Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.04.2012, Az.: 5 Sa 1607/11

Zahlungsklage eines Leiharbeitsnehmers auf Differenzvergütung bei unklarer arbeitsvertraglicher Verweisungsklausel

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.04.2012
Aktenzeichen
5 Sa 1607/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 15422
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2012:0419.5SA1607.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hameln - 3 Ca 204/11 - 12.10.2011

Fundstelle

  • ArbR 2012, 329

Amtlicher Leitsatz

Eine in einem vorformulierten Arbeitsvertrag enthaltene Verweisungsnorm, die auf Tarifverträge verweist, die von sechs Gewerkschaften abgeschlossen werden können, ist wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gem. § 307 I Satz 2 BGB unwirksam.

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 12.10.2011 - Az: 3 Ca 204/11 - wie folgt abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 204,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9.3.2011 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche des Klägers für den Zeitraum vom 15. bis zum 22.11.2010, gestützt auf den Grundsatz des sogenannten equal pay.

2

Der Kläger war aufgrund Arbeitsvertrages vom 12.11.2010, wegen der genauen Einzelheiten wird auf eben diesen Arbeitsvertrag (Anlage zur Klageschrift, Bl. 8 bis 15 der Gerichtsakte) verwiesen, vom 15.11.2010 bis zum 15.06.2011 erstmalig bei der Beklagten als Leiharbeitnehmer tätig. Unmittelbar zuvor war er arbeitslos.

3

Die Beklagte setzte ihn in der Zeit vom 15. bis 22.11.2010 bei der Firma B. A. GmbH ein und rechnete seinen Einsatz nach den Bestimmungen des Tarifvertrages AMP/CGZP ab - zzgl. einer einsatzbezogenen Zulage in Höhe von 0,40 € pro Stunde. Dabei erzielte der Kläger ein höheres Nettoeinkommen als er vor Beginn des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten an Arbeitslosengeld bezogen hatte.

4

Der Kläger hat erstinstanzlich Differenzvergütungsansprüche für den Zeitraum vom 15. bis 22.11.2010 in Höhe von 204,30 € brutto geltend gemacht und die Auffassung vertreten, die Vergütungsvereinbarung sei unwirksam.

5

Er hat beantragt,

6

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 204,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.03.2011 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Sie hat die Auffassung vertreten, ein Anspruch gestützt auf den Grundsatz des equal pay sei bereits deswegen nicht einschlägig, da die in dem streitgegenständlichen Zeitraum an den Kläger gezahlten Vergütung das zuvor bezogene Arbeitslosengeld überstiegen habe.

10

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 2 und 3 desselben, Bl. 78 und 79 der Gerichtsakte) verwiesen.

11

Mit Urteil vom 12.10.2011 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 3 und 4 desselben, Bl. 79 und 80 der Gerichtsakte) verwiesen.

12

Dieses Urteil ist dem Kläger am 24.10.2011 zugestellt worden. Mit einem am 21.11.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese mit einem am 11.01.2012 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht antragsgemäß mit Beschluss vom 20.11.2011 die Rechtsmittelfrist bis zum 24.01.2012 verlängert hatte.

13

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger das erstinstanzliche Klageziel in vollem Umfang weiter. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er meint insbesondere, die seinerzeitige Fassung des § 9 Ziffer 2 AÜG sei europarechtswidrig und damit unanwendbar gewesen. Darüber hinaus fehle es bereits aufgrund einer unklaren tarifvertraglichen Bezugnahme an einer wirksamen Vergütungsvereinbarung. Dies eröffne den Weg zu einem equal pay-Anspruch. Hierzu behauptet er, bei der Entleihfirma B. A. GmbH sei selbst bei einfachsten Helfertätigkeiten auch innerhalb der ersten 6 Monate ein Stundensatz von 11,74 € brutto gezahlt worden.

14

Er beantragt,

15

auf seine Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 12.10.2011, AZ: 3 Ca 204/11 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 204,30 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.03.2011 zu zahlen.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Berufung zurückzuweisen.

18

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

19

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 09.01. und 16.03.2012 verwiesen.

20

Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben, durch die Vernehmung des Zeugen. Wegen der genauen Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 19.04.2012 verwiesen.

Entscheidungsgründe

21

A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).

22

B. Die Berufung ist begründet. Sie führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur Stattgabe der Klage. Die Beklagte schuldet dem Kläger die geltend gemachte Differenzvergütung in Höhe von 204,30 € brutto für den Zeitraum vom 15. bis 22.11.2010 gem. § 10 Abs. 4 AÜG.

23

1. § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet den Vertragsarbeitgeber, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Verleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Tarifentgeltes zu gewähren. Hiervon macht der auf den Streitfall anwendbare § 9 Nr. 2 AÜG (alte Fassung) eine Ausnahme, die das Arbeitsgericht in seinem Urteil untersucht und beschieden hat. Nach der inzwischen geänderten und seinerzeit maßgebenden Fassung durfte eine Vergütungsvereinbarung von diesem equal pay Grundsatz abweichen, wenn der Arbeitnehmer zuvor arbeitslos war und bei einem Entleiher für die Dauer von höchstens 6 Wochen mindestens ein Nettoarbeitsentgelt in Höhe des Betrages erhalten hat, den der Leiharbeitnehmer zuvor als Arbeitslosengeld erhalten hat.

