Sozialgericht Lüneburg
v. 09.12.2010, Az.: S 2 U 99/10

Vorliegen eines Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung für einen Tierhalter bei der Betreuung und Beruhigung eines Tieres während der Untersuchung und Behandlung durch einen Tierarzt; Voraussetzungen für das Vorliegen eines Versicherungsschutzes in der gesetzlichen Unfallversicherung bei Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
09.12.2010
Aktenzeichen
S 2 U 99/10
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2010, 36296
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2010:1209.S2U99.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LSG Rheinland-Pfalz - 28.03.1990 - AZ: L 3 U 104/89

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.

2

Die Klägerin ist Halterin eines schwarz-braunen Tigerkaters. Um das Tier gegen eine Lun-genentzündung behandeln zu lassen, suchte sie am 3., 4. und 5. November 2009 jeweils die Tierärztin Dr. H. - die Beigeladene zu 1.) - zu einer Spritzenbehandlung auf. Nach den Angaben der Klägerin sei sie dabei am 5. November 2009 von der Beigeladenen zu 1.) aufgefordert worden, das Tier am Kopf festzuhalten. Dieser Aufforderung sei die Klägerin nachgekommen. Im weiteren Verlauf der Spritzenbehandlung sei der seit 13 Jahren über-aus friedliche Kater hochgesprungen und habe die Klägerin in die linke Hand gebissen. Die Beigeladene zu 1.) bestreitet, dass sie die Klägerin gebeten habe, das Tier festzuhal-ten. Vielmehr habe die Klägerin beim Festhalten dem Tier - möglicherweise versehentlich - die Luft abgesperrt, weswegen es sich gewehrt habe.

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Nach dem Ereignis schwoll die Hand der Klägerin stark an. Sie wurde in das I. eingeliefert, wo sie an der linken Hand operiert wurde und für eine Woche in stationärer Behandlung verblieb.

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Am 15. Februar 2010 machte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten das Ereignis vom 5. November 2009 als Arbeitsunfall gelten und beantragte die Übernahme von Heilbehandlungskosten und die Zahlung von Verletztengeld. Mit dem Bescheid vom 19. März 2010 lehnte die Beklagte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab und berief sich hierbei auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts (= LSG) Rheinland-Pfalz vom 28. März 1990 (L 3 U 104/89). Darin ist ausgeführt, dass der Tierhalter bei der Betreuung und Beruhigung des Tieres während der Untersuchung und Behandlung durch einen Tier-arzt seine eigenen Aufgaben als Tierhalter wahrnimmt und daher nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 12. August 2010 zurückgewiesen.

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Hiergegen hat die Kläger durch ihren Prozessbevollmächtigten am 30. August 2010 beim Sozialgericht (= SG) Lüneburg Klage erhoben. Mit dem Beschluss vom 8. September 2010 wurden Dr. H. und ihre Haftpflichtversicherung zum Rechtsstreit beigeladen. Auch sie vertreten unter Berufung auf mehrere zivilrechtliche Urteile die Auffassung, dass es sich bei dem Ereignis vom 5. November 2009 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat.

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Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

  1. 1.)

    den Bescheid der Beklagten vom 19. März 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 12. August 2010 aufzuheben,

  2. 2.)

    festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 5. November 2009 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat,

  3. 3.)

    die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

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Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

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Der Entscheidung wurden die Gerichtsakten und die Akten des Beklagten zugrunde gelegt. Auf ihren Inhalt wird Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gem. § 54 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 SGG zulässig, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass das Ereignis vom 26. August 2009 ein Arbeitsunfall war (vgl. Bundessozialgericht (=BSG), Urt. v. 15. Februar 2005 - B 2 U 1/04 R). An dieser Feststellung hat die Klägerin auch ein recht-liches Interesse. Die Klage ist jedoch unzulässig, soweit sie auf die Gewährung von Ent-schädigungsleistungen gerichtet ist. Ein solches Klageziel wäre nur im Wege der kombi-nierten Anfechtungs- und Verpflichtungs- bzw. Leistungsklage möglich. Diese setzt wieder-um voraus, dass der Unfallversicherungsträger hinsichtlich einer konkret bestimmten Leis-tung einen Verwaltungsakt erlassen hat und ein darauf gerichtetes Widerspruchsverfahren durchgeführt wurde (vgl. § 78 SGG; BSG, Urt. v. 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R). Dies war jedoch hier nicht der Fall, da die Beklagte nicht über die Gewährung von konkreten Leistungen entschieden hat. Ein abstrakter, nur allgemein auf die Erbringung von Entschä-digungsleistungen gerichteter Antrag ist demgegenüber nicht zulässig (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 9. Aufl., § 55 SGG, Rz. 13 b, m.w.N.; BSG, Urt. v. 7. September 2004 - B 2 U 46/03 R; Urt. v. 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R; BSG, Urt. v. 16. Novem-ber 2005 - B 2 U 28/04 R).

