Sozialgericht Lüneburg
Beschl. v. 13.01.2010, Az.: S 12 SF 198/09 E

Bibliographie

Gericht
SG Lüneburg
Datum
13.01.2010
Aktenzeichen
S 12 SF 198/09 E
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 47825
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Auf die Erinnerung der Erinnerungsführer und Antragsteller vom 30. September 2009 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 01. September 2009 - S 30 AS 1388/07 ER - werden die von der Erinnerungsgegnerin und Antragsgegnerin an die Erinnerungsführer und Antragsteller zu erstattenden außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 466,48 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03. August 2009 festgesetzt; bereits erfolgte Zahlungen sind dabei in Abzug zu bringen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Diese Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen anfechtbar.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten im Erinnerungsverfahren noch um die Höhe der den Erinnerungsführern und Antragstellern (im Folgenden nur: Erinnerungsführer) durch die Erinnerungsgegnerin und Antragsgegnerin (im Folgenden nur: Erinnerungsgegnerin) zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens vor dem Sozialgericht Lüneburg. In diesem Verfahren stritten die Beteiligten um die Gewährung von laufenden Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Das Verfahren endete - ohne Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung oder eines Termins zur Erörterung der Sach- und Rechtslage - durch den Erlass bewilligender Verfügungen. Die Erinnerungsgegnerin erklärte sich ferner dem Grunde nach bereit, die außergerichtlichen Kosten der Erinnerungsführerin zu erstatten. Im Streit des vorliegenden Erinnerungsverfahrens steht nach dem Vorbringen der Beteiligten nur noch die Entstehung einer Terminsgebühr.

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Die Erinnerung hat Erfolg.

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Die gemäß § 197 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 01. September 2009 - S 30 AS 1388/07 ER - ist zulässig und begründet. Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss hält der beantragten gerichtlichen Überprüfung nicht gänzlich stand. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die von der Erinnerungsgegnerin an die Erinnerungsführerin zu erstattenden notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu Unrecht lediglich auf einen Gesamtbetrag in Höhe von 347,48 € festgesetzt. Entgegen der Auffassung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle und der Erinnerungsgegnerin ist zusätzlich die beantragte Terminsgebühr in die Berechnung des Vergütungsanspruches einzustellen.

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Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - (RVG)) der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nach allgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmen zusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, L 1 B 320/05 SF SK, zitiert nach juris). Dabei ist für jede Rahmengebühr eine eigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich. Die unterschiedliche Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeit mit unterschiedlichen Gebühren verbietet es, die Bewertung bei einer Rahmengebühr automatisch auf eine andere Rahmengebühr zu übertragen. Dies gilt sowohl für die Verfahrens- und Terminsgebühr (vgl. Landessozialgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006, a. a. O. sowie Keller in jurisPR-SozR 10/2006, Anm. 6) als auch für die der Einigungs- bzw. Erledigungsgebühr.

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Was die Bestimmung der angemessenen Gebühr innerhalb des jeweiligen Gebührenrahmens angeht, entspricht es allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass die Mittelgebühr ein angemessenes Äquivalent für die anwaltliche Tätigkeit in einem in jeder Hinsicht durchschnittlichen Streitverfahren darstellt. Davon ausgehend sind sodann Abschläge für unterdurchschnittliche und Zuschläge für überdurchschnittliche Verfahren vorzunehmen. Dabei kann im Übrigen etwa die Überdurchschnittlichkeit eines Bewertungskriteriums durch die Unterdurchschnittlichkeit anderer Bewertungskriterien kompensiert werden.

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Entgegen der Auffassung der Erinnerungsgegnerin ist eine Terminsgebühr nämlich nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 des Vergütungsverzeichnisses (VV-RVG) - Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG - entstanden. Nach dieser Vorschrift entsteht die Terminsgebühr nämlich u. a. auch für die (anwaltliche) Mitwirkung an auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts. Die Erinnerungsführerin hat insoweit vorgetragen, mit einem Mitarbeiter der Erinnerungsgegnerin telefonisch am 06. November 2007 Kontakt aufgenommen und die Angelegenheit mit diesem besprochen zu haben. Damit hat sie die Voraussetzungen für die Entstehung der Terminsgebühr ausreichend dargetan; die Tatsache und den Umfang der stattgefundenen Besprechung hat die Erinnerungsgegnerin zuletzt auch nicht mehr in Abrede gestellt. Die Kammer geht darüber hinaus davon aus, dass die Besprechung auch auf die Erledigung des anhängigen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens gerichtet gewesen sind und sieht sich durch den Erlass einer bewilligenden Entscheidung einen Tag nach der telefonischen Besprechung bestätigt.

