Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 20.05.2010, Az.: S 22 SO 198/09
Anspruch auf Sozialhilfe innerhalb eines Monats nach Verlassen der stationären Einrichtung in Bezug auf Grundsicherungsleistungen im Alter
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 20.05.2010
- Aktenzeichen
- S 22 SO 198/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 33287
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2010:0520.S22SO198.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 Nr. 2 SGB XII
- § 98 Abs. 2 S. 1 SGB XII
Tenor:
- 1.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die für F. G. H. in der Zeit vom 01. April 2008 bis 30. November 2009 verauslagten Aufwendungen der Sozialhil-fe in Höhe von 7.943,47 Euro zu erstatten.
- 2.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
- 3.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin erstrebt vom Beklagten die Erstattung aufgewandter Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII für Leistungsberechtigten F. G. H. für die Zeit vom 01. April 2008 bis 30. November 2009 in Höhe von 7.943,47 Euro.
Der I. geborene Leistungsberechtigte hielt sich zunächst im Zuständigkeitsbereich des Beklagten in J. auf und befand sich bis Ende März 2008 im Maßregelvollzug des Psychiatrischen Klinikums K ... Nach der Entlassung wurde er bis 10. Juni 2008 ambulant betreut und erhielt ab diesem Zeitpunkt von der Klägerin Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII.
Der Umfang der Aufwendungen ist zwischen den Beteiligten unstreitig.
Mit Schreiben vom 28. März 2008 meldete die Klägerin beim Beklagten einen Erstattungsanspruch nach § 106 Absatz 3 SGB XII an, welchen dieser ablehnte.
Die Klägerin hat am 09. Dezember 2009 Klage erhoben.
Sie trägt vor:
Der Leistungsberechtigte habe vor Aufnahme in die stationäre Einrichtung seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich des Beklagten gehabt. Auch Grundsicherungsleistungen seien gemäß § 8 Nr. 2 SGB XII Leistungen der Sozialhilfe, welche erstattungsfähig seien. Dies ergebe sich auch aus dem Schutzzweck des § 106 Absatz 3 SGB XII. Ferner finde über § 98 Absatz 4 SGB XII die Norm vorliegend Anwendung.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die für F. G. H. in der Zeit vom 01. April 2008 bis 30. November 2009 verauslagten Aufwendungen der Sozialhilfe in Höhe von 7.943,47 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen und
hilfsweise
die Berufung zuzulassen.
Er trägt vor:
§ 106 Absatz 3 SGB XII finden auf Grundsicherungsleistungen keine Anwendung. Die Zuständigkeit der Klägerin ergebe sich vielmehr aus § 98 Absatz 1 Satz 2 SGB XII.
Die Beteiligten haben übereinstimmend auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst beigezogener Verwaltungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf gemäß § 124 Absatz 2 SGG verzichtet haben.
Die Klage ist als Leistungsklage zulässig (§ 54 Absatz 5 SGB XII).
Die Klage ist auch begründet, da die Klägerin einen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten hinsichtlich der aufgewandten Grundsicherungsleistungen hat.
Rechtsgrundlage des Klagebegehrens ist § 106 Absatz 3 SGB XII.
Nach Satz 1 dieser Norm sind dem örtlichen Träger der Sozialhilfe, wenn in den Fällen des § 98 Absatz 2 die leistungsberechtigte Person die Einrichtung verlässt und sie im Bereich des örtlichen Trägers, in dem die Einrichtung liegt, innerhalb von einem Monat Leistungen der Sozialhilfe erhält, die aufgewendeten Kosten von dem Träger der Sozialhilfe zu erstatten, in dessen Bereich die leistungsberechtigte Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 98 Absatz 2 Satz 1 hatte. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. Die Erstattungspflicht wird nicht durch einen Aufenthalt außerhalb des Bereichs oder in einer Einrichtung im Sinne des § 98 Absatz 2 Satz 1 unterbrochen, wenn dieser zwei Monate nicht übersteigt; sie endet, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von zwei Monaten Leistungen nicht zu erbringen waren, spätestens nach Ablauf von zwei Jahren seit dem Verlassen der Einrichtung.
