Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.03.2012, Az.: 7 Sa 662/11
Urlaubsabgeltung bei durchgängiger Arbeitsunfähigkeit; Europarechtskonforme Begrenzung des Übertragungszeitraums des Urlaubsanspruchs; Urlaubsanspruch bei dauerhaftem Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente im ruhenden Arbeitsverhältnis
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 29.03.2012
- Aktenzeichen
- 7 Sa 662/11
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 16360
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2012:0329.7SA662.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Verden - 29.03.2011 - AZ: 3 Ca 31/10
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 3 BUrlG
- § 7 Abs. 4 BUrlG
- § 125 SGB III
- Art. 7 Abs. 1 RL 88/2003/EG
Fundstelle
- EzA-SD 19/2012, 11
Amtlicher Leitsatz
1. Eine europarechtskonforme Anwendung des § 7 Abs. 3 BUrlG führt zu dem Ergebnis, dass der Übertragungszeitraum auf 15 Monate nach Ablauf des Bezugszeitraums zu begrenzen ist.
2. Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist entstanden, obwohl sie während der Jahre 2009 und 2010 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war.
3. Weder der Bezug von Krankengeld durch die Krankenversicherung noch der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente durch die Rentenversicherung noch der Bezug von Arbeitslosengeld durch die Arbeitslosenversicherung im Wege der so genannten Gleichwohl-Gewährung hat Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis und den Grundsatz, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit entsteht.
4. Für eine Einschränkung des Urlaubsanspruchs bei dem dauerhaften Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente fehlt es an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage. Weder das Bundesurlaubsgesetz noch die EG-Richtlinien sehen vor, dass ein Urlaubsanspruch bei dem Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer nicht entsteht. Ohne entsprechende gesetzliche, tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche Regelung ist eine Kürzung des Urlaubsanspruchs nicht möglich.
5. Bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis entsteht ein Urlaubsanspruch jedenfalls dann, wenn das Ruhen des Arbeitsverhältnisses letztlich darauf zurückzuführen ist, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 29.03.2011, 3 Ca 31/10, unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.495,03 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.01.2011 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 38 % und die Beklagte zu 62 %.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin für die Jahre 2007 bis 2010 ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zusteht, obwohl sie seit dem 09.08.2007 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war und seit 01.03.2008 Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hat.
Die am 0.0.1952 geborene Klägerin war seit dem 01.01.1995 bei der Beklagten mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 22,50 Stunden bei einem Stundenlohn von 8,53 € brutto beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Kündigung der Klägerin vom 19.11.2010 (Bl. 25 d.A.) am 15.01.2011.
Die Klägerin war seit dem 09.08.2007 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankt. Auf ihren Antrag wurde ihr zunächst ab 01.03.2008 befristet bis zum 28.02.2010 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gezahlt (Bl. 67 d.A.). Diese Rente wird ihr gemäß Bescheid vom 12.03.2008 dauerhaft bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze am 30.06.2018 weiter gewährt.
Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht. Nach den von den Parteien getroffenen Vereinbarungen stand der Klägerin ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Tagen zu. Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin Urlaubsabgeltung für restliche 20 Urlaubstage aus dem Jahr 2007 und jeweils 30 Urlaubstage für die Jahre 2008, 2009 und 2010 geltend.
Das Arbeitsgericht hat durch ein der Beklagten am 13.04.2011 zugestelltes Urteil vom 29.03.2011, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 38 - 42 d.A.), die Beklagte dazu verurteilt, an die Klägerin 4.222,35 € brutto nebst Zinsen zu zahlen.
Hiergegen richtet sich die am 10.05.2011 eingelegte und am 09.06.2011 begründete Berufung der Beklagten.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Klägerin stehe ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung nicht zu. Aufgrund der Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung habe das Arbeitsverhältnis geruht. Während dieser Zeit habe die Klägerin keine weiteren Urlaubsansprüche erwerben können, da die beiderseitigen Leistungspflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert gewesen seien.
Gegen das Entstehen von Urlaubsansprüchen spreche zudem der Sinn und Zweck der Gewährung von Urlaub. Während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente müsse dem Arbeitnehmer nicht die Gelegenheit zur selbstbestimmten Erholung gegeben werden.
