Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.01.2012, Az.: 7 Sa 1362/08
Wirksamkeit einer tariflichen Altersgrenze für Piloten; Feststellungsklage eines Piloten zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über die tarifliche Altergrenze hinaus
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 26.01.2012
- Aktenzeichen
- 7 Sa 1362/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 12740
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2012:0126.7SA1362.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 29.07.2008 - AZ: 13 Ca 97/08
Rechtsgrundlagen
- § 611 Abs. 1 BGB
- § 1 AGG
- § 7 Abs. 1 AGG
- § 7 Abs. 2 AGG
- § 27 MTV Cockpitpersonal Hapag-Lloyd
- Art. 4 Abs. 1 RL 78/2000/EG
Fundstelle
- NZA-RR 2012, 263
Amtlicher Leitsatz
Die in § 27 des Manteltarifvertrages für das Cockpitpersonal der Beklagten enthaltene Befristung auf die Vollendung des 60. Lebensjahres verstößt gegen die EG-Richtlinie 78/2000 und ist deshalb unwirksam.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 29.07.2008, 13 Ca 97/08, abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht zum 29.02.2008 beendet worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger vorbehaltlich fliegerärztlich bescheinigter Flugtauglichkeit auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 20.01.1977 zu unveränderten Bedingungen als Flugkapitän weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer tariflichen Regelung, nach der das Arbeitsverhältnis des Cockpitpersonals spätestens mit Ablauf des Monats endet, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird.
Der am 0.0.1948 geborene Kläger ist seit dem 20.01.1977 bei der Beklagten beschäftigt und bezog zuletzt als Pilot im Rang eines Flugkapitäns eine monatliche Bruttovergütung von 13.504,85 €.
Nach dem Arbeitsvertrag vom 20.01.1977 (Bl. 64 - 65 d.A.) finden der Mantel- und der Vergütungstarifvertrag für das Bordpersonal der HL-Flug auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Der Manteltarifvertrag für das Cockpitpersonal der Hapag-Lloyd Fluggesellschaft mbH vom 02.06.2004 (Bl. 76 - 97 d.A.) enthält unter anderem folgende Regelungen:
§ 27 Altersgrenze
(1) Das Arbeitsverhältnis des Cockpitpersonals endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, spätestens mit Ablauf des Monats, in dem das 60. Lebensjahr vollendet wird.
Es kann im gegenseitigen Einvernehmen auch vor dem 60. Lebensjahr, aber nicht vor Vollendung des 55. Lebensjahres beendet werden.
HF wird versuchen, einem aufgrund der Altersgrenze ausscheidenden Arbeitnehmer des Cockpitpersonals eine Tätigkeit am Boden anzubieten.
(2) Arbeitnehmer können bei Erreichen der Altersgrenze bei Vorliegen voller Leistungsfähigkeit in einer anderen Tätigkeit innerhalb der Gesellschaft weiterbeschäftigt werden, sofern eine fliegerische Tätigkeit nicht mehr in Betracht kommt. In diesem Fall kann jedoch aus der vorangegangenen Tätigkeit als Angehöriger des Bordpersonals kein Anspruch auf Fortzahlung der bis dahin gezahlten Bezüge abgeleitet werden. Eine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung besteht weder auf Seiten der HF, noch auf Seiten des Arbeitnehmers.
Nach dem Tarifvertrag Nr. 1 Versorgung und Versicherungen für das Cockpitpersonal vom 01.07.2006 (Bl. 137 - 154 d.A.) erhalten Angehörige des Cockpitpersonals für den Zeitraum zwischen dem Ausscheiden aus dem fliegerischen Beschäftigungsverhältnis und dem Eintritt in das Rentenalter eine Übergangsversorgung, die maximal 35 % der individuell erreichten Endstufe des monatlichen Gehalts beträgt.
