Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 20.09.2010, Az.: S 25 AS 2015/09

Anspruch auf Eingliederungszuschuss durch die Agentur für Arbeit im Falle der Einordnung des zu fördernden Arbeitsverhälnisses als ein wucherähnliches Rechtsgeschäft

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
20.09.2010
Aktenzeichen
S 25 AS 2015/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 34214
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:SGLUENE:2010:0920.S25AS2015.09.0A

Tenor:

  1. I.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. II.

    Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten eine Förderung im Rahmen eines Eingliederungszuschusses für einen bei der Klägerin seit dem 01.04.2009 beschäftigten Arbeitnehmer.

2

Die Klägerin betreibt ein überregionales Speditions-, Transport- und Lagerungsunternehmen in E., F. und G ...

3

In der Zeit 18.02.2009 bis 17.03.2009 wurde im Betrieb der Klägerin ein durch die Beklagte durch Leistungen zur Eingliederung geförderter sogenannter Trainingscheck für den arbeitsuchenden Herrn H. I. als Lagerhelfer durchgeführt. Gegen Beendigung des Trainingschecks teilte die Klägerin der Beklagten mit, ein Interesse an einer Beschäftigung des Arbeitsuchenden zu haben. Im weiteren Verlauf der Gespräche machte die Klägerin der Beklagten deutlich, dass sie dabei allerdings auf die Förderung im Rahmen eines Eingliederungszuschusses angewiesen sei.

4

Mit Schreiben vom 17.03.2009 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Förderung im Rahmen eines Eingliederungszuschusses für den Arbeitnehmer H. I ...

5

Am 01.04.2009 wurde zwischen der Klägerin und Herrn H. I. ein befristeter Arbeitsvertrag geschlossen. Dieser enthält unter anderem folgende Regelungen:

" § 3 Arbeitszeit

(1) Die wöchentliche Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen und beträgt ca. 36 Stunden exklusive der Pausen. (2) Die Regelarbeitstage sind Montag bis Freitag, davon 2 feste Tage und 2 Tage variabel, je nach Arbeitsanfall / Vereinbarung. (3) Die Lage der Arbeitszeit und deren Verteilung auf die einzelnen Wochentag wird von S T S GmbH bestimmt.

§ 4 Vergütung / Sonderzulagen

(1) Für die Tätigkeit gemäß diesem Vertrag erhält der/die Mitarbeiterin eine monatliche Brutto-Entlohnung wie folgt:

Basislohn monatlich EUR 540,00 (in Worten ) Logistiktätigkeiten (1 x wöchentlich Schrag) monatlich EUR 100,00 (in Worten )

Zusatzleistung (freiwillige Zahlung) Arbeitszulage / Anwesenheit täglich EUR 20,00 (in Worten ) Urlaubsgeld pro U-Tag EUR 30,00 (in Worten ) Betriebszugehörigkeit pro Jahr EUR 25,00 (in Worten )

Prämien (freiwillige Zahlung) Schadenfreiheit / Sorgfältigkeit - Kommissioniertätigkeiten monatlich EUR 160,00 (in Worten ) Bei nicht gemeldeten Schäden, auch Schäden durch Dritte, behält sich STS GmbH vor, den Mitarbeiter für die gesamten Kosten in Regreß zu nehmen. Sauberkeit, Auftreten, Verhalten, etc. monatlich EUR 80,00 (in Worten )

Bonus (freiwillige Zahlung) Tageseinsatz/-erfolg (in Vorbereitung) Der/Die Mitarbeiter/in wird täglich mit einem internen Punktsystem bewertet. Hierbei werden die wirtschaftlichen Verhältnisse von STS GmbH, die Auftragslage, der persönliche Einsatz sowie das Verhalten des/der Mitarbeiters/Mitarbeiterin und besondere (Extra-) Arbeiten berücksichtigt. Der Bonus wird jeweils im Folgemonat berechnet und ausgezahlt. - Vorab-Bonus, bis zur Umsetzung monatlich EUR 100,00 (in worten )

(2) Weitere Vergütungen wie zum Beispiel Weihnachtsgratifikation, etc. sind mit dem Gehalt (Abs. 1) den Zusatzleistungen, der Prämie und dem Bonus abgegolten.

