Sozialgericht Lüneburg
Urt. v. 19.01.2010, Az.: S 7 AL 199/08
Rechtmäßigkeit des Ruhens eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen verspäteter Meldung der Arbeitslosigkeit bei unterlassener Belehrung über die Meldepflicht; Erwachsen der Beratungspflicht eines Sozialleistungsträgers zur Spontanberatung durch Einreichung eines befristeten Arbeitsvertrages
Bibliographie
- Gericht
- SG Lüneburg
- Datum
- 19.01.2010
- Aktenzeichen
- S 7 AL 199/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 12832
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGLUENE:2010:0119.S7AL199.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 SGB I
- § 37b S. 1 SGB III
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2008 verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom 01. bis 07. September 2008 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 18,26 Euro zu gewähren.
- 2.
Die Beklagte hat der Klägerin ihre außergerichtlichen Koten zu erstatten.
- 3.
Die Berufung wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen Eintritts einer Sperrzeit für die Zeit vom 01. bis 07. September 2008 und gegen die Minderung des Anspruchs um 7 Kalendertage.
Die H. geborene Klägerin bezog in der Vergangenheit mehrfach Arbeitslosengeld. Bis Mai 2007 war sie als Köchin beschäftigt und meldete sich am 16. April 2007 arbeitslos. Dabei bestätigte sie den Erhalt des Merkblatts 1 für Arbeitslose mit ihrer Unterschrift (Bl. 468 der Verwaltungsakte).
Im März 2008 nahm die Klägerin erneut ein Beschäftigungsverhältnis als Küchenhilfe auf, wobei die Beschäftigung von der Beklagten bezuschusst wurde. Laut Arbeitsvertrag war das Arbeitsverhältnis bis zum 31. August 2008 befristet (Bl. 29 bis 33 der Gerichtsakte). Die Klägerin reichte der Beklagten am 18. März 2008 den Arbeitsvertrag ein.
Die Klägerin meldete sich, nachdem sie am 31. Juli 2008 vom Arbeitgeber erfuhr, dass das Arbeitsverhältnis nicht verlängert werde, arbeitssuchend und am 01. September 2008 arbeitslos.
Mit Bescheid vom 15. September 2008 (Bl. 533 bis 535 der Verwaltungsakte) stellte die Beklagte das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für die Zeit vom 01. bis 07. September 2008 und die Minderung des Anspruchs um 7 Kalendertage fest. Sie begründete dies damit, dass die Klägerin sich nicht mindestens drei Monate vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend gemeldet habe.
Dagegen legte die Klägerin am 24. September 2008 Widerspruch ein (Bl. 545 der Verwaltungsakte), welchen sie damit begründete, dass sie der Beklagten den befristeten Arbeitsvertrag vorgelegt habe, ohne dass diese darauf hingewiesen habe, dass sie sich drei Monate vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitssuchend melden müsse. Ferner sei sie davon ausgegangen, dass der Arbeitsvertrag verlängert werde. Im Juni sei ihr Urlaub geplant und eingetragen worden, und zwar für die Zeit ab 08. September 2008.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2008 zurück (Bl. 547 bis 550 der Verwaltungsakte) und begründete dies im Wesentlichen folgendermaßen:
Die Klägerin hätte sich spätestens bis 31. Mai 2008 arbeitssuchend melden müssen. Ein wichtiger Grund für die Unterlassung sei nicht erkennbar. Trotz der Urlaubsplanung habe sie nicht von einer Verlängerung der Beschäftigung ohne Änderung des Arbeitsvertrages ausgehen dürfen.
Dagegen hat die Klägerin am 17. Oktober 2008 Klage erhoben.
Sie trägt vor:
Die Klägerin durfte von einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses ausgehen, weil ihr bereits Urlaub für September genehmigt worden sei. Erst am 31. Juli habe sie überraschend die Nachricht erhalten, dass das Arbeitsverhältnis nicht verlängert werde. Die Beklagte habe seit März 2008 Kenntnis von der Befristung, weil sie den Arbeitsvertrag vorgelegt habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2008 zu verurteilen, der Klägerin für die Zeit vom 01. bis 07. September 2008 Arbeitslosengeld mit einem täglichen Leistungssatz in Höhe von 18,26 Euro zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt unter Bezugnahme auf die erlassenen Bescheide vor.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung, den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2008 erweist sich als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in eigenen Rechten.