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Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig, da die Klägerin bei dem Ereignis vom 5. November 2009 nicht unter dem Schutz der gesetzli-chen Unfallversicherung stand und daher das angeschuldigte Ereignis nicht als Arbeitsun-fall anerkannt werden kann. Gem. § 8 Abs. 1 SGB VII ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter während einer versicherten Tätigkeit erleidet und der zu einem Gesund-heitsschaden oder zum Tod führt. Versicherungsschutz kommt hier nur unter dem Aspekt des § 2 Abs. 2 SGB VII in Betracht. Danach sind auch solche Personen gegen die Risiken eines Arbeitsunfalls versichert, die "wie ein Beschäftigter tätig werden". § 2 Abs. 2 SGB VII ist allerdings keine Auffangvorschrift für alle jene Personen, die nicht schon gem.§ 2 Abs. 1 SGB VII versichert sind. Dies würde nämlich zu einer nahezu unbegrenzten Ausweitung eines beitragsfreien Versicherungsschutzes führen, was dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechen würde. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (= BSG) soll bei Fehlen eines Beschäftigungsverhältnisses eine Tätigkeit vielmehr nur dann versichert sein, wenn es sich um eine ernstliche, dem Unter-nehmen (eines anderen) dienende Tätigkeit handelt, diese dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht und ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Zeitdauer nach Ähnlichkeit mit einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses hat (vgl. BSGE 42, 36, 38 [BSG 20.05.1976 - 8 RU 76/75]; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 57). Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Zwar hätte der Kater theoretisch auch von einer Mitarbeiterin der Beigeladenen zu 1.) festgehalten werden können. Für den Unfallversicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 SGB VI reicht es jedoch nicht aus, dass einzelne Verrichtungen losgelöst von den sie tragenden Umständen dem Unter-nehmen nützlich und ihrer der Art nach üblicherweise sonst dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich sind (BSGE 31, 275, 277 [BSG 25.08.1970 - 2 RU 51/68]). Denn nicht alle diese Verrichtungen werden in ar-beitnehmerähnlicher Tätigkeit ausgeübt. Bei der Frage, ob eine versicherte Tätigkeit aus-geübt wurde, kommt es vielmehr nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheidend auf die Motive und den Zweck des Handelns, d.h. die sog. Handlungsten-denz, zum Unfallzeitpunkt an. Verfolgt eine Person mit einem solchen Verhalten in Wirk-lichkeit wesentlich allein ihre eigenen Angelegenheiten, ist sie nicht mit fremdwirtschaftli-cher Zweckbestimmung tätig. In diesem Fall entfällt der Versicherungsschutz gem. § 2 Abs. 2 SGB VII (vgl. BSG, Urt. v. 20. Januar 1987 - 2 RU 15/86; BSGE, Urt. v. 5. Juli 2005 - B 2 U 22/04, R m.w.N.). So liegt es hier, weil die Beigeladene ausschließlich im Rah-men des tierärztlichen Behandlungsvertrags als Kundin der Beigeladenen zu 1.) tätig wur-de. Dies zeigt sich schon daran, dass sie selbst den Katzenbiss auf eine Nebenpflichtver-letzung des tierärztlichen Behandlungsvertrags zurückführt und gegenüber den Beigelade-nen entsprechende Schadensersatzansprüche geltend gemacht hat. Darüber hinaus war das Festhalten des Katers durch die eigene Halterin auch nur eine vom Umfang und Zeit-aufwand her unwesentliche Handreichung von geringer Bedeutung, die typischerweise als übliche, geringfügige oder alltägliche Handreichung nicht unter Versicherungsschutz steht (LSG) Rheinland-Pfalz, Urt. v. 28. März 1990 - L 3 U 104/89; BSG SozR 2200 § 539 Nr. 57). Es handelte sich hierbei vielmehr um eine Hilfestellung, wie sie im Rahmen einer Dienstleister-Kunden-Beziehung geradezu typisch ist. So ist bspw. bei der Anprobe beim Schneider oder in einem Bekleidungsgeschäft immer eine gewisse Mitwirkung des Kunden erforderlich, ohne dass er durch diese Handreichungen zum Angestellten seiner eigenen Bedienung würde. Entsprechendes gilt auch bei einem Behandlungstermin durch den Hausarzt. Auch hier wird der Patient nicht dadurch wie ein Beschäftigter des Arztes tätig, wenn er dessen Anweisungen im Rahmen der eigenen Behandlung folgt. All diese Mitwir-kungshandlungen dienen vielmehr dazu, dass - aus Sicht des Kunden - ein optimales Ver-trags- bzw. Behandlungsergebnis erzielt werden kann. So liegt es auch hier. Der Zweck der Hilfestellung durch die Klägerin war daher ausschließlich das Wohl und eine optimale Versorgung ihres Katers im Rahmen des auf ihre Initiative hin geschlossenen tierärztlichen Behandlungsvertrags. In diesem Zusammenhang ist auch unerheblich, ob die Klägerin von der Tierärztin gebeten wurde, das Tier festzuhalten. Selbst wenn dies der Fall war, hat sie - entsprechend der obigen Ausführungen - dadurch nicht ihre Eigenschaft als Kundin und damit die eigenwirtschaftliche Handlungstendenz verloren. Aus diesem Grund mussten auch die zum Beleg dieser Tatsache angebotenen Zeugen nicht gehört werden. Im Übri-gen folgt die Kammer in vollem Umfang der Auffassung des LSG Rheinland-Pfalz im o. g. Urteil vom 28. März 1990.

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Der Auffassung des OLG Düsseldorf konnte sich die Kammer daher nicht anschließen (OLG Düsseldorf Versicherungsrecht 1991, 1036). In diesem Zusammenhang sei aber darauf hingewiesen, dass die Feststellung, ob ein Arbeitsunfall vorgelegen hat, vorrangig durch die Träger der Unfallversicherung und sukzessive die Gerichte der Sozialgerichts-barkeit zu erfolgen hat und die ordentlichen Gerichte an diese Entscheidung gebunden sind (§ 108 SGB VII).

13

Der Rechtsstreit konnte durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) entschieden werden, nach-dem der Sachverhalt - soweit für die Entscheidung von Bedeutung - geklärt ist und die Beteiligten hierzu gehört wurden.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Rechtsmittelbelehrung:

16

Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden.

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...

18

G.