(3) STS GmbH kann aus wirtschaftlichen Gründen oder aufgrund des Verhaltens des/der Mitarbeiters/Mitarbeiterin die gesamten Sonderzahlungen (Zusatzleistungen, Prämien und Bonus) jederzeit ganz oder teilweise aussetzen oder einstellen. Dieses ist dem/der Mitarbeiter/in bewußt und wird akzeptiert.

(4) Evtl. Überstunden werden nach den betrieblichen Möglichkeiten durch Freizeit oder die Bonuszahlung ausgeglichen. Eventuelle Überstundenzuschläge sind durch die monatlichen Vergütungen (Abs. 1) abgegolten.

(5) Die Auszahlung des Lohnes erfolgt am Monatsende bargeldlos. Die Überweisung erfolgt auf das Konto bei der J. (Konto-Nr.: K. - BLZ L.). "

6

Nach mehreren Telefonaten zwischen der Klägerin und der Beklagten versandte die Beklagte am 19.05.2009 eine E-Mail, in welcher es heißt:

"Wie bereits in der letzten Woche mitgeteilt, lehnt unser Leistungsservice die Zahlung des EGZ ab, da der Vertrag lediglich 640,- EUR Festleistungen beinhaltet und ansonsten nur Kannleistungen - (wenn Kd oder der Geschäftsverlauf es zulassen). Sie sagten mir zu, das Problem mir per Fax, ggf. geändert zukommen zu lassen. Der Eingliederungszuschuss wird nur auf Festeinkommen gezahlt und bei mindestens 640,- EUR Basislohn. "

7

Mit Bescheid vom 20.07.2009 wurde der Antrag der Klägerin vom 17.03.2009 auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses abgelehnt. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 27.07.20090 Widerspruch ein, welcher mit der Klägerin am 20.11.2009 zugegangenem Widerspruchsbescheid vom 17.11.2009 zurückgewiesen wurde. Im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Eingliederung seien die Grundsätze der Vermittlung nach § 36 SGB III zu berücksichtigen, danach dürfe die Agentur für Arbeit nicht vermitteln, wenn ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis begründet werden soll, das gegen die guten Sitten verstößt. Dies sei bei dem dem Antrag zugrunde liegenden Arbeitsverhältnis der Fall; dieses sei sittenwidrig nach § 138 BGB. Es liege ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne des § 138 BGB vor, weil die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohnes erreiche. Vorliegend sei nur der regelmäßig geschuldete Basislohn in Höhe von EUR 640,- monatlich zugrunde zu legen. Das durchschnittliche Arbeitsentgelt eines Lagerfachhelfers in Niedersachsen liege bei EUR 1.175,- monatlich, die Zweidrittel-Grenze bei EUR 783,33. Der Basislohn der Klägerin liege mit EUR 640,- darunter und sei damit als sittenwidrig einzustufen.

8

Hiergegen hat die Klägerin am 18.12.2009 Klage erhoben. Sie macht geltend, die Beklagte könne nicht willkürlich das ortsübliche Arbeitsentgelt als regelmäßig geschuldeten Basislohn festlegen und das regelmäßig vom Geförderten bezogene Entgelt in Höhe von monatlich EUR 1.300,- unberücksichtigt lassen. Herr I. erhalte bei einem Stundenvolumen von 36 Stunden pro Woche einen Basislohn von EUR 640,- sein tatsächliches regelmäßiges Gehalt inklusive der weiteren Lohnbestandteile betrage jedoch EUR 1.300,-. Eine Sittenwidrigkeit des Arbeitsvertrages sei damit nicht gegeben. Im Übrigen stehe die Entscheidung der Beklagten auch im Widerspruch zu ihren in der E-Mail vom 19.05.2009 getroffenen Aussagen.

