Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.03.2012, Az.: 8 Sa 985/11

Rechtswirksame Satzungsbestimmung des Einzelhandelsverbandes Harz-Heide e.V. zur Mitgliedschaft ohne Tarifbindung; Vergütungsklage bei fehlenden Tarifbindung der Arbeitgeberin nach Kündigung der Vollmitgliedschaft

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.03.2012
Aktenzeichen
8 Sa 985/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 16171
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2012:0319.8SA985.11.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 12.02.2014 - AZ: 4 AZR 450/12

Amtlicher Leitsatz

Die Satzung des Einzelhandelsverbandes Lüneburger Heide e. V. (heute Einzelhandelsverband Harz-Heide e.V.) enthält eine koalitionsrechtlich ausreichende Trennung zwischen Mitgliedern ohne und solchen mit Tarifbindung. Mangels beiderseitiger Tarifgebundenheit besteht daher kein Anspruch aus dem Tarifvertrag über Entgelterhöhungen, Urlaubsgeld und monatlicher Leistung.

Insbesondere ist die Verbandsmitgliedschaft mit Tarifbindung im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG von einer Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung eindeutig abgegrenzt. Die OT-Mitglieder können nicht in Tarifkommissionen entsandt werden oder den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten. Sie sind von der Verfügungsgewalt über einen Streik- oder Aussperrungsfonds ausgeschlossen. Es wird ihnen kein Stimmrecht bei Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen gewährt.

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 22. Juni 2011 - 4 Ca 67/10 - abgeändert:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3) Der Streitwert wird auf 4.663,17 Euro festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf tarifliche Entgelterhöhungen, Urlaubsgeld und eine nicht tabellenwirksame monatliche Leistung. Dabei geht der Streit insbesondere darum, ob die Beklagte an die Tarifverträge im Einzelhandel Niedersachsen gebunden ist oder ob sie vor dem Tarifabschluss wirksam von einer Vollmitgliedschaft zu einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (im Folgenden: OT-Mitgliedschaft) gewechselt hat.

2

Der Kläger, welcher der Gewerkschaft ver.di angehört, ist bei der Beklagten seit dem 1. Oktober 1998 als Verkäufer tätig. Sein monatliches Bruttogehalt betrug zuletzt 1.907,00 Euro. Die Beklagte entstand durch eine formwechselnde Umwandlung. Zum 22. November 2002änderte ihre Rechtsvorgängerin ihre Vollmitgliedschaft im Einzelhandelsverband Lüneburger Heide e.V. (heute: Einzelhandelsverband Harz-Heide e.V.) in eine OT-Mitgliedschaft. Auf das den Wechsel der Mitgliedschaft gerichtete Schreiben vom 20. November 2002 und die Bestätigung des Wechsels durch den Verbandsgeschäftsführer vom 22. November 2002 wird Bezug genommen (Bl. 79 - 81 d. A.). Am 7. August 2009 schlossen die Tarifvertragsparteien für den Einzelhandel Niedersachsen einen neuen Manteltarifvertrag, einen Gehalts- und Lohntarifvertrag sowie einen Tarifvertrag über Urlaubsgeld, Sonderzuwendungen und Entgeltfortzahlung ab, die allesamt rückwirkend zum 1. Januar 2007 in Kraft traten. Die Tariferhöhungen gab die Beklagte nicht an den Kläger weiter.

3

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug einschließlich der dortigen Sachanträge sowie der tatsächlichen und rechtlichen Würdigung, die jenes Vorbringen dort erfahren hat, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 149 bis 165 d. A.).

