitwert auf 1.970,45 € festgesetzt. Wegen der rechtlichen Erwägungen, die das Arbeitsgericht zu seiner Entscheidung haben gelangen lassen, wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils Bezug genommen.

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Gegen dieses ihm am 17.05.2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am 16.06.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er mit einem am 18.07.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Die Kammer nimmt auf den Berufungsbegründungsschriftsatz des Beklagten vom 18.07.2011 Bezug.

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Der Beklagte beantragt,

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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 12.04.2011 zur Geschäftsnummer 2 Ca 596/10 wird die Klage abgewiesen.

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Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 22.07.2011, auf den die Kammer Bezug nimmt.

Entscheidungsgründe

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I. Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 1.970,45 € brutto mit Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 850,-- € seit dem 02.11.2009, aus weiteren 850,-- € seit dem 02.12.2009 und aus weiteren 270,45 € seit dem 02.01.2010 zu zahlen. Die Kammer macht sich die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nach eigener Sachprüfung zu Eigen und verweist auf sie zur Vermeidung von Wiederholungen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen des Beklagten ist lediglich folgendes auszuführen:

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1. Die Klägerin hat gemäß § 611 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag vom 03.08.2009 Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung bis zum Zugang der außerordentlichen Kündigung vom 07.12.2009 am 09.12.2009. Mit dem Zugang dieser Kündigung endete das Arbeitsverhältnis. Dagegen ist das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Kündigung vom 30.12.2009 rückwirkend zum 30.09.2009 beendet worden. Den rechtlich nicht zu beanstandenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Wirkungslosigkeit der rückwirkenden Kündigung vom 30.12.2009 ist insoweit nichts hinzuzufügen.

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2. Der Vergütungsanspruch der Klägerin ist nicht aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist (§ 9 des Arbeitsvertrags vom 03.08.2009) verfallen.

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2.1 Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Klägerin die - wirksam vereinbarte - erste Stufe der vertraglichen Ausschlussfrist mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 11.01.2010 gewahrt hat. Dem ist der Beklagte mit der Berufung nicht entgegengetreten.

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2.2 Zu Recht und mit rechtlich nicht zu beanstandender Begründung hat das Arbeitsgericht weiter entschieden, dass die zweite Stufe der Ausschlussklausel des § 9 des Arbeitsvertrages rechtsunwirksam ist.

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2.2.1 Mit dem Arbeitsgericht geht die Kammer zu Gunsten des Beklagten davon aus, dass es sich bei der vertraglichen Ausschlussklausel nicht um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt, weil sie nicht für mindestens drei Fälle vorgesehen war. Gleichwohl führt im Streitfall die Anwendung der §§ 306 und 307 bis 309 BGB gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB zur Unwirksamkeit der zweiten Stufe der vertraglichen Ausschlussfrist.

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2.2.2 War die Ausschlussklausel in § 9 des Arbeitsvertrags nicht für eine Vielzahl von Verträgen, sondern nur zur einmaligen Verwendung bestimmt, hängt die Anwendung der §§ 306 und 307 bis 309 BGB davon ab, dass die Klägerin aufgrund der Vorformulierung keinen Einfluss auf den Inhalt der Klausel nehmen konnte (§ 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB). Die gesetzliche Inhaltskontrolle führt in diesem Fall auch unter Berücksichtigung von 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB zur Unanwendbarkeit der Ausschlussklausel (BAG vom 25.05.2005 - 5 AZR 572/04 - AP Nr. 1 zu § 310 BGB).

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Die Möglichkeit der Einflussnahme setzt voraus, dass der Beklagten die Klausel ernsthaft zur Disposition gestellt und der Klägerin Gestaltungsfreiheit zur Wahrung ihrer Interessen eingeräumt hat. Insoweit besteht eine abgestufte Darlegungslast. Der Beklagte muss sich auf eine entsprechende Behauptung der Klägerin konkret einlassen. Die Beweislast liegt letztlich bei der Klägerin (BAG vom 25.05.2005 - 5 AZR 572/04 - AP Nr. 1 zu § 310 BGB m.w.N.)

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Der Beklagte hat sich auf die Behauptung der Klägerin, sie habe auf die Ausschlussklausel keinen Einfluss nehmen können, schon nicht konkret eingelassen. Bereits das Arbeitsgericht hat darauf hingewiesen, dass aus dem Vorbringen des Beklagten Anhaltspunkte für die Möglichkeit der Klägerin, zu ihren Gunsten die Regelungen des bereits vorformulierten Vertrags zu ändern, nicht nachvollziehbar waren. Die Kammer nimmt auf die nicht zu beanstandenden Ausführungen des Arbeitsgerichts insoweit Bezug. Auch im Berufungsverfahren hat der Beklagte Darlegungen dazu, welche Alternativen er hinsichtlich der Ausschlussklausel zur Disposition der Klägerin gestellt und inwieweit er ihr Gestaltungsfreiheit zur Wahrung ihrer Interessen eingeräumt hat, vermissen lassen. Weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung vom 01.02.2012 hat er insoweit konkreten Tatsachenvortrag gehalten. Allein aus der Tatsache, dass der Beklagte der Klägerin den gesamten Vertrag von 9.10 Uhr bis 10.30 Uhr vorgelesen und diese keine Einwendungen erhoben hat kann nicht geschlossen werden, dass hinsichtlich der Ausschlussfristenregelung ernsthafte Dispositionsmöglichkeiten für die Klägerin bestanden. Der im Termin vom 01.02.2012 überreichten "Zusammenfassung zum Termin am 01.02.2012", die im Übrigen - entgegen § 130 Nr.6 ZPO - nicht unterschrieben ist, lässt sich hierzu gleichfalls nichts entnehmen. Soweit der Beklagte rügt, dass das erstinstanzliche Gericht auf seinen Vermerk vom 03.08.2009 (Anlage zum Schriftsatz vom 24.02.2011, Bl. 58 d. A.) nicht eingegangen sei, enthält schließlich auch dieser keine Angaben zu einer eventuellen Verhandlung über die vertragliche Ausschlussfrist.

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3. Der Vergütungsanspruch der Klägerin ist nicht verwirkt.

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3.1 Zwar können Vergütungsansprüche grundsätzlich bereits vor Ablauf der Verjährungsfrist verwirken, nach ständiger Rechtsprechung des BAG kann jedoch allein der Zeitablauf die Verwirkung eines Rechts nicht rechtfertigen. Um den Tatbestand der Verwirkung auszufüllen, muss neben das Zeitmoment das Umstandsmoment treten. Es müssen besondere Umstände sowohl im Verhalten des Berechtigten als auch Verpflichteten hinzukommen, die es rechtfertigen, die späte Geltendmachung des Rechts als mit Treu und Glauben unvereinbar und für den Verpflichteten unzumutbar anzusehen (BAG vom 25.04.2001 - 5 AZR 497/99 -AP Nr. 46 zu § 242 BGB Verwirkung). Hinsichtlich der zeitlichen Voraussetzungen gilt der Grundsatz, dass umso seltener Raum für eine Verwirkung sein wird, je kürzer die Verjährungsfrist ist (vgl. ErfK/Preiss, § 611 BGB Rz 471, 12. Aufl. 2012).

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3.2 Bei Anwendung dieser Grundsätze ist der Anspruch der Klägerin nicht verwirkt. Selbst wenn die Kammer zu Gunsten des Beklagten davon ausgeht, dass - trotz der kurzen Verjährungsfrist von drei Jahren für Vergütungsansprüche - das Zeitmoment wegen der späten Klageerhebung erfüllt ist, so fehlt es doch am Umstandsmoment. Tatsachenvortrag dazu, dass er darauf vertrauen durfte, er werde nicht mehr in Anspruch genommen und ihm die Erfüllung der Vergütungsansprüche der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben nicht mehr zuzumuten ist, hat der Beklagte nicht erbracht.

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II. Als unterlegene Partei hat der Beklagte auch die Kosten des Berufungsverfahrens gem.

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§ 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

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Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen diese Entscheidung ist daher ein Rechtsmittel nicht gegeben. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ArbGG wird hingewiesen.