9

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 20.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.11.2009 aufzuheben.

10

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

11

Sie hält den angefochtenen Bescheid für rechtmäßig und verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

12

Das Gericht hat die Beteiligten mit Verfügung vom 03.09.2010 zur Frage der Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört.

13

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten im Gerichts- und Verwaltungsverfahren wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid nach § 105 Abs. 1 SGG entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.

15

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

16

I.

Die als sogenannte unechte Leistungsklage auf Aufhebung des Ablehnungsbescheides und Leistung auszulegende Klage ist zulässig, insbesondere auch form- und fristgerecht eingelegt.

17

II.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid vom 20.07.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 17.11.209 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Eingliederung nach§ 16 SGB II.

18

1.

Nach § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II erbringt die Agentur für Arbeit zur Eingliederung in Arbeit Leistungen nach § 35 SGB III. Als Leistungen zur Eingliederung kommen dabei Leistungen an Arbeitgeber bei Einstellung von Arbeitnehmern in Form von Eingliederungszuschüssen nach §§ 217 ff., 421 ff. SGB III in Betracht.

19

Dabei haben die Leistungsträger neben den allgemeinen Leistungsgrundsätzen auch die Grundsätze der Vermittlung nach§ 36 SGB III zu beachten. (Münder, SGB II, Anh. zu § 16 Rn. 5)

20

Eine Gewährung von Leistungen zur Eingliederung scheidet danach aus, wenn ein Arbeitsverhältnis gefördert werden soll, das gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt. Dies ergibt sich zum einen aus § 16 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. §§ 35, 36 SGB III. Denn nach § 36 Abs. 1 SGB III darf die Agentur für Arbeit nicht vermitteln, wenn ein Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis begründet werden soll, das gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstößt. Zum anderen folgt aus der Bindung der Beklagten an Recht und Gesetz, dass sie keine Arbeitsverhältnisse fördern darf, die gegen ein Gesetz oder die guten Sitten verstoßen.

21

So liegen die Dinge jedoch hier. Der zwischen der Klägerin und Herrn I. geschlossene Arbeitsvertrag vom 01.04.2009 ist jedenfalls als sogenanntes wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig.

22

Auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 nicht in allen Voraussetzungen erfüllt ist, kann ein Vertrag als wucherähnliches Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein (BGHZ 146, 298, 301 m.w.N.).

23

Objektive Voraussetzung eines wucherähnlichen Geschäfts ist eine Äquivalenzstörung, die sich - ebenso wie § 138 Abs. 2 BGB dies für den Wucher ausdrücklich vorsieht - als auffälliges Leistungsmissverhältnis darstellt. Zu dem objektiv auffälligen Leistungsmissverhältnis muss eine verwerfliche Gesinnung hinzu treten. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

24

a)

Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung liegt bei einem Arbeitsvertrag vor, wenn die Arbeitsvergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns erreicht (BAG, Urteil vom 22.04.2009, Az.: 5 AZR 436/08). Ein derartiges Missverhältnis ist vorliegend gegeben.

25

Der für einen in einem Transport/Speditionsunternehmen in Niedersachsen zu zahlende Tarifstundenlohn für einen Lagerhelfer beträgt nach dem gültigen ETV für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Verkehrsgewerbes vom 10.09.2008 im ersten Jahr der Betriebszugehörigkeit EUR 8,60. Unter Berücksichtigung einer 36-Stunden-Woche ergibt dies einen Bruttomonatslohn von mindestens EUR 1.238,40.

26

Der dem Arbeitnehmer I. nach dem Arbeitsvertrag zustehende Lohn beträgt mit EUR 640,- lediglich 52% des Tariflohnes und damit weniger als zwei Drittel des in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns.