Nach § 98 Absatz 2 Satz 1 SGB XII ist für die stationäre Leistung der örtliche Träger der Sozialhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Leistungsberechtigten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Aufnahme in die Einrichtung haben oder in den zwei Monaten vor Aufnahme zuletzt gehabt hatten.
Der Leistungsberechtigte hatte bei Aufnahme in die stationäre Einrichtung seinen gewöhnlichen Aufenthalt unstreitig im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, so dass sich dessen Zuständigkeit für die stationäre Leistung aus§§ 106 Absatz 1, 98 Absatz 2 SGB XII ergibt.
Die zitierten Normen bezwecken den Schutz des Einrichtungsortes vor überproportionalen finanziellen Belastungen (vgl. Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Kommentar zum SGB XII, § 106, Rd.11). Dies entspricht auch der Zwecksetzung des§ 109 SGB XII, welcher die Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes innerhalb einer Einrichtung ausschließt.
Die Norm des § 106 Absatz 3 SGB XII normiert das Fortbestehen der Erstattungspflicht nach Absatz 1 und ist unter diesem Blickwinkel zu betrachten (vgl. LPK/SGB XII/Schoch, § 106, Rd.15).
Nach dem Wortlaut der Norm kommt es darauf an, ob innerhalb eines Monats nach Verlassen der Einrichtung Sozialhilfe erbracht wird. Darunter lassen sich gemäß § 8 Nr. 2 SGB XII auch Grundsicherungsleistungen im Alter und bei Erwerbsminderung subsumieren. Entscheidend ist bei grammatikalischer, historischer und teleologischer Auslegung der Norm allein der Umstand, dass eine Leistung der Sozialhilfe binnen Monatsfrist bezogen wird, um die Kontinuität des Hilfefalles zu gewährleisten. Nur dann ist es sachgerecht und zurechenbar, dem bislang zuständigen Leistungsträger einen auf maximal zwei Monate begrenzten Erstattungsanspruch auszusetzen.
Insoweit nimmt die Kammer auch Bezug auf das Urteil vom 02. Juli 2009 (S 22 SO 90/08).
Dieser Zurechnungszusammenhang ist vorliegend zu bejahen, weil der Hilfebedarf zum damaligen Zeitpunkt im Wesentlichen auf die Unterbringung und die begleitenden Probleme zurückzuführen war. Insoweit entspricht eine Kontinuität des Kostenträgers dem Zweck der Norm. Gesetzeshistorisch war im Übrigen Zwecksetzung dieser Norm der Schutz des Einrichtungsortes, welcher ein übergreifendes Prinzip sämtlicher Regelungen dieses Abschnitts darstellt. Dieser rechtfertigt es, nicht nur für die Zeit der Unterbringung, sondern auch einen abgegrenzten Folgezeitraum, den Leistungsträger des Einrichtungsortes zu privilegieren.
Darüber hinaus findet vorliegend über § 98 Absatz 4 SGB XII die Norm des § 106 SGB XII entsprechende Anwendung, so dass auch von einem Erstattungsanspruch auszugehen wäre, wenn man der Rechtsauffassung des Beklagten zu § 98 Absatz 1 Satz 2 SGB XII als lex specialis folgte.
Die Bagatellgrenze des § 110 Absatz 2 Satz 1 SGB XII von 2.560,- Euro ist überschritten.
Einwendungen gegen die Berechnung des Umfanges des Anspruchs wurden nicht geltend gemacht, so dass gemäß § 110 Absatz 1 Satz 1 SGB XII die aufgewendeten Kosten der Grundsicherung zu erstatten sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197 a Absatz 1 Satz 1 SGG, 154 Absatz 1 VwGO entsprechend. Danach trägt der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens. Das Verfahren ist gemäß § 197a Absatz 1, 3 SGG gerichtskostenpflichtig.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer des Beklagten mit 7.943,47 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 10.000,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe abweicht.
Rechtsmittelbelehrung:
Dieses Urteil kann nicht mit der Berufung angefochten werden, weil sie gesetzlich ausgeschlossen und vom Sozialgericht nicht zugelassen worden ist.
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