Mit Schreiben vom 28.12.2007 (Bl. 98 d.A.) und vom 07.01.2008 beantragte der Kläger die Weiterbeschäftigung über das 60. Lebensjahr hinaus. Die Beklagte lehnte eine Weiterbeschäftigung des Klägers unter Hinweis auf die in dem Manteltarifvertrag geregelte Altersgrenze mit Schreiben vom 23.01.2008 (Bl. 99 d.A.) ab. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 19.02.2008 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gemäß Anstellungsvertrag vom 20.01.1977 - vorbehaltlich fliegerärztlich bescheinigter Flugtauglichkeit - über den 29.02.2008 hinaus fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger - vorbehaltlich fliegerärztlich bescheinigter Flugtauglichkeit - auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 20.01.1977 zu unveränderten Bedingungen als Flugkapitän weiter zu beschäftigen;
3. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz dafür zu leisten, dass er bei fortbestehender Eignung als Flugzeugführer im gewerblichen Luftverkehr wegen Beschäftigungsverweigerung der Beklagten einer anderen, geringer vergüteten Beschäftigung nachgehen muss oder arbeitslos ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage durch ein dem Kläger am 08.08.2008 zugestelltes Urteil vom 29.07.2008, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 157 - 171 d.A.), abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die am 29.08.2008 eingelegte und am 07.10.2008 begründete Berufung des Klägers.
Der Kläger ist der Auffassung, die Befristung des Arbeitsverhältnisses auf die Vollendung des 60. Lebensjahres beinhalte eine Diskriminierung wegen seines Alters und sei deshalb unwirksam. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass ab einem Alter von 60 Jahren für Piloten in der Mehrzahl der Fälle keine Leistungsfähigkeit mehr gegeben sei. Es sei nicht durch wissenschaftliche Untersuchungen nachgewiesen, dass bei Piloten mit 60 Jahren ein typischer Leistungsabfall einträte. Die tarifliche Altersgrenze sei deshalb willkürlich. Der Nachweis der Leistungsfähigkeit des Klägers sei mit Ausstellung des Tauglichkeitszeugnisses gemäß § 24 a Abs. 1 LuftVZO als erbracht anzusehen.
Das Arbeitsgericht habe auch nicht hinreichend berücksichtigt, dass im Falle des Klägers eine angemessene Übergangsversorgung nicht vorhanden sei. Tatsächlich betrage seine Übergangsversorgung maximal nur ca. 32 % seines letzten Jahresgehaltes.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags des Klägers im Berufungsverfahren wird Bezug genommen auf die Schriftsätze seiner Prozessbevollmächtigten vom 07.10.2008, 13.09.2011 und 25.01.2012.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 29.07.2008 abzuändern und
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien gemäß Anstellungsvertrag vom 20.01.1977 - vorbehaltlich fliegerärztlich bescheinigter Flugtauglichkeit - über den 29.02.2008 hinaus fortbesteht;
2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger - vorbehaltlich fliegerärztlich bescheinigter Flugtauglichkeit - auf der Grundlage des Anstellungsvertrages vom 20.01.1977 zu unveränderten Bedingungen als Flugkapitän weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes ihrer Prozessbevollmächtigten vom 15.12.2008.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 519, 520 ZPO, 64, 66 ArbGG.
II. Sie ist auch begründet.
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist nicht am 29.02.2008 aufgrund der in § 27 des Manteltarifvertrages für das Cockpitpersonal der Beklagten enthaltenen Befristung auf die Vollendung des 60. Lebensjahres beendet worden. Denn § 27 MTV verstößt gegen die EG-Richtlinie 78/2000 und ist deshalb unwirksam.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts waren vor Inkrafttreten des AGG am 18.08.2006 tarifliche Altersgrenzen von 60 Jahren für Piloten durch einen sachlichen Grund im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG gerechtfertigt (BAG vom 21.07.2004, 7 AZR 589/03, NZA 2004, 1352). Hieran kann nicht mehr festgehalten werden, da nach der Entscheidung des EuGH vom 13.09.2011 (C-447/09, NZA 2011, 1039 - 1044) Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen ist, dass dieser Artikel einer tarifvertraglichen Klausel entgegensteht, die die Altersgrenze für Piloten auf 60 Jahre festlegt.
Das Bundesarbeitsgericht hat durch Vorlagebeschluss vom 17.06.2009 (7 AZR 112/08, AP Nr. 64 zu § 14 TzBfG) den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung zu der Frage ersucht, ob die genannte EG-Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens zur Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf und/oder der allgemeine Grundsatz des Gemeinschaftsrechts über das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters so auszulegen ist, dass sie Regelungen des nationalen Rechts entgegenstehen, die eine auf Gründen der Flugsicherheit beruhende tarifliche Altersgrenzenregelung von 60 Jahren für Piloten anerkennen.