4

Durch Urteil vom 5. Juli 2011 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Wechsel von einer Vollmitgliedschaft im Arbeitgeberverband in eine OT-Mitgliedschaft zum 22. November 2002 habe nicht zum Wegfall der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG geführt. Die Satzung werde den an eine Verbandssatzung zu stellenden Anforderungen nicht gerecht, weil sie die Möglichkeit einer Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung vorsehe, jedoch die Bereiche der Mitglieder mit unterschiedlichem Status nicht hinreichend eindeutig trenne. Allein der in der Satzung vorgesehene Ausschluss des Stimmrechts der OT-Mitglieder bei der Beschlussfassung über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen genüge nicht, um eine Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen des Verbandes auszuschließen. Insoweit unterscheide sich die vorliegende Satzung von derjenigen, die der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15. Dezember 2010 (4 AZR 256/09) zugrunde gelegen habe. Dort sei sowohl das Stimmrecht der OT-Mitglieder ausgeschlossen worden als auch ihre Berechtigung, an Abstimmungenüber tarifpolitische Entscheidungen mitzuwirken. Denn der Begriff der Nichtmitwirkung umfasse das Verbot, OT-Mitglieder in eine Tarifkommission zu entsenden, den Verband im Außenverhältnis durch diese tarifpolitisch zu vertreten oder an Beschlüssen mitzuwirken, die gegebenenfalls bestehende Streik- oder Aussperrungsfonds angingen. Der in der vorliegenden Satzung lediglich enthaltene Stimmrechtsausschluss der OT-Mitglieder bleibe dahinter zurück.

5

Gegen dieses ihm am 24.06.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.07.2011 Berufung eingelegt, die sie am 24.08.2011 begründet hat.

6

Sie verbleibt bei ihrer bereits in erster Instanz vertretenen Auffassung nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 23.09.2011, vom 18.01.2012 und vom 12.03.2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 211 - 222; 140 - 144; 161 - 175). Insbesondere wiederholt sie ihre Auffassung, eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung sei zulässig. Die Satzung sehe eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung für Tarifangelegenheiten vor und bedinge nicht lediglich die Rechtsfolge des § 3 Abs. 1 TVG ab.

7

Die Beklagte beantragt,

8

das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 22. Juni 2011 - 4 Ca 67/10 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 05.12.2011 und seines Schriftsatzes vom 20.02.2012, auf die Bezug genommen wird (Bl. 112 bis 118; 149 bis 152 d. A.). Insbesondere hält er die Regelungen der Satzung nicht für ausreichend, um die Befugnisse von Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung für Tarifangelegenheiten klar und eindeutig zu trennen. Er bestreitet, dass bei dem Einzelhandelsverband Harz-Heide e.V. ein Streik- oder Aussperrungsfonds nicht existiere und dies bereits bei der Begründung der OT-Mitgliedschaft durch die Rechtsvorgängerin der Beklagten der Fall gewesen sei; weiter bestreitet er, dass die Geschäftsordnung des geschäftsführenden Präsidiums wirksam zustande gekommen sei, insbesondere die Vorgaben des § 10 Ziffer 13 eingehalten würden. Jedenfalls ergebe sich aus dem gesamten Gefüge der Satzungsregelungen nicht, dass ein in Gremien des Verbandes vertretenes bisheriges Vollmitglied ab Beginn der OT-Mitgliedschaft die an eine Vollmitgliedschaft gebundenen Rechte verliere.

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Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 19. März 2012, auf den Bezug genommen wird (Bl. 336 d. A.), und den Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Harz-Heide als Zeugen zu den Fragen des Bestehens von Streik- und Aussperrungsfonds und einer möglichen tarifpolitischen Vertretung nach außen vernommen. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen (Bl. 336 bis 337 d. A.).

Entscheidungsgründe

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I. Die Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG; §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO iVm § 66 Abs. 1 und 2 ArbGG).

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II. Die Berufung ist auch begründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Denn auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge des niedersächsischen Einzelhandels weder kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit noch aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme oder Allgemeinverbindlichkeitserklärung Anwendung.

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1. Ansprüche aus den am 7. August 2009 für den Einzelhandel Niedersachsen abgeschlossenen Tarifverträgen muss die Beklagte nicht gemäß § 3 Abs.1 TVG gegen sich gelten lassen. Nach dem Wechsel der Beklagten in eine OT-Mitgliedschaft im November 2002 besteht für sie keine Tarifbindung mehr. Der Inhalt der Satzung steht nicht entgegen. Er sieht tarifrechtlich wirksam die Möglichkeit einer Mitgliedschaft ohne Tarifbindung vor und genügt den Anforderungen an einen tarifrechtlich wirksamen OT-Mitgliederstatus.