24

Wenn auch der Kläger in dem streitgegenständlichem Zeitraum mehr Arbeitsvergütung erhalten hat als zuvor Arbeitslosengeld, dann greift die in § 9 Nr. 2 AÜG (alte Fassung) genannte Ausnahme dennoch nicht ein. Es kann ausdrücklich dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift europarechtswidrig war und deswegen nicht angewendet werden dürfte. Denn der zuvor genannte Ausnahmetatbestand setzt eine wirksame Vergütungsvereinbarung voraus. Ist die Vergütungsvereinbarung unwirksam, dann kommt es nicht darauf an, ob die tatsächlich aufgrund der unwirksamen Vergütungsvereinbarung geleistete Arbeitsvergütung das zuvor gezahlte Arbeitslosengeld übersteigt. Es verbleibt bei der in § 10 Abs. 4 AÜG angeordneten Folge des sogenannten equal pay-Grundsatzes.

25

2. Die arbeitsvertraglich geregelte Vergütungsvereinbarung ist gem. § 307 Abs. 1 BGB deswegen unwirksam, weil sie nicht klar und verständlich ist. Sie erfüllt nicht das in diesem Vorschrift genannte Transparentgebot.

26

a. Der von den Parteien unterzeichnete schriftliche Arbeitsvertrag ist von der Beklagten vorformuliert und deshalb an den Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB zu messen.

27

b. Die Parteien haben nicht bereits in § 5 des schriftlichen Arbeitsvertrages eine klare und eindeutige Vergütungsregelung getroffen. Wenn auch dort der Stundenlohn betragsmäßig beziffert ist, zeigt die Fassung dieser Vergütungsvereinbarung, dass es sich bei ihr nicht um eine konstitutive Vergütungsregelung handelt, durch die die Vergütung unmittelbar festgesetzt wird, sondern lediglich um eine deklaratorische Vergütungsregelung, bei der hinsichtlich der Vergütungshöhe maßgeblich auf die zugrunde legenden Tarifverträge verwiesen wird. Dies folgt aus der grundsätzlichen Hervorhebung der Tarifverträge als Grundlage der Arbeitsvergütung und der konkreten Formulierung: "Der Stundenlohn beträgt danach 7,60 € brutto", was zeigt, dass die konkrete Vergütungshöhe aus der Anwendung der maßgeblichen Tarifverträge abgeleitet worden ist.

28

c. Die Verweisungsvorschrift des § 2 auf die anwendbaren Tarifverträge ist unklar, intransparent und unwirksam.

29

aa. Nach § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbestimmungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen dem Gebot von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Diese unangemessene Benachteiligung kann sich daraus ergeben, dass die Bedingung nicht klar und verständlich ist. Das Transparentsgebot schließt das Bestimmtheitsgebot ein. Danach müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen und Rechtsfolgen so genau beschrieben werden, dass für den Verwender keine ungerechtfertigen Spielräume bestehen. Sinn des Transparentgebotes ist es, der Gefahr vorzubeugen, dass der Vertragspartner des Klauselverwenders von der Durchsetzung bestehender Rechte abgehalten wird. Allerdings ist nicht schon die Verweisung auf die Vorschriften eines Gesetzes oder eines anderen Regelungswerkes für sich genommen intransparent. Es ist ausreichend, wenn die im Zeitpunkt der jeweiligen Anwendungen in Bezug genommenen Regelungen bestimmbar sind. Werden jedoch unklar abgefasste Allgemeine Vertragsbedingungen die Gefahr in sich, dass der Arbeitnehmer seine Rechte nicht wahrnimmt, liegt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB vor (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.09.2011, AZ: 7 Sa 1318/11 - DB 2012, 119 bis 122 m. w. N.).

30

bb. Unter Anwendung vorstehender Rechtsgrundsätze ist die Verweisungsklausel des § 2 des Arbeitsvertrages unklar. Es ist nicht erkennbar, welcher Tarifvertrag konkret Anwendung findet. Denn die Bezugnahmeklausel verweist nicht nur auf ein Tarifwerk sondern auf die jeweiligen Tarifverträge, die auf Arbeitnehmerseite von 6 verschiedenen Einzelgewerkschaften abgeschlossen werden können. Daran ändert auch nichts der Hinweis, dass derzeit ein Tarifvertrag maßgebend sei. Es ist für den Kläger als Empfänger der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und als schutzwürdige Vertragspartei nicht mehr erkennbar, welcher Tarifvertrag zukünftig gelten kann. Die verschiedenen in Bezug genommenen Tarifverträge können unabhängig voneinander zu verschiedenen Zeitpunkten gekündigt, neu abgeschlossen oder anderen Regelungen zugänglich seien. Diese sich dann möglicherweise widersprechenden Tarifverträge fänden ungeachtet dessen alle aufgrund der dynamischen Bezugnahmeklausel auf das Arbeitsverhältnis Anwendung, ohne dass sich im Konfliktfall bestimmen ließe, welcher Tarifvertrag der maßgebliche sein solle. Mit der Bezugnahme auf die verschiedenen Tarifverträge soll aber der gesetzlich geregelte Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, wie es im Entleiherbetrieb gezahlt wird, ausgeschlossen. Dies setzt eine klare und bestimmte Festlegung der anwendbaren Tarifverträge, durch die vom gesetzlichen Anspruch abgewichen werden soll und deren Wirksamkeit ggf. überprüft werden muss voraus (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, aaO.).