27

Soweit die Klägerin vorträgt, der Arbeitnehmer beziehe tatsächlich ein regelmäßiges Gehalt in Höhe von EUR 1.300,-, ist dies unerheblich. Denn zum einen berücksichtigt die Grenzziehung bei einer Unterschreitung des Tariflohns um mehr als ein Drittel bereits, dass Tarifverträge vielfach Zusatzleistungen vorsehen; Zulagen und Zuschläge für besondere Arbeiten und Arbeitszeiten oder aus bestimmen Anlässen sind ebenso wenig einzubeziehen wie unregelmäßige Zusatzleistungen eines Arbeitgebers im streitigen Arbeitsverhältnis, derartige Leistungen stimmen grundsätzlich weder den verkehrsüblichen Wert der Arbeit als solchen noch den Charakter des Arbeitsverhältnisses (BAG, a.a.O.). Zum anderen werden dem Arbeitnehmer im vorliegenden Arbeitsvertrag keine rechtsverbindlichen Ansprüche auf Zusatzleistungen, Prämien oder Boni eingeräumt. Diese Leistungen werden im Arbeitsvertrag ausdrücklich als "freiwillige Zahlungen" deklariert.

28

b)

Auch die subjektiven Voraussetzungen des wucherähnlichen Geschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB liegen vor.

29

Das wucherähnliche Rechtsgeschäft setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Begünstigte im Vertrag Kenntnis vom Missverhältnis der beiderseitigen Leistungen hat, seine verwerfliche Gesinnung ist nicht nur dann zu bejahen, wenn er als der wirtschaftlich oder intellektuell Überlegene die schwächere Lage des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt, sondern auch dann, wenn er sich leichtfertig der Einsicht verschließt, dass sich der andere Teil nur wegen seiner schwächeren Lage oder unter dem Zwang der Verhältnisse auf den ungünstigen Vertrag einlässt (hier bitte die Fundstelle aus der Verfügung vom 07.09.2010 einfügen). Dabei spricht ein besonders auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung ohne weiteres für eine verwerfliche Gesinnung des Begünstigten (BAG, a.a.O.).

30

2.

Aus der E-Mail der Beklagten vom 19.05.2009 kann die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung eines Eingliederungszuschusses herleiten.

31

Dabei kann die Rechtsnatur der Nachricht vom 19.05.2010, also die Frage, ob es sich herbei um eine rechtlich nicht verbindliche bloße Mitteilung der Beklagten handelte oder möglicherweise um eine Zusicherung nach § 34 SGB X, dahinstehen. Denn selbst wenn es sich - wozu die Kammer nicht neigt - bei der E-Mail vom 19.05.2009 um eine Zusicherung gehandelt hat, erfüllt diese mangels der Unterschrift nicht die Anforderungen an die Schriftform im Sinne des § 34 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 33 Abs. 2 Satz 1 SGB X, die mangels qualifizierter elektronischer Signatur auch nicht gemäߧ 33 Abs. 2 Satz 2 SGB X i.V.m. § 36 a Abs. 2 SGB I ersetzt werden konnte (vgl. OVG Lüneburg vom 17.01.2005 in NVBZ 2005, 470).

32

Auch ein bei der Entscheidung über den Eingliederungsleistungsantrag zu Gunsten der Klägerin zu beachtender Vertrauenstatbestand wurde durch die E-Mail vom 19.05.2009 nicht gesetzt. Denn der Inhalt der E-Mail ist missverständlich und ist schon deshalb nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand zu erzeugen. So wird eingangs der E-Mail mitgeteilt, dass die Zahlung des Eingliederungszuschusses abgelehnt werde, da der Vertrag lediglich 640,- EUR Festleistungen beinhalte und ansonsten nur Kannleistungen. Im übernächsten Satz hingegen wird ausgeführt, der Eingliederungszuschuss werde auf Festeinkommen gezahlt und bei mindestens 640,- EUR Basislohn.

33

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 105 Abs. 1 Satz 3, 193 SGG.