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Soweit die Erinnerungsgegnerin die Auffassung vertritt, dass im Rahmen einstweiliger Rechtsschutzverfahren grundsätzlich keine Terminsgebühr zu vergüten ist, geht dieser Einwand fehl. Die Kostenkammer vertritt insoweit in ständiger Rechtsprechung lediglich die Auffassung, dass eine (fiktive) Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV-RVG in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht entstehen kann. Die Kammer hat in diesem Zusammenhang etwa in ihrem Beschluss vom 26. Oktober 2009 - S 12 SF 159/09 E - (zitiert nach juris) Folgendes ausgeführt:

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„Für die Bestimmung der Terminsgebühr, auch für das sozialgerichtliche Verfahren, gilt Nr. 3104 VV-RVG, die einen Gebührensatz von 1,2 der Gebühr nach § 13 RVG bestimmt. Handelt es sich - wie hier - um ein sozialgerichtliches Verfahren, in dem Betragsrahmengebühren entstehen, findet die Spezialvorschrift der Nr. 3106 VV-RVG Anwendung, auf die in Nr. 3104 VV-RVG verwiesen wird. Ein Termin hat nicht stattgefunden, so dass nur noch die Gewährung der (fiktiven) Terminsgebühr in Betracht käme. Entgegen der Auffassung der Erinnerungsführerin sind jedoch auch die hierfür in Nr. 3106 VV-RVG aufgeführten Verfahrenskonstellationen nicht gegeben. Danach entsteht eine Terminsgebühr auch, wenn

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1. in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden wird,

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2. nach § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden wird

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oder

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3. das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet.

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Sowohl Nr. 1 als auch Nr. 2 der Nr. 3106 VV RVG schildern prozessuale Situationen, in denen eine grundsätzlich durchzuführende mündliche Verhandlung ausnahmsweise entfallen ist. Auch der Wortlaut der Nr. 3 der Nr. 3106 VV-RVG lässt eine andere Auslegung nicht zu. Denn er setzt ausdrücklich für die Zuerkennung der fiktiven Terminsgebühr voraus, dass ein Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis „ohne mündliche Verhandlung" endet. Wenn der Gesetzgeber gewollt hätte, dass die Terminsgebühr grundsätzlich bei Beendigung eines Verfahrens durch Anerkenntnis verdient wird, unabhängig davon, ob eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, so hätte er diese Bedingung nicht ausdrücklich als Voraussetzung aufgenommen. Da für ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren gemäß § 124 Abs. 3 SGG i. V. m. § 86b Abs. 4 SGG eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist, ist eine fiktive Terminsgebühr nicht verdient, wenn ein solches Verfahren mit Anerkenntnis endet. Grundvoraussetzung für die Entstehung einer solchen Gebühr ist dementsprechend, dass für das entsprechende Rechtsschutzverfahren überhaupt eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die hier in Rede stehende Terminsgebühr wird nämlich auch und gerade deshalb gewährt, um eine mündliche Verhandlung vermeiden zu helfen (vgl. hierzu Kammergericht Berlin, Beschluss vom 21. Februar 2007, - 5 W 24/06, zitiert nach juris). Da jedoch einstweilige Rechtsschutzverfahren gerade keiner notwendigen mündlichen Verhandlung bedürfen, kann eine Terminsgebühr schon dem Grunde nach nicht entstehen. Eine Terminsgebühr kann deshalb in einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur dann verdient werden, wenn tatsächlich ein Termin stattgefunden hat oder aber die Voraussetzungen der (amtlichen) Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG erfüllt sind. Dies ist vorliegend jedoch auch nicht der Fall.