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a. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann die Satzung eines Arbeitgeberverbandes unter bestimmten Voraussetzungen aus tarifrechtlicher Sicht wirksam einen Mitgliedstatus ohne Tarifbindung bereithalten (vgl. für viele: BAG vom 4. Juni 2008 - 4 AZR 419/07 - BAGE 127, 27; vom 22. April 2009 - 4 AZR 111/08 - BAGE 130, 264; vom 18. Juli 2006 - 1 ABR 36/05 - BAGE 119, 103; vom 26. August 2009 - 4 AZR 294/08 - AP TVG § 3 Verbandszugehörigkeit Nr. 28 = EzA TVG § 3 Nr. 33; vom 15. Dezember 2010 - 4 AZR 256/09 - DB 2011,1001 = EzA-SD 2010 Nr. 26; vom 18. Mai 2011 - 4 AZR 457/09 - EzA § 3 TVG Verbandsaustritt Nr. 4 = DB 2011,1815[BAG 18.05.2011 - 4 AZR 457/09]).

17

Bei der konkreten Ausgestaltung der OT-Mitgliedschaft haben die Tarifvertragsparteien in ihren Satzungen die unter dem grundgesetzlichen Schutz des Art. 9 GG stehende Tarifautonomie zu beachten. Die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie setzt einen rechtlichen Rahmen voraus, der es den Tarifvertragsparteien ermöglicht, im Verhandlungswege ausgewogene, den beiderseitigen Interessen möglichst angemessene Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen festzulegen.

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b. Das Bundesarbeitsgericht hat die Anforderungen an eine Verbandssatzung, die aus tarifrechtlicher Sicht wirksam einen Mitgliederstatus ohne Tarifbindung (OT-Mitgliedschaft) bereitstellt, in der Entscheidung vom 4. Juni 2008 (4 AZR 419/07 - aaO.) im einzelnen beschrieben und dahin konkretisiert, dass es nicht ausreicht, wenn die Satzung für die Mitglieder ohne Tarifbindung lediglich die Rechtsfolge der Tarifgebundenheit nach § 3 Abs. 1 TVG abbedingt. Wegen des im Hinblick auf die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie erforderlichen Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und Betroffenheit hinsichtlich tarifpolitischer Entscheidungen muss sie eine klare und eindeutige Trennung der Befugnisse von Mitgliedern mit und solchen ohne Tarifbindung vorsehen. Eine unmittelbare Einflussnahme von OT-Mitgliedern auf tarifpolitische Entscheidungen ist nicht zulässig. Dies ist satzungsrechtlich abzusichern: OT-Mitglieder dürfen nicht in Tarifkommissionen entsandt werden und den Verband im Außenverhältnis nicht tarifpolitisch vertreten. Sie sind von der Verfügungsgewalt über einen Streik- oder Aussperrungsfonds auszuschließen. Ihnen ist kein Stimmrecht bei Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen zu gewähren (BAG vom 20. Mai 2009 - 4 AZR 179/08 - EzA § 3 TVG Nr. 31 = AP Nr. 27 zu § 3 TVG Verbandszugehörigkeit).

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c. Unter Beachtung dieser Grundsätze genügt die Satzung des Verbandes den Anforderungen an eine wirksame Trennung von Mitgliedern mit Tarifbindung und solchen ohne Tarifbindung. Insbesondere ist die Verbandsmitgliedschaft mit Tarifbindung im Sinne des § 3 Abs. 1 TVG von einer Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung eindeutig abgegrenzt. Der erforderliche Gleichlauf von Verantwortlichkeit und Betroffenheit bezüglich der tariflichen Vereinbarungen im Hinblick auf den Abschluss von Tarifverträgen und deren normativer Wirkung für hiervon betroffene Dritte (vgl. BAG vom 4. Juni 2008 - 4 AZR 419/07 - AP TVG § 3 Nr. 38 = EzA GG Art. 9 Nr. 95) ist gewahrt. Denn die OT-Mitglieder können nicht in Tarifkommissionen entsandt werden oder den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten. Sie sind von der Verfügungsgewalt über einen Streik- oder Aussperrungsfonds ausgeschlossen. Es wird ihnen kein Stimmrecht bei Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen gewährt. All dies garantiert die hier einschlägige Satzung des Einzelhandelsverbandes Harz-Heide e.V. (ehemals Lüneburger Heide e.V.), dessen Mitglied die Beklagte ist.