Rechtsgrundlage der angegriffenen Bescheide ist § 144 Absatz 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 7 SGB III (in der Fassung vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594) zuletzt geändert durch Artikel 1, 3 des Fünften Gesetzes zur Änderung des SGB III - Verbesserung der Ausbildungschancen förderungsbedürftiger junger Menschen vom 26. August 2008 (BGBl. I S. 1728) (a.F.).
Nach Satz 1 dieser Norm ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Nach Satz 2 Nr. 7 liegt versicherungswidriges Verhalten vor, wenn der Arbeitslose seiner Meldepflicht nach § 37 b nicht nachgekommen ist.
Nach § 37 b Satz 1 SGB III sind Personen, deren Arbeits- und Ausbildungsverhältnis endet, verpflichtet, sich spätestens drei Monate vor dessen Beendigung persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden. Nach Satz 2 dieser Norm hat die Meldung innerhalb von 3 Tagen nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes zu erfolgen, wenn zwischen Kenntnis und Beendigung weniger als drei Monate liegen. Nach Satz 4 der Norm besteht die Pflicht zur Meldung unabhängig davon, ob der Fortbestand des Arbeits- oder Ausbildungsverhältnisses in Aussicht gestellt wird.
Die Klägerin schloss im März 2008 einen Arbeitsvertrag, der von vornherein bis zum 31. August 2008 befristet war. Sie hätte sich mindestens drei Monate vor Ende der Befristung, das heißt spätestens am 31. Mai 2008 arbeitssuchend melden müssen. Die Meldung am 31. Juli 2008 war verspätet.
Somit liegt objektiv ein Verstoß gegen diese Obliegenheit vor.
Der Verstoß müsste aber auch subjektiv sorgfaltswidrig erfolgt sein, so dass kein wichtiger Grund für das Versäumnis vorgelegen hätte, für dessen Vorliegen die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast trifft (§ 144 Absatz 1 Satz 4 SGB III a.F.). Eine unverschuldete Unkenntnis der Meldepflicht stellt einen wichtigen Grund dar (vgl. Gagel/Winkler, Kommentar zum SGB III, § 144, Rd. 203).
Eine rechtzeitige Arbeitssuchendmeldung ist im vorliegenden Einzelfall nicht sorgfaltswidrig unterlassen worden. Ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld träte dann nicht ein, wenn der Versicherte nicht mindestens fahrlässig diese Obliegenheit verletzt hätte, wobei ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen ist, der die doppelte Prüfung umfasst, ob der Arbeitssuchende nach seinem individuellen Vermögen fahrlässig in Unkenntnis über die ihm auferlegte Obliegenheit war und sich fahrlässig nicht unmittelbar nach Kenntnis des Beendigungszeitpunktes an die Agentur für Arbeit gewandt hat (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 25. Mai 2005 - B 11a/ 11 AL 81/04 R-;18. August 2005 - B 7a AL 4/05 R - und 20. Oktober 2005, - B 7a AL 50/05 R -).
Im Rahmen der Sorgfaltsprüfung ist der Umstand einzubeziehen, ob eine Belehrung über die Meldepflicht vorgenommen wurde, welche im Übrigen aber nicht Tatbestandsvoraussetzung für den Sperrzeiteintritt ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 28. August 2007 - B 7/7a AL 56/06 R -).
Vorliegend ist die Klägerin nicht von der Arbeitgeberin darüber aufgeklärt worden, dass eine Arbeitssuchendmeldung spätestens drei Monate vor Ende des befristeten Arbeitsverhältnisses notwendig ist. Sie erhielt im April 2007 das Merkblatt für Arbeitslose 1 und damit nicht im engen zeitlichen Zusammenhang mit Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages.
Im Rahmen der Prüfung des subjektiven Tatbestands ist das Verhalten der Beklagten vor Ablauf der Frist der Meldeobliegenheit am 31. Mai 2008 mit einzubeziehen. So zeichnet sich der Sachverhalt im vorliegenden Fall zum einen dadurch aus, dass das Arbeitsverhältnis von der Beklagten bezuschusst wurde, also ein gewisses Näheverhältnis bestand. Zum anderen hat die Klägerin, worauf die Kammer entscheidend abstellt, der Beklagten am 18. März 2008 den befristeten Arbeitsvertrag eingereicht. Nun ist dieses Verhalten nicht als konkludente Arbeitssuchendmeldung zu werten, weil eine Erklärung hätte abgegeben werden müssen, welche die Bereitschaft zur Arbeitssuche beinhaltet, zumal der Arbeitsvertrag nicht bei einer persönlichen Vorsprache vorgelegt wurde. Jedoch ist aus der Abgabe des Arbeitsvertrags eine Beratungspflicht der Beklagten zur Spontanberatung erwachsen, welche unterlassen wurde. Aus diesem Grund sind die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gegeben.