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Der hier vertretenen Rechtsauffassung kann im Übrigen auch nicht entgegengehalten werden, dass der Gesetzgeber mit der fiktiven Terminsgebühr einen Anreiz für die verfahrensbeteiligten Rechtsanwälte zur außergerichtlichen Erledigung eines Verfahrens schaffen wollte, um damit die Gerichte zu entlasten. Denn die in diesem Zusammenhang einzig denkbare Entlastung des Sozialgerichts wäre der Wegfall bzw. „die Ersparnis" einer alternativ durchzuführenden mündlichen Verhandlung. Eine solche ist indes - wie ausgeführt - für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nicht vorgesehen, die außergerichtliche Annahme eines Anerkenntnisses in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren entlastet das Sozialgericht folglich nicht. Nutznießer einer zügigen Annahme eines Anerkenntnisses ist der von dieser Prozesserklärung begünstigte Mandant, nicht das Gericht.

15

Aus den genannten Gründen vermag die Kammer auch der entgegenstehenden Auffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (Beschluss vom 26. April 2007, - L 7 B 36/07 AS, zitiert nach juris) nicht zu folgen, weil es sich gerade nicht mit der entscheidenden (und hier verneinten) Frage auseinandersetzt, ob die (fiktive) Terminsgebühr auch in den Fällen einschlägig ist, in denen eine mündliche Verhandlung gerade nicht gesetzlich vorgeschrieben ist.

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Soweit die Erinnerungsführerin zur Stützung ihres Ansinnens schließlich auf einen Beschluss der Kammer vom 26. Juni 2009 - S 12 SF 67/09 E - hinweist, kann ihr dies schon deshalb nicht zum Erfolg verhelfen, weil dem dortigen Verfahren ein Hauptsacheverfahren zugrunde lag, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist.“

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Die Kammer hat keinen Anlass, von dieser Auffassung abzuweichen und hält daran fest. Wenn und soweit im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens jedoch tatsächlich ein Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage stattfindet oder aber - wie hier - die Voraussetzungen der Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG vorliegen, vermag die Kammer keinen Grund zu erkennen, warum der tatsächlich entstandene anwaltliche Aufwand eines Termins oder einer auf die Erledigung eines gerichtlichen Verfahrens gerichteten Besprechung nicht auch im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu vergüten sein soll, zumal der Termin oder die Besprechung in diesen Fällen gerade nicht vermieden worden ist, sondern - anders als bei den Konstellationen der (fiktiven) Terminsgebühr - auch tatsächlich stattgefunden hat.

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Weil gegen die Höhe der zur Festsetzung beantragten Terminsgebühr keine Einwände erhoben worden sind, die Kammer auch im Hinblick auf die Kriterien des § 14 RVG keine Veranlassung hat, an der Billigkeit der Gebührenbestimmung zu zweifeln und schließlich die Höhe der übrigen Gebührenpositionen zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit steht, berechnen sich die zu erstattenden außergerichtlichen Kosten wie folgt:

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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV-RVG i. V. m. 1008 VV-RVG

272,00 €

Terminsgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG i. V. m. Nr. 3106 VV-RVG

100,00 €

Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV-RVG

20,00 €

19 % Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV-RVG

74,48 €

Summe

466,48 €

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Weil der Vergütungsanspruch damit antragsgemäß festzusetzen ist, hatte die Erinnerung insgesamt Erfolg.

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Der Ausspruch über die Verzinsung ergibt sich aus § 197 Abs. 1 S. 2 SGG i. V. m. § 104 Abs. 1 S. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), wobei zwischenzeitlich erfolgte Zahlungen entsprechend (mindernd) zu berücksichtigen sind.

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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus einer analogen Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 2 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 3 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG; vgl. zur Kostengrundentscheidung im Erinnerungsverfahren auch Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 197, Rdn. 10, der eine solche sogar gänzlich für entbehrlich hält).

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Die Erinnerungsentscheidung ergeht nach entsprechender Anwendung des § 33 Abs. 9 S. 1 RVG, des § 56 Abs. 2 S. 2 RVG und des § 66 Abs. 8 S. 1 GKG gerichtskostenfrei.

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Die Entscheidung ist gemäß § 197 Abs. 2 SGG endgültig.