Es könnte allenfalls ein Urlaubsabgeltungsanspruch für restliche Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2007 sowie die Monate Januar und Februar 2008 bestanden haben. Die Ansprüche aus dem Jahr 2007 könnten jedoch nicht mehr durchgesetzt werden im Hinblick auf Art. 9 Abs. 1 des ILO-Abkommens Nr. 132, wonach ein Urlaubsanspruch spätestens 18 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verwirklicht werden müsse. Der Klägerin stehe deshalb lediglich ein Urlaubsabgeltungsanspruch für 5 Tage im Jahr 2008 in Höhe von 191,93 € zu.
Ein Urlaubsabgeltungsanspruch sei zudem höchstens in Höhe des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs gegeben. Auch wenn vorliegend keine Differenzierung zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub getroffen worden sei, sei von einer vertraglichen Differenzierungspflicht nicht auszugehen. Bei Abschluss des Arbeitsvertrages sei nicht voraussehbar gewesen, dass eine entsprechende Differenzierungsklausel aufgrund der überraschenden Rechtsprechungsänderung erforderlich ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beklagten im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 09.06.2011, 01.12.2011 und 12.12.2011.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 29.03.2011 teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, mehr als 191,93 € brutto nebst Zinsen zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Schriftsätze ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18.07.2011 und 07.12.2011.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.
II. 1. Die Berufung ist teilweise begründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Abgeltung des in den Jahren 2007 und 2008 nicht genommenen Urlaubs gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG.
Zwischen den Parteien hat in den Jahren 2007 und 2008 ein Arbeitsverhältnis bestanden. Nach § 1 BUrlG hat jeder Arbeitnehmer in jedem Kalenderjahr Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub. Die Dauer des Urlaubs beträgt gemäß § 3 BUrlG 24 Werktage, was bei einer 5-Tage-Woche einen Urlaubsanspruch von jährlich 20 Arbeitstagen entspricht. Der Klägerin steht somit nach dem Gesetz für die Jahre 2007 und 2008 ein Urlaubsanspruch von jeweils 20 Arbeitstagen zu. Arbeitsvertraglich vereinbart war allerdings ein jährlicher Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen, ohne dass eine Differenzierung zwischen dem gesetzlichen Urlaubsanspruch und dem übergesetzlichen Urlaubsanspruch von den Parteien vertraglich geregelt wurde.
Vorliegend konnte an dieser Stelle dahinstehen, ob der Urlaubsanspruch der Klägerin entstanden ist, obwohl sie seit dem 01.03.2008 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen hat, und ob ein Abgeltungsanspruch für 20 oder 30 Arbeitstage pro Jahr in Betracht kommt. Denn eine europarechtskonforme Anwendung des § 7 Abs.3 BUrlG führt zu dem Ergebnis, dass die Ansprüche der Klägerin auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2007 am 31.03.2009 und für das Jahr 2008 am 31.03.2010 verfallen sind.
Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR 983/07, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG) § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG richtlinienkonform fortgebildet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass gesetzliche Urlaubs(abgeltungs)ansprüche nicht erlöschen, wenn Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraumes erkrankt und deswegen arbeitsunfähig sind. Die zeitlichen Beschränkungen des Urlaubsanspruchs in § 7 Abs. 3 BUrlG bestehen im Falle der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit deshalb nicht. Dies hat zur Folge, dass hiernach die Klägerin weiterhin einen Anspruch auf Abgeltung des in den Jahren 2007 und 2008 erworbenen Urlaubsanspruchs hat.
An dieser Rechtsprechung kann angesichts der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 22.11.2011 (C-214/10, NZA 2011, 1333-1335 [BAG 17.08.2011 - 5 AZR 406/10]) nicht festgehalten werden. Der EuGH hat in diesem Urteil entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Zeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraumes von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch des bezahlten Jahresurlaubs erlischt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass ein über mehrere Jahre hinweg erkrankter Arbeitnehmer nicht berechtigt ist, in diesem Zeitraum erworbene Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub unbegrenzt anzusammeln. Vielmehr laufe ein Zeitraum von 15 Monaten, in dem die Übertragung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub möglich ist, dem Zwecke des Urlaubsanspruchs nicht zuwider.
Eine gesetzliche Regelung, nach der ein Urlaubsanspruch nach einem Übertragungszeitraum von 15 Monaten erlischt, existiert vorliegend nicht. Das Bundesurlaubsgesetz geht allerdings in § 7 Abs. 3 BUrlG davon aus, dass der Urlaubsanspruch im Falle der Übertragung in den ersten 3 Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden muss. Hieraus folgt nach der nahezu einhelligen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass der Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers grundsätzlich am 31. März des Folgejahres erlischt.
Wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 24.03.2009 (aaO.) zutreffend ausgeführt hat, obliegt es den nationalen Gerichten, den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen ergibt. Die innerstaatlichen Gerichte müssen deshalb die volle Wirkung des Gemeinschaftsrechts sicherstellen. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung durch teleologische Reduktion der zeitlichen Grenzen des § 7 Abs. 3 Satz 1, 3 und 4 BUrlG in Fällen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit dahingehend vorgenommen, dass der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Voll- oder Teilurlaubs nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist.
Unter Berücksichtigung der Entscheidung des EuGH vom 22.11.2011 erfordert Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG allerdings nicht eine teleologische Reduktion der zeitlichen Grenzen des Urlaubsanspruchs nach§ 7 BUrlG dergestalt, dass der Urlaubsanspruch unbegrenzt bestehen bleibt. Vielmehr steht es den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts nicht entgegen, wenn ein Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlischt.
Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus (BGH vom 21.12.2011, VIII ZR 70/08). Eine derartige Regelungslücke liegt vor, wie das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 14.03.2009 zu Recht entschieden hat.
Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung verlangt die Feststellung eines Konformitätswillens des Gesetzgebers (BGH vom26.11.2008, VIII ZR 200/05, NJW 2009, 427; Pfeiffer, NJW 2009 412). An den festzustellenden Konformitätswillen sind strenge Anforderungen zu stellen, um einer grenzenlosen Rechtsfortbildung nicht Tür und Tor zu öffnen, (MK-BGB/S. Lorenz, 6. Aufl. 2012, Vorbem. vor § 474 BGB, Rn 3). Die Rechtsfortbildung ist deshalb an den normativen Vorgaben der nationalen Gesamtrechtsordnung auszurichten. Dem in der Norm zum Ausdruck kommenden Willen des nationalen Gesetzgebers ist so weit wie möglich Rechnung zu tragen (LAG Baden-Württemberg vom 21.12.2011, 10 Sa 19/11, Hergenröter, Richtlinienwidriges Gesetz und richterliche Rechtsfortbildung FS Wolfgang Zöllner, 1155, 1159).
Das Bundesarbeitsgericht und mit ihm die nahezu einhellige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, dass § 7 Abs. 3 BUrlG der grundsätzliche Wille des nationalen Gesetzgebers entnommen werden kann, die Übertragung des Urlaubsanspruchs auf 3 Monate zu begrenzen. Wird hiervon im Wege der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung eine Ausnahme für den Fall der fortdauernden Arbeitsunfähigkeit gemacht, muss diese richtlinienkonforme Rechtsfortbildung den nationalen Willen der Begrenzung des Übertragungszeitraums respektieren, soweit nicht Unionsrecht die Rechtsfortbildung gebietet (so auch Bayreuther - DB 2011, 2824). Eine unbegrenzte Ansammlung überschreitet daher die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung. Der Übertragungszeitraum ist danach angesichts der nationalen Regelungen auf 15 Monate nach Ablauf des Bezugszeitraums zu begrenzen (LAG Baden-Württemberg vom 21.12.2011, 10 Sa 19/11).
Die Berufung der Beklagten ist deshalb begründet, soweit das Arbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von 1.727,32 € brutto als Urlaubsabgeltung für die Jahre 2007 und 2008 verurteilt hat. In dieser Höhe ist die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich eines Teilbetrages von 191,93 € brutto für das Jahr 2008 ist das Urteil des Arbeitsgerichts in Rechtskraft erwachsen, da die Beklagte ihre Berufung entsprechend eingeschränkt hat. Die mit Schriftsatz vom 01.12.2011 vorgenommene Erweiterung der Berufung hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 26.01.2012 nicht aufrechterhalten.
2. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Abgeltung von jeweils 30 Urlaubstagen für die Jahre 2009 und 2010 in Höhe von 2.303,10 € brutto.
Dieser Urlaubsanspruch der Klägerin ist entstanden, obwohl sie während der Jahre 2009 und 2010 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war.