Tatbestandliche Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sind:
1.
eine Pflichtverletzung, die der Beklagten zuzurechnen ist, 2. ein dadurch beim Kläger eingetretener sozialrechtlicher Nachteil und 3. die Befugnis der Beklagten, durch eine Amtshandlung den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht begangen worden wäre (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 18. Februar 2004 - B 10 EG 10/03 R -).
Die Klägerin hat nachgewiesen, dass die Beklagte eine Beratungspflichtverletzung beging.
Es liegt eine Verletzung der Beratungspflicht nach § 14 SGB I vor. Nach Satz 1 dieser Norm hat jeder Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Nach Satz 2 sind zuständig für die Beratung die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind.
Voraussetzung ist ferner, dass die verletzte Pflicht dem Sozialleistungsträger gerade gegenüber dem Versicherten obliegt, diesem also ein entsprechendes subjektives Recht einräumt (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 22. Oktober 1996 - 13 RJ 23/95 -).
Prämisse für das Entstehen einer Beratungspflicht nach § 14 SGB I ist ein Beratungsbegehren oder zumindest ein konkreter Anlass zur Beratung (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 28. September 1976 - 3 RK 7/76 -, 21. März 1990 - 7 RAr 36/88, - 16. Dezember 1993 - 13 RJ 19/92 - und 16. Juni 1994 - 13 RJ 25/93 -).
Ein konkreter Anlass für eine Spontanberatung wurde nachgewiesen, so dass eine Pflichtenstellung der Beklagten zur Beratung über die Obliegenheit zur Arbeitssuchendmeldung erwiesen ist. Die spontane Beratungspflicht besteht nur bei einem engen Verhältnis Bürger-Verwaltung (vgl. Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB I, § 14, Rd.17), dessen Voraussetzung im vorliegenden Fall bejaht werden muss, da die Klägerin in einem bezuschussten Beschäftigungsverhältnis stand und der Beklagten der befristete Arbeitsvertrag bekannt war.
Eine Beratungspflicht erstreckt sich auf Gestaltungsmöglichkeiten, die der Betroffene anspricht und deren Relevanz auch unmittelbar für die Behörde erkennbar ist. Letztere muss nicht gleichsam ins Blaue hinein vermutete Beratungsbedarfe ermitteln und befriedigen, wenn sie nicht klar zu Tage treten (vgl. Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB I a.a.O..) oder sich unmittelbar aus der Beratungssituation aufdrängen. Es müsste dabei im Übrigen für die Behörde klar erkennbar sein, dass die Wahrnehmung der Rechte offensichtlich so zweckmäßig ist, dass sie jeder vernünftige Bürger mutmaßlich nutzen würde (vgl. Urteil des Bundessozialgerichtes vom 18. Dezember 1975 - 12 RJ 88/75 -).
Das Interesse der Klägerin am ungekürzten Bezug von Arbeitslosengeld nach Ende der Beschäftigung war evident und klar ersichtlich.
Die Pflichtverletzung ist der Beklagten zuzurechnen und kausal für die unterlassene rechtzeitige Arbeitssuchendmeldung. Eine Naturalrestitution ist im vorliegenden Fall grundsätzlich möglich, indem die rechtzeitige Meldung fingiert wird. Dies wurde in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes bejaht für die Heilung des Versäumnisses von Ausschlussfristen (vgl. Urteile des Bundessozialgerichtes vom 12. Oktober 1979 - 12 RK 47/77 - und 26. Oktober 1982 - 12 RK 37/81 -; Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB I, § 14, Rd. 42; Lilge, Kommentar zum SGB I, vor §§ 13 bis 15, Rd. 26).
Eine offensichtliche Zweckmäßigkeit einer solchen Gestaltungsmöglichkeit wäre für die Beklagte erkennbar gewesen.
(2) Die Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um § 128 Absatz 1 Nr. 3 SGB III a.F. war rechtswidrig, weil keine Verwirklichung eines Sperrzeittatbestandes vorlag.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Absatz 1 SGG.
Gemäß § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, Absatz 2 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, weil hier die Beschwer der Beklagten mit 255,64 Euro unterhalb des Schwellenwertes von 750,- Euro liegt. Die Berufung wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht von einer Entscheidung des Landessozialgerichtes, des Bundessozialgerichtes, des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe oder des Bundesverfassungsgerichtes abweicht sowie auf dieser Abweichung beruht.