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aa. Soweit vorliegend von Betracht, hat die Satzung folgenden Wortlaut:

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"§ 3

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Erwerb der Mitgliedschaft

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1. Die Mitgliedschaft ist freiwillig. Allen Mitgliedern stehen nach Maßgabe der Satzung gleiche Rechte zu. Die Mitgliedschaft können erwerben alle natürlichen und juristischen Personen, Handelsgesellschaften und andere nicht rechtsfähige Personenmehrheiten, die Einzelhandel betreiben und die zur Gewerbeausübung erforderliche Erlaubnis besitzen sowie ihren Sitz oder Niederlassung im Verbandsbereich haben.

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2. Bei Tarifverträgen, die nicht für allgemeinverbindlich erklärt sind, können die Mitglieder den Ausschluß der Tarifbindung insgesamt erklären. Die Erklärung ist schriftlich an die Verbandsgeschäftsführung zu richten. Sie wirkt zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge. Eine eventuelle Nachwirkung wird durch die Erklärung nicht verhindert. Die Erklärung kann jederzeit schriftlich widerrufen werden.

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Bei Beschlußfassung über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen haben Mitglieder ohne Tarifbindung kein Stimmrecht.

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3. Die Mitgliedschaft wird durch schriftliche Beitrittserklärung unter Anmerkung der Rechte und Pflichten der Satzung erworben. Über die Aufnahme entscheidet das Präsidium.

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4. Über die Aufnahme und die Beiträge fördernder Mitglieder entscheidet das Präsidium nach Diskussion in der Delegiertenversammlung. Fördernde Mitglieder haben kein Stimmrecht."

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Demnach sieht § 3 der Satzung ausdrücklich eine OT-Mitgliedschaft vor. Verbandsmitglieder können den Ausschluss der Tarifbindung erklären (Ziffer 2). Das hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Schreiben vom 20. November 2002 getan. Bestätigt wurde der Wechsel durch Schreiben des Verbandes vom 22. November 2002. Verknüpft ist die Bestimmung des § 3 der Satzung mit dem klarstellenden Hinweis, dass davon für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge ausgenommen sind und die Erklärung zum Ablauf der jeweils geltenden Tarifverträge wirkt.

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bb. Entgegen der Auffassung des Klägers ist gewährleistet, dass OT-Mitglieder nicht in Tarifkommissionen entsandt werden.

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(1) Zwar enthält die Satzung des Einzelhandelsverbandes Harz-Heide e.V zur Ausgestaltung der für tarifpolitische Entscheidungen bestehenden Tarifkommission keine ausdrückliche Regelung. Das aber ist dem Umstand geschuldet, dass dieser Verband keine eigene Tarifkommission hat.

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(2) Die Verbandsstruktur im Einzelhandel Niedersachsen beruht auf Bezirksverbänden, in denen die regional ansässigen Einzelhandelsunternehmen Mitglied werden können. Die Bezirksverbände waren und sind Mitglied des Unternehmensverbandes Einzelhandel Niedersachsen e.V., der niedersächsischen Spitzenorganisation im Einzelhandel (vgl. LAG Niedersachsen v. 3. Juli 2007 - 13 TaBV 104/06 - n.v.). Sämtliche tarifpolitischen Entscheidungen (inkl. Arbeitskampfmaßnahmen) werden im Tarifgebiet Niedersachsen erst auf der Ebene des Handelsverbandes Niedersachsen-Bremen e.V. getroffen. Dort sind Tarifkommissionen gebildet.

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(3) Ist somit für den Verband die Einrichtung einer Tarifkommission oder eines sonstigen tarifpolitischen Organs nicht vorgesehen und sieht auch die Satzung die Einrichtung einer Tarifkommission oder eines sonstigen tarifpolitischen Organs nicht vor, bedarf es auch keiner näheren Regelungen, die die Mitgliedschaft in diesen Organen für OT-Mitglieder ausschließen oder den Verlust entsprechender Funktionen regeln (vgl. BAG vom 15. Dezember 2010 - 4 AZR 256/09 - aaO.; vom 20. Mai 2009 - 4 AZR 230/08 - aaO.).