Der Europäische Gerichtshof hat am 20.01.2009 entschieden, dass der von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleistete Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen auch entsteht, wenn der Arbeitnehmer im gesamten Bezugszeitraum oder in Teilen davon arbeitsunfähig erkrankt ist (C-350/06 und C-520/06 [Schultz-Hoff], Rn. 41, EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 1). Bestätigt hat er diese Rechtsprechung zuletzt durch Urteil vom 24.01.2012 (C-282/10), in dem er erneut ausgeführt hat, dass Arbeitnehmer auch dann Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub haben, wenn sie während des gesamten Bezugszeitraums krankgeschrieben waren. Der Jahresurlaubsmindestanspruch darf hiernach nicht von einer effektiven Mindestarbeitszeit abhängig gemacht werden. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom24.03.2009, 9 AZR 983/07, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG).
Der Urlaubsanspruch der Klägerin ist auch entstanden, obwohl sie in den Jahren 2009 und 2010 durchgehend eine Erwerbsunfähigkeitsrente bezogen hat.
Der Europäische Gerichtshof hat bereits in seinem Urteil vom 26.06.2001 (C-173/99) entschieden, dass die Mitgliedstaaten die Entstehung des Anspruchs auf Jahresurlaub nicht von irgendeiner Voraussetzung abhängig machen können. Daraus folgt, dass alleine der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente genauso wenig wie der Bezug von Arbeitslosengeld dazu führen kann, dass der gesetzliche Jahresurlaub nicht entsteht. Es ist zu differenzieren zwischen dem Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien untereinander und zueinander auf der einen Seite und dem Verhältnis des Arbeitnehmers gegenüber den Sozialversicherungen andererseits.
Nach der für die deutschen Gerichte verbindlichen Auslegung der EG Richtlinie 88/2003 durch den EuGH (aaO.) steht für das Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber fest, dass ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch entsteht, wenn ein Arbeitnehmer während des gesamten Bezugszeitraums krankgeschrieben war. Hierauf hat es keinen Einfluss, in welcher Weise der Arbeitnehmer während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit sozialversicherungsrechtlich abgesichert ist. Weder der Bezug von Krankengeld durch die Krankenversicherung noch der Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente durch die Rentenversicherung noch der Bezug von Arbeitslosengeld durch die Arbeitslosenversicherung im Wege der so genannten Gleichwohl-Gewährung hat Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis und den Grundsatz, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auch bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit entsteht.
Es bestehen auch keine gesetzlichen, tariflichen oder arbeitsvertraglichen Regelungen, die den hiernach entstandenen Anspruch der Klägerin auf Urlaub für die Jahre 2009 und 2010 bei dem Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente wieder entfallen lassen.
In Rechtsprechung und Literatur wird allerdings die Auffassung vertreten, dass ein Arbeitsverhältnis während des Bezugs von Erwerbsunfähigkeitsrente oder Arbeitslosengeld ruht, und dass bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses Urlaubsansprüche nicht entstehen (vergleiche statt vieler LAG Düsseldorf vom 05.05.2010, 7 Sa 1571/09; LAG Baden-Württemberg vom 09.06.2011, 6 Sa 109/10; LAG Köln vom 19.08.2011, 12 Sa 110/11).
Die erkennende Kammer schließt sich dieser Auffassung nicht an.
Es bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob vorliegend überhaupt von einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden kann.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 14.03.2006 (9 AZR 312/05, AP Nr. 90 zu § 7 BUrlG Abgeltung) entschieden, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auf seinen Antrag hin nach Ablauf der Krankengeldzahlungen Arbeitslosengeld bezieht, zu vermuten sei, dass die Parteien zumindest stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Voraussetzung zum Bezug von Arbeitslosengeld nach § 125 SGB III ist, dass der Arbeitnehmer nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Deshalb müsse im rechtlich fortbestehenden Arbeitsverhältnis der Arbeitgeber auf seine Verfügungsgewalt über den Arbeitnehmer und dessen Arbeitskraft verzichten, oder der Arbeitnehmer die Verfügungsgewalt des Arbeitgebers über seine Arbeitskraft nicht mehr anerkennen. Die Beantragung des Arbeitslosengeldes und die Vorlage der Arbeitsbescheinigung bewirke deshalb, dass die Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers und gleichzeitig die Vergütungspflicht der Beklagten suspendiert und das Arbeitsverhältnis zum Ruhen gebracht werde.