Das Bundesarbeitsgericht hat dabei zutreffend ausgeführt, dass die Vorschriften des AGG auch auf Tarifverträge anzuwenden sind, die vor dem Inkrafttreten des AGG vereinbart wurden (aaO., Rn. 36 - 40). Denn bei einer Altersgrenze geht es nicht um eine einzelne benachteiligende Entscheidung oder Maßnahme, die bei dem Inkrafttreten des AGG bereits abgeschlossen war, vgl. § 33 Abs. 1 AGG. Vielmehr dauert die Diskriminierung bis zum Erreichen der Altersgrenze an, weshalb in einem Dauerschuldverhältnis dieser Zeitpunkt die zeitliche Anwendbarkeit des AGG auslöst.
Der Europäische Gerichtshof hat nunmehr die Vorlagefrage des Bundesarbeitsgerichts durch seine Entscheidung vom 13.09.2011 in dem oben wiedergegebenen Sinne beantwortet. Nach dieser Entscheidung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:
Ein Pilot, dessen Arbeitsvertrag automatisch endet, wenn er das 60. Lebensjahr vollendet hat, erfährt wegen seines Alters eine weniger günstige Behandlung als der Pilot, der dieses Lebensalter noch nicht erreicht hat. Nach den nationalen und der internationalen Regelungen ist es jedoch nicht erforderlich, einem Piloten die Ausübung seiner Tätigkeit nach Vollendung des 60. Lebensjahres zu untersagen. Denn nach dem internationalen Regelungswerk für Privatflugzeugführer, Berufsflugzeugführer und Verkehrsflugzeugführer, den Joint Aviation Requirements - Flight Crew Licensing 1 vom 15.04.2003, darf der Inhaber einer Lizenz nach Vollendung des 60. Lebensjahres weiterhin als Pilot von Flugzeugen bei der gewerbsmäßigen Beförderung eingesetzt werden, wenn er Mitglied einer Flugbesatzung ist, die aus mehreren Piloten besteht, und die anderen Piloten das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. § 4 der 1. Durchführungsverordnung zur Verordnung über Luftfahrtpersonal vom 15.04.2003 erlaubt dem Inhaber einer in der Bundesrepublik Deutschland ausgestellten Berufs- oder Verkehrspilotenlizenz, die Rechte seiner Lizenz nach Vollendung des 60. Lebensjahres bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch in Luftfahrzeugen mit einer Mindestbesatzung von einem Piloten bei der gewerbsmäßigen Beförderung von Fluggästen, Post und/oder Fracht, beschränkt auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland, auszuüben.
Der Europäische Gerichtshof geht deshalb davon aus, dass das tarifvertragliche Verbot, nach Erreichen des 60. Lebensjahres ein Flugzeug zu führen, für die Erreichung des verfolgten Zieles nicht notwendig ist. Vielmehr haben die Tarifvertragsparteien durch die Festlegung der Altersgrenze von 60 Jahren diesen Piloten unverhältnismäßige Anforderungen auferlegt. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 ist somit dahin auszulegen, dass er einer tarifvertraglichen Klausel entgegensteht, die die Altersgrenze, ab der Piloten als körperlich nicht mehr fähig zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gelten, auf 60 Jahre festlegt, während die nationalen und internationalen Regelungen dieses Alter auf 65 Jahre festlegen.
An dieser Auslegung der europarechtlichen Normen durch den EuGH ist die erkennende Kammer gebunden. Der EuGH ist als gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 GG zur endgültigen Entscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts berufen (BAG vom 24.03.2009, 9 AZR 983/07, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG, Rn. 47).
Damit steht fest, dass die in § 27 MTV enthaltene Befristung des Arbeitsverhältnisses eines Piloten auf Vollendung des 60. Lebensjahres unwirksam ist, da der Kläger durch diese Regelung wegen seines Alters benachteiligt wird. Es liegt ein Verstoß gegen §§ 1, 7 Abs. 1 AGG vor. Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen, sind nach § 7 Abs. 2 AGB unwirksam.
III. Auf die Berufung des Klägers war das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern.
Die Beklagte hat als unterliegende Partei gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor. Das Bundesarbeitsgericht hat die im Streit stehende Rechtsfrage nunmehr durch 2 Urteile vom 18.01.2012 für entsprechende tarifvertragliche Vorschriften bei der Lufthansa (7 AZR 112/08) bzw. bei Condor (7 AZR 211/09) im vorstehenden Sinne entschieden.
Gegen dieses Urteil ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.