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cc. Entsprechendes gilt für eine mögliche Verfügungsgewalt über Streik- oder Aussperrungsfonds. Der Verband führt solche nämlich nicht. Das ist durch die Aussage des Zeugen A. bewiesen. So hat der Zeuge bekundet, dass der Einzelhandelsverband Harz-Heide e.V. noch nie Streik- oder Aussperrungsfonds hatte. Zwar sei in den Jahren 2000, 2001 oder 2002 in Niedersachen darüber diskutiert worden, ob auf Bezirksebene Streik- oder Aussperrungsfonds in den einzelnen Verbänden errichtet werden sollten. Der Einzelhandelsverband Lüneburger Heide, wie er damals hieß, habe sich als einziger auf Bezirksebene tätige Verband dafür entschieden, solche Fonds nicht einzurichten.

34

Der Zeuge ist glaubwürdig, seine Aussage glaubhaft. Der Zeuge hat sich weder auf allgemeines Erklärungswissen noch auf Vermutungen oder Wahrscheinlichkeitserwägungen gestützt. Er hat aufgrund eigener Kenntnis sicher und widerspruchsfrei berichtet. Ersichtlich hat es ihm auch nicht an hinreichendem Erinnerungswissen gefehlt. Der Zeuge kann auf eine lange Erfahrung im Verband zurückblicken. Seit 1994 ist er dort Geschäftsführer und hat in dieser Funktion die nötigen Kenntnisse zu den aufgeworfenen Fragestellungen. Seine Aussage hat das Gericht überzeugt. Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seiner Aussage bestehen nicht.

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dd. Ausdrücklich geregelt ist in der Satzung ebenfalls, dass OT-Mitglieder bei Beschlussfassungen über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen über tarifpolitische Entscheidungen kein Stimmrecht haben. Das folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut von § 3 Ziffer 2 Absatz 2, nach dem die OT-Mitglieder ganz allgemein und vollständig von allen Abstimmungen über die Festlegung tarifpolitischer Ziele oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen ausgeschlossen sind. Der Ausschluss ist umfassend. Zweifel bestehen insoweit nicht.

36

ee. Darüber hinaus gewährleistet die Satzung, dass den OT-Mitgliedern nicht ermöglicht wird, den Verband im Außenverhältnis tarifpolitisch zu vertreten. Zwar können OT-Mitglieder dem Präsidium angehören. Das ist auch tatsächlich der Fall. Sie können den Verband aber nicht im Außenverhältnis tarifpolitisch vertreten. Eine solche Vertretung geschieht nämlich nicht durch das Präsidium oder seine einzelnen Mitglieder. Der Einfluss wird, soweit es tarifpolitische Fragen betrifft, maßgeblich durch den Geschäftsführer des Verbandes, also durch den Zeugen, wahrgenommen. Auch das hat die Beweisaufnahme ergeben.

37

So hat der Zeuge A. bekundet, es komme zwar vor, dass OT-Mitglieder des Verbandes zum Präsidiumsmitglied gewählt würden. Richtig sei ebenfalls, dass ein Mitglied der Tarifkommission desübergeordneten Verbandes über Tariffragen im Präsidium berichte. Man tausche sich dann natürlich hierüber auch aus. Beschlüsseüber tarifpolitische Fragen würden im Präsidium jedoch nicht gefasst. Er selbst sei beratendes Mitglied der Tarifkommission. Neben ihm gehörten der Tarifkommission noch zwei stimmberechtigte Mitglieder des Verbandes an. Über Tariffragen werde relativ autark untereinander abgestimmt. Im Präsidium finde eine solche Abstimmung nicht statt. Nach außen trete das Präsidium nicht auf, wenn es um Tariffragen gehe. Das mache alleine die Tarifkommission auf Landesebene. Diese treffe sich im Vorfeld und führe dort intern Abstimmungen herbei.