Gegen die Annahme von derartigen konkludenten Willenserklärungen der Arbeitsvertragsparteien spricht allerdings, dass die Nichterbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer sowohl bei dem Bezug von Arbeitslosengeld als Gleichwohl-Gewährung als auch bei dem Bezug einer Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit allein darauf zurückzuführen ist, dass er weiterhin arbeitsunfähig erkrankt ist. Dies ist im Verhältnis zum Arbeitgeber der alleinige Grund dafür, dass eine Arbeitsleistung nicht mehr erbracht werden kann. Die Gegenleistung des Arbeitgebers entfällt nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums von 6 Wochen gemäß § 3 EFZG.
Hiervon zu trennen ist die Frage, nach welchen sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften und unter welchen Bedingungen der dauerhaft arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer Ersatzleistungen durch die Sozialversicherung beziehen kann. Es besteht weder für den Arbeitnehmer noch für den Arbeitgeber ein Anlass, den Inhalt des Arbeitsvertrages durch eine einvernehmliche Regelung zu ändern, solange es dem Willen der Vertragsparteien entspricht, das Arbeitsverhältnis fortbestehen zu lassen. Für eine Vermutung, dass die Parteien zumindest stillschweigend das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vereinbart haben, besteht deshalb keine Grundlage. Vielmehr betrifft der Antrag der Klägerin auf Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente allein ihr Verhältnis zu dem Sozialversicherungsträger und soll lediglich bewirken, dass der Klägerin der Bezug von einer Sozialversicherungsleistung ermöglicht wird. An dem Inhalt des Arbeitsverhältnisses, dessen Hauptleistungspflichten sich bereits infolge der andauernden Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Vollzug befinden, soll demgegenüber eine Änderung nicht eintreten.
Die Frage kann letztlich aber dahinstehen, da auch bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses der Urlaubsanspruch eines erkrankten Arbeitnehmers entsteht.
Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg geht in einem Urteil vom 09.06.2011 (6 Sa 109/10) davon aus, dass die Urlaubsgewährung verbunden mit der Fortzahlung des Arbeitsentgelts für den Arbeitgeber Teil seiner Hauptleistungspflicht ist und dass deshalb das Ruhen der Hauptleistungspflicht dazu führt, dass im ruhenden Arbeitsverhältnis kein Urlaubsanspruch entsteht.
Das Bundesarbeitsgericht hat demgegenüber bereits in dem Urteil vom 14.03.2006 (aaO.) ausgeführt, dass eine durch Krankheit herbeigeführte dauerhafte Verhinderung zur Arbeitsleistung nicht die Suspendierung der Hauptpflichten bewirkt. Es hat ferner entschieden, dass das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während der Teilnahme an Wehrübungen nicht dazu führt, dass der Jahresurlaubsanspruch (zeitanteilig) entfällt (BAG vom 15.12.2009, 9 AZR 795/08, NZA 2010, 728). Dies spricht dafür, die Pflicht des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung nicht als eine Hauptpflicht anzusehen, weil ihr keine entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers gegenüber steht. Sie ist vielmehr eine auf Gesetz beruhende Nebenpflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis. Dies hat zur Folge, dass auch bei einer Suspendierung der Hauptleistungspflicht infolge des Ruhens des Arbeitsverhältnisses das Entstehen eines Urlaubsanspruchs nicht ausgeschlossen ist (so LAG Baden-Württemberg vom 29.04.2010, 11 Sa 64/09).
In dem Urteil vom 17.05.2011 (9 AZR 197/10, ZTR 2011, 605-607) hat das Bundesarbeitsgericht die Frage offen gelassen, ob in jedem Fall des Ruhens der Arbeitspflicht oder bei einem vereinbarten Ruhen der beiderseitigen Hauptleistungspflicht Urlaubsansprüche entstehen können. Es hat es jedoch als zweifelhaft bezeichnet, ob die Rechtsprechung, nach der in einem ruhenden Arbeitsverhältnis keine Urlaubsansprüche entstehen, wenn das Arbeitsverhältnis während des gesamten Kalenderjahres ruht, mit der Rechtsprechung des EuGH für den unionsrechtlich verbürgten Mindesturlaubsanspruch zu vereinbaren ist.
Die erkennende Kammer ist der Auffassung, dass bei einem ruhenden Arbeitsverhältnis ein Urlaubsanspruch jedenfalls dann entsteht, wenn das Ruhen des Arbeitsverhältnisses letztlich darauf zurückzuführen ist, dass der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt war. Denn nur so kann dem verbindlichen europarechtlichen Grundsatz Rechnung getragen werden, dass Arbeitnehmer auch dann Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub haben, wenn sie während des gesamten Bezugszeitraums arbeitsunfähig waren. An dieser Auslegung der europarechtlichen Normen durch den EuGH ist die erkennende Kammer gebunden. Der EuGH ist als gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 GG zur endgültigen Entscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts berufen (BAG vom 24.03.2009, 9 AZR 983/07, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG, Rn. 47).
Der der Klägerin zustehende Urlaubsanspruch für das Jahr 2009 ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG am 31.03.2010 untergegangen. Wie bereits ausführlich dargelegt, erlöschen Urlaubsabgeltungsansprüche erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraumes arbeitsunfähig erkrankt ist. Der Anspruch aus dem Jahr 2009 bestand deshalb noch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 15.01.2011.
Der Jahresurlaub aus dem Jahr 2010 war bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ebenfalls noch nicht untergegangen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin ab 13.01.2010 eine Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer bezieht. Zwar stand ab diesem Zeitpunkt fest, dass die Klägerin nicht mehr in das Arbeitsverhältnis zurückkehren wird, da ihr die Rente bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze bewilligt worden ist. Sinn und Zweck des Urlaubsanspruches gebieten es deshalb nicht mehr, den Urlaubsanspruch fortbestehen zu lassen. Dieser besteht nämlich nach der Rechtsprechung des EuGH (vom 22.11.2011, C-214/10) darin, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zum einen von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und zum anderen über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen.
Für eine derartige Einschränkung des Urlaubsanspruchs bei dem dauerhaften Bezug einer Erwerbsunfähigkeitsrente fehlt es allerdings an einer gesetzlichen Rechtsgrundlage. Weder das Bundesurlaubsgesetz noch die EG-Richtlinien sehen vor, dass ein Urlaubsanspruch bei dem Bezug von Erwerbsunfähigkeitsrente auf Dauer nicht entsteht. Ohne entsprechende gesetzliche, tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche Regelung ist eine Kürzung des Urlaubsanspruchs für das Jahr 2000 nicht möglich.
Das gefundene Ergebnis ist auch nicht grob unbillig. Zu berücksichtigen ist, dass die Klägerin nach vorstehenden Grundsätzen grundsätzlich nur Urlaubsabgeltungsansprüche für die letzten 2 Jahre des Arbeitsverhältnisses erwerben kann. Demgegenüber können Urlaubsansprüche bei bestehender Arbeitsunfähigkeit nach 15 Monaten verfallen, auch wenn der Anspruch - wie vorliegend in 2007 - in einem Jahr entstanden ist, in dem der Arbeitnehmer noch gearbeitet hat, ein entsprechendes Bedürfnis auf Erholung von der Arbeit und auf Entspannung und Freizeit mithin bestanden hat.
Vorstehende Ausführungen gelten sowohl für den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Urlaubstagen als auch für den vertraglichen Urlaubsanspruch der Klägerin von 30 Urlaubstagen. Das Bundesarbeitsgericht vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehende vertragliche Mehrurlaub wie der gesetzliche Urlaub zu behandeln ist, wenn die Parteien hierfür keine von dem Gesetz abweichende Regelung getroffen haben. Für einen Regelungswillen, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheide, müssen deutliche Anhaltspunkte bestehen (zuletzt BAG vom 23.03.2010, 9 AZR 128/09, AP Nr. 3 zu § 125 SGB IX).
Ein derartiger Regelungswille der Parteien ist vorliegend nicht ersichtlich. Die Beklagte geht selbst davon aus, dass keine Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaub getroffen worden ist.
Der Beklagten kann auch nicht Vertrauensschutz im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gewährt werden. Zwar ist das Bundesarbeitsgericht seit 1982 davon ausgegangen, dass Urlaubsabgeltungsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit am Ende des Übertragungszeitraumes verfallen. Die Beklagte durfte deshalb zunächst grundsätzlich auf die Fortdauer dieser Rechtsprechung vertrauen. Diese Grundlage entfiel aber mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die 1. Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG vom 23.11.1996. Seit dem 24. November 1996 war das Vertrauen von Arbeitgebern auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung nicht länger schutzwürdig (BAG vom 23.03.2010, 9 AZR 128/09, aaO.).
III. Auf die Berufung der Beklagten war das arbeitsgerichtliche Urteil entsprechend teilweise abzuändern.
Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 92 ZPO verhältnismäßig nach dem Grad des Obsiegens zu teilen.
Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.