31

Diesen Voraussetzungen entspricht die streitgegenständliche Verweisungsnorm eindeutig nicht.

32

3. Fehlt es an einer wirksamen Vergütungsregelung, dann greift ohne weiteres der in § 10 Abs. 4 AÜG normierte Grundsatz des sogenannten equal pay ein.

33

4. Dem insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Kläger ist auch der Beweis gelungen, ein im Betrieb des Entleihers beschäftigter Stammarbeitnehmer hätte für die gleiche Tätigkeit wenigstens einen Stundenlohn von 11,74 € brutto erhalten. Dies hat der Kläger schlüssig vorgetragen und die Beklagte rechtserheblich bestritten. Nach der erforderlichen Beweisaufnahme ist das Berufungsgericht gem. § 286 ZPO mit der erforderlichen Gewissheit von der zu beweisenden Tatsache überzeugt.

34

a. Die volle richterliche Überzeugung erfordert das Vorhandensein einer persönlichen Gewissheit beim Richter, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Sie verlangt keine absolute Gewissheit. Dies hieße, die Grenze menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu ignorieren. Ausreichend und erforderlich ist eine persönliche Gewissheit, die den Zweifel Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 17.02.1970, Az.: 3 ZR 139/67 - BGHZ 53, 245 - 256; Urteil vom 06.06.1973, Az.: IV ZR 164/71 - BGHZ 61, 165 - 169). Mehr als die subjektive Überzeugung wird nicht gefordert, absolute Gewissheit zu verlangen hieße die Grenze menschlicher Erkenntnisfähigkeit zu ignorieren. Andererseits reicht weniger als die volle Überzeugung von der Wahrheit nicht für das Bewiesensein aus, ein bloßes Glauben, Wähnen, für wahrscheinlich halten, berechtigt den Richter nicht zu Bejahung des streitigen Tatbestandsmerkmals. Die richterliche Überzeugungsbildung ist kein ausschließlich logischer Prozess, sie ist abhängig von der individuellen Einschätzung der beurteilenden Richter (Zöller-Greger, 27. Aufl., § 286 RdNr. 13).

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b. Das Landesarbeitsgericht folgt in vollem Umfang den Bekundungen des Zeugen H., die das Beweisthema bestätigen.

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aa. Zunächst einmal legt das Gericht seine Bekundungen als wahrheitsgemäß zugrunde. Es ist von dem Wahrheitsgehalt seiner Aussage überzeugt. Der Zeuge wirkte auf das Berufungsgericht redlich und integer, er ist erkennbar um die Wahrheit bemüht und seine Aussage ist detailreich. Rückfragen begegnete er ausgewogen und er machte keine vorschnelle Aussage, mit der er einseitig die klägerische Partei begünstigt hat. Seine Aussage enthält die erforderlichen Realitätskennzeichen.

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bb. Legt man den Inhalt seiner Aussage zugrunde, dann hat er das Beweisthema bestätigt. Auch wenn er eingeräumt hat, die Entleiherin (Firma B.) habe einen neuen Arbeitsplatz eingerichtet auf dem Leiharbeitnehmer eingesetzt werden, dann konnte er doch auch bekunden, dass kein einziger bei dieser Firma beschäftigte Mitarbeiter weniger als 11,74 € erhält. Werden eigene Arbeitnehmer der Beschäftigungsfirma dieses Zeugen auf dem Arbeitsplatz der Leiharbeitnehmer beschäftigt, dann behalten sie ihre reguläre Arbeitsvergütung, die wenigstens 11,74 € beträgt. Deshalb ist die Berufungskammer davon überzeugt, dass jeder Stammarbeiter bei der Entleiharbeitnehmerin mindestens 11,74€ erhalten hätte. Dies ist Aussage des Zeugen zu entnehmen.

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5. Der Zinsanspruch ist nach den Grundsätzen des Schuldnerverzuges gem. § 288, 286 und 247 BGB gerechtfertigt.

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C. Die Beklagte hat als unterlegende Partei vollständig die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Angesichts der geringen Teilklagrücknahme in erster Instanz war entgegen § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO zugunsten des Klägers § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO anzuwenden. Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.