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Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage kann entsprechend auf die Ausführungen zu II. 1c. cc. der Entscheidungsgründe verwiesen werden.

39

Da Tarifarbeit und Tarifpolitik im Präsidium des Verbandes demnach nicht stattfindet, sondern nur auf Landesebene, ist eine Vertretung durch OT-Mitglieder des Präsidiums in tarifpolitischen Fragen nach außen nicht möglich. Unschädlich ist deren Teilnahme an Beratungen zu tarifpolitischen Fragen.

40

Die allgemeinen Mitwirkungsrechte eines "gewöhnlichen" Vereinsmitglieds, welche keinen originären Bezug zur Tarifpolitik des Verbandes haben, können dagegen auch OT-Mitgliedern zustehen. Eine Beteiligung von Mitgliedern ohne Tarifbindung an der Besprechung tarifpolitischer Fragen lediglich mit beratender Stimme ist schließlich unbedenklich (vgl. BAG vom 4. Juni 2008 - 4 AZR 419/07 - aaO.).

41

Diese Handhabung wird auch durch die Satzung gewährleistet. Gemäß § 3 nimmt sie die OT-Mitglieder von allen Beschlussfassungen über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen aus. Der Begriff "Beschlussfassung" im Sinne der Norm ist weit gefasst und bezieht sich nicht nur auf das Stimmrecht an Abstimmungen über die Festlegung von tarifpolitischen Zielen oder die Annahme von Tarifverhandlungsergebnissen. Hiermit ist jede Beschlussfassung über Tariffragen und Arbeitskampfmaßnahmen gemeint, auch diejenigen im Präsidium.

42

d. Insgesamt ergibt die Satzung daher eine hinreichende Trennung zwischen Mitgliedern mit und ohne Tarifbindung in tarifpolitischen Fragen.

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2. Der Kläger hat auch keinen vertraglichen Anspruch. Er kann sich nicht auf die in § 16 seines Arbeitsvertrages einzelvertraglich vereinbarte Bezugnahme berufen. Die arbeitsvertragliche Verweisungsklausel, welche die Parteien im Arbeitsvertrag von 1998 vereinbarten, ist eine zu dieser Zeit typische, nach den Vorgaben der Verbände verwandte dynamische Bezugnahme auf geltende Tarifverträge in ihrer jeweiligen Fassung. Da die Rechtsvorgängerin der Beklagten zu dieser Zeit aufgrund ihrer Vollmitgliedschaft im tarifschließenden Arbeitgeberverband tarifgebunden war, handelt es sich bei dieser Klausel nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur um eine sog. Gleichstellungsabrede. Diese war nach der früheren Senatsrechtsprechung so auszulegen, dass die Vereinbarung der Dynamik mit der auflösenden Bedingung der normativen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an den in Bezug genommenen Tarifvertrag versehen war. Sie sollte daher in eine statische Weiterwirkung übergehen, wenn diese Tarifgebundenheit entfiele.

44

Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung zwar aufgegeben, hält an ihr jedoch für Verträge aus der Zeit vor dem 1. Januar 2002 aus Gründen des Vertrauensschutzes fest (BAG vom 18. April 2007 - 4 AZR 652/05 - BAGE 122, 74; vom 15. Juni 2011 - 4 AZR 563/09 - BB 2011, 2867 = EzA-SD 2011, Heft 23,7). Da der Arbeitsvertrag des Klägers aus einer Zeit vor dem 1. Januar 2002 stammt, ist die Bezugnahmeklausel als Gleichstellungsabrede zu verstehen. Die Vereinbarung der Dynamik ist daher mit der auflösenden Bedingung der normativen Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an den in Bezug genommenen Tarifvertrag versehen und wirkt statisch fort, wenn die Tarifbindung entfällt. Da die Tarifbindung der Beklagten bereits im Jahre 2002 entfallen ist, gelten die Tarifverträge im niedersächsischen Einzelhandel für den Kläger auch im Hinblick auf die individualrechtliche Vereinbarung im Arbeitsvertrag nur noch statisch weiter.

45

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 7 ArbGG.

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IV. Wegen grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtsfrage, die entscheidungserheblich ist, ist die Revision zugelassen